Heute Nachmittag kommt er in den Keller, verspreche ich meiner Nachbarin, als wir uns im Laubengang treffen und deute auf den Sonnenschirm. Ohne das wir uns je abgesprochen hätten, ist sie es, die sich seit Jahren um die Bepflanzung unseres gemeinsamen Laubengang-Balkons kümmert, während ich den Rest übernehme. Viel ist es nicht, aber das wenige wechselt mit den Jahreszeiten und dieses Jahr bin ich spät dran. Den Sonnenschirm zum Beispiel, hätte ich schon Anfang September in den Keller räumen können. Als ich aus Italien zurück kam und mit den Koffern in der Hand vor meiner Wohnungstür stand, erreichten die Sonnenstrahlen gerade noch eine Ecke unseres gemeinsamen grünen Wohnzimmers. Ich erinnere mich, dass ich an diesem Tag ein wenig wehmütig an die vielen Frühlings- und Sommertage zurück dachte, die hinter mir lagen. In diesem verrückten Coronajahr war unser kleiner Laubengang wichtiger als je zuvor. Er verband uns mit den Nachbarn und als wir uns mit kaum jemand treffen konnten, legten meine Nachbarin und ich unsere Haushalte zusammen, um uns dem Wahnsinn gemeinsam entgegen zu stemmen. Trotz allem war es ein schöner Sommer und wir genossen den Frühling so gut es ging, während die Welt still stand. In den kommenden Wochen vergaß ich den Sonnenschirm. Bis März brauchen wir ihn nicht und doch habe ich ihn noch immer nicht in den Keller geräumt. Heute werde ich ihn nach unten bringen und – auch wenn es noch zu früh ist – nach der Lichterkette suchen. Wenn die Tage kürzer werden, leuchtet sie ab halb fünf vor meinem Küchenfenster und taucht den winterlichen Laubengang in ein gemütliches Licht. Ein Licht, das Geborgenheit ausstrahlt und ein kleiner Ersatz für ein fehlendes Kaminfeuer ist. In diesem Herbst werde ich sie etwas früher anbringen. Geborgenheit werden wir brauchen, das spüren wir schon jetzt.
Es zeichnet sich schon länger ab, aber erst seit gestern kann ich mich auf das, was ich schon ahnte, konzentrieren. Die nachgeholten Lesungen sind alle gehalten. Auf der letzten waren gerade einmal zwei Zuhörer – trotzdem war es eine der schönsten. Vielleicht weil es erst einmal die letzte war, wahrscheinlich aber auch, weil die beiden Gäste besonders herzlich und sympathisch warn. März, schlägt der mutigste meiner Freunde vor und ich nicke obwohl er das am Telefon nicht sehen kann. Ich werde ihn Ende Oktober nicht besuchen und das Meer wird novembergrau aber wunderschön ohne mich an der Küste Liguriens branden. Es liegt seit einer Woche im vom RKI ausgewiesenen Risikogebiet und obwohl ich als Münchnerin selbst in einem wohne währe es idiotisch dieser Tage für ein Wochenende quer durch Europa zu fahren. Idiotisch, aber auch nötig, weshalb ich mit der Stornierung bis zum letzten Moment wartete bevor ich den Flug von Oktober auf März umbuchte. Dazwischen liegt Weihnachten und über das sprechen wir gar nicht erst. In diesem seltsamen Jahr kann man sich nicht einmal auf das verlassen, was zuvor noch nie in Frage gestellt wurde. Ich vermisse meine Freunde im Ausland eine Art, die mir trotz all der Jahre in der wir schon in verschiedenen Ländern wohnen, neu ist. Unsere Generation kennt geschlossene Grenzen nur aus dem innerdeutschen Raum. Ein Glück, dass uns wahrscheinlich erst jetzt bewusst wird. Mir auf unangenehme Weise als ich den Sonnenschirm endgültig in den Keller räume. Auf dem Tisch liegen Kastanien, die von den Nachbarskindern gesammelt wurden und an das erinnern, was schön ist. Schön sind auch die bunten Bäume im Innenhof. Schöner wären sie, wenn die Sonne scheinen würde. Aber das tut sie nicht – schon seit Wochen lässt sie sich kaum sehen und das schlechte Wetter passt zur Stimmung, die sich in unserem Viertel langsam wieder breit macht. Wie schon im Frühling wird es in unserem Haus von einem Tag auf den anderen ruhiger. Die Kneipe im Erdgeschoss hat geöffnet, aber um 22 Uhr ist Sperrstunde. Mit einer Inzidenz von über 60 wird es in München am späten Abend jetzt wieder ruhig. Auch das passt zum Herbst. Man zieht sich zurück. Nur ist es in diesem Jahr nicht freiwillig, sondern bedrückend. Bevor ich die Lichterkette entwirre, schreibe ich die Vermieterin meines AirBnb Appartements an. Wir scherzen, dass die Absage eigentlich unnötig sei, da wir uns beide in Risikogebieten befinden und schließen mit der Hoffnung uns im Frühjahr wieder zu hören. Ein Datum machen wir nicht aus. Planungen die das Überschreiten von drei Landesgrenzen beinhalten erscheinen im Moment lächerlich – auch für Optimisten. Bleiben sie zu Hause bittet die Kanzlerin und ich kaufe anstelle von Klopapier im Supermarkt Kerzen. Kerzen im Herbst machen alles schöner. Immer und bestimmt auch in diesem Jahr. Wir ahnten, dass es noch nicht vorbei ist und doch trifft es mich, wenn ich Österreich und Italien auf den Grafiken in den Nachrichten dunkelrot leuchten sehe. Es wird ein stiller Herbst werden.
Es wird ein gemütlicher Herbst werden sagt der Nachbarsjunge und lädt mich ein am Abend mit ihm und seiner Schwester und seiner Mama einen Film anzusehen. Der Münchner Krimi spielt diesmal in Giesing und wurde direkt vor unserer Haustür gedreht*. Wann fragen wir uns und verdrehen schmunzelnd die Augen. So viele Menschen auf einen Haufen und keine Masken – 2020 kann es nicht gewesen sein. Wir schenken uns noch ein Glas Wein ein und drehen die Heizung auf. Der Junge hat recht – es ist gemütlich und der Herbst wird gut werden. Wir müssen nur noch etwas warten und Kerzen und Lichterketten früher aufhängen, dann wird es schon werden. Muss ja.
*https://www.zdf.de/serien/muenchen-mord/muenchen-mord—ausnahmezustand-100.html hier können Sie sehen wo ich wohne. Ich verrate Ihnen nicht in welchem Haus, aber näher ran geht kaum ;). So toll ist der Krimi nicht, aber wenn Sie neugierig auf Giesing sind, dann spulen Sie einfach ein bisschen vor und zurück und können sich dann besser vorstellen, was es heißt, wenn ich über den Fußball im Viertel und die Kneipe schreibe.
Gemütlichkeit hat wohl immer auch damit zu tun, was man aus den Umständen macht und wie man sich darauf einstellt. Aber mit guten Nachbarn und Beziehungen hast Du schon mal einen guten Ausgangspunkt. Und mit einer Kerze und einem Glas Wein (oder in München vielleicht einem Bier) zu schreiben, stell ich mir spontan auch ganz gemütlich vor 😊
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Für mich auch einen Wein 😉 Und ja, das macht das Schreiben (und überhaupt das meiste) gleich viel heimeliger.
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ha ha
ich hab den münchen mord gesehen und muss schmunzeln. allerdings weiß ich, dass in dem polizeiruf aus meiner stadt ich oft kaum die eigene stadt wiedererkenne. dabei hoff ich doch immer, dass ich mal aus versehen durchs bild fahre…
hab einen wundervollen herbst!
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Den wünsche ich dir auch! Liebe Grüße
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Danke und schönen Herbst, vielleicht sogar mit noch ein paar goldenen Oktobertagen!
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Gegen die hätte ich nichts :). Gleiches auch für dich
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Heute habe ich gehört, daß die Landwirtschaftsministerin darum bittet, nicht wieder Klopapier zu hamstern. Ich bin mir fast sicher, daß einige Leute, die sonst gar nicht darauf gekommen wären, das als Aufruf verstehen, genau das zu tun – was die Ministerin eigentlich hätte ahnen können. Politiker gibt’s …
Ich bin sicher, der Herbst wird gut, und der Winter auch. Die beste Zeit für Geborgenheit, entweder allein mit einem guten Buch in einem warmem Zuhause, oder im kleinen Kreis der engsten Freunde. Vielleicht ist es mal ganz gut, daß die großen Weihnachtsmärkte mit den tausenden Touristen nicht stattfinden und nur hier und da auf Stadtteilplätzen Glühwein- und Bratwurstbuden stehen werden, und daß der große Trubel mal ausbleibt.
Ab Mittwoch soll es übrigens nochmal schön werden, besonders in Süddeutschland, wurde eben in der Wettervorhersage bekannt gegeben – ich hoffe nur, Köln liegt südlich genug, damit ich auch was davon haben werde.;-)
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Die Vorhersage hat gestimmt. Heute war ein wunderbarer Herbsttag und ich weit davon entfernt über dieses Jahreszeit zu schimpfen. Eigentlich ist sie richtig schön. Wie du es beschrieben hast und auf Menschenmassen kann ich ohne weiteres verzichten. Im kleinen ist es oft viel schöner.
Hör mir auf mit dem Klopapier. Ich fürchte die Leute rennen erst wieder, seit darum gebeten wurde, nicht zu hamstern. 😉
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und wieder mal einer von mitzis gänsehauttexten… „Planungen die das Überschreiten von drei Landesgrenzen beinhalten erscheinen im Moment lächerlich – auch für Optimisten.“ ja – ähnliche gedanken haben mich auch grade wieder beschäftigt und ich hab sogar geschafft sie mal wieder niederzuschreiben. das vermissen von diesen orten, an denen man herzsplitter gelassen hat, ist grade bitter. trotzdem. es gibt eben auch solche zeiten. ich halte mich grade dran fest, dass aus krisen immer wieder neues erwachsen ist. der nächste frühling kommt bestimmt. metaphorisch wie kalendarisch.
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