Schön war´s irgendwie doch

Stadt oder Land. Das dazwischen ist meistens Mist. Mist für mich, die mit klassischen Vororten von Städten nie warm geworden ist und sich das Leben dort beim besten Willen nicht vorstellen kann. Rund um München gibt es viele dieser schwer zu definierenden und immer etwas anonymen Vororte und fast ausnahmslos denke ich bei Besuchen daran, dass ich dort nicht leben und auf keinen Fall hinziehen möchte. Auf dem Land sieht es anders aus – das echte Land hinter den Vororten ist mir so vertraut wie die Stadt und beides kann ich mir vorstellen. Auch jenen Ort im Münchner Osten durch den ich gestern Mittag gelaufen bin. Ein kleines Dorf fast noch, dem das bäuerliche erhalten blieb und vor dessen alten und neuen Häusern in den Bauerngärten noch jene wilde Blütenpracht steht, die mich an zu Hause erinnert. Straßen mit Schlaglöchern und eine warme, gemütliche Atmosphäre – ein schöner Ort und ich verstehe, warum ihn Freunde von mir ausgesucht haben. Mir selbst ist er fremd, weil sie die ersten sind, die sich in dieser Himmelsrichtung angesiedelt haben. Die Ortsnamen beim Hinfahren kenne ich – aber nur aus den Staumeldungen im Radio. Nicht eines der Dörfer habe ich bisher besucht, weil es sich schlicht und einfach nie ergab. Stunden später schlendere ich deshalb ein wenig verloren durch die kleinen Straßen und weiche den Pfützen des Sommergewitters aus. Heimelig sehen die erleuchteten Fenster im Dunklen aus und das leise Muhen aus einem Stall verstärkt das Gefühl, in einem guten Ort zu stehen. Einem Ort dessen Anbindung an das Bahnnetz Münchens aus einem einzigen, selten fahrenden Bus besteht. Auch das kenne ich von zu Hause und empfinde es als wenig schlimm gegen halb zehn Uhr abends im Gewitter an einer verlassenen Bushaltestelle zu stehen. Auch der ältere Mann neben mir, nimmt den Regen und die sporadischen Busse als gegeben hin, grüßt bayerisch knapp und grummelig aber nicht unfreundlich. Lächeln müssen wir nicht, weil man es in solchen kleinen Orten nicht sieht – Bushaltestellen sind unbeleuchtet. Es würde sich bei den wenigen Fahrgästen wahrscheinlich einfach nicht rentieren. Wir lächeln beide, als der Bus – ohne zu halten – an uns vorbeifährt und nicken uns ein „Scheiße“ denkend zu, bevor wir die Bushaltestelle in gegensätzliche Richtungen verlassen. Ich gehe zurück zu meinen Freunden, weil der nächste und letzte Bus erst in knapp zwei Stunden fährt. Ein Kuh muht und der Ort wirkt trotz des mittlerweile kühlen Regens noch immer einladend. Doch, ja, es ist wirklich ein guter Platz um seine Kinder großzuziehen.

Der letzte Bus hält und ich bin die Einzige die einsteigt. Kurz denke ich an den älteren Mann und freue mich, ihn an der Haltestelle zwei Orte weiter zu sehen. Auch er kennt die Verkehrsmittel am Land und ist um die Wartezeit zu überbrücken knapp zehn Kilometer zu Fuß gegangen. Ohne den warmen Esstisch meiner Freunde, hätte ich es ebenso gemacht. Die durchfahren Orte kenne ich nicht, aber jeder von ihnen kommt mir vertraut vor. Die Wirtschaften einladend und Samstags immer mit Menschen davor, an jeder Bushaltestelle ein kurzer Abschied und nicht einer, der den Fahrer nicht begrüßt. Man muss einen Busfahrer nämlich nicht kennen, um ihm einen schönen Abend zu wünschen. Richtung Flughafen zum Beispiel möchte ich nicht aus der S-Bahn aussteigen – die Orte mag ich nicht ohne sagen zu können, warum. Im Regen wirken sie trotz Tageslicht auf mich wenig einladend. Hier, im fast schon herbstlichen Dunkel gießt es in Strömen und mir kommt alles vertraut vor. Vielleicht liegt es am Wein, vielleicht ist es aber auch, wie der alte Mann beim Aussteigen sagt, einfach nur ein sehr schöner Landstrich. Wir stehen gemeinsam an der S-Bahn Haltestelle und stellen fest, dass uns heute keine S-Bahn mehr nach München bringen wird. Schienenersatzverkehr ist das Stichwort und ich verdrehe im Geiste die Augen, weil das noch nie etwas gutes bedeutet hat. Der Mitarbeiter des MVG zuckt die Schultern in seiner gelben Weste und es sind zwei Teenager die ungefragt erklären, dass heute nichts fährt, der nächste Bus nach Feldkirchen auf der anderen Seite der Gleise steht. Freundlich und beruhigend versichern sie, dass hier die S-Bahn wieder fahren wird. Dort wo sie hindeuten, hätte ich keinen Bus vermutet und freue mich über die freundlichen Jungs, die es weiteren Gestrandeten erklären. Dieser Bus ist voller und fast jeder ist nass, friert und hat erstaunlicher Weise dennoch gute Laune. Eine knappe halbe Stunde unterhalte ich mich mit fremden Menschen und führe – endlich in der S-Bahn sitzend – das Gespräch fort. Mitten in München verstreut sich die spontane, sehr unterschiedliche Gesellschaft. Zwanzigjähre suchen Bars auf, Ältere fahren nach Hause und ich steige in den letzten Bus dieser Nacht. Mit mir der ältere Mann, der neben mir stand als der erste Bus an uns vorbei fuhr. Wir steigen beide nahe meiner Wohnung aus. Jetzt lächelt er und verabschiedet sich mit: „Gute Nacht, da sind wir doch noch problemlos heimgekommen.“ Es braucht ein sonniges Gemüt um eine so verregnete, mit Wartezeiten und fehlenden oder verspäteten Bussen garnierte Fahrt als problemlos zu bezeichnen. Trotzdem nicke ich und würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Irgendwie war´s sogar schön. Der Nahverkehr nervt, aber irgendwann sammelt er seine Schäfchen im dunklen Regen ein und fährt sie nach Hause. Fast ist es mir in meiner Straße in München zu laut. Obwohl ich nur sehr langsam nach Hause gefahren bin, scheint ein Teil von mir noch in einem Bus zwischen den Dörfern zu sitzen. Schön war´s.

22 Gedanken zu “Schön war´s irgendwie doch

  1. Liebe Mitzi, als im Münchner Osten groß gewordenes Gewächs, hat mich dieser Artikel sehr gefreut. Bei der Busverbindung und den muhenden Kühen habe ich gleich an Orte wie “Pliening” und “Gelting” gedacht. Poing nicht, die haben schließlich eine S-Bahn. Und ein Gymnasium, erzählte meine Mutter unlängst. Damals gab es das noch nicht. Die Poinger mussten immer nach Markt Schwaben… ich schweife ab. Aber das habe ich deiner wunderbaren Erzählung zu bedanken. 😃 Viele Grüße und hab’ einen schönen Sonntag, Eva

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    1. Stimmt Pliening….da war ich mal. Eine Freundin von ganz früher wohnte dort. Du hast die Richtung genau erkannt. Ich war in Fortstinnig und der Bus fuhr über Poning nach Markt Schwaben. Eigentlich S-Bahn, aber im Moment wird gebaut. Schön ist er der Münchener Osten. Grüße aus dem Südosten 😉

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    1. Wer weiß, liebe Clara. Allerdings und da bin ich mir ziemlich sicher, hast du genügend Lebenserfahrung, Optimismus und Kampfgeist um weiterhin gut durchs Leben zu gehen. Zurück gedrückt

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  2. Liebe Mitzi,
    Sie schreiben:
    „Der Nahverkehr nervt, aber irgendwann sammelt er seine Schäfchen im dunklen Regen ein und fährt sie nach Hause.“
    Dieses „irgendwann“ könnte ja auch am nächsten Tag sein, wenn der letzte Bus nicht anhält, sondern durchrauscht. Das würde die Sache noch etwas abenteuerlicher machen! 😉
    Gruß Heinrich

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  3. Ich habe jahrelang in einem Vorort gewohnt, der (damals) recht beschaulich war, Und bin nebenan im neuerbauten Brennpunkt in die Riesenschule gestopft worden, was meinen Aber gegen die Städte sehr gefördert hat. Da ich jetzt Dörfler geworden bin, schon viele, viele Jahre lang: ja, das kommt vor. Dass der Bus an einem vorbeifährt. Dass er einfach nciht die Haltestelle anfährt, an der man aussteigen will. Dass er die Schulkinder unterwegs rausschmeißt.
    Das Land hat seine eigenen Regeln und Tücken.
    Aber ehrlich, unser Dorf hier ist mir schon viel zu zugebaut, dem ewigen Vorbild Stadt in Häßlichkeit nachstrebend.
    Welcher von diesen amerikanischen Pionieren war’s noch gleich, der morgens vor der Tür der Blockhütte stand, in der Ferne Rauch sah und zurück in die Hütte rief: „Packt alles zusammen, wir müssen hier fort. Hier wird’s zu voll!“

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    1. Ich finde es immer sehr schade, wenn Dörfer ihren ursprünglichen Charakter verlieren. Dass sie größer werden, ist wahrscheinlich unvermeidbar, aber es gibt ja doch einige Beispiele die zeigen dass es auch ein schönes Wachstum geben kann. Das Zitat aus der Blockhütte ist großartig.

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      1. Ich gestehe – sowas wird ja derzeit tierisch ernst genommen, egal, obs eine Doktorarbeit ist oder ein ohnehin von Ghostwritern zusammengekritzeltes Buch – dass das nur sinngemäß wiedergegeben, also nicht nach den Regeln der Kunst zitiert ist! Aber so ähnlich soll er’s gesagt haben… crowded, das war vermutlich das Wort, als er in Rauch – Sichtweite andere Siedler vermutete!

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      2. Keine Sorge, sinngemäß reicht mir völlig aus. Versteht sich von selbst, dass dort wo es wichtig ist ordentlich zitiert werden muss, aber diese verbissene Suche nach Fehlern, Plagiaten oder das Auseinandernehmen von Doktorarbeiten ist nicht nur lächerlich sondern auch unfair. Vorsatz…ok, aber der Rest…

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