Wortlos

Abends, kurz vor dem Einschlafen, sitzt er oft auf meiner Bettkannte und sieht mich mit leicht gerunzelter Stirn an. Ich bin zu müde um mich mit ihm auseinander zu setzen, aber wenn er mich nur lange genug stumm ansieht, verfliegt die Müdigkeit und ich rapple mich noch einmal auf. Ich schlage die Beine unter und warte darauf, dass er etwas sagt. Ich mag seine Augen und kenne jeden einzelnen der kleinen schmutzig braunen Flecken in der rechten Iris. Goldbraun würde schöner klingen, die Farbe ist aber eindeutig schlammig und ein bisschen dreckig. So wie sein Lachen, das ich gerne samtig und dunkel in Erinnerung haben würde und das doch immer eine Spur spöttisch, arrogant und dreckig klingt. Er verdreht die Augen. Geklungen hat. Du solltest die Zeitform endlich wechseln. Ich zucke mit den Schultern und schüttle den Kopf. Warum, ich höre es doch immer noch. Er lacht und prophezeit mir, dass ich irgendwann mit 15 Katzen und ziemlich verschroben enden werden. Wieder schüttle ich den Kopf. Keine Katzen. Verschroben vielleicht, aber mit Hunden. Das sollte er eigentlich wissen. Aber er weiß ja so vieles nicht.

Wortlos beschwert er sich, dass ich ihm früher von Italien so wenig erzählt habe und ignoriert, dass ich in den letzten Wochen damit begonnen habe. Er lamentiert, dass er zu wenig von mir gewusst hat und vergisst die unzähligen Nächte, in denen wir kaum geschlafen aber stundenlang gesprochen haben. Ich erzähle es ihm jetzt, sage ich und werde wütend, weil ich noch erzählen kann, während er vor langem endgültig und unwiderruflich verstummt ist. Er nickt und wird still. Ich bleibe still, sagt er und erinnert mich stur an die falsche Zeitform. Mein Schulterzucken ist trotzig. Für jemanden der vorgibt nicht mehr da zu sein, ist er nach all den Jahren noch erstaunlich präsent. Ich will mich nicht streiten und erzähle ihm etwas. Stumm lächelnd hört er zu und liegt neben mir. Kurz vor dem Einschlafen, tut er das oft. Da sein. Bei mir sein. Ich bin zufrieden. Man wird anspruchslos, wenn man keine Wahl hat.

Ob ich nicht etwas über ihn und über uns schreiben wollte, fragt er. Ich schüttle heftig den Kopf. Sicher nicht. Ich schreibe nicht über Personen, die sich still und heimlich aus meinem Leben verpissen. Still und heimlich? Er lacht und es klingt ziemlich dreckig. Unangebracht, t´schuldige, sagt er. Ich nicke und muss selbst lachen. Die Zeit heilt keine Wunden. Das ist Blödsinn. Aber mit der Zeit lacht man – dreckig und völlig unangebracht – an den Stellen, an denen man anfangs geheult hat. Es ist wie lachen mit gebrochenen Rippen. Tut genauso weh wie weinen, brennt aber wenigstens nicht in den Augen. Er steht vor den hunderten von ausgedruckten Seiten und sieht mich durch die offene Tür des Wohnzimmers an. Du hast es doch längst geschrieben, bemerkt er. Er geht in die Hocke und ich bitte ihn, es nicht anzufassen. Es ist nicht über ihn. Es ist über einen Idioten, der meint, er müsse von einer Brücke springen. Reine Fiktion. Ich bitte ihn zurück zu kommen und sich wieder auf die Bettkante zu setzen. Es macht mich nervös, ihn an anderen Stellen oder Orten zu sehen. Wenn er seinen angestammten Platz verlässt, ist die Sache mit der verrückten Katzenfrau eine zu wahrscheinliche Zukunftsversion.

Ich mag die Geschichte mit der Brücke, sagt er. Natürlich kennt er sie längst. Mach doch irgendwas aus ihr, fordert er. So wie mit all den anderen Geschichten. Die hätte ich doch alle ohne nachzudenken veröffentlicht. Er kennt sie alle obwohl er sie nicht besonders mag. Nicht die, von dem Mädchen das plötzlich alleine in einer menschenleeren Welt aufwacht und auch nicht die von dem Maler, der seit Jahren den Pinsel in der Hand hält ohne dass die Farbe je die Leinwand berührt. Er mag nur seine Geschichte, die nicht von ihm handelt. Er mag sie, weil er weiß, dass es meine beste ist. Ich schüttle den Kopf und er tippt mir mit dem Zeigefinger an die Nase. Schick sie irgendwo hin. Er kennt meinen Traum, vom eigenen Buch, das  im Hugendubel im Regal steht. Stell sie ins Netz, wie die anderen. Mach so einen E-Book Kram. Er fordert es schon lange. Fordert einen Abschied. Ich schüttle den Kopf und sage ihm, dass der Zeitpunkt diesmal ganz allein meine Entscheidung ist. Trotzig und ein bisschen gemein, erinnere ich ihn daran, dass er nichts mehr zu fordern habe.

Er könne nicht ewig auf meiner Bettkante sitzen, sagt er. Das wird er aber müssen und das weiß er. Er wird so lange wortlos auf meiner Bettkante sitzen, bis ich ihm alles erzählt habe. Er wird warten müssen, bis ich weiß was mit der Freundin des Typen passiert ist, der von der Brücke springen wollte. Wie lange, erkundigt er sich wortlos. Eine Weile noch. Ich schlafe ein und weiß, dass er gehen sollte und nicht gehen kann, wenn ich ihn nicht lasse. Ich werde ihn nicht lassen, auch das weiß ich.

10 Gedanken zu “Wortlos

  1. Dein Schreibstil ist richtig toll… So unprätentiös und autentisch…Jedesmal les´ich durch bis zum Schluß! Weißt Du, was Du einmal schreiben könntest? Eine total witzige, schöne Geschichte, in der die positiven Eigenschaften Deines Partners voll zum Tragen kommen und die Du gerne mit ihm so erleben würdest… Die könntest Du Deinem Partner dann zum Lesen geben… Psst, ich hab´nix gesagt… bzw. geschrieben, natürlich… Eine wunderschöne Herbstzeit wünscht Dir Nessy von den happinessygirls

    Like

  2. eines tages lässt sie ihn gehen … schreibt ihr buch … hoffentlich mehr als eins … wacht manchmal auf … in einer „menschenleeren“ welt … wo es nur ein rudel hunde (Rottis) … und ihren Bodyguard gibt … keine katzen …

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar