Annas Fäden – U-Bahn Gedanken

Fast wäre sie zerbrochen. Unsere Freundschaft. Es fehlte nur ein kleines Stück, vielleicht ein halbes Jahr und die Reste dessen, was sie zusammen hielt, wären uns durch die Finger gerutscht. Ohne dass wir etwas dagegen getan hätten. Anfangs hätten wir es vermutlich gar nicht gemerkt. Einer so langen Freundschaft wie der unseren unterstellt man, dass sie ewig anhält. Man erinnert sich an den Anfang und kann den Zeitpunkt an dem man sich näher kam noch ganz gut benennen, vermag aber nicht mehr zu sagen, wann man so nah zusammen rückte, dass eine Trennung unvorstellbar wurde. Seltsamer Weise sind es oft die besonders tiefen Freundschaften, die sich leise verabschieden. Sie sind ein so starkes Seil, dass es nicht auffällt, wenn die ersten Fäden sich lösen. Es gibt so  viele von ihnen, fest ineinander geschlungen, dass man den einen nicht vermisst und sich leichtsinnig auf die vielen anderen verlässt.Wir waren zwei. Schon immer oder doch schon so lange, dass viele uns gar nicht ohne unsere Freundschaft kannten. In und auswendig kannten wir uns. Verschiedenen genug um sich nicht zu langweilen und ähnlich genug um gemeinsam den stärksten Sturm standzuhalten. In manchen Jahren stand ich vor dir, in anderen versteckte ich mich in deinem Windschatten. Um uns herum änderte sich alles und blieb doch gleich, weil wir uns nahe blieben. Unvorstellbar, dass es nicht mehr so sein könnte.

Es war ein Sommertag als sie mich fragten wo du die letzten Samstage gewesen bist. Natürlich wusste ich es, konnte Auskunft geben und bemerkte doch das erste Mal die feinen gerissenen Fäden. Es ist leicht zu wissen, wo sich ein Mensch befindet. Ungleich schwerer ist es zu erahnen wie es ihn geht. Ich wusste es nicht. Saß in der Sonne, aß einen Happen, lachte und scherzte mit Freunden und fragte mich, warum ich nicht wusste, wie es dir ging.
Die Fäden reißen leicht. Ein paar Verabredungen zu viel abgesagt – macht ja nichts, man weiß ja wo der andere zu finden ist. Irgendwann fragt nicht mehr regelmäßig nach einer neuen, weil man ja zu glauben weiß, dass sie früher oder später sowieso wieder zustande kommt. Eine so enge Freundschaft braucht kein dauerndes Nachfragen. Sie hat Zeiten der Stille. Das ist normal. Wenn die Stille zu lange dauert und man sich nicht erkundigt warum, reißt ein feiner Faden. Weil einer nicht mehr fragen will und einer nicht mehr gefragt hat.

Immer sind es die kleinen Fäden die reißen. Auch in einer Beziehung. Da steht sie fest und verankert und keiner macht sich die Mühe, die feinen Risse im Fundament zu kitten. Was seit Jahren steht, das bricht nicht. Was Zwei seit Jahren zusammen hält, das reißt nicht. Und doch lösen sich die kleinen feinen Fäden beständig. Auch die von Anna. Anna, die ich noch nie sah und Anna, die ich glaube zu kennen. Ich kenne sie nicht. Kenne nur ihren Freund, der täglich mit mir S-Bahn fährt und der sie vor zwei Jahren mit so lieben Worten ins Bett schickte, dass ich mir sicher war, hier zweien zuzuhören, die sich sehr liebten. Monate später machte ich mir Sorgen, als ich hörte, wie er am Telefon mit trauriger Miene „ich dich nicht“ am Telefon sagte und ich fürchtete es könne Anna gelten und das Gegenstück zu den schönsten drei Worten sein. Ich weiß nicht, was oder wem die Worte damals gegolten haben, aber  ich sehe und höre, dass sich ihre Beziehung ändert. Das einst schöne und feste Seil, dass sie zusammen hält, ist an manchen Stellen schon ganz ausgefranst. Kleine Fäden lösen sich. Ich sehe es, wenn er während des Telefonierens, weiter die Zeitung liest. Wenn er ihr ins Wort fällt und wenn er aus dem Fenster blickend, die Augen verdreht. In der S-Bahn sitzt mir ein Mann gegenüber, der nur widerwillig ein Telefonat annimmt und den Namen „Anna“ wie zähen Kaugummi von einer Backe zur anderen schiebt. Möglich, dass sie eine schwere Zeit haben. Möglich, dass es sie unvorhergesehenes kräftig durchschüttelt- und rüttelt. Das geht den meisten Lieben so. Das Seil, das Zwei verbindet, reißt nicht selten im Sturm. Es ist extrem belastbar und erstaunlich dehnbar.

Nur der Alltag und die kleinen Unachtsamkeiten, die man für unwichtig hält und leicht übersieht, die schaffen es häufig, das Seil zu zerstören. Faden für Faden löst es sich. Man merkt es nicht. Andere merken es nicht und ein kleiner gerissener Faden hat noch kein Seil kaputt bekommen. Und doch – wenn es nur genug Fädchen sind, wenn man nur genug schabt und kratzt – dann schafft man es. Die Zeit ist hier kein guter Freund.

Heute sagte er am Telefon zu Anna, dass es gerade blöd ist. Man sah ihm an, dass er nicht reden wollte. Aber dann lächelte er und sagte mir warmer und weicher Stimme, dass er einfach ein wenig Zeit brauchte. Ich weiß nicht wofür und ich weiß nicht wie lange. Ich bin ja nur ein stiller Zuhörer. Sein Lächeln aber war so warm und weich, wie am Anfang. Auch wenn Anna es nicht sah, mit seinem Lächeln knüpfte er ein paar neue Fäden. Das ist ebenso leicht, wie das Zerreißen und das ist ein großes Glück.

9 Gedanken zu “Annas Fäden – U-Bahn Gedanken

  1. Liebe Mitzi,
    die Sache mit den Fäden haben Sie sehr schön beschrieben. So kann es passieren. Ich habe gerade erlebt, wie jemand eine Schere genommen hat und alle Fäden gleichzeitig durchgeschnitten hat. Auch das kommt vor.
    Aber was ich eigentlich sagen wollte, dass es für mich immer noch etwas ungewohnt ist, überhaupt in der Öffentlichkeit Beziehungsangelegenheiten mitzuerleben. Vor dem Handyzeitalter war man darauf angewiesen, dass man in einer Kneipe, einem Restaurant oder anderen Lokalitäten mitanhören konnte, wie zwei Menschen sich etwas lautstärker über Beziehungsfragen auseinandergesetzt haben.
    Das hatte allerdings den Vorteil, beide Seiten zu hören. 😉
    Ich drücke Anna und ihrem Freund die Daumen, dass beide davon überzeugt sind und es realisieren, die Fäden in der Hand zu halten, (oft tut es nur einer) und dass beide am gleichen Strang ziehen.

    Gruß Heinrich

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Heinrich, das Bild mit den Fäden passt recht oft. Leider auch das mit der Schere. Bei einer so gewaltsamen Auflösung, wird das Flicken schwer bis unmöglich.
      Ich drücke die Daumen mit Ihnen. Für Anna und für ihren Freund. Vielleicht ist es ganz gut, nur eine Seite zu hören. Ein Gespräch wäre womöglich schrecklich langweilig….da kann man sich nichts vorstellen ;).
      Herzliche Grüße

      Gefällt 1 Person

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