Leider nicht meine

Die besten Geschichten schreibt das Leben. Das behaupte ich schon immer und mache es mir seit Jahren recht bequem, in dem ich einfach nur das aufschreibe und erzähle was ich selber erlebe. Ausdenken muss ich mir, dank des unerschöpflichen Archivs an Alltagsbegegnungen kaum etwas. Auch heute Abend und überhaupt seit ein paar Wochen erzählt das Leben eine ganz fantastische Geschichte. Nicht ganz so fantastisch allerdings für die direkt Beteiligten. Für die es doch ein wenig anstrengend, da sie sich in einer Geschichte befinden deren Ende noch in den Sternen steht. Die Protagonisten durchleben derzeit ein Wechselbad der Gefühle und erfreuen sich an ihren Emotionen, die gleich einem Pendel zwischen hoch erfreutem Kribbeln und zu tiefst verstörenden Unverständnis – das andere Geschlecht betreffend – schwanken. Leider neigen emotionale Pendel dazu, den Ruhepunkt der gefühlsmäßigen Ausgeglichenheit schlicht und einfach zu überspringen. Phasen der Erholung gibt es in der Regel nicht. Phasen der emotionalen Erholung. Selbst ich, als unbeteiligter Beobachterin und hochinteressierte Zuhörerin, befinde mich in einem Zustand ständiger Anspannung und kann es kaum erwarten bis das nächste Kapitel aufgeschlagen wird. Zweifelsfrei ist es also wirklich so, dass das Leben die aller besten Geschichten schreibt. In diesem Fall, ist es nur leider nicht mein Leben und es verbietet sich mir, Ihnen diese Geschichte zu erzählen. Sie gehört mir nicht. Leider. Oder vielleicht auch zum Glück. Das Ende ist ja noch offen. Obwohl, genau das ist doch eigentlich das schöne an diesen Erzählungen. Die Phase, in der man nicht weiß was daraus wird, aber noch voller Hoffnung ist und sich voll und ganz auf das herrliche Kribbeln konzentrieren kann. Sie wissen schon, dieses ganz besondere Kribbeln, das nur dann zustande kommt, wenn ein bisschen Unsicherheit darin mitschwingt.

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Zurück geblättert

Ich gehe ihm auf die Nerven. Obwohl er nichts sagt, merke ich es. Er atmet zu regelmäßig um entspannt zu sein – penetrant gleichmäßig und kontrolliert. Acht Mal atmet er langsam und tief ein und wieder aus. Dann eine kleine Pause. Danach der neunte Atemzug mit einem tieferen Einatmen und einem viel längeren Ausatmen. Dieser neunte Atemzug macht mich wahnsinnig. Mitzuzählen macht es nicht besser. Den ersten, der neunten Atemzüge empfand ich als übertrieben, den fünften als überflüssig und störend. Der achtzehnte, der neunten Atemzüge aber, der ist eine Frechheit. Ich sage nichts, atme nur selbst ein und aus. Einmal nur, aber das etwas zu tief und eine Spur zu laut. Zu laut für einen Nachmittag an dem  sich die Luft zum Schneiden dick anfühlt und wir beide ahnen, dass ein falsches Wort reicht, um uns verbal in die Luft zu jagen. In seinem Fall reicht ein Atemzug – meiner.

Man kann ein Notebook zuklappen, um es zu schießen und man kann ein Notebook so zuklappen, dass nach seinem Schließen unzählige Fragezeichen aufsteigen und in der Luft hängen bleiben. Dünnes Eis, sagt er und verwandelt eines der Fragezeichen in ein Ausrufezeichen. Dünnes Eis, Mimi, wiederholt er und mir fällt auf, dass er mich nur dann „Mimi“ nennt, wenn er vergisst, dass ihm große Emotionalität eigentlich nicht liegt oder er so angefressen ist, dass das Kosewort die deutlich unfreundlichere Bezeichnung, die ihm auf der Zunge liegt, überdecken muss. Weiterlesen

Nachgerechnet

Das erwachsene menschliche Herz schlägt pro Minute etwa 66 Mal. Wenn es aufgeregt oder verliebt ist auch öfter. Deines vielleicht, sagt er und schafft es, mir eine Minute lang in die Augen zu sehen, ohne dass sich sein Puls erhöht. Mir gelingt es nicht. Nach 30 Sekunden bekomme ich Herzklopfen und weiche seinem Blick aus, weil ein aufgeregtes Herz nicht zu stoischer Gelassenheit passt. Noch immer, wundert er sich und streicht mit dem Daumen über die Innenseite meines Handgelenks. Nur wegen des ausgesprochen hübschen kleinen dunkelbraunen Fleck im Grün des linken Auges, erkläre ich und ziehe meine Hand zurück. Ein Herz schlägt durchschnittlich 4.000 Mal pro Stunde, meines in Stunden mit ihm vermutlich deutlich mehr. Später frage ich ihn, ob das auf Dauer gesundheitsschädlich ist und er schüttelt stumm den Kopf. Ein Herz schlägt gut und gerne 2,6 Milliarden Mal im Leben, ein paar hunderttausende Schläge mehr, würde es problemlos verkraften. Wieder liegt sein Finger an der Innenseite meines Handgelenks an meinem Puls und er lacht. Es ist dunkel und den hübschen kleinen dunkelbraunen Fleck in seinem Auge kann ich nicht sehen. Es muss an seinem Aftershave liegen, behaupte ich und wir lachen. Wir lachen, bis er mich in seine Arme zieht und meine Wange auf seiner Brust liegt. Ich mag sie, die Brust. Mag es, dass mich ein Haar an der Nase kitzelt und mag es, dass seine Haut dort unter dem braunen Flaum so warm wie ein Kachelofen ist und mag es besonders, dass sie leicht nach trockenem Holz riecht. Wahrscheinlich riecht sie anders. Nach Boss, Armani oder Paco Rabanne. Vielleicht auch nach billigem Duschgel, aber sicher nicht nach dem, das ich jetzt glaube zu riechen. Ich sag ihm, dass er nach altem, trockenem Holz riecht und spüre seine Hand in meinem Nacken, die mich kneift, weil es nach einem zweifelhaften Kompliment klingt. Ich mag altes Holz sage ich und rutsche ein Stück nach oben, um der unrasierten Wange einen Kuss zu geben und um das Herz in der Brust nicht klopfen zu hören. Altes Holz, murmelt er und schiebt mich wieder nach unten, weil „auf Augenhöhe“ geistig unabdingbar, bei unserem Größenunterschied, physisch aber unbequem ist. Weiterlesen

Nix mit Amore

Auswandern ist etwas für Abenteurer. Menschen, die alles hinter sich lassen, um in einem fremden Land neu anzufangen, müssen mutig, unerschrocken und neugierig sein. Sie brechen auf, um die brennende Sehnsucht in ihren Herzen zu stillen. Das Unbekannte lockt sie und das Vertraute langweilt sie. Dort wo andere noch vorsichtig um die Ecke blicken, rennen sie getrieben vom Fernweh schon los. Sie gehören zu den Menschen, die Hindernisse als Herausforderungen bezeichnen und Stillstand als Zumutung empfinden.
Auswanderer vereinen so ziemlich alles in sich, was ich nicht habe. Sie sind wie mein Freund. Er hat mir gezeigt, dass es Momente im Leben gibt, in denen man einfach springen muss. Ins kalte Wasser, über den eigenen Schatten und über die Alpen. Dorthin, wo das Herz schneller schlägt.

Eine turbulente, humorvolle Erzählung über Freundschaft, Sehnsucht und dem Abenteuer eines neuen Lebens unter der Sonne Italiens.

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Alltag VII – mein Alltag, sein Alltag, unser Alltag

Die Stille in seiner Wohnung klingt anders, als jene in meiner Wohnung. Sie müsste mir vertraut sein. Sie ist es und klingt doch ganz anders, weil Stille nur selten wirklich geräuschlos und immer ganz individuell ist. Gedämpft höre ich auch hier, auf seinem Sofa, das Geräusch von Reifen auf einer Regennassen Straße und doch klingt es anders. Er wohnt höher als ich, wahrscheinlich liegt es daran. Auch seine Schritte klingen anders als die meinen und selbst das Knarzen des Parketts in seiner Wohnung unterscheidet sich von dem meinem. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil ich hier bei ihm Gast bin und selbst keine Geräusche verursache. Still und ruhig habe ich mich unter der Decke, die er mir im Vorbeigehen zugeworfen hat, eingerollt und höre der Stille zu. In meinem Alltag komme ich dazu nicht. In seinem schon. Hier muss ich nichts machen. Alles was zu Hause ich mache, macht hier er. Und obwohl mir jeder seiner Handgriffe vertraut ist, klingen sie immer ein wenig fremd. Männlicher vielleicht. Ich schließe die Schubladen in meiner Küche mit einem Stoß der Hüfte. Bei mir scheppert es. Die seinen gleiten lautlos und wie in Zeitlupe zurück, weil er längst etwas eingebaut hat, das sie vom Scheppern abhält. Kein noch so starker Hüftstoß bringt sie zum Scheppern. Dafür kann ich in meiner Wohnung schleichen. Im Flur gibt es keinen Parkett und ich kann leise von einem Raum zum anderen gehen. Hier nicht. Ohne die Augen zu öffnen, weiß ich, dass er ins Bad gegangen ist. Ich wüsste es auch so, weil das Wasser durch die Leitungen rauscht. Kein anderer den ich kenne, wäscht sich so oft die Hände, wie er. Immer wieder wundert es mich, dass seine Haut dennoch nicht trocken ist, obwohl sein Alltag keine Handcreme bereit hält. Vielleicht hält er sie für zu weiblich. Ich erkundige mich nicht, da seine Hände trotzdem weicher als die meinen sind. Weiterlesen

Atemwegsinterpretation

Heut in einer Woche ist die nächste Lesung schon wieder rum. Auf meinem Tisch liegt dann wieder das kleine grüne Notzibuch, in das ich alles schreibe, was ich noch zu lernen habe. Als Autorin, auf der Bühne und vor ein paar Duzend Menschen sitzend. Für alles andere habe ich eine Excel-Liste auf meinem Computer gespeichert. In erster Linie wegen der Suchfunktion. Gebe ich dort Socken ein, dann sehe ich auf einen Blick, dass ich bereits gelernt habe, dass es völlig sinnlos ist, verstehen zu wollen, warum ein Mann, seine Socken nicht vor, sondern erst im Bett auszieht. Nach meiner Erfahrung ist das genetisch bedingt. Ebenso wie das Suchen nach selbigen am nächsten Morgen, weil das Männer-Hirn der Meinung ist, dass Socken durchaus zwei Tage hintereinander getragen werden können und dann für eine knappe Woche vor dem Bett zwischen gelagert werden, bevor sie den Weg in den Wäschekorb finden. Es ist gut, dass ich mir das schon vor ein paar Jahren notiert habe, so erspare ich dem aktuellen Sockenträger in meinem Leben ein für ihn lästiges Nachfragen. Eine solche Liste – ganz nebenbei – ist auch für Männer zu empfehlen. Der, der seine Socken unter meiner Bettdecke auszieht, könnte sich darin zum Beispiel notieren, dass ich meinen Kaffee nur mit Milch und Zucker mag und dass ich lüge, wenn ich ihm am Sonntagmorgen in seinem Bett sage, dass schwarz und mit Süßstoff auch ok ist. Ist es nicht. Es versaut mir den Morgen und hätte er es sich notiert, dann könnte er sich den Eintrag „wie bring ich sie wieder zum Lachen“ sparen. Vielleicht wäre es am besten, wenn ich die Datei gleich selbst für ihn anlege und laufend ergänze. Weiterlesen

Angefressen

Der Valentinstag und ich, wir mögen uns nicht. Mehr noch, ich verachte ihn aus tiefstem Herzen, weil er Menschen die mir nahe stehen traurig macht. Als Single braucht man am Valentinstag ein dickes Fell. Weniger, weil man keinen Partner an seiner Seite hat, sondern weil man mit Idiotismus von allen Seiten überschwemmt wird. Auf der Startseite meines Internet Browser gab es heute Tipps für alle Singles. Die gibt es sonst recht selten, aber am Tag der Liebenden macht es anscheinend Sinn, die nicht geliebten auch noch daran zu erinnern, dass sie sich zu recht scheiße fühlen. Am besten vermittelt man diesen halben Menschen ihre Unvollständigkeit, indem man ihnen Tipps an die Hand gibt, wie sie den Tag überstehen. eDarling, eine Dating Plattform, rät zum Beispiel: „….Wenn der Tag der Liebe auf einen Wochentag fällt, können Sie auch einfach länger arbeiten und früh ins Bett gehen. Dann ist gar keine Zeit für Einsamkeit.“  Wenn ich keinen Partner habe, soll ich Überstunden machen und früh ins Bett gehen, um mich besser zu fühlen? Ernsthaft? Mehr fällt euch Vollidioten nicht ein? Doch, leider fällt ihnen tatsächlich noch mehr ein. Ein anderer Tipp, wenn der Valentinstagrummel nervt, lautet: „…Ziehen Sie sich statt romantischer Komödie einen Horrorstreifen rein, schreiben Sie eine Anti-Valentinstagskarte oder misten Sie endlich Ihre alten Relikte der Trennung aus.“ Joah, genau, wenn ich mich richtig mies fühlen möchte, dann schreibe ich an den Ex und lese noch mal seine Liebesbriefe. Wenn dann noch keine Suizidgedanken aufkommen, dann erledigt der Horrorfilm den Rest. Ganz ehrlich, ich möchte keiner frustrierten Single-Frau begegnen, die bei der Sichtung der Relikte ihrer letzten Trennung zwei Stunden lang Rotz und Wasser geheult hat und sich danach einen Splatter reingezogen hat. Ihr Ex möchte ihr dann vermutlich noch viel weniger begegnen. Abschließend resümieren die Redakteure von eDarling, dass es eh keinen Sinn macht, den Valentinstag zu ignorieren und schreiben ganz ehrlich: „Durch Liebeslieder im Radio, einen Film im Fernsehen oder eine Bemerkung von Freunden wird er sich wieder in Ihr Bewusstsein schleichen.“ Das heißt? Erschieß dich gleich, der Tag wird dich fertig machen egal was du tust? Weiterlesen

Wie „ne“?!?

Ob ich wissen würde, was das heißt, fragt er und nimmt mir den Kaffeebecher aus der Hand. Ich schüttle den Kopf. Viel mehr interessiert mich, warum er jetzt meinen Kaffee austrinken würde, wo er vorher noch sagte er will keinen. Vorher stand er unter der Dusche, da wollte er keinen. Jetzt an der S-Bahn schon. Aber zurück zum Geschmiere an der Scheibe, sagt er. Ich könne das doch nicht auf Instagram hochladen, ohne zu wissen was da steht. Wohl, sage ich und stelle mich auf die Zehenspitzen um den Kaffeebecher zurück zu bekommen. Ein Herz ist ein Herz und das ist das schönst heute Morgen hier an der S-Bahn. Ein Herz, in dem womöglich „Schlampe“ steht, gibt er zu bedenken und hält den Becher extra hoch. Das ist albern, sage ich und meine den Kampf um den Kaffee. Allerdings, stimmt er zu und meint das fremdsprachige Herz.  Weiterlesen

Schnee

Den ersten Schnee des Jahres gibt es nur einmal und jedes Mal ist es etwas ganz besonderes. Wunderschön ist es, wenn man morgens aufwacht und ihn riecht noch bevor man die Augen öffnet und sieht, was man ahnt. Alles weiß. Dann fühlt es sich so an.. Anders, aber genauso schön ist es, wenn man spät abends vor die Türe tritt und mitten im Gespräch plötzlich merkt, dass es kein feiner Nieselregen ist, der die Nasenspitze kitzelt, sondern erste feine Schneeflocken. Dann muss man unbedingt stehen bleiben, den Kopf in den Nacken legen und die Augen schließen. Mindestens drei Atemzüge lang sollte man so stehen bleiben und es muss einem unbedingt egal sein, ob einen Menschen von hinten fast umrennen oder für bescheuert halten. Der erste Schnee in einem Jahr ist so schön und so wertvoll, dass einem alles egal sein sollte. Vielleicht nicht die Winterreifen, die man noch aufgezogen hat, aber sonst fast alles. Weiterlesen

2X=0 (aus dem Archiv 03.08.2015)

Zwei Tage vor Weihnachten stand ich mit einer monströsen Fichte an der Trambahnhaltestelle und ignorierte die etwas irritierten Blicke der restlichen Fahrgäste. Das ich in Weihnachtsstimmung war, wusste ich, dass ich noch immer in X verliebt war, erst als seine SMS kam. „Wir sollten mal wieder knutschen.“ Das was er da geschrieben hatte war einfallslos und dumm. Das was er wenig später am Telefon sagte nicht. Ich mag Worte im Allgemeinen und ich mochte ganz besonders das was er sagte. Über eine Stunde stand ich an der Haltestellte, den Baum umklammert und hörte ihm zu. Nichts besonderes. Was so in den letzten Monaten passiert war. Kann jemand gut erzählen, sind die Inhalte zweitrangig. Ich lachte mit ihm, schickte ihm ein Foto der Fichte und ließ eine Bahn nach der anderen an mir vorbei fahren. Er hörte nicht auf zu reden, bis ich am Abend mit dem Handy in der Hand vor seiner Wohnung stand. Den Baum hatte ich zuvor noch nach Hause gebracht. Weiterlesen