Mere exposure effekt

Laut Wikipedia beschreibt der Mere-Exposure-Effekt oder der Effekt des bloßen Kontaktes die Tatsache, dass allein durch die mehrfache Darbietung von Personen, Situationen oder Dingen, das heißt allein aufgrund von Familiarität, die Einstellung eines Menschen zu diesen Dingen positiv beeinflusst werden kann. Zum Beispiel macht bloße Vertrautheit mit einem Menschen diesen attraktiver und sympathischer.  Das würde das Entstehen fast aller meiner Freundschaften in den letzten Jahren erklären. Alleine durch meine penetrante Anwesenheit habe ich mir bei einigen meiner heutigen Freunden den Weg in ihr Herz erkämpft. Wobei die pure Anwesenheit nicht wirklich als Kampf bezeichnet werden kann. Eine ziemlich kühle, rein vom Zufall gelenkte, Erklärung für den Beginn von Freundschaften, die aber nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

Der beste meiner Freunde zum Beispiel. Der konnte mir gar nicht aus dem Weg gehen. Er wurde für seine Anwesenheit bezahlt. Er hinter der Bar. Ich vor der Bar – nicht bezahlt. Obwohl ich es durchaus verdient hätte und mich nur in dieser schrecklichen Disko befand, weil sie das verlängerte Wohnzimmer meines damaligen Freundes war. Der oben beschriebene Effekt setzt laut Definition voraus, dass die Bewertung des Gegenübers bei der ersten Darbietung nicht negativ ausfällt. An einem Ort, an dem der einzige akzeptable Gesprächspartnern nach Mitternacht der Klomann ist, fiel es mir leicht, den Typen hinter der Bar als eine positive Konstante zu sehen. Das ist er geblieben – eine positive Konstante. Nicht mehr nur hinter der Bar, sondern in meinem Leben.  Getränke mixt er längst nicht mehr und ich sitze nicht mehr am Tresen. Wir sind jetzt an meist an seinem Küchentisch. Der Requisite für weitere Mere-Exposure-Effekte.

Außerhalb meiner eigenen vier Wände sind die für mich gemütlichsten und vertrautesten Orte, der Küchentisch und der Balkon meines besten Freundes. Die schönsten und traurigsten Gespräche finden dort statt. Und während sich draußen die Welt weiter dreht, bleibt sie hier ganz oft einfach stehen. Langweilig wird es dabei nicht. Die Welt und mit ihr das Neue kommen ab und zu auch an den Tisch. Manchmal freiwillig, manchmal haben sie keine Wahl. Dann zum Beispiel wenn das Neue in Form eines neuen WG-Bewohners in die Heimat des Tisches und des Balkons einzieht. Ich weiß nicht was das Neue – es war ein er – gedacht hat, als es mich das erste Mal an diesem Tisch sitzen gesehen hat. Vermutlich nichts. Ich, patschnass nach einem Sommergewitter, wurde mit den liebevollen Worten „Sie ist etwas nass geworden“, ähnlich einer in den Regen gekommenen Gartenstuhlgarnitur, vorgestellt. Sagen wollte ich damals nichts, ich wollte lieber ein paar trockener Schuhe. Wir sahen uns oft in den kommenden Monaten. Und weil eine WG Küche die Welt schrumpfen lässt, lernten wir uns zwangsläufig kennen. Vielleicht sind es wirklich die vielen kurzen Begegnungen und das immer wiederkehrende Aufeinandertreffen, das eine Freundschaft entstehen lässt. Ich glaube aber, irgendwann braucht es mehr. Es ist schön, lachend und locker plaudernd einen ganzen Abend auf dem Balkon zu sitzen.Irgendwann aber, reicht es nicht mehr, sich nur über Banales zu unterhalten. An manchen Tagen gibt es nichts zu lachen. Aus Bekannten werden Freunde, wenn sie an der Oberfläche kratzen und beginnen sich über die Dinge unterhalten, die wichtig erscheinen. Gelacht haben wir in der WG so gut wie immer. Aber es gab eben auch die Momente, in denen man einfach nur gesprochen und zugehört hat.

Die WG in dieser Form existiert nicht mehr. Den Neuen von damals, den gibt es aber noch. Wir sitzen an den verschiedensten Tischen und wie damals am Balkon bringt er mich noch immer zum Lachen. Oder zum Nachdenken, wenn er von unendlichen Geraden erzählt und ich überhaupt nicht verstehe, was er meint, mich aber damit beschäftige, weil es faszinierend klingt und ist. Ich weiß nicht, ob wir uns, hätten wir uns nur einmal zufällig getroffen, Freunde geworden wären. Vielleicht, vielleicht auch nicht nicht. Auf den ersten Blick gibt es nur wenig Schnittmengen. Zwischen ihm und mir, mir und dem Besten und dem Besten und ihm. Auf den dritten, vierten und fünften, dann doch eine ganze Menge. Wir sind Freunde. Das sind wir, weil die Jungs brennende Teebeutel in den Sommerhimmel fliegen lassen können; weil der eine stundenlang meine Texte korrigiert; weil der andere heraushörte, dass mir ein Mensch in meinem Umfeld nicht nur auf die Nerven ging, sondern mich wirklich ängstigte.

Beim vierten Teil unseres Mikrokosmoses, brauchte es bei mir keinerlei Effekt und keine Gewöhnung. Einmal gesehen, zwei Sätze gesprochen und ich habe sie gern gehabt.  Die Frau an der Seite des Mannes, der Teebeutel zum Fliegen bringt und von unendlichen Geraden spricht. Manchmal ist es glasklar. Man sieht einen Menschen und weiß sofort, dass es ein großes Glück ist, ihn getroffen zu haben.

Dass der Mere-Exposure-Effekt Anwendung in den Theorien zur Partnerwahl findet, kann ich übrigens nicht bestätigen. Ich verliebe mich sofort und ohne Umwege oder gar nicht. Zum Glück. Wäre es anders, hätte ich bereits eine intensive Beziehung zu dem Kerl, der mir täglich in der U-Bahn gegenüber sitzt und mit offenem Mund kaut oder zum Kassierer im Supermarkt, der auch nach fünf Jahren versucht mir die Treueherzen aufs Auge zu drücken.

10 Gedanken zu “Mere exposure effekt

  1. Hab gerade gelesen, dass der Psychologe Robert Zajonc den „Mere exposure effekt“ schon 1968 beschrieben hat. Es hat 47 Jahre gedauert, bis der Effekt zu mir durchgedrungen ist, dank dir, liebe Mitzi. Wie bin ich nur durchs Leben gekommen? “Sie ist etwas nass geworden” hat mich sehr erheitert, ohne dass ich ein schlechtes Gewissen hätte. Denn inzwischen bist du gewiss wieder trocken.

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    1. Vielleicht, lieber Jules, bist du angesichts deiner Unkenntnis ein leichtes Opfer der Werbung geworden? Hier wird sich dieses Effektes gerne und oft bedient, wie ich gelesen habe. Auch ein Großteil schrecklicher Ohrwürmer ist ihm geschuldet. Beruhigend, eine Erklärung für den Erfolg des Liedes „Schnappi“ gefunden zu haben. Ob wir jetzt unser Unterbewusstsein besser steuern können, wage ich aber zu bezweifeln 😉
      Herzliche Grüße von Mitzi – wieder getrocknet.

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      1. Dann weiß ich jetzt, warum in meiner Wohnung lauter nutzlose Sachen herumstehen 😉

        Und Ohrwürmer hatte ich dauernd. Ich musste ich sogar schon mal bekämpfen. Wenn du mal schauen magst, liebe Mitzi: http://trithemius.de/2008/08/23/ohrwurmbashing-4625983/

        Aber ernsthaft, ich glaube eher, dass meine zahlreichen fatalen Beziehungen der Preis für mein Unwissen sind.

        Herzlichst,
        Jules

        und vergiß demnächst den Schirm nicht.

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      2. Als sturer Optimist erinnere ich mich lieber an die positiven der entstandenen Beziehungen. Die fatalen…die schreibe ich rückblickend vielleicht auch meiner Unwissenheit zu. Die künftigen, fatalen werden dann der Hartnäckigkeit des Effektes geschuldet sein.
        Du hast sie hartnäckig bekämpft, die Ohrwürmer. Hat es geholfen?

        Ach der Schirm, den hatte ich ja. Aber – und da wären wir wieder bei dem an anderer Stelle begonnen Thema – er war in der Hand eines großen Mannes und so weit über mir, dass der Regen seitlich….lassen wir das.

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