Wein und ein Award

Guten Morgen und herzlichen Dank für den schönen Abend gestern. Fast wären mir die Blumen ausgegangen und ich bin froh, dass die Pasta für alle gereicht hat. Es ist spät geworden und wie so oft, bleiben am Ende ein oder zwei übrig, die sich nicht vor die Tür setzen lassen. Als müder Haufen sitzt man in der Küche, kann die Augen kaum noch offen halten und steht nur nicht auf, weil man selbst dafür schon zu müde ist. Gestern Abend waren wir zu dritt. Eigentlich nur zu zweit, denn nicht Chris, sondern seine Fragen, die er mir im Rahmen des „Liebster Awards“ gestellt hatte, lagen vor mir auf dem Tisch.

Man sollte Kettenbriefe jeder Art mit wachem Geist, bierernst und keinesfalls kurz vor dem Einschlafen beantworten, höre ich ihn flüstern und wundere mich nicht, dass er als Einziger noch neben mir sitzt. Weinernst, widerspreche ich, das letzte Bier hatte sich schon einer genommen und mag den Sarkasmus in seiner Stimme nicht. Es ist kein Kettenbrief, es ist eine hübsche kleine Aufmerksamkeit und bereitet mir jedes Mal Freude. Er zuckt mit den Schultern, beugt sich über meine Schulter und liest die Fragen, bevor er auf die erste tippt. Hörst du auf dein Herz oder auf deinen Kopf? Schreib, auf Niemanden. Ich bin ein stures, unbelehrbares Weibsbild, sagt er und ich schiebe ihn lachend von meiner Schulter. Auf meinen Bauch, das ist die richtige Antwort. Denn dort sitzt meine Seele. Ich hab sie schon einmal gesucht. Er lässt sich neben mich fallen und erinnert mich daran, dass ich zu oft Bauchschmerzen habe. Ob gerade mein Bauch ein guter Platz für die Seele ist, höre ich ihn fragen und nicke. Beides tut manchmal weh. Es macht Sinn sie am gleichen Ort zu verstauen, dann hat der Rest seine Ruhe. Was verstehst du unter “Glück”? fragt er und liest  die zweite Frage vor. Das ist einfach. So einfach wie echtes Glück für mich ist. Ich bin glücklich, wenn ich nicht unglücklich bin. Zu einfach, murmelt er und liest die dritte Frage vor. Gehst du Risiken ein, um Ziele zu erreichen, oder wählst du den sicheren Weg? No risk, no fun, fügt er an und ich verneine. Ich würde gerne den sicheren Weg gehen, biege aber regelmäßig falsch ab. Nicht unbedingt um ein Ziel zu erreichen. Ich habe erbärmlich wenig Ziele im Leben. Diesmal schüttelt er den Kopf und erinnert mich an Entscheidungen die voller Risiken waren und doch getroffen wurden. Vielleicht hat er recht. Ich wünsche mir einen sicheren Weg, nehme aber notfalls auch den unbequemen. Nicht zufällig, sondern ganz bewusst. Wenn auch widerwillig.

Ich nehme mir die nächste Frage von und sehe, dass niemand mehr an meiner Seite sitzt. Es interessiert ihn nicht, welche Sprache(n) ich gerne lernen würde und wieso gerade diese? Obwohl es viele Sprachen wert wären sich mit ihnen zu beschäftigen, fehlt mir im Moment die Zeit und die Muse. Irgendwann vielleicht etwas exotisches. Einfach nur, weil es hübsch klingt.
Social Media – Segen oder Fluch? Mehr Segen als Fluch. Ich gehöre zu der Generation, die nicht wieder umdreht, wenn sie ihr Smartphone zu Hause vergessen hat und die sich herzlich wenig um die Anzahl von Twitter-Followern oder Instagram likes kümmert. Genauso wenig wie ich wissen möchte ob mein Partner nachts um drei noch online war. So etwas könnte dann doch ein Fluch sein. Es interessiert einen nicht, aber man würde dann doch gerne wissen, womit er sich mitten in der Nacht beschäftigt hat. Oder die gute Freundin, die nicht auf eine Frage antwortet obwohl man doch sieht, dass sie beständig online ist. Ein Segen, aber man muss lernen mit ihm umzugehen.
Träume – nur Fiktion oder steckt mehr dahinter? Da eine ganze Menge dahinter. Wir verarbeiten im Traum das was uns beschäftigt. Träumen hilft uns das Erlebte einzuordnen oder überhaupt zu ordnen. Sie helfen bei der unbewussten Lösungsfindung und eine Theorie besagt,  dass wir uns in Träumen auf Situationen vorbereiten und praktische Fähigkeiten trainieren, die wir später brauchen. Oft bestehen sie aus Fiktion. Meistens so gar. Aber grundlos werden die wenigsten Träume geträumt.

Was hilft dir am besten dabei, abzuschalten? Höre ich seine Stimme und freue mich, dass er gerade in dem Moment zurück gekommen ist, als ich müde werde. Auch er ist müde. Ich sehe es an den Schatten unter seinen Augen und höre es in seiner Stimme, die müde immer etwas dunkler und rauer wird. Schlafen, lesen, Freunde treffen oder ein Spaziergang an der Isar schlägt er vor und ich stimme ihm zu. Ich schalte schnell und leicht ab, fährt er fort. Etwas worum er mich immer beneidet hat. Ich bin zu müde um ihm zu widersprechen. Er weiß, dass es Blödsinn ist. Ich schalte nie ab, bin aber gut darin unangenehmes tief in meinem Bauch zu vergraben. Der tut dann weh, aber wenigstens habe ich Kopf und Hände frei. Spontanität oder feste Planung? fragt uns Chris und wir zucken mit den Schultern. Gut geplant und dann spontan ganz anders ausgeführt? Gibt es einen Film, der dich wirklich berührt hat und wenn ja, welcher und weshalb? Er möchte antworten, aber ich halte ihm den Mund zu, weil ich seine Antwort kenne. Sie ist  nicht meine. Meine lautet „Magnolien aus Stahl“ und ich sehe  wie er mich ungläubig und amüsiert mustert. Dieser Film hat von allem zu viel. Zu viel Zucker, zu viel Dramatik, zu viele Blumengestecke und zu viele Frauenhauptrollen. Zugleich hat er eindeutig zu wenig Handlung. Und doch ist er einfach nur großartig. Wenn man mal so richtig weinen möchte, sich der Kloß im Hals aber nicht lösen möchte, dann ist dieser Film genau richtig. Man heult sich die Augen aus und muss ganz am Ende wieder lachen. Er hat den Film nie gesehen und schon beim Wort „Zucker“ die Augen verdreht. Glaubst du an das Schicksal? nehmen wir uns die letzte Frage vor und gähnen. Absolut sagt er und ich nehme mir den letzten Schluck Wein bevor ich mich an ihn lehne. Nur Feiglinge bemühen das Schicksal, widerspreche ich ihm. Sie nutzen es als Ausrede um sich dem Leben und die Entscheidungen die es mit sich bringt nicht stellen zu müssen. Ich stehe auf und räume die Gläser in die Spüle. Mein Schicksal ist es, mir die Nächte mir ihm um die Ohren zu schlagen und Fragen zu beantworten. Das könnte ich antworten. Es wäre gelogen. Beides ist meine freie Entscheidung und wäre ich nicht so müde, würde ich  heraussuchen was Sartre über die Absurdität des Schicksals geschrieben hat. Heute fällt mir dazu nur noch Camus ein. Der schrieb über die verborgenen Freuden Sisyphos, dass dessen Schicksal ihm gehöre. Sein Fels ist seine Sache. Mein Fels ist wieder verschwunden, ich wurde ihm zu sentimental.

Vielen Dank, lieber Chris.
Das letzte Glas haben wir auf dich getrunken!

16 Gedanken zu “Wein und ein Award

  1. Liebe Mitzi,
    danke für diesen schönen Text. Ich fühle mich, als ob ich in eine weiche Decke gekuschelt auf dem Sofa liege und den Brief einer lieben Freundin lese. Obwohl ich auf meinem (wirklich sehr bequemen) Schreibtischstuhl im Arbeitszimmer sitze. Ich lächele vor mich hin und freue mich, dass es Menschen gibt, die Texte schreiben, die die Seele berühren. Egal, wo genau sie wohl sitzen mag. Vielleicht wandert sie ja auch immer ein bisschen herum und sucht sich ein schönes Plätzchen.
    Herzliche Grüße, Vimala

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    1. Und ich, liebe Vimala, weiß bei solchen Kommentaren warum ich so gerne hier schreibe.
      Das Lob freut mich, aber zu hören, dass meine Texte eine Seele berühren können….das berührt die meine und hallt lange nach.
      Liebe Grüße und ich beneide dich um deinen bequemen Stuhl. Meine Holzbank ist es leider gar nicht.

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  2. In eine schöne Geschichte hast du Chris‘ Fragen da eingebettet, so stimmungsvoll und passend. Für solch tiefschürfende Fragen eignet sich diese Stunde, wenn das rauschende Fest vorbei ist, am besten. Mit einem Glas Wein in der Hand … Kommt mir so bekannt vor. Und die Überlegung zu den Bauch- und Seelenschmerzen gefällt mir besonders gut. Das hat was. Erklärt so Einiges, wenn die Seele wohl immer im Bauch sitzt.

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    1. Es sind schöne Momente, wenn fast alle Gäste gegangen sind und die letzten Tropfen noch getrunken werden. Wenn es dann still wird, fühlt es sich an, als würde das Lachen und das Reden vor eben, noch im Raum schweben.
      Ich bin gespannt, deine Antworten zu lesen. Oder hast du schon und ich hab´s übersehen?
      Liebe Grüße

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      1. Ich sitze darüber und liefer übernächste Woche, denk ich. Mehr als einen pro Woche zu bearbeiten oder veröffentlichen, das ist kontraproduktiv. Bis dahin habe ich hoffentlich vergessen, wie du es geschrieben hast. Sonst wird es eine verschämte Angelegenheit. 🙂

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      2. Ach, dann sagen wir einfach, dass wir gemeinsam in meiner Küche saßen. Soll uns mal einer das Gegenteil beweisen
        Außerdem glaube ich nicht, dass dich „Magnolien aus Stahl“ so fesseln wie mich 😉

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      3. Banause!
        Ich sag jetzt nichts dazu…man steht ja hier irgendwie in der Öffentlichkeit. ;).
        Aber bitte, bitte zerstöre mein Bild von dir nicht, indem du dich als Fan von 50 shades of Schwachsinn outest. Es ist so unglaublich grottenschlecht geschrieben.

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  3. Nun bin ich sprachlos. Du hast es geschafft, dass ich mich neben dir in deiner Küche sitzen sah, müde und dennoch hellwach, um keine Sekunde deiner wundervollen, fesselnden Geschichte zu verpassen, der meine volle Aufmerksamkeit galt. Vielen Dank für deine schönen Antworten, die mich gleich wieder zum Nachdenken anregten und den Liebster Award zu weit mehr machen, als bloß einen „Kettenbrief“.
    Daher muss ich nun trotz des Katers vom gestrigen Abend eine Flasche Wein öffnen, der auf dich getrunken wird 🙂

    Liebe Grüße
    Chris

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