Ich mag ja Trottel. Solche, in denen man sich wiederkennt und bei denen man froh ist, dass es einen diesmal nicht selbst getroffen hat. Einem Trottel kann ich stundenlang zusehen und mich dabei besser als beim durchschnittlichen Fernsehprogramm amüsieren. Ich mag es zum Beispiel unheimlich gerne, Kollegen beim Beseitigen des Papierstaus am High-Tech Drucker / Kopierer / Scanner zu beobachten. Nicht, dass meine Kollegen pauschal Trottel wären – auf keinen Fall. Aber ich kenne kaum einen, der die Rolle auf allen vieren kauernd und mit der Hand in einem der vielen Einzugsfächer steckend, nicht perfekt verkörpern würde. Dann suche ich mir eine Arbeit die nicht viel Aufmerksamkeit erfordert (zum Beispiel tackern – ich bin große Klasse im Tackern), lehne mich an das Sideboard und lausche den leisen Flüchen. Es versteht sich von selbst, dass ich mich an der Behebung des Papierstau nicht beteilige. Die letzten fünf Jahre habe ich ein hilfloses Lächeln perfektioniert, das es mir erspart, selbst in die Knie zu gehen. Kennt mich einer noch nicht gut genug, um zu wissen dass dieses Lächeln übersetzt „vergiss es, den Mist fasse ich gar nicht erst an“, teile ich es ihm charmant verbal mit.
Noch lieber mag ich die echten Trottel. Die, die einfach ein bisschen doof sind. Doof und dabei besonders liebenswert. Die zu beobachten ist mir eine große Freude. Verstehen sie mich nicht falsch. Ich spreche hier nicht von echten Defiziten. Ich meine den Schlag von Menschen, der gepflegt einen an der Klatsche hat und sich damit rund um wohl fühlt. Zum Beispiel Tom. Tom ist Friseur bei meinem Friseur. Von Tom würde ich mir nie die Haare schneiden lassen. Viel zu oft habe ich ein „ups“ aus seinem Mund gehört. Und ich sehe ja was er mit seinen eigenen Haaren macht. Außerdem redet er mir zu viel. Ich gehe lieber zu Hagen. Der sagt nicht „ups“ sondern eigentlich gar nichts. Hagen und ich sind meist die einzigen im Salon die sich anschweigen und lieber den Gesprächen lauschen und das Treiben um uns herum beobachten. Ich mehr als er. Er muss mir ja die Haare schneiden und sich dabei konzentrieren. Das ist gar nicht so leicht. Wenn Hagen nämlich Pech hat, dann hat Tom gerade keinen Kunden und zu viel Zeit. Was für mich ein Highlight ist, ist für Hagen eine echte Herausforderung. Zum Beispiel gestern. Gestern war mein Glücks- und Hagens Pechtag. Tom hatte Zeit. Und weil Tom ein hilfsbereiter Mensch ist, nutzt er seine Zeit. Während rechts von mir Hagen saß und meine Haare schnitt, nahm Tom links von mir Platz und zupfte die feuchten Strähnen vom Umhang. Einzeln. Es ist sehr beruhigend, dem Schnipp-Schnapp einer Schere zu lauschen und eine Hand zu beobachten, die im gleichen Rhythmus die gefallenen Haarsträhnen einsammelt und sanft auf den Boden fallen lässt. Für mich. Für Hagen war es eher anstrengend. Das schöne Schnipp-Schnapp Geräusch seiner Schere kam aus dem Takt und verstummte wenig später ganz. Hagen sah sich gezwungen doch zu sprechen. Und Tom zu antworten.
„Was?!“
„Ich räum auf.“
„Alter! Die sitzt da noch.“ – Die war ich.
Tom verzog sich und konzentrierte sich auf die Haarsträhnen am Boden. Weil Hagen ihn gar so mürrisch ansah, traute er sich nicht zwischen meinen und Hagens Beinen zu fegen. Tom ist kreativ. Er nutzte einen Föhn. Einen Meter von uns entfernt richtete er ihn auf den Boden und blies die Haare, ganz wie Laub mit einem Laubbläser, unter dem Stuhl in eine Richtung. Es war wohl die falsche Richtung, den er umkreiste uns. Mehrfach. Ich kann ihnen nicht sagen, wie amüsant das war. Trottel Ballett. Ich lächelte, Hagen explodierte.
Während die Farbe in meinen Haaren einwirkte, kam ich noch in den Genuss zu beobachten wie Hagen mit einem Azubi die Lichterkette am Fenster anbrachte. Versuchte sie anzubringen. Ich habe keine gute räumliche Vorstellung, aber dass das Kabel zu kurz war, sah sogar ich. Ich mag Menschen, die sich von so etwas nicht einschüchtern lassen und erst einmal das ganze Schaufenster dekorieren bevor sie sich mit Banalitäten wie Stromanschlüssen beschäftigen. Selbst Hagen honorierte das Engagement verbal. Vor dem Fenster stehend, den mittig in einem Meter höhe baumelnden Stecker betrachtend murmelte er: „Alter! Du bist echt gut.“ Tom ist wirklich gut. Weil ihm langweilig war und sich kein Verlängerungskabel fand, föhnte er mir anstelle von Hagen die Haare. Ich wusste gar nicht, dass ich wie Agnetha von Abba aussehen kann. Als ich bezahlt hatte, stand Hagen vor dem Laden und rauchte eine Zigarette. Ich ging zu ihm um ihm das Trinkgeld zu geben. Er sah mich lange an, bevor er den Kopf schüttelte. Ne, das wäre nicht fair, meinte er und fügte ein „Alter, der ist echt – Pause- schönen Abend“ an.
Zu Hause setzte ich die Brille auf und murmelte: „Alter!“ Agneta sah mit etwas mehr Sehschärfe verdammt nach Dolly Parton aus.