Aggro Amsel 3:2 für Amsi

Vielleicht erinnern Sie sich. Vor etwa fünf Jahren wurde die Fassade des Vorderhauses renoviert.  Herr Meier schimpfte. Frau Obst auch.  Damals stand unsere Hausgemeinschaft kurz vor dem Kollaps. Man hatte uns lediglich ein Jahr vor Beginn der Bauarbeiten über die anstehenden Einschränkungen informiert und war davon ausgegangen, dass wir die grellgelben Zettel mit wichtigen Hinweisen, die an und in den Briefkästen lagen, auch lesen würden. In meinem Stadtteil funktioniert Kommunikation ausschließlich, wenn sie persönlich stattfindet – vorausgesetzt natürlich, das sprechende Gegenüber weckt unser Interesse. Schriftliche Verhaltenshinweise dagegen ignorieren wir ignorant und manchmal ein wenig naiv. Vor fünf Jahren hat uns das plötzliche Auftauchen einer ganzen Armada an Handwerkern deshalb unvorbereitet und eiskalt erwischt. Binnen Stunden mussten wir unsere Balkone leerräumen und konnten Möbel, frisch angepflanzte Blumen und Kräuter nur notdürftig auf den Gemeinschaftsflächen (=Treppenhaus) unterbringen. Die Bewohner des Hinterhauses grinsten damals hämisch und beschwerten sich mittels Aushängen am schwarzen Brett über unser Gerümpel, das überall im Weg stand. Sie grinsten lange. Seit einer Woche aber nicht mehr.  Jetzt wird im Hinterhaus renoviert und das Vorderhaus steigt nachsichtig über im Treppenhaus stehende Basilikumtöpfchen und der emotionale Graben zwischen Vorder- und Hinterhaus wird erneut aufgerissen. Anfangs lächelte das Vorderhaus milde und mitfühlend über ein duzend Sonnenschirme im Fahrradkeller und schüttelt erst im Laufe der ersten Woche leicht verstimmt den Kopf über am Treppengeländer mit einem Fahrradschloss angekettete Klappstühle. Ärgerte sich zunehmend die Rücksichtslosigkeit des Besitzers eines Hochbeetes, der dieses extrem dämlich vor den Briefkästen abgestellt hat und beginnt seit Montag das schwarze Brett mit bösen Zetteln zu bestücken. Emotional befinden wir uns nun wieder im Jahr 2016. Alles beim Alten. Noch zwei Wochen, dann liegen die Nerven wieder blank und ernsthafte kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Nachbarn können nur durch einen Lockdown verhindert werden, der uns das verlassen der Wohnung komplett und völlig verbietet. Mir ist das alles egal, da ich meine Wohnung eh nicht verlassen kann. Auch ich führe Krieg. Mein Gegner: Eine Amsel. Weiterlesen

Nix mit Privatsphäre

Recherche, das ist alles nur Recherche, behauptete ich als mein Nachbar Paul ein Paket bei mir abholen möchte und mich versteckt am Boden des Laubengangs sitzen vorfindet. Dass man an fremden Türen nicht zu lauschen hat, ist hinlänglich bekannt. Ebenso aber auch, dass Telefonate die auf Balkonen geführt werden, das Allgemeingut der gesamten Nachbarschaft sind. Seit ich weniger mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin und mehr zu Hause bleibe, bin ich an manchen Tagen um diese Telefonate recht froh. Auf meinem Balkon höre ich viele. Die meisten sind aber langweilig. Herr Krüger telefoniert mit seiner Mutter, Herr Meier mit seiner Schwester, das Russisch von Frau Iwanow verstehe ich nicht und die Bürogespräche auf den beiden Balkonen über mir interessieren mich nicht. Interessanter ist das Hinterhaus, dem ich auf dem Laubengang sitzend zuhören kann. Besonder kurzweilig ist es, seit Anfang April neue Bewohner eingezogen sind. Einer von ihnen ist Jan. Vielleicht erinnern sie sich an ihn – er hat uns während Corona mit Musik versorgt und ist seit dem der DJ unserer Abendstunden. Tagsüber nimmt er keine Musikwünsche an. Zwischen neun und fünf nutzt er seinen Balkon um dort ausführliche Telefonate zu führen. Jan ahnt es nicht, aber ich kenne ihn mittlerweile recht gut. Weiterlesen

Corona Home Office III

CANNELLONI, brülle ich über die Brüstung des Laubengangs gelehnt, quer durch unseren Innenhof. Frau Angermeier, die ihrerseits draußen auf ihrem Balkon steht zuckt mit den Schultern. Herrgott noch eins, die ist aber auch schwerhörig. CANNELLONI, brülle ich erneut, DAS SIND CANNELLONI! NUDELN! Mittlerweile wissen das komplette Hinterhaus und große Teile des Vorderhauses, was bei Frau Angermeier dank ihres schlechten Gehörs noch nicht angekommen ist. 

Mein Nachbar Paul erbarmt sich, stellt seinen Laptop ab und beugt sich ebenfalls über seinen Balkon, der mittig zwischen dem Laubengang und Frau Angermeiers Balkon liegt. CANNELLONI, FRAU ANGERMEIER, schreit er Luft holend, NUDELROLLEN. Frau Angermeier zeigt lachend einen nach oben gestreckten Daumen und zuckt dann mit den Schultern. Ich ahnte, dass ihr ein Päckchen Kartoffelbrei lieber gewesen wäre. Momentan gibt es aber manchmal grad das nicht, was sie auf ihre Einkaufsliste für mich notiert hat. Es ist aber immer noch genug in den Regalen und da ich der Meinung bin, dass eine 80ig Jährige wahrscheinlich kreativer als ich kochen kann und ich keine Lust hatte in der Mittagspause zu verschiedenen Supermärkten zu rennen, hat sie jetzt halt Cannelloni vor die Tür gestellt bekommen. Nur blöd, dass sie diese – in meinen Augen in den letzten Jahren eh völlig unterschätzte – Nudelsorte nicht kennt. Das Gebrülle geht weiter.

Ich: PAUL!….PAUL!?! – Paul unterbricht seine Arbeit und steht widerwillig auf. SAG IHR, DIE DARF SIE NICHT VORKOCHEN.
Paul: WAS?
Ich: DIE CANNELLONI DARF SIE NICHT VORKOCHEN.
Paul: BIST DU SICHER? DIE WERDEN DOCH NICHT GAR SONST.
Ich: WIE WILLST SIE DENN FÜLLEN, WENN SIE GEKOCHT UND LAPPRIG SIND?
Frau Angermeier: WAS SAGT SIE?
Paul: NIX
Frau Angermeier: JA DOCH. DIE PLÄRRT DOCH DIE GANZE ZEIT. WAS SAGT´S?
Unbekannter Nachbar: Könnt ihr bitte das Telefon nutzen?
Paul und ich: NEIN!
Frau Angermeier: ANGENEHM, ANGERMEIER. SIND SIE NEU IM HAUS?

Den Rest des Dialoges erspar ich Ihnen. Er dauerte noch etwas, weil Paul und ich uns nicht über die korrekte Zubereitung von Cannelloni einigen konnten. Drei Nachbarn bezeichneten uns im Laufe der Übereck Balkon-Laubengang-Kommunikation als Idioten und einer als Hornochsen (Herr Meier). Dafür wissen nun alle wie man Cannelloni mit Spinat und Ricotta Füllung zubereitet. Nur fürs Protokoll….nicht vorkochen!

Schandwuchs

Eine Schande für die Nachbarschaft, sei ich, ließ mich meine Nachbarin Frau Obst, bei meinem Einzugs wissen. Gefährlich weit beugte sie sich in jenem Jahr über die Brüstung ihres Balkons und warf entrüstete Blicke auf den meinen. Monierte sie sich sonst über meist über ein Zuviel – zu viele Fahrräder vor dem Haus, zu viel falsch sortierter Müll oder zu viel Lärm in der Mittagszeit – war es bei mir ein Zuwenig, das ihr ins Auge stach. Sie konnte nicht wissen, dass ich schnell die Seiten wechseln würde. Das meine Schande des nichts, ganz bald zur Schande des Zuviel werden würde. Auch ich hatte angepflanzt und sie musste sich keine Sorgen machen. Mein Balkon würde nicht leer bleiben. Er würde wie all die anderen prächtig und üppig bepflanzt das Haus verschönern. Nur im April, da schlief er noch. Da überließ er die Bühne den blühenden Bäumen, weil es sinnlos ist mit einem explodierendem Kirsch- oder Apfelbaum zu konkurrieren. So sinnlos wie meiner Nachbarin zu erklären, dass ich ihrem Wunsch nach Verschönerung ganz sicher entsprechen würde. Oder auch nicht, den Schönheit liegt im Auge des Betrachters und das Auge, das meinen Balkon im Blick behielt, gehört zu den besonders kritischen. Weiterlesen

Deutsch-italienischer Serotoninspiegel

Ich kann mich nicht bewegen – es ist zu heiß. Müde und schläfrig sitze ich auf einer Decke im Hinterhof und bemühe mich nicht einzuschlafen. Das darf ich nicht, weil ich auf zwei fünfjährige Zwillinge aufpasse. Denen macht die Hitze nichts aus. Sie rennen zwischen den Büchen hin und her und entern mit einer mir unbegreiflichen Energie immer wieder die Klettergerüste. Wahrscheinlich sind sie Hitze gewöhnt. Sie sind erst vor kurzem aus Süditalien nach München gezogen und ich bin der Babysitter weil ich italienisch spreche. Sagt zumindest ihre Mutter Alba, die mich vor einer Woche am Balkon auf italienische telefonieren gehört hat. Ich mach es ja gerne, nur heute ist es wirklich zu warm für zwei neapolitanische Energiebündel. Frau Hinteranger, meine Nachbarin lässt sich neben mir auf eine Bank fallen. Sehr monoton, raunt sie mir zu und deutet mit einer Kopfbewegung in Richtung der Balkone des Hinterhauses. Im grellen Sommerlicht welken auf den Balkonen ein paar müde Pflanzen vor sich hin und fünfunddreißig Grad warme Luft lässt vergessene Wäsche auf den Ständern erstarren. Ja, sehr monoton, stimme ich ihr zu und lehne mich mit geschlossenen Augen wieder zurück.  Nicht „sehr monoton“ sagt die Hinteranger und würgt den letzten Bissen ihrer Nussschnecke hinunter. Serotonin, wiederholt sie klarer und deutet jetzt präziser auf einen der Balkone, auf dem ein Wäscheständer rhythmisch wackelt und hinter dem leises Stöhnen bis in den Hof getragen wird. Das ist das Serotonin, erklärt sie, das macht die Mannsbilder geil. Stand heut erst in der Zeitung und da hat man es schon. Der eigebildete Gockel, grinst sie noch und macht sich dann daran, ihre Einkäufe zu erledigen. Ich bin mir nicht sicher um wen ich mich mehr sorgen soll. Um Frau Hinteranger, die mit ihren achtzig Jahren beschließt in der Mittagshitze Wasserflaschen durch die Gegend zu schleppen oder um mein Verhältnis zu Paul, das ich zu hinterfragen bereit wäre, wenn dieser tatsächlich seinen Serotoninspiegel am Balkon liegend, unter einem Wäscheständer regulieren würde. Leise stöhnt es im dritten Stock und ich beschließe mit den Kindern rein zu gehen, damit ich ihnen am Ende nicht noch erklären muss, was da los ist. Weiterlesen

Sommerräume

Mein Balkon und mein Laubengang sind mir heilig. Ich habe sie so gern wie meine Wohnung und betrachte sie von Frühling bis Herbst als zwei weitere, besonders schöne Räume. Öffentliche Räume, denn egal ob man will oder nicht, als Geheimnisträger eignen sich die Sommerräume nicht. Von allen Balkonen im Haus ist meiner der Wilde. Man sieht es von unten wenn man den Kopf in den Nacken legt und die Hausfront hinauf blickt. Bei mir ist nichts ordentlich, aber alles üppig. Schlampig nennt ihn Frau Obst, die den Kopf nicht in den Nacken legt, sondern sich täglich einmal gefährlich weit über die Brüstung lehnt um zu kontrollieren ob es vielleicht ordentlicher geworden ist.

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Schön gedacht

Eine Hummel brummt. So dicht neben meinem Ohr, klingt sie wie ein kleiner, dumpfer, nicht müde werdender Motor. Ein Geräusch, das nach Sommer klingt obwohl es erst Anfang April ist. Das vergesse ich leicht, weil Beine und Arme das erste Mal in diesem Jahr ohne Kleidung in der Sonne liegen und mir so warm ist, dass ich den Gedanken an ein Aufstehen schon seit über einer Stunde immer wieder verschiebe. Es schläft sich so leicht, hier in der Sonne. Es schläft sich so schön oberflächlich unter all den Geräuschen, die neben der Sonne wie eine zweite, ebenso schöne Decke sind. Eingehüllt in Wärme und Geräusche liege ich besonders gerne vor der Hausbank unserer Hütte im Wald. Im nahen Wald raschelt etwas, aber das ist keine Grund die Augen zu öffnen. In der Stille ist selbst ein Vogel oder eine Maus, die durch das Laub laufen so laut, dass man oft versucht ist an einen Menschen, der auf die Lichtung tritt, zu glauben. In all den Jahren kam noch nie ein Mensch durch den Wald zu unserer Hütte. Die kommen den Weg herauf und klingen ganz anders. Und doch glaubt man es jedes Jahr wieder: Da kommt einer durch den Wald. Kein Grund die Augen zu öffnen. Wenn einer kommt, dann wird er sich schon bemerkbar machen und nach dem Weg oder einen Schluck Wasser fragen. Die Bank auf der ich liege ist hart und das Holz drückt unangenehm an mein Schulterblatt. Kein Grund aufzustehen. Es ist zu warm und das Brummen der Hummeln dicht am Ohr, lädt ein, noch ein wenig zu schlafen und zu dämmern. Weiterlesen

Die fette Taube

Letzte Woche fing mich Herr Meier vor dem Haus ab und drückte mir einen  Meisenknödel in die Hand. Normalerweise bekomme ich von Herrn Meier nur Nüsse geschenkt. Ich war irritiert. Herr Meier auch. Weil ich nichts sagte und das selten bei mir vorkommt. Für die Taube, erklärte er mir und ich sagte noch immer nichts. Für die Tauben, murmelte ich irgendwann und er schüttelte ungeduldig den Kopf. Nicht für die Tauben, sondern für die Taube. DIE Taube, verstehst?, fragte er mich und ich verstand ihn nicht. Er nahm meine Hand. Wir würden jetzt hoch gehen und er würde den Meisenknödel an meinem Balkon anbringen. Ein Brett hätte er schon im Treppenhaus stehen. Langsam erkannte ich die Zusammenhänge. Der alte Meier wurde senil.  Mitte der Woche hatte ich ihn schon dabei beobachtet, wie er ein Brett an der Brüstung seines Balkons angebracht hatte und mich gewundert, was er mit dem scheußlichen Ding bezweckte. Am nächsten Tag befestigte er einen Ast und garnierte ihn mit Meisenknödeln. Im Hochsommer. Der arme alte Mann. Ich sah ihn mitleidig an und tätschlte seine Hand, in der er immer noch die meine hielt. Unwirsch schob er meine Hand weg und schubste mich stattdessen Richtung Haustür. Hopp hopp, er hätte nicht den ganzen Tag Zeit. Auch bei den Iwanows müsse er die Landebahn noch anbringen, deren Balkon grenze schließlich an die Zweige des Ahorns. Ich nickte verständig obwohl ich nichts verstand, weil ihm das bestimmt gut tat. Ein solches verständiges Lächeln. Weiterlesen

Aufgehoben und verschoben

Ob er schnell noch bei mir duschen könne, fragt er in einer SMS, die weder Begrüßung noch Verabschiedung enthält. Halb acht würde er schaffen. Der klügste meiner Freunde, muss sich nicht mit getippten Höflichkeitsfloskeln aufhalten. Nach all den Jahren sind sie unnötig. Respektvoll, höflich und liebevoll gehen wir seit einem Vierteljahrhundert dann miteinander um, wenn wir uns gegenüber sitzen. Das Telefon ist nur Mittel zum Zweck um eine Uhrzeit zu fixieren. Ich antworte ebenso knapp, ja natürlich und komme nicht auf die Idee, das Bad noch zu putzen. Er würde es nicht bemerken, auch wenn es seit drei Wochen nicht gewischt worden wäre. Dass ich mich freue, ihn zu sehen, auch wenn wir uns erst vor ein paar Tagen gesehen haben, schreibe ich nicht. Nettes, herzliches und warmherziges sage ich ihm, wenn ich ihn dabei anlächeln kann. Weiterlesen

Mamertus lacht

Für unsere Fahrt nach Italien müsse ich mir bezüglich unserer Sicherheit keine Sorgen machen, teilte man mir Anfang der Woche mit. Die Winterreifen seien noch nicht abgenommen und mit ihnen würden wir problemlos jedem Schneesturm trotzen. Da wir unsere Reise bereits am 19. Mai antreten war ich sehr erleichtert das zu hören. Als Münchnerin weiß ich, dass ein Reifenwechsel vor Ende Juni ein überaus leichtsinniges und geradezu fahrlässiges Unterfangen ist. Dem Wetter zwischen Donau und Trient ist es nämlich völlig egal, wann der ADAC einen Reifenwechsel empfiehlt. Mehr noch – ich bin sogar fest davon überzeugt, dass die Eisheiligen irgendwo in den Alpen hocken und sich einen Spaß daraus machen auf die ersten Idioten mit Sommerreifen  zu warten. Allen voran die kalte Sophie, die jedes Jahr scheinheilig grinst, wenn sie hört wie Bauernregeln zitiert werden. Nur noch wenigen ist bewusst, dass ihr Gedenktag ohne dem Wechsel zum gregorianischen Kalender dieses Jahr zum Beispiel erst am 23. und nicht schon am 15. Mai liegen würde. Obwohl es ihr vermutlich auch herzlich egal ist. Sie kümmert sich nicht um den Kalender sondern wartet wie die anderen Eismänner auf den Reifenwechsel der Bayern und schlägt dann noch einmal genüsslich zu. Weiterlesen