Unverschämter Frühling

Wenn mir noch einer mit dem ach so schönen Frühling an kommt, dann schlepp ich ihn mit zu mir. Nicht für ein Schäferstündchen sondern damit er den Wahnsinn, den diese Jahreszeit in meinem Haus anrichtet, am eigenen Leib erleben kann. Wenn er dann noch etwas von einem blauen Band und Neuanfang murmeln kann – Chapeau. In meiner Straße macht der Frühling gar nichts neu. Ganz im Gegenteil. Die blöde Jahreszeit weckt meine Nachbarn aus ihrem Winterschlaf und sorgt dafür, dass der Wahnsinn des alten Jahres mit neuem Elan beginnt und das Haus mit unveränderter Wucht umbrandet. Dabei war es im Winter so schön ruhig. Die Bierliebhaber verkrochen sich im warmen Bauch der Kneipe und kamen nur für eine kurze Zigarette nach draußen. Meine direkte Nachbarin Frau Obst war über Wochen mit einer hübschen Bronchitis beschäftigt und hatte keine Kraft spionierend vor meinem Küchenfenster zu stehen und aus dem Hinterhaus hörte man durch die wummernden Bässe der Studenten WG nur gedämpft durch die geschlossenen Fenster . Es war so schön, als alle schliefen und jeder sich um seinen eigenen Schmarrn gekümmert hat. Jetzt ist es vorbei mit der Ruhe. Der Frühling ist da und mein Haus erwacht. Im Waschkeller riecht es schon ganz ekelhaft nach Weichspüler mit Fliederaroma.

Den Frühling in München bemerkt man, schon lange bevor die ersten Krokusse blühen, an all den Münchnern, die sich trotz klirrender Kälte vor den Cafés sammeln und die Nasen in die noch blasse Sonne recken. In München beginnt der gastronomische Frühling Ende Januar. Im Rest der Stadt etwas später. Spätestens aber, wenn es zwei Tage hintereinander zweistellige Temperaturen hat. Dann rennt ganz München an die Isar, sammelt sich am Gärtnerplatz, blockiert die schmalen Straßen mit Kinderwägen oder stapft durch den Englischen Garten. Er ist schon schön, der Frühling in München. Nur bei mir Zuhause, da ist er eher anstrengend. Weil man da ja wohnt und ihm nicht auskommt. Da gibt es an den Wochenenden keine ruhige Minute. Das ganze Haus schleppt die Balkonmöbel vom Keller durch das Treppenhaus, blockiert den Lift und scheppert und klappert beim Aufbau. Frau Obst ist genesen. Sie steht wieder vor meinem Fenster und überwacht die Horden schleppender Hausbewohner um sie bei Bedarf zurecht zu weisen.  Die Kneipengäste sitzen wieder bis spät Abends draußen auf den Bierbänken und erfreuen die Nachbarschaft mit mitternächtlichen Gesangseinlagen, die nur durch die Bässe der Studenten WG unterbrochen werden die man durch die offenen Fenster jetzt wieder deutlicher hört. Ab Mitte Mai hat man sich wieder daran gewöhnt, dass Haus, Innenhof und Straße brodeln. Nur im März, da ist man noch etwas müde und wacht ja gerade erst auf.

Im Frühling erwacht auch der Fahrradkeller. Ein jeder will an sein Fahrrad und ein jeder scheitert an Herrn Meier. Vor der Kneipe ist es ihm noch zu kalt und so begrüßt er den Frühling indem er sein Fahrrad seit einer Woche flickt und schruppt. Mal repariert er sein Licht, mal die Bremsen und an anderen Tagen poliert er die Speichen in aller Seelenruhe – direkt vor der Tür. Wer an sein eigenes Rad will, muss warten bis er fertig ist. So auch Paul, der angelehnt im Türrahmen steht und unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt, während Meier ihn ins Kreuzverhör nimmt. Ob er grad a Madl hat, will Meier wissen und ich sehe wie Natascha aus dem ersten Stock die Augen verdreht. Natascha und ich hocken auf den Treppenstufen ums Eck und warten ebenfalls bis Herr Meier die Türe wieder frei gibt. Wir warten, weil es selten länger als eine halbe Stunde dauert und wir bei der Rückkehr in unsere Wohnungen Gefahr laufen, Frau Obst in die Arme zu laufen. Ob Paul nickt, sehen wir nicht, aber wir grinsen. Männer tratschen also doch. Auch die alten und grantigen, wie der Meier. Mit ruhiger Stimme – unterbrochen von leisen Flüchen, wenn der Rost am Rahmen des Rades zu hartnäckig ist – sinniert der alte Mann über die Frauen im Allgemeinen und die in unserem Haus im Besonderen. Berichtet, dass die jungen Dinger aus dem Hinterhaus schon wieder im leichten Hemdchen auf dem Balkon hocken und die Alten noch immer tief vermummt zum Einkaufen gehen. Er mag sie ja, sagt der Meier, die jungen Hüpfer. Die san scho nett zum o´schaung, gesteht er Paul und ich höre den zum ersten Mal nicht hochdeutsch reden als er Herrn Meier recht gibt. Natascha lacht. Süß findet sie Pauls Dialekt. Ich finde den ihren noch viel süßer. Man hört, dass sie aus Polen kommt und mir gefällt der Akzent. Ich will es ihr eben sagen, da hören wir, dass es mittlerweile um uns geht.

„Mitzi, hoast de?“
„Ja. A Abkürzung wahrscheinlich.“
„Wohnt de do immer no alloa?“
„Miassens d´Obst frong.“
„Na, de mog i ned. De oide Scherm.“

Man unterhält sich über unseren Familienstand, den Zustand unserer Fahrräder und den unseres Liebeslebens. Immer wieder sehen wir uns auf der Treppe hockend grinsend an und schütteln ungläubig den Kopf. Bis mich Herr Meier als „Madl“ bezeichnet und Paul laut auflacht. Madl sei gut, ich sei doch locker über dreißig. Ich lache nicht. Obwohl ich locker über dreißig bin – sehr locker sogar, bin ich sehr wohl noch a Madl, wenn ein Achzigjähriger über mich spricht. Ich glaub es hakt! Als ich aufspringen und Paul das sagen möchte, hält mich Natascha fest und ich bemerke, dass Herr Meier das Stockwert verbal wechselte und jetzt wieder über sie spricht. Seine Stimme ist freundlich als er über die beiden Lesben spricht, die neben ihm wohnen. Ungewöhnlich warmherzig berichtet Herr Meier von den beiden. Nett seien die und immer sehr hilfsbereit.  Er würde nur nicht verstehen warum sich ein Frauenzimmer wie ein Kerl anziehen müsste. In einem hübschen Kleid würde die Polin…. Den Rest kann er nicht mehr sagen, weil Natascha um die Ecke schießt und sich vor ihm aufbaut und mit ihrem hübschen Akzent losfaucht. Sie sei nicht maskulin. Kein bisschen. Und sie würde ihm, dem Meier noch gerne mehr sagen, aber der Respekt vor dem Alter hindere sie. Nicht maskulin, faucht sie noch einmal und rennt dann die Treppen nach oben. Als Paul einen Schritt zurück geht um ihr hinterher zu sehen, entdeckt er mich.

Er lächelt sein schönes Rhett Butler Lächeln, als er mich da auf den Stufen sitzen sieht und erkundigt sich ob ich auf ihn warten würde. Ich stehe auf. Auf der zweiten Stunfe von unten stehend bin ich mit ihm auf Augenhöhe. Locker über dreißig, ja? Ich frage ihn das zwei mal und teile ihm dann mit, dass ich vierzig bin! Ich bin sauer. Stinksauer. Locker über dreißig, frage ich noch einmal und ärgere mich über Pauls verständnislosen Blick. Er fängt sich, lächelt und sagt, dass er mich jünger geschätzt hätte. Ja, klar, fauche ich wie eine polnische Lesbe. (Ich weiß nicht ob das alle so gut können. Vielleicht fauche ich auch nur wie Natascha aus dem ersten Stock). Locker über dreißig, du Arsch. Das letzte was ich von Paul höre ist, dass er nicht versteht, was den jetzt schon wieder los sei. Durch das Treppenhaus brülle ich, dass ich vierzig bin, dass das aber noch lange kein Grund ist mich als locker über dreißig zu bezeichnen.

Sie merken´s. Es ist Frühling und mit ihm kommt auch die Liebe zurück in unser Haus. Mit allem was dazu gehört.

 

 

 

 

34 Gedanken zu “Unverschämter Frühling

  1. Also ich persönlich finde die Cabrio Fahrer am schlimmsten, wie sie lässig einen auf Sommer machen, aber sooooooo frieren 😉 Und endlich hört man mal wieder etwas von Paul;-) (der nicht den Eindruck macht, als ob er irgendetwas verstanden hätte)….

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    1. Hatte er eine Chance? Ich fürchte nicht. Im Frühling werde ich besonders gerne als Mädchen bezeichnet. Da ist eine Spekulation über das Alter des selben überflüssig. Ansonsten bin ich mit meinen Alter durchaus versöhnt.
      Cabriofahrer sind schon ein ganz eigener Schlag. Sie erfüllen gerne die Klischees.

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      1. Schön, dass wir keine Klischees im Kopf haben. Aber mir geht es ähnlich, wahrscheinlich weil nur die auffallen, die einem auf die Nerven gehen.
        „Noch mehr“ kann ich nachvollziehen….mir sind es in der Stadt und am Land einfach zu viele….Autos und mit ihnen Fahrer

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    1. Nach meiner Erfahrung wird man ab dreißig sogar bedeutend lockerer. Es muss etwas in der Luft liegen, dass den weibliche Teil der Hausgemeinschaft empfindlicher macht. Vermutlich der Frühling
      Fachgespräche nennt man das also. 🙂

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  2. Mein absolutes Frühlingsfeindbild ist das blaue Band von Mörike. So viele Frühlingsgedichte gibts und sogar jede Menge, die mir gefallen, aber wenn das blaue Band aus jedem zweiten Mund flattert, krieg ich Aggressionen…..

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  3. Köstlich! Klasse Text! Breites Schmunzeln auf dem Gesicht. Und draußen schaut es (extra für Dich) schon kein bisschen frühlinghaft mehr aus. Ätsch. Sonne wieder eingemottet. Und das soll bis nächsten Freitag so bleiben. Täglich Regen satt. Zumindest bei uns in den mittleren Hügeln der Landesmitte.

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    1. Das habe ich nun davon 😦
      Gerade in diesem Moment bricht der Regen über München herein und hat Blitz und Donner im Schlepptau. Ein klein wenig fühle ich mich verantwortlich, genieße aber zugleich, dass ich heute ohne Gesang schlafen werden. Eine Woche noch, dann verspreche ich, dass ich mir aus ganzem Herzen Sonne und Frühling wünsche!
      Liebe Grüße in die Landesmitte

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  4. Oh ja, das kenne ich auch das Frühlingserwachen im Haus. Obwohl der Tratsch bei uns das ganze Jahr stattfindet wird er im Frühjahr intensiviert und auch über die Straße wird die Nachbarschaft mit einbezogen. Leben pur eben.

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  5. Herrlich! Mit dem ankommenden Frühling scheint ein frischer Wind durch Ihr Haus zu wehen und sämtliche Bewohner wie herbstliche Blätter vor sich her zu treiben, selbst dann, wenn einige die dreißig bereits locker überschritten haben … 🙂

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