Er sagt, dass man mit mir man in keine Ausstellung gehen könne. Es sei verlorene Liebesmüh und gänzlich sinnlos zu versuchen, mir auch nur eines dieser Kunstwerke näher zu bringen. Meine Arroganz sei unerträglich und meine abweisende Körperhaltung eine Beleidigung für jeden, der mir etwas beibringen möchte und….. bla, bla, bla. Ich denke es. Sage es nicht laut, weil ich weiß, dass dies nur weitere Worte, aus einem mich langweilenden Mund, zur Folge hätte. Zwanzig. Zwanzig Worte noch, darf er sagen, dann stecke ich mir die Finger in die Ohren. Oder lege mir die Hände vor die Augen. Spiele ihm pantomimisch die drei Affen vor, die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen wollen. Wenn er aber die zwanzig Worte, dieses allerletzte Kontingent, das ich ihm gewähre, überschreitet, dann werde ich etwas sagen. Dann werde ich ihn anflehen, doch bitte, bitte, endlich den Mund zu halten. Oder, durchaus im Bereich des Möglichen, ihn kommentarlos niederschlagen.
Kreative Menschen, die mag er und mich mag er, weil ich schreibe. Ich mag ihn auch. Ich mag ihn, obwohl er schreibt. Dinge, die nicht zu mir durch dringen. Gedichte, die mich nicht berühren und Worte die mir austauschbar erscheinen. Banaler Schwachsinn, sagte ich zu einem, der mich gut genug kennt, um mich nicht zu verraten und weiß, dass mein Urteil erst im Laufe der Jahre so hart geworden ist. Monatlich erhielt ich die fünfunddreißig Zeilen des aktuellen Werkes und wurde gezwungen mich zu äußern. Egal wie oft ich sagte, dass Lyrik mir fremd ist. Mich befremdet, überfordert und in seinem Fall verständnislos zurück lässt. Irgendwann sagte ich gar nichts mehr. Das war besser. Stille Zustimmung, wortloses Lob, meinte er; endlich Ruhe, dachte ich und war dumm genug, mit ihm ins Museum zu gehen. Den Lepanto Zyklus von Twombly hat er mir so gründlich versaut, dass ich ganze zwei Wochen kein Wort mehr mit ihm gesprochen habe. Zwölf Bilder in einem eigens für sie konzipierten Raum die so wunderbar sind, dass das Herz bei der Vorstellung sich eines nach dem anderen in Ruhe anzusehen, freudig zu klopfen beginnt. Es klopft, bis einer anfängt zu erklären und schildert was genau da zu sehen ist. Ja, ich habe die blutige Seeschlacht von Lepanto im ersten Moment für eine pittoreske Hafen Stimmung im Sonnenuntergang gehalten. Na und? Ist etwas, das vermeintlich wunderschön ist, nicht noch viel grausamer, wenn sich seine Brutalität sich erst auf den zweiten Blick offenbart? Und könnte es nicht sein, dass die schöne Stille, die erst dann laut wird, wenn man versteht, womöglich gewollt ist? Er meint nein und erklärt mir warum ich mich täusche. Halt die Klappe, murmle ich und imitiere in Gedanken drei Affen.
Ich sei das Schaf, das mit verschränkten Armen vor Bildern steht und nichts versteht. Sagt er. Ich höre ihm nicht zu, weil ich ja ein Schaf bin und Schafe Menschen in den seltensten Fällen Gehör schenken. Ein Schaf kann sich verlaufen. Verläuft sich in ein anderes Stockwerk. Läuft davon und wartet Schafdoof 30 Minuten auf dem Klo, bis es sich in Sicherheit wiegt. Dann steht es mit verschränkten Armen vor seinem Lieblingsbild und genießt die Stille. Das Schaf war zu doof und erinnerte sich nicht daran, dass er, der alles besser weiß, es gut genug kennt um gewartet zu haben. Ich bin wieder ich und atme tief durch als er sich neben mich stellt. Kein Wort, sage ich und korrigiere mich. Ein Wort und ich rede nie wieder mit dir. Das ist mein Bild und ich erlaube dir nicht, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Mit verschränkten Armen zieht er sich zurück. Und weil er, der mich in den Wahnsinn treibt, auch einer meiner engsten Freunde ist, sitzt er später mit mir in der Sonne und fragt erst nach einer Stunde ob er wieder sprechen darf. Er darf. Nur nicht über „Ninis Painting“ von Cy Twombly. Kreide oder Bleistift, ich weiß es nicht und es ist mir egal, bedecken die Leinwand mit schwungvollen Schlaufen, die durch ihre Zeilenartige Anordnung an sich überschneidende Worte erinnern. Mal etwas dichter, mal etwas lockerer. Man kann nichts lesen und nichts erkennen. Ich habe es über viele Stunden versucht, bis ich zu verstehen glaubte, dass es darauf auch nicht ankommt. Ich las, dass es der plötzlich verstorbenen Frau des italienischen Galeristen Twoblys gewidmet ist. Und auch die Interpretation die ich im Internet (Journal21.ch Urs Meier) fand. „Was schreibt man in einer Totengabe? Es muss die Preisung des Lebens dieser Verstorbenen sein. Ein Nachruf, verschlüsselt in einer Manifestation reiner Schönheit.“ Eine einzigartige Erinnerung an ein zu Ende gegangenes Leben.
Es gab eine Zeit in der ich vor diesem Bild stand und darin einen Namen suchte. So verbissen und so ausdauernd und so sicher, dass es der von dem sein musste, den ich nicht mehr an meiner Seite hatte, dass es mein Bild wurde. Eines das mich davon abgehalten hat, mit selbst die Finger wund zu schreiben. Wissend, dass es nichts bringen würde. Stundenlang vor einem Bild zu stehen und darin einen Namen zu suchen, das hilft. Weißt du, sag ich dem, der neben mir sitzt, man kann ja nicht einfach losbrüllen, wenn die Welt zusammen bricht. Er nickt und sagt noch immer nichts. Deswegen mag ich ihn. Und weil er mich alleine noch mal ein bisschen nach einem Namen suchen lässt.