Die Sonne ist zurück – heute, das erste Mal seit Ende September letzten Jahres – schafften es ihre Strahlen zurück in meinen Laubengang. Nur wenige und nur ganz außen an der Hauswand, aber immerhin. Seltsam, wie sehr man sich nach dunklen Monaten über einen kleinen Fleck Sonne freuen kann. Vor vielen Jahren stand ich ähnlich wie heute mit einem Espresso in der Hand in der Küche und freute mich über die Rückkehr des Lichts. So sehr, dass ich euch erzählte, dass es nun nicht mehr lange dauern würde. Ein paar Wochen noch, dann würden die Strahlen das Fenster erreichen und endlich würde es dann in meiner Wohnung an schönen Tagen nicht nur vormittags, sondern auch vom späten Nachmittag an, einen Raum geben, der vom schönsten Licht von allen erleuchtet wird. Die Mokka stand auf dem Herd und der Kaffee blubbert genauso fröhlich, wie meine Stimme klang. Auch heute blubbert sie – es ist noch immer die selbe – nur meine Stimme fehlt, weil ihr seit langem nicht mehr hinter mir im winzigen Schlauch der Küche steht. Fehl am Platz war sie, die Stimme, auch damals gewesen. Unbedacht über kommende Monate plaudernd und wie so oft vergessend, dass einer längst nicht mehr in Monaten und immer seltener in Wochen rechnete. Einzig Tage waren relevant, weil sie kurz genug waren, um sich einigermaßen sicher sein zu können, von ihnen auch die letzten Stunde zu erleben.
Unangenehm berührt waren zwei, wenn wieder einer von etwas zukünftigem sprach. Und selbst wenn es sich nur um den Stand der Sonne handelte. Damals, vor all den Jahren, war der Juni im Februar so ungewiss und das Jahresende, wenn die Sonne nicht mehr ins Fenster schien, ein Zeitpunkt von dem wir ahnten, dass wir ihr fehlen kaum zu dritt bedauern würden. Nur einer, der eine, den es betraf, der störte sich nicht und trug seine Gelassenheit wie eine wärmende Decke um die Schultern. Na, fein, dass ich das noch erleben kann, ein Sonnenfleck an einer Regenrinne, schmunzelte er damals, stieß mich leicht in die Rippen und schüttelte den Kopf als ich mir betreten auf die Lippe biss. Passt. Alles gut. Diese, seine drei Worte seit Monaten, ausgesprochen mit soviel Wärme in der Stimme, dass wir im glaubten. Passt. Alles gut. Wenn man so aus dem Leben scheidet, dann hat man das unendlich große Glück, tatsächlich mit sich im reinen zu sein. Natürlich passte es nicht. Es passt nie und doppelt nicht, wenn Menschen jung sind. Niemand sollte wissen, dass er den nächsten Jahreswechsel nicht erlebt und keiner sollte sich vorstellen müssen, wie es sein wird, nur noch zwei anstelle von drei Tassen auf den Tisch zu stellen. Wenn es denn aber sein muss, weil das Leben schon immer – was angesichts seiner Schönheit, doch sehr verstörend ist – unangenehm grausam war, dann sollte man froh sein, nicht gewusst zu haben, dass man Jahre später nur noch eine Tasse aus dem Schrank holt. Eine von dreien – das ist dreist, liebes Leben. Dreist und am Ende noch nicht einmal ungewöhnlich.
Wisst ihr noch, wie sehr ich geheult habe, als einem von euch die Tasse aus der Hand gefallen und auf den Küchenfliesen zerschellt war? Wütend geheult, weil ich wenigstens drei gleiche Tassen behalten wollte und drohte euch rauszuschmeißen, wenn einer auf die Idee käme, jetzt einen blöden Witz zu machen. Am Ende machte ich ihn selbst, weil es ganz am Ende egal ist und man am lautesten herzhaftesten über das lacht, was am meisten schmerzt. Jetzt steht in meinem Schrank nur noch eine Tasse. Die deine warf ich selbst auf den Boden, als auch du gegangen bist. Mit Absicht und mit voller Wucht. Noch heute hat die Fliese direkt vor dem Fenster einen Sprung und ich spüre ihn an den Zehen, wenn ich am Waschbecken stehe. Der Sprung ist mir wichtig. Wichtiger als die Tassen, die ihr irgendwann in den Händen gehalten habt.
Die Sonne ist zurück und ich stehe alleine in der Küche. Unter meinem Fuß ein Sprung in einer Fliese. Ich vermisse euch. Längst nicht mehr jeden Tag, aber heute so sehr wie schon lange nicht mehr. Nichts passt und nichts ist gut. Die letzte der drei Tassen fliegt auf den Boden. Nicht mit voller Wucht, sondern weil ich an Blödheit nicht zu überbieten bin und sie heulend blind zu nah an den Rand der Spüle stellte. Ihr lacht, ich höre es genau. Vielleicht ist es auch mein eigenes Lachen. Nach all den Jahren kommt es auf eine Tasse nun auch nicht mehr an. Solange die Sonne Jahr für Jahr zurück kommt….passt. Alles gut. Man muss es sich nur lange genug sagen. Immer und immer wieder.
💚
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Ich hab tatsächlich gelacht – so ein kleines bisschen. Es war kein hämisches sondern ein freundliches Lachen. 🌹
Und ich habe deinen Text sehr gern gelesen. Er erinnert mich daran, dass es wichtigeres gibt als ein nicht mehr passendes Tassensortiment.
Danke dafür 🌹
Mitfühlende Grüße
Sabine
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Danke dir. 🙂
Und das Lachen freut mich. Es ist wichtig, dass wir das nicht verlieren.
Liebe Grüße
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Liebe Mitzi, Danke für diesen wunderbaren Text, ich empfinde ihn als unglaublich trostspendend. Die materiellen Dinge sind egal, alle, ausnahmslos. Und keiner geht wirklich. Das ist das einzige, was wichtig ist.
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Liebe Jule, ich freu mich, dass du den Text nicht nur traurig sondern tröstend empfunden hast. Genau so war er auch gemeint. Manches und manche gehen, aber irgendetwas bleibt. Und das tröstet am Ende.
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❤ ❤ ❤
Ich drück dich!
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💚💚💚
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Die Sonne scheint. Einigermaßen gefühllos, mitleidlos, taktlos. Wie es einem Stern, einem Glutofen dort draußen im All eben zukommt.
Das Leben ist, wie geschrieben, schön. In vielen Dingen, an vielen Tagen, auch Sonnentagen.
Aber ich vermute – und die Idee ist nicht originell, die hatten schon anderen – eben deshalb. Weil es so empfindlich, verletzlich und immer vergänglich ist. Wäre es stabil, ewig, wir wüßten es nicht zu schätzen. So, wie auch die Jugend meist viel leichtfertigen mit ihm umgeht als das Alter – die Logik geböte die Umkehr, ist doch im Alter nicht mehr viel davon übrig und nicht mehr viel damit los, solte die Jugend doch sorgsamer mit dem großen Schatz sein, aber nein, wenn man viel davon hat, glaubt man, alles zu haben – hat man wenig, hütet man das kleine Schätzchen. Menschen halt. Die glauben, klug zu sein.
Es ist traurig. Wenn der andere geht und nicht mehr wiederkommt, nie mehr, nicht mehr dazu in der Lage ist. Was bleibt zu sagen? Nichts, nicht viel. Eine Tasse ist noch. Und die erbarmungslose, wunderschöne Sonne.
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Deine ersten drei Sätze, passen so perfekt zu meinen Gedanken, wenn ich mich an manchen Tagen frage oder besser früher fragte, wie die Sonne so schön scheinen kann, wenn doch einer nicht mehr bei mir ist. Oder zwei. Du lieferst die Erklärung. Ein Stern, ein Glutofen irgendwo da draußen Millionen und Milliarden Kilometern weg, der eben scheint und sich um nichts kümmert was hier bei uns passiert. Es klingt vielleicht komisch, aber irgendwie ist es trösten, dass all die kleinen und großen Probleme vergehen, während da draußen im All ein Glutofen brennt. Keine Ahnung ob man das versteht, aber ich hab deinen Kommentar sehr sehr gerne gelesen. Liebe Grüße
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Die Sonne können wir genießen, wenn und weil sie weit weg ist. Die nahe Wärme finden wir bei den Mitmenschen und um so schlimmer der Verlust.
Gestern erst war ich wieder in München – eine, ja, die letzte, Tante ist mir gestorben. Und es gibt so viel zu tun. Sie hätte noch Jahre leben können, dürfen, doch gleichwohl: im Alter kommt der Tag, und das ist so und das ist normal und vor allem unvermeidlich. Schlimmer, wenn es zur Unzeit trifft.
Ja, also auch noch mal Gruß nach München!
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💔🤍🖤
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:-*
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