1:0 für Paul

Ich bin ein höflicher Mensch. Da können Sie wirklich jeden Fragen. Ob man meine Macken und Eigenarten charmant oder schrecklich findet, darüber kann man streiten. Über meine guten Umgangsformen aber nicht. Dachte ich, bis mir mein Nachbar Paul vorwarf, dass meine vermeintliche Höflichkeit an Dummheit nicht zu überbieten ist. Ich sehe das anders.
Was würden Sie denn denken, wenn Sie Samstagmorgen bei strahlendem Sonnenschein, zwei älter Damen vor der Haustüre antreffen, die konzentriert die Namen der Klingelschilder betrachten? Dass sie einen Raubüberfall planen? Dass sie gleich zu randalieren beginnen und das Treppenhaus zerlegen? Vermutlich nicht. Und genau deshalb habe ich die beiden Frauen auch ins Haus gelassen ohne mich nach dem Grund zu erkundigen. Wenn man halbwegs höflich ist, dann hält man anderen die Türe auf, auch wenn man sie nicht persönlich kennt. Und auch was meine angebliche Dummheit betrifft liegt Paul falsch. Nachdem die beiden reizenden Damen mich nämlich ohne Einleitung fragten ob ich glücklich bin (Antwort ja) und ob ich an Gott glaube (Antwort verweigert) war ich schlau genug mich ganz schnell aus der Affaire zu ziehen.

Was ich nämlich überhaupt nicht kann, ist Haustürgeschäften- und gesprächen jeder Art aus dem Weg zu gehen. Sobald mir jemand eine rührige Geschichte auftischt, kann ich nicht nein sagen. Selbst dann nicht, wenn mir völlig klar ist, dass nichts davon stimmt. In meiner ersten WG wurde mir nach nur vier Wochen verboten, die Türe zu öffenen, wenn ich alleine zu Hause war, nachdem ich ein BILD Abo abgeschlossen hatte, um das örtliche Tierheim zu unterstützen. Ich tat es, obwohl mir sehr klar war, dass der Axel Springer Verlag seine Einnahmen ganz sicher nicht so großzügig teilte. Aber die Vorstellung verwaister Hundewelpen oder nicht vermittelbarer alter Katzen lies mich unterschreiben und die wohl schlimmste Zeitung Deutschlands bestellen. Einige Jahre später abonierte ich ein anderes Wochenblatt. Niveauvoller aber trotzdem viel zu teuer für mein Studentenbudget. Und noch nicht einmal für mich. In der Wohnung meines damaligen Freundes öffnet ich die Tür als er unter der Dusche stand und saß zwei Minuten später mit einem wildfremden Mann am Küchentisch, der mir erzählte, dass er lange Jahre drogenabhängig war, keinen Job fand und nur durch das verkaufen von Zeitungsabos wieder Teil der Gesellschaft werden konnte. Natürlich half ich und unterschrieb für ein Zweijahresabo, obwohl ich einige Monate später nach Italien zog und mich bis heute frage wer von meinen Nachbarn in den Genuß der Zeitschrift kam. Genau so geht es mir, wenn zum Beispiel die Zeugen Jehovas vor der Türe stehen. Ich schaffe es einfach nicht ihnen freundlich aber konsequent zu sagen, dass ich mich nicht mit ihnen unterhalten möchte. In der Regel sind sie sehr nett und ich komme mir unfreundlich vor, wenn ich mich einem Gespräch verweigere. Das tue ich dann, indem ich mich ganz schnell verdrücke und bei besonders geschickten Fragenden einen falschen Namen und ein falsches Stockwerk nenne. Es hilft ja nichts zu sagen, dass man keine Zeit hat. Dann fragen sie, wann es denn passt und ich….genau, schaffe es nicht ehrlich zu antworten und „nie“ zu sagen. So auch bei den beiden reizenden älteren Damen. Ich flüchtete. Erbärmlich, aber immerhin höflich und meistens klappt es.

Diesmal nur halb. Eine Stunde später stand nämlich Paul vor meiner Tür und weil ich nicht öffnete, klopfte er an mein Küchenfenster, bis ich dann doch aufmachte. Ob ich jetzt völlig einen an der Klatsche habe, wollte er wissen und war wirklich sauer. Paul kann ungewollten Haustürgesprächen also auch nicht gut aus dem Weg gehen. Sprachlos steht er vor mir und erwartet eine Erklärung. Die einzige, die ich bieten kann….ein Moment völliger geistiger Umnachtung in der mir keine Phantasiename einfiel. Ohne böse Absicht und in die Ecke gedrängt, ist mir wohl sein Nachname rausgerutscht. Paul funkelt mich böse an. Ja, sein Name und gleich auch noch sein Stockwerk im Hinterhaus. Blöde Kuh, ist das letzte was ich von ihm höre und bin mir sicher, dass auch er zu den Menschen gehört, die es bei den Zeugen Jehovas nicht schaffen einfach ehrlich zu sagen, dass man mit ihnen nicht sprechen möchte. Ich blicke Paul hinter her und frage mich ob vielleicht er die Abendzeitung aboniert hat, die immer auf den Briefkästen liegt und die keiner will.

Paul ist übrigens auch nicht dumm und gedanklich um einiges schneller, wenn man ihn in die Ecke drängt. Die reizenden älteren Damen standen gestern vor meiner Tür und erkundigten sich ob ich etwas Zeit für sie hätte. Mein Mann, aus dem Hinterhaus, hatte ihnen erzählt, dass ich seit der Trennung von ihm nun alleine und im Vorderhaus wohnen würde. Emotional sehr mitgenommen, würde mir ein Gespräch sicher gut tun. Paul winkte vom Balkon, als ich sie herein bat.

32 Gedanken zu “1:0 für Paul

  1. Das ist wohl Karma des Nachbarn.
    Ich hab denen mal vor zich Jahren die Türe mit dem T-Shirt auf dem Zeugen Jeboha stand aufgemacht.
    Danach standen SIE nue wieder bei uns vor der Türe.
    Auch wenn mein damaliger Freund sich gerne mit den 2en unterhalten hat.
    Über Fußball und den FC ST.Pauli.
    sehr witzig.🩷

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    1. Meine Mutter hat sich früher auch oft mit einem sehr lange über alles mögliche unterhalten. Das sind sicher auch schöne gespräche und unter FC St Pauli Fans wahrscheinlich eh 🙂
      Nur die Glaubensfragen…
      Liebe Grüße

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      1. In Hamburg bestimmt.
        Witziger Weise waren Sohn und Vater beide Fans.😉
        Aber das interessanteste Gespräch ging wohl darum das die Zeugen kein Blut spenden dürfen und der Sohn gerade selber Vater wurde.
        Er wurde gefragt ob Er wenn das Kind im sterben läge und die Blutgruppe übereinstimmt kein Blut spende.
        Die Antwort blieb der junge Mann uns definitiv schuldig.
        🤔😂

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    2. Bei uns ähnlicher Effekt, bei allerdings deutlich mehr Aufwand. Meine Tochter hat denen geöffnet, voll gestylt für die Grufti- Disko. Schwarz gewandet, dramatisches Make-up auf bleicher Grundierung mit Pentagram und umgedrehtem Kreuz um den Hals. Ja, sie hätte so gerne mit ihnen über ihren Glauben gesprochen, aber der Bus wartet nicht, also vielleicht beim nächsten Mal?

      Wir hatten über ein Jahrzehnt keinen mehr mit Gesprächsbedarf vor der Tür!

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      1. Großartig – den Blick hätte ich gerne gesehen. Mit einem solchen Outfit rechnet man wahrscheinlich nicht.
        Ich kann mir gut vorstellen, dass man Eure Wohnungstür für künftige Anfragen „von der Liste“ gestrichen hat.

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  2. Was für eine wirklich, wirklich erheiternde Geschichte!

    Okay, nicht für dich und deinen getrennt lebenden Mann, aber die älteren Damen hatten bestimmt ein paar unterhaltsame Stunden euretwegen, und mir hast du ganz wunderbare Lachtränchen beschert. Das war’s aus meiner Sicht absolut wert! 😂

    Am besten übt ihr beiden jetzt die Sache mit den unangenehmen Haustürgesprächen einfach mal unter euch, wo die Stimmung sowieso schon gereizt ist. Wenn du richtig vermutest, kann er sich einer schimpfenden Mitzi, die sich verbittet, als blöde Kuh tituliert zu werden, nicht entziehen, und wenn du ihn obendrein einen nachtragenden Blödmann nennst, steht er womöglich bald wieder vor deiner Tür, und so fort, bis ihr gelernt habt, wie man ungewollte Konversationen abblockt.

    Oder noch besser: Lernt es nicht! Sonst könnte eventuell die eine oder andere noch in der Zukunft liegende erheiternde Geschichte verhindert werden…

    Ich winke dann auch mal, von Bildschirm zu Bildschirm, und danke dir für diese herrliche Abendunterhaltung!

    Herzliche Grüsse 👋🏼👋🏼👋🏼

    Eva

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    1. Lachtränchen bei dir sind es allemal wert! Und ich vermute, dass die beiden Damen ganz genau wussten, dass wir sie von A nach B schickten. Die haben sicher schon alles erlebt.

      Paul als Übungsobjekt wäre eigentlich eine gute Idee. Nur habe ich bei dem überhaupt kein Problem deutlich zu machen, wenn ich keine Zeit habe (und umgekehrt). Aber so gab es wenigstens mal wieder etwas über meinen Lieblingsnachbarn zu berichten. Ich glaube nur, dass es ihm lieber wäre, wenn ich mir etwas ausdenken würde 😉

      Liebe Grüße

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      1. Nanu? Bei dieser Geschichte kommt der Lieblingsnachbar doch richtig gut weg – oder hast du dir seine elegante Vergeltung nur ausgedacht, weil du noch immer ein bisschen zu Kreuze kriechen musst? Dabei mögen wir den Hinterhauscasanova doch (alle) so gern! Zumindest solange er eine literarische Figur bleibt; im echten Leben können einem die Pauls und Paulas leider das Herz brechen, wenn man selbst ganz anders tickt.

        Für zukünftige Besuche der Zeug:innen hast du ja nun gute Tipps bekommen. Ob die bei den Maltesern auch wirken, falls sie tatsächlich allzu hartnäckig daherkommen sollten.? Vielleicht müsstest du immer eine Packung Maltesers griffbereit haben und in der konkreten Situation die einzelnen Kugeln geräuschvoll zwischen den Zähnen aufknacken…

        Ach, du machst das schon!

        Herzlich grüsst

        Eva

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  3. Das beste Mittel Jehovas Zeugen loszuwerden: Auf die Frage nach dem Glauben strahlend Ja ! sagen und vielleicht noch kurz die eigene Gemeinde erwähnen.
    Echt wahr, die wildern nicht auf fremden Terrain.
    Und da ich nicht an Gott glaube, glaube ich auch nicht, dass ich für diese Lüge von irgendwem gestraft werden werde.
    Und unsere evangelische Gemeinde hier ist wirklich eine Säule des Stadtteils und kriegt auch meine Kirchensteuer, manchmal ehe ich sogar hin.

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    1. Man muss den Zeugen Jehovas eh hoch anrechnen, dass sie ein Nein akzeptieren und wirklich ausgesprochen freundlich sind.
      Und eine kleine Schwindelei ist sicher eh keine Todsünde – egal ob fürs Karma oder eine Glaubensrichtung.
      Viele Gemeinden leisten großartige Dinge. Jenseits der Glaubensfrage ist das anzuerkennen. Hier bei uns auch. Da macht die Kirchensteuer eindeutig Sinn.

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    1. Die ist ganz unspektakulär. Ich habe es geschafft nein zu sagen und weil die beiden das vermutlich schon ahnten, war es auch ganz leicht 😉
      Bei der nächsten Malteser Spendenaktion kann ich dann üben. Nichts gegen Spenden, aber die sind mir wirklich zu aufdringlich.

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  4. Liebe Mitzi,
    deine nun schon viele Jahre währenden Scharmützel mit Paul aus dem Hinterhaus haben quasi einen humoristischen Höhepunkt gefunden. Besonders gefällt mir deine feine Selbstironie. Ich habe mich köstlich amüsiert.

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  5. bei den zeugen jehovas fällt mir immer der mittermeier ein mit seiner erbsenbüchse neben dem bett, von der er bis die zeugen bei ihm oben waren, schon genascht hat und das zeugs mit irrem blick aus seinem mund sabbern ließ. gibts bei youtube.
    und, nein, dass die schreiend davon gerannt sind, nötigt mir keinerlei mitleid ab. die sind nämlich nur am anfang freundlich, weil sie eben eine SEKTE sind, mit allem negativen, was einem zu diesem thema einfällt.

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    1. Oh ja….an das kann ich mich auch noch erinnern. Mittermeier in seiner besten Zeit. Oder ich mochte ihn damals am liebsten. Danke für den Tipp mit YouTube. Da werd ich später gleich mal suchen.
      Und ja…die Freundlichkeit ist das eine. Die Zeigen Jehovas an sich, eine ganz andere.

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  6. Der Boomerang-Effekt, liebe Mitzi. Wenn der Boomerang dann auch noch so freundlich ist, na, dann kann man eigentlich fast nichts sagen. 😄 Die beiden Zeuginnen Jehovas wissen jetzt wenigstens, dass zwei überaus unterhaltsame Personen in eurem Haus wohnen. 😉

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  7. Was für eine schöne Pointe!

    Für die Zeugen Jehovas habe ich mal diesen einen Satz gelernt, der eigentlich sehr gut funktioniert:

    Ich bin Kommunist!

    Der Satz funktioniert auch in anderen Zusammenhängen erstaunlich gut! Es ist dabei egal, ob man wirklich Kommunist ist oder nicht.

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  8. Ich bin tatsächlich eher Buddhistin als alles andere, aber auch das klappt als dezenter Platzverweis nicht immer: Vor Jahren schaute ich mir ein schwedisches Kirchlein in Friedrichshain an, aus architektonischem Interesse. Der Pfarrer hatte sich angeschlichen und lud mich schwungvoll und mit leuchtenden Augen zum Gottesdienst ein. „Ich bin Buddhistin.“ sagte ich schlicht. „Das macht nichts,“ strahlte er „Gott ist das ganz egal.“

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    1. Die Antwort des Pfarrers gefällt mir. Das würde meiner Vorstellung von Gott und Seelsorge entsprechen. Allerdings sollte er dich dann auch wieder gehen lassen, wenn du kein Interesse hast. Dann wäre es eine nette Einladung und kein Druck. Wenn du aber angeschlichen schreibst wird es so wohl nicht gewesen sein.

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      1. Mir hat diese Antwort auch sehr gefallen!
        Er hätte mich sicher ziehen lassen, doch war ich der Charmeoffensive nicht gewachsen und blieb. Der Gottesdienst war erwartungsgemäß schlicht, die Predigt von Toleranz und Freundlichkeit getragen. Hat mir ebenfalls gefallen.

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      2. Ja, die Freiwilligkeit ist meist nicht ganz gegeben, wenn das Gegenüber besonders nett ist. Aber schön, dass die Predigt dann angenehm war.

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