Der Münchner meidet das mittlere Wiesn Wochende. Dann reisen die Italiener an. So viele, dass die Durchsagen der Bahnhöfe auf italienisch wiederholt werden und zur Vermeidung von Sprachschwierigkeiten Südtiroler Polizisten zum Einsatz kommen. Die Wiesn deswegen als Münchner meiden? Auf keinen Fall! Wir rühmen uns die nördlichste Stadt Italiens zu sein; bestellen kaum über den Brenner gefahren konsequent (und falsch) Kaffee und Pizza auf italienisch; behaupten, dass München das Dolche Vita längst verinnerlicht hat und meinen, dass wir wüssten, was einen richtig guten Espresso ausmacht. Der Italiener lässt uns. Er lächelt milde, korrigiert uns nicht und packt aus Gründen der Völkerverständigung (oder aus akuter Geschmacksverirrung) im tiefsten Sizilien Sauerkraut und Bratwurst auf die Pizza und nennt sie Pizza „Krauti e Wursti“. Sie dulden klaglos die Invasion ihrer bayerischen Fans. Die Geduld der Italiener mit uns Münchnern ist grenzenlos. In Verona gibt es zum Beispiel einen Brunner, den die Münchner ihrer Partnerstadt Verona gestiftet haben. Das Münchner Kindl spuckt direkt neben dem antiken Amphitheater Wasser. Mein Kollege aus Verona nannte es den fetten, saufenden Mönch im Nachthemd und behauptete tapfer, es irgendwie ganz nett zu finden. Er war höflich aber die Münchner legten noch eins drauf. Vor fünf Jahren rückte eine Delegation in kurzen Lederhosen an und stellte vor besagtem Theater einen Maibaum auf. Ich bin mit Leib und Seele Bayer. Trotzdem…. Männer die in kurzen Lederhosen, Hüten und sich laut anfeuernd vor der antiken Arena eine lange weiß-blaue Stange aufstellen…schwierig. Die Münchner sollten daher etwas nachsichtiger sein, wenn die Brüder und Schwestern im Geiste anrücken.
Vor zehn Jahren bekam ich das erste Mal Besuch aus Italien zur Oktoberfest Zeit. Ich lebte damals in Italien und mein damaliger Chef schlug vor den Betriebsausflug auf das Oktoberfest nach München zu verlegen. Natürlich auf das mittlere Wochenende. Ich sagte nichts. Hätte ich ihm gesagt „Du, da kommen doch die ganzen Italiener“, hätte er milde gelächelt und mir nur leise ins Ohr geflüstert, dass Rom oder Venedig von April bis Oktober für Italiener auch nur schwer zu ertragen ist. Ich sagte auch nichts über die Jogginganzüge mit denen sie sich am Samstagmorgen vor dem Hotel versammelten. Und auch wenn es mir schwer fiel, ich sagte nichts als sie sich die Hüte kauften. Sie erfüllten mit Hingabe jedes einzelne Klischee und ich ahnte, dass das Italienerwochenende eine stille Rache ist. Für Rimini und für all die Deutschen, die mit weißen Socken in Sandalen, seit Jahren durch italienische Städte schlurften.
Meine Freunde und ehemaligen Kollegen kommen jedes Jahr. Sie wissen sehr genau, dass das Oktoberfest nicht das echte München ist. Es ist kein ursprüngliches Volksfest mehr. Wie sollte es das bei dieser Größenordnung auch noch sein. Wer danach sucht, muss woanders hingehen. Das Dachauer Volksfest zum Beispiel, sei ihm lieber, sagt der Beste meiner Freunde. Er, der Beste, mag die Wiesn dieses Jahr so gar nicht leiden. Seine Argumente haben Hand und Fuß. Ich kann sie aber ausblenden und mit ein bisschen Optimismus und Naivität einfach nur das Schöne und Einzigartige in all dem Wahnsinn sehen.
Freie Tische gibt es nicht auf der Wiesn. Man muss schon suchen, fragen und Glück haben. Man kann sich darüber ärgern. Man kann es auch als Chance sehen mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Am Donnerstag saßen mein Vater und ich mit Hamburgern, Bremern und einem Kroaten und einer Spanierin am Tisch. Genau richtig. Ich hab bis heute nicht verstanden wie mein Vater, der nur Deutsch spricht, dem Kroaten die Besonderheiten des Oktoberfest-Bieres näher brachte. Aber es funktionierte. Ich mag das Gewirr der Sprachen. Übersetze gerne die Speisekarten und erkläre notfalls mit Händen und Füßen, dass ein Picknick auf der einzigen Grasfläche hinter den Festzelten keine gute Idee ist. Es steht nirgends angeschrieben, aber bei der Feuchtigkeit des Grases handelt es sich nicht um Tau sondern um Dünger der anderen Art.
Ich muss sowieso nicht unbedingt ins Zelt. Viel schöner finde ich es manchmal mit dem Besten auf den Stufen vor der Bavaria zu sitzen und mir die Leute anzusehen. Es gibt sie, die schönen Trachten. An allen Ecken und Enden sieht man wunderschöne Kleider und alte, oft vererbte Lederhosen. Über die grausamen Kostüme von Australiern, die Hüte der Italiener und die Minikleider mit Trekkingsandalen von Engländerinnen lächle ich milde. Sollen sie anziehen was sie wollen. Wenn es ihnen Spaß macht, nur zu. Es ist eben Wiesn. Da vermischt sich Brauchtum mit Wahnsinn.
Es gibt sie, die alten Fahrgeschäfte, Buden und Attraktionen. Die echten Münchner, die sich gerne unter das Volk mischen und die Wiesntische an denen nicht bis zur Bewusstlosigkeit getrunken wird. Man muss nur die Augen offen halten und ein bisschen danach suchen. Der grantelnde Münchner täte gut daran, ein bisschen entspannter zu sein. Schließlich sind wir doch die nördlichste Stadt Italiens.
„Meine“ Italiener kennen natürlich längst das echte Bayern. Sie saßen mit mir und meinen Freunden in den urigen Kneipen, liefen durch die schönen Seitengassen der Stadt und waren spontan auf Familienfeiern und auch Hochzeiten eingeladen. Wenn sie doch einmal ein ursprüngliches Dorffest sehen wollen, dann nehme ich sie gerne mit. Nicht auf die Wiesn. Aber zum Beispiel auf das Dachauer Volksfest, mit dem Besten. Oder nach Baiernrain. Nur ihre Hüte, die müssen sie dann im Auto lassen.
Die wiesen :-). Zwei mal war ich schon da.
Weit hätte ich es ja nicht. Aber jedes mal wenn ich an den überfüllten Zug am Wochenende (und dad bereits morgens um 9) zurück denke wird mir anderst. Lieber komme ich so mal wieder dort vorbei
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Hallo Mitzi, das hast Du echt gut geschrieben. Hab´mich weggeschmissen… Habe letztens mit meinem Onkel telefoniert. Der meidet nicht nur die Wiesen, sondern auch die Innenstadt und die U-Bahn. Bis letztes Jahr hatten sie immer noch einen Tisch. Aber er sagt, die Münchner seien mittlerweile nur noch eine kleine Randgruppe im bunten Treiben! Was ja auch nicht schlimm wäre… weil, wie Du auch schreibst, das Ursprüngliche eh verloren ginge! Aber dafür haben wir schließlich auch „eine schöne neue Welt“ mit Smartphones und Handys und Sushi…Die Globalisierung macht ja auch von Seiten des Oktoberfestes nicht halt. Gibt es nicht auch in Disneyworld eine „Bayern-Ecke?“ Viele Grüße, Nessy
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Danke, Nessy 😗
Ich verstehe deinen Onkel. Nach zwei Wochen kann ich die Bierleichen auch nicht mehr sehen, bin genervt von überfüllten Bussen und Bahnen und hänge die Dirndl gern wieder in den Schrank. Ein bisschen weniger Alkohol Wahnsinn täte dem Oktoberfest auch gut. Ich mag’s und bin zugleich froh, wenn es wieder rum ist.
Ich glaub die Ecke gibt es. Eine Freundin in Utah, schrieb neulich, sie hätten auch ein kleines Oktoberfest.
Liebe Grüße aus der Stadt im Ausnahmezustand.
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Wiesn hin oder her … was die Bayern da mit den Dortmundern gemacht haben … das macht man doch nicht … als guter gastgeber …
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Dank der Kneipe unter mir, hab ich den Ausgang des Spiels mitbekommen. Mittlerweile höre ich raus ob die Jungs vor Wut oder vor Freude plärren und brüllen. 😉
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wie schön, ein ganzes foto von dir zu sehen ❤
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