Google, Acciughe und ein kluger Mann

Nach fünf Jahren bloggen, juckt es mich manchmal in den Fingern,  die Fragen meiner Freunde nicht verbal sondern mit dem Versenden eines Links zu beantworten. Eine, zugegeben etwas unfreundliche, aber auf jeden Fall effiziente Variante, wenn es um das Vertreten eines (meines) Standpunktes geht. Meinen Freunden scheint es ähnlich zu gehen. Immer öfter kommt es vor, dass sie mich anhand meiner Blogartikel zitieren und mich nicht zu Wort kommen lassen, da sie meine Meinung ja bereits ausführlich gelesen haben. Man fällt mir ins Wort und korrigiert mich. Zum Beispiel…. Im Juni 2017 hätte ich aber etwas ganz anderes geschrieben. Bevor ich den Mund öffnen kann, wird dann gegoogelt und meist auch schnell gefunden. Ich freue mich, dass mein Umfeld nach all den Jahren noch immer liest was ich schreibe und finde gefallen an dieser halb verbalen, halb bereits schriftlich dokumentierten Kommunikation. 
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Von Brausepulver und zurück gelassenen Dingen

Der Nachbarsjunge hämmert gegen die Wand und ich brülle durch Putz und Ziegel, dass er die Klappe halten soll. Ich musste mir jahrelang die Sirene seines Feuerwehrautos anhören, da wird er meine Lieblings-CD auch aushalten können. Meine Freundin schlägt vor die CD zu wechseln und ich stelle ihr frei zwischen den Titeln zu wählen, drohe aber mit sofortigem Entzug des restlichen Weines, wenn sie die CD zu tauschen versucht. Lachend, aber mit besorgtem Unterton, attestiert sie mir, dass ich langsam ein wenig anstrengend werden würde. Ich zucke mit den Schultern und sage ihr nicht, dass sie die Klappe halten soll. Ich weiß, dass sie Recht hat. Aus der Küche ruft einer, der mich länger als sie kennt, dass es besser sei, mich die nächsten Tage einfach in Ruhe zu lassen. Er lacht und drückt mir im Vorbeigehen ein Bussi auf die Stirn und dreht die Musik lauter. Früher, als er und ich in einer WG wohnten, verfluchte er diese CD – als Besucher sieht er es entspannt und stellt amüsiert fest, dass auch er die Texte  der Lieder noch auswendig kennt. Wir murmeln sie mit, ignorieren das Klopfen der Nachbarn und winken meiner Freundin, die sich verabschiedet und etwas von „Irrenhaus“ murmelt. Ich kann es ihr nicht verdenken. In einer Woche fahre ich nach Italien und ich musste zu lange warten, als dass ich jetzt noch rund laufen würde. Oder deutlicher, wie es der klügste meiner Freunde ausdrückt – ich spinne und das nicht zu knapp. Lucio Battisti mag aber auch er noch immer. Dieci ragazze, schreie ich als eines meiner Lieblingslieder kommt und er hält mich lachend davon ab, die Musik noch lauter zu drehen. Als Ausgleich bekomme ich eine Umarmung. Trotz Corona. Schließlich ist dieser Virus schuld, dass ich einen meiner Freunde seit Februar nicht sehen konnte. Einen, der mir besonders wichtig ist. Un avventura!!! Noch ein Lieblingslied. Ich schlüpfe aus den Armen die mich festhalten und drehe die Anlage ein kleines bisschen lauter…nur bei diesem Lied, verspreche ich und weiß, dass ich schwindle. Weiterlesen

Urbanes Herzklopfen (Archiv 2016)

Vor vielen Jahren bekam ich zum Geburtstag einen Atlas geschenkt. Seit ich die ironisch gemeinte Aussage eines Bekannten, dass die nächste Fußball WM auf den Cayman Islands stattfinden würde, für bare Münze nahm, traut man mir weder bei Erdkunde, noch bei Fußball über den Weg. Geographie, besonders die deutsche, ist in der Tat eine meiner Schwachstellen. Seit der Sache mit den Cayman Islands halte ich mich zurück und äußere mich erst, wenn ich schnell und heimlich mit Google Maps überprüft habe, dass ich keinen Mist rede. Das ist reiner Selbstschutz. Mein Unwissen hat mich schon öfter wie einen Idioten dastehen lassen. Besonders unangenehm war es mir, als ich bei meinem ehemaligen Chef im Zimmer stand, die Deutschlandkarte in seinem Rücken betrachtete und ohne nachzudenken sagte „ach sieh einer mal an, Erfurt liegt im Osten“. Ich hatte es mit Erlangen verwechselt und sein entsetzter Blick ist mir gut im Gedächtnis geblieben. Meine Erdkunde Eins in alten Zeugnissen, kann als Beweis gelten, dass man mit purem auswendig lernen zwar eine gute Note bekommt, aber noch lange nichts für das Leben gelernt hat. Meine Kenntnisse der deutschen Geographie, habe ich mir erst nach der Schule und nach dem Erfurt Eklat angeeignet. Mit jedem Nicht-Münchner, den ich kennen lernte, wurden sie besser. Seit vielen Jahren verknüpfe ich deutsche Städte mit mir bekannten Personen. Weiterlesen

Schön, tut aber fies weh.

Nach Norden, fragt mich ein Freund und ich schüttle den Kopf. Norden, höre ich ihn ein zweites Mal fragen und erinnere mich, dass man ein Kopfschütteln am Telefon nicht sieht. Nein oder doch, vielleicht. Ich weiß nicht in welche Richtung Norden liegt und bitte ihn stattdessen, sich mit dem Rücken zum Brunnen zu stellen und zur Arena zu schauen. Links daran vorbei und dann in die kleine, für Autos gesperrte Straße, erkläre ich und hoffe, dass nicht gerade doch ein Auto durch fährt. Kann man in Italien ja nie wissen. An der Apotheke vorbei, höre ich ihn fragen und nicke bevor ich zustimmend brumme. Es passt mir nicht, dass er da ist, wo ich sein will und es gefällt mir nicht, am Telefon den Stadtführer zu spielen. Ungewohnt fühlt es sich an und der blöde Kloß in meinem Magen macht es nicht besser. Die Reisewarnung für Italien ist seit drei Tagen aufgehoben und wenn ich wollte, dann könnte ich jetzt sofort nach Verona fahren. Ich könnte, so wie einige Münchner es schon machen, vor der Haustüre ins Auto steigen und erst am Corso Porta Nuova wieder aussteigen. Mit dem richtigen Auto reicht eine Tankfüllung. Theoretisch könnte ich sogar heute am Donnerstag Nachmittag losfahren, mit Freunden in Verona zu Abend essen und trotzdem morgen früh wieder pünktlich um neun in München arbeiten. Zugegeben, das wäre ziemlich verrückt, aber auch nicht das verrückteste was ich in den letzten zwei Jahrzehnten getan habe, wenn es um meine zweite Heimat geht. Komm halt, sagt mein Freund lachend und ich merke, dass es einfach noch zu früh ist. Weiterlesen

Wurfsendung und Weinschorle

Den besten meiner Freunde erkenne ich immer. In rauchgeschwängerten, dampfigen und unübersichtlichen Clubs; mitten in einem Rapsfeld stehend; im Fasching mit eine tief ins Gesicht gezogenen Hutkrempe und am Marienplatz zwischen tausenden von Touristen. Selbst wenn er gestern nicht alleine vor dem Kino am Sendlinger Tor gestanden wäre, hätte ich ihn trotz Sonnenbrille und Mundschutz erkannt. Seine 193 Zentimeter sind mir vertraut und es braucht mehr als zehn Corona-Wochen um sich fremd zu werden. Am 15. März lag er auf meinem Sofa als ich spät abends eine E-Mail las, die von Kollegen zu Kollegen geschickt wurde und deren Inhalt uns an diesem Sonntag vor zehn Wochen noch erstaunte. Der beste meiner Freunde lümmelte neben mir, als wir überraschend und sehr konsequent ins Home Office geschickt wurden. Passend und stimmig, dass ich die erste Weinschorle „draußen“ mit ihm trinke. In den vergangenen 25 Jahren haben wir uns schon öfter zehn Wochen lang nicht gesehen. Das Leben kam dazwischen, das kann passieren. Dass wir uns zwei Monate lang nicht sehen konnten und durften, war neu. Neu auch, dass wir uns zur Begrüßung nicht umarmten. Auch wenn es bei ihm und mir vermutlich ungefährlich ist. Meine Wange (mit Sommerflachen Schuhen) wäre bei ihm gerade mal auf Brusthöhe und wenn man kurz die Luft anhält, dann…..wir haben es gelassen.  Weiterlesen

30 Tage

Vor genau einem Moment saß ich lachend auf der Rückbank im Auto des mutigsten meiner Freunde. Den ganzen Tag über lachten wir und hatten so viele schöne Stunden auf den Schultern liegen, dass uns Wind und Kälte des Februartages nur wenig anhaben konnten. Er, der sonst nur einmal im Jahr die alte Heimat besucht, war gekommen, weil ich ihn darum gebeten hatte. Ein Joker den ich nur dann ziehe, wenn mir etwas wirklich wichtig ist. Heute, einen Monat später klingt es banal, dass mir gerade diese eine Lesung so wichtig war, dass ich ihn bat zu kommen. Und heute, einen Monat später, bin ich froh, dass diese Banalität dafür sorgte, jetzt einen Vorrat an Lachen und belanglosem Geplauder zu haben. Spätestens seit ganz Italien zur "zona rossa" erklärt wurde, sind unser Telefonate ein wenig ernster geworden. Reflektierter und weniger belanglos. Lachend, ja, aber auch nachdenklich und mit den Tagen immer besorgter. Alles was ich von ihm höre, erwartet mich im Moment ziemlich genau acht Tage später selbst. Weiterlesen

Vom Rennen und dem Piepsen eines Akkus

Fragt uns einer, was wir an hl. Abend machen, dann antworten wir mit „rennen“. Wir, meine engsten Freunde und ich, rennen an diesem Tag und dass uns das auch noch Spaß macht und wir um nichts in der Welt darauf verzichten möchten, versteht nur, wer einmal mit uns gerannt ist. Vor einigen Jahren eine frisch getrennte Freundin. Ihren Kaffee trank sie morgens bereits bei mir. Schön gemütlich sei es, sagte sie und blickte auf den leuchtenden Christbaum und die vier brennenden Kerzen am Adventskranz. Ich nickte, trieb sie aber bereits an. Um zehn Uhr spätestens müssen wir los, verkündete ich und ahnte, dass sie erst in einer Stunde – wenn überhaupt – wieder etwas gemütlich finden würden. Champagner und Blumen unter dem Arm, rannte ich mit ihr Hand in Hand durch die Stadt, bis wir atemlos im dritten Stock vor einer Altbauwohnung standen. Viel zu spät, mit hoch rotem Kopf, aber glücklich lächelnd fiel ich einem meiner liebsten Freunde in die Arme. Meine Freundin verlor ich im Flur. Wir sahen uns erst wieder, als wir zwischen 35 anderen mit einem Glas in der Hand „Last Christmas“ sangen. Sie  weinte ein bisschen, weil sie ihren Freund vermisste, wurde aber von einer 16jährigen und einer 85jährigen in den Arm genommen. Kein Weihnachten ohne diesen verrückten Freundes Haufen, der jedes Jahr verloren Seelen aufsammelt, ihnen Brunch und Champagner serviert und jeden glücklich zu seinen Familien entlässt. So viele Menschen in einer kleinen Wohnung. So viel Glück, Trauer, Hoffnung und Verzweiflung unter einem Dach. Aber keine Einsamkeit, sondern Umarmungen die Trauer und Verzweiflung wegwischen.  Weiterlesen

Dünnes Eis

Der Mann, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Türe steht, schüttelt den Kopf und schnalzt mit der Zunge. Bei ihm heißt das nein. Die Kombination aus Kopfschütteln und Zungeschnalzen ist ein „Nein“ mit einem dicken, fetten Ausrufezeichen. Ein „Nein“ über das er nicht zu diskutieren bereit ist. Obwohl er dem Valentinstag ebenso wenig Bedeutung wie ich zumisst, ist er nicht gewillt, sich an genau jenem Tag einen neunzig minütigen Monolog seiner Freundin anzuhören der den Titel „Nix mit Amore“ trägt. Selbst ihm, einem überaus pragmatischen und sicher nicht abergläubischen Menschen, erscheint das ein wenig unpassend. Er grinst und schiebt hinter her, dass er außerdem, leider, leider, an diesem Freitag auch ungewöhnlich lange arbeiten müssen wird. Ich bin ein wenig erstaunt, dass er das schon neun Wochen vorher weiß, aber auch ein bisschen erleichtert. Einer weniger. Ich gebe zu, dass die Erleichterung einen Zuhörer weniger zu haben, auch für mich neu ist. So neu, wie aus dem eigenen Tagebuch zu lesen, fragt mein Freund und zwinkert mir noch breiter grinsend zu. Auch er ist erleichtert. Erleichtert, bei den damaligen Einträgen noch nicht in Erscheinung getreten zu sein und wünscht mir einen wunderschönen Abend. Einen, bei dem er leider, leider nicht anwesend sein kann. Weiterlesen

Grazie per tutto

Das sind sie, sagt er und deutet auf den prallen Mond, dessen Licht sich auf der Oberfläche des Meeres spiegelt. Ich bin mir nicht sicher was er meint, aber alte Männer aus Neapel haben sicher meistens Recht. Das sind sie, wiederholt er, erklärt und schenkt mir noch einmal nach. Er meint, dass das – der Mond, der Moment und der eiskalte Weißwein – die wirklich wichtigen Momente im Leben sind. Seinen Namen habe ich leider vergessen, aber er ist auch nicht wichtig, weil wir uns vermutlich in diesem Leben nicht wieder sehen werden. Nicht vergessen werde ich aber die Stunde in der ich mit einem Fremden auf einer Terrasse über dem Meer bei Genua saß und mich verabschiedete. Weil ein Abschied vom Meer, so sagte der, der zufällig neben mir wohnte, alleine doch viel zu traurig sei, setzte ich mich gerne noch ein bisschen zu ihm.

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