Baklava in 15 Jahren

Vor etwa 15 Jahren saßen meine Freundin und ich um drei Uhr nachts frierend auf den Stufen vor dem Residenztheater. Obwohl in dieser Novembernacht leichter Schnee fiel, setzten wir uns für einen Moment auf den kalten Stein um unseren Füßen eine Pause zu gönnen. Verschneites Kopfsteinpflaster und hohe Schuhe vertragen sich nicht gut. Vor allem dann nicht, wenn die Besitzerinnen der hohen Schuhe zuvor mehrere Gläser Wodka Redbull getrunken und  den Heimweg quer durch die Stadt aus Gründen der Sparsamkeit zu Fuß angetreten haben. Unsere  hübschen Jacken waren viel zu dünn und der Schnee verfing sich in unseren Haaren, weil Mützen zwar warm aber nicht hübsch gewesen wären. Ich erinnere mich, dass wir in dieser Nacht überzeugt waren, eine der letzten guten Partys erlebt zu haben. Mit vor Kälte klappernd Zähnen wurden wir sentimental und waren den Tränen nahe. Im kommenden Sommer stand unser fünfundzwanzigster Geburtstag an. Gute, spontane und verrückte Geburtstagsfeiern, wie die eben durchlebte, würde es dann kaum mehr geben. Mit fünfundzwanzig wurde man langsam zu alt um plan- und gedankenlos durch ein Wochenende zu stolpern. Nichts von dem was wir damals in jener Novembernacht erlebt haben, war besonders wild oder exzentrisch gewesen und doch hatten ich damals Angst, dass sich bald alles ändern würde.  Ich hatte Recht. 15 Jahre später hatte sich vieles verändert.

Unverändert aber blieb, dass ich das Haus nur mit vollem Magen verlasse. Waren es früher die chronisch leeren WG Kühlschränke meiner Freunde, die mich  zu Hause essen ließen, so sind es heute die vollen Gläser, die man bereits an der Tür in die Hand gedrückt bekommt. Geblieben ist auch das schlichte, nicht zu enge, schwarze Kleid mit den kuschligen schwarzen Strümpfen. Es passt immer. Auch über einen vollen Bauch und in das Bahnhofsviertel in das ich am Freitagabend mit einem meiner besten Freunde aufbrach. Wohnten wir früher in zweifelhaften Vierteln, weil uns für mehr das Geld fehlte, so haben manche von uns heute das Glück eine Wohnung zu besitzen, deren Charme einzigartig ist. Wenn man es mag zwischen  Stripclubs und dem Deutschen Theater zu wohnen, ist die Lage unschlagbar. Es ist der einzige Ort Münchens, an dem man auch um kurz vor zehn Uhr abends noch  Koffer, Getränke, Handys, Schmuck oder Döner kaufen kann. In ein und dem selben Geschäft. Wir entschieden uns für eine große Tüte Baklava weil wir auch 15 Jahre später noch nicht gelernt haben uns rechtzeitig um ein angemessenes Gastgeschenk zu kümmern. Der Baklava-Empfänger hatte Glück. Für einen kurzen Moment spielten wir mit dem Gedanken ihm eine 1,45 m große Wasserpfeife mitzubringen. Nur weil wir noch nie etwas gesehen hatten, das in so grellen Farben funkelte.

Vor 15 Jahren hatten wir Angst, dass die Spontanität in unserem Leben verschwinden wird. Wir irrten uns. Früher waren wir unfähig zu planen. Heute planen wir, wissen aber, dass es eh anders kommt. An diesem Freitagabend waren von den eingeladenen Personen nur drei gekommen. Die restlichen waren spontan mitgebrachte Freunde, früher aus dem Urlaub zurück gekehrte Nachbarn oder Personen mit denen man am Vormittag nach langer Zeit zufällig telefoniert hatte. Die ganze Wohnung war für Gäste hergerichtet worden. Die Gäste aber kümmerten sich nicht darum, besetzten ausschließlich die Küche und scharrten sich um den großen Tisch. Ungewollt spielten wir die Reise nach Jerusalem. Wurde der Kühlschrank geöffnet, was im Abstand von 10 Minuten der Fall war, musste die davor sitzende Person aufstehen. Dies war ihr nur möglich indem sie die beiden neben ihr sitzenden Personen ebenfalls aufscheuchte um die ineinander verklemmten Armlehnen der Stühle zu entwirren. Wer die Toilette besuchte, saß nach der Rückkehr auf einem anderen Stuhl und musste sein begonnenes Gespräch fortsetzen indem er quer über den Tisch plärrte. Vor 15 Jahren waren wir sicher, dass wir früher oder später mit dem Rauchen aufhören würden. Wir haben aufgehört, fangen an manchen Abenden aber wieder an. Alle, bis auf die wenigen frischen Nichtraucher, die am geöffneten Fenster nach Luft schnappen. Mit Anfang zwanzig, warfen wir bei Einladungen eine Packung Chips und etwas Schokolade auf den Tisch. Heute kümmern wir uns um ein Buffet, stellen aber fest, dass aufgrund der Menge an spontanen Gäste niemand mehr aufstehen kann um an die Schüsseln und Teller zu gelangen.

Ich weiß nicht mehr was ich an diesem Abend  getrunken habe. Ich musste das nehmen, das gerade aus dem geöffneten Kühlschrank heraus gereicht wurde. Aber es passte hervorragend zu den scharfen Wasabi-Nüssen und dem Fingerfood, das ab und zu vor mir stand. Und es passte zu dem Gespräch über das Sterben und Verglühen von Sternen und der Faszination gekrümmter Raumzeit, in das ich verwickelt wurde. Vor 15 Jahren hätte mich niemand davon abhalten können, um drei Uhr nachts noch weiter in einen Club zu ziehen. Heute reicht ein Blick zwischen meinem Freund und mir aus, um zu wissen, dass der Zenit des Abends erreicht ist und es nicht mehr besser werden kann. Gut eingepackt mit einer hübschen und warmen Mütze bin ich mit ihm nach Hause gelaufen. Ich muss nicht mehr überlegen ob es angebracht ist ihn zu fragen ob er noch mit zu mir kommt, weil es doch erst kurz nach drei Uhr ist. Heute kennen wir uns gut genug um wortlos in die gleiche U-Bahn einzusteigen. Nicht um die vor 15 Jahren beendete Liebesgeschichte aufleben zu lassen. Die ist tatsächlich passe. Nicht vorbei ist der Heißhunger auf einen nächtlichen Teller Pasta, der noch genauso stark wie früher ist. Und hätte mir jemand vor 15 Jahren gesagt, dass auf BR Alpha mitten in der Nacht noch immer all die alten Folgen von Alpha Centauri wiederholt werden – ich hätte ihn für verrückt erklärt. Sie werden es aber. Und wir sahen sie uns an. Bis fünf in der Früh ließen wir uns von Prof. Harald Lesch die Entstehung des Universums erklären.

Mein kleines Universum hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Viele Sterne sind längst verloschen und in manche Galaxien dringe ich nicht mehr vor. Das Funkeln eines Freitagabends mit Freunden ist aber noch lange nicht erloschen. Ich blicke gelassen auf die nächsten 15 Jahre. Die Dinge ändern sich. Wir ändern uns. Aber ein Stück von uns bleibt der glückliche und chaotische Haufen der wir schon immer waren. Und bleiben werden.

 

 

14 Gedanken zu “Baklava in 15 Jahren

  1. Klasse. Genau so ist es. Und das mit den Galaxien, in die man heute nicht mehr vordringt: entweder, man macht das andauernd oder man lässt es nach einer Weile. Liegt der letzte Besuch – sagen wir mal – mehr als 5 Jahre zurück, sollte man es lassen. Manchmal sind schöne Erinnerungen besser als eine Neuauflage …

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  2. Zwei scheints überindividuelle Konstante sind mir an deinem persönlichen Lifestyle Report aufgefallen, liebe Mitzi, die Beliebtheit der Küche als Versammlungsort und, dass Frau immer zu leicht bekleidet unterwegs ist. Ist der Abend noch jung, gehts ja, aber sobald die Müdigkeit kommt, hat man als Mann so ein zitterndes Wesen an der Seite. Du schreibst, dass du inzwischen einsichtig geworden bist. Ich kann das kaum glauben. Die Schönheit geht doch noch immer über den Kälteschutz. 😉

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    1. Glaube es nur, lieber Jules. Triffst du mich bei Minusgraden, bin ich in Mütze, Schal und Mantel gehüllt. Gerüstet für lange Spaziergänge und Christkindelmärkte. Nur zu Hause, da bitte ich um einen Platz an der warmen Heizung – es mag am dünnen Hemdchen liegen ;).

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  3. Liebende Mitzi Irsaj

    auf Nikas Empfehlung schaue Ich hier in Deiner Galaxie vorbei
    Was ist los mit Dir
    Gehen doch täglich immer mehr Sterne am Firmament auf
    Und Du bist doch eine Reisende vom Baklavaplaneten
    Zur Sishaerde unterwgs in Deine Heimat Herzenswelt
    Kein Stern verlischt
    Er hüpft nur in eine andere Zeit
    Quantenspringer der Unendlichkeit
    Komm zieh Deine warme unschöne Mütze auf und
    Betrachte eine Schneeflocke
    Diesen Mikrostern
    Zu Dir herabgeschwebt
    Eine Einladung zum Sternenfest
    Für Dich gezaubert

    danke
    Dir Joachim von Herzen
    und vom andern Stern

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  4. Das hast Du wieder so schön beschrieben, liebe Mitzi…und ja ohne Küche wären doch die Partys gar nicht möglich 😉 …wichtigster Ort ever, trotzdem würde mir niemals ne Mütze aufs Haupt kommen (Kapuze schon ;-)).
    Wünsch Dir einen schönen Abend …ach ja und Du machst mir immer mehr Lust auf München.
    Liebe Grüße von
    Andrea

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