Mit der Strenge einer, über Jahre ausgebildeten Domina sage ich: „Nein.“ Ohne Ausrufezeichen und ohne Erklärung sage ich das schlichte Wort in einer einschüchternden Ruhe und bleibe bewegungslos vor der Türe meiner Nachbarn stehen. Die beiden Studenten sehen mich fragend an und weil sie eine solche, fast wortlose Strenge angesichts ihrer jungen Jahre wohl noch nicht deuten können, zeige ich nachsichtig lächelnd zu dem Raum, der sich genau über meinem Schlafzimmer befindet. Noch einmal sage ich klar und deutlich nein und wende mich ab. Ich spüre ihren Blick deutlich in meinem Rücken und drehe mich noch einmal um, weil sie wirklich schwer von Begriff sind. Nein, oder ich tue ihm weh, sage ich und ob sie das verstanden haben, frage ich. Auch das sage ich ganz ruhig und mit einem Lächeln auf den Lippen. Meine Nachbarn lächeln nicht, aber sie nicken. Wenn ich kurz davor bin, jemandem den Hals umzudrehen, dann lächle ich ein Lächeln von dem meine engsten Freunde behaupten, dass sie davon eine Gänsehaut bekommen.Meine Freunde kennen mich als ziemlich ausgeglichenen Menschen. Das meiste, über das man sich aufregen könnte, lässt mich kalt. Letztes Jahr an Weihnachten zum Beispiel verwandelten sich mein Wohn- und mein Schlafzimmer in eine Mischung aus Bordell und schrägem Technoclub. Geschuldet war dies, der etwas ausufernden Weihnachtsdekoration der Nachbarn auf der anderen Straßenseite. Der eine hatte eine grellpinke Lichterkette installiert und wenn bei mir nur Kerzen brannten, dann waren meine Räume in schummriges rosa Licht getaucht. Das klingt vielleicht ganz hübsch, ist es aber nicht. Nicht, wenn die pinke Lichterkette rot, pink, rosa, lila in einem Rhythmus blinkt, der entfernt an den Takt von „Er gehört zu mir“ erinnert und die ganze Nacht über in Betrieb ist. Freunde die in diesen Wochen zu Besuch kamen, klagten über Kopfschmerzen und die Raucher unter ihnen bescheinigtem den ungleichmäßigem Blinken eine hypnotische Wirkung. Ergänzt wurde die Dekoration von einem anderen Nachbarn, der weder Kosten noch Mühe gescheut hatte und in seinem Erdgeschossfenster ein Gerät installierte, das den Gehweg und große Teile der Straße mit tausenden von kleinen rosa und grünen Lichtpunkten illuminierte. Ein schönes Gerät, muss er sich gedacht haben. So schön, dass sicher auch das gegenüberliegende Haus an den grellbunten Punkten Freude hat. Hatte es. Bis in den zweiten Stock zu mir. Der mutigste meiner Freunde, war über Weihnachten zu Besuch und nickte anerkennend mit dem Kopf. Selten sah er bisher eine Privatwohnung, an deren Wänden sich hunderte rosa und grüner Laserpunkte tummelten. Wir mochten es. Nur wenn einer der Strahlen direkt in das Auge fiel, dann sah man für ein paar Sekunden nichts mehr, weil die Lichtmaschine wirklich ordentlich Power hatte. Tolerant wie wir sind, stellten wir uns im Bett liegend vor, dass es eben bunte Sterne wären, die um uns herum leuchtetn und waren nach ein paar Gläsern Tee mit Grappa – zur Erkältungsvermeidung – überzeugt, dass man im bunten Licht auch den großen Wagen und Orion entdecken konnte.
Der mutigste meiner Freunde und ich, mögen hässliche Weihnachtsdekorationen. Manchmal gehen wir weit nach Mitternacht noch einmal raus, laufen durch die Straßen und bleiben vor besonders grellen Fenstern stehen. Dann muss ich ihn, der seit bald zwanzig Jahren in Italien lebt, daran erinnern, dass er sich gerade in München befindet. Dann wenn er dröhnend lacht, zu einem geschmückten Balkon deutet und mit lauter Stimme verkündet, dass sich so eine Dekoration nur echte Freaks an und um die Fenster klatschen. Dann vergisst er, dass Deutsch in München von den meisten recht gut verstanden wird und wir winken dem, auf dem Balkon rauchenden Dekorations-Verursacher, entschuldigend zu. Mit zwei Sprachen kommt man schon mal durcheinander.
Abgesehen von sprachlichen Missverständnissen sind aber sowohl der mutigste meiner Freunde als auch ich eigentlich sehr nett. Es gehört viel dazu, mich zur verbalen Domina werden zu lassen. Man schafft es, wenn man einen, einer Theateraufführung würdigen Suizid vor meinem Schlafzimmerfenster nachstellt. Meine Nachbarn machten genau das. Um den dritten Advent herum wachte ich nachts auf und nahm einen Schluck Wasser aus der auf dem Boden stehenden Flasche neben dem Bett. Als ich mich schläfrig wieder in meine Decke einwickelte und noch einmal das Kopfkissen in Form knüllte, sah ich hinter dem Vorhang vor meinem Fenster, die Umrisse eines fetten Mannes, der dort hing. Um seinen Hals ein Strick. Im Winterwind baumelte sein Schatten sanft vor meinem Fenster. Ich schrie vor Schreck so laut, dass sich meine Nachbarin Judith am nächsten Morgen erkundigte, ob ich schlecht geträumt hätte. Sie hätte sich mal lieber gleich in der Nacht erkundigt. Ich saß nämlich minutenlang in meinem Bett und traute mich nicht, die Vorhänge zurück zu ziehen, um den vermeintlich Toten näher in Augenschein zu nehmen. Als ich es dann doch tat, schrie ich ein zweites Mal und begann dann hysterisch zu lachen. Meine Nachbarn haben einen fast lebensgroßen Weihnachtsmann von ihrem Fenster aus nach draußen gehängt. Weil sich die Strickleiter, an der dieses scheußliche Ungetüm eigentlich hängen sollte, löste, haben sie ihm einfach einen Strick unter die Achseln gebunden und ihn so befestigt.
Am nächsten Tag schon fragte ich sie, die beiden italienischen Studenten, ob sie noch alle Tassen im Schrank hätten. Im Halbdunkel der Straßenlaterne sähe es aus als hätte sich Babbo Natale, der italienische Weihnachtsmann, vor meinem Fenster erhängt. Als sie lachten wurde ich deutlicher und wechselte die Sprache. Der fette Mann müsse weg. Sie können ihn gerne auf ihren Balkon setzen, seinen Suizid vor ihrem Küchenfenster nachstellen oder ihn, was ich empfehlen würde, schlicht und einfach im Müllhäuschen entsorgen. Es ist mir völlig egal, solange er nur nicht vor meinem Fenster hängt. Sie ignorierten mich.
Seit dem traue ich mich nachts und kurz vor dem Einschlafen nicht mehr die Augen zu öffnen. Vor meinem Vorhang bewegt sich ein Schatten, dessen Form überhaupt nicht mehr an Babbo Natale erinnert. Längst glaube ich, mitten in der Nacht ein boshaftes Lachen zu hören und kippe mein Fenster nicht mehr. Heute Abend werde ich dem mutigsten meiner Freunde schreiben. Babbo Natale hängt vor meinem Fenster, werde ich schreiben. Wir müssen ihn töten, bevor er uns erwischt. Am 24.12 kommt er. Dann wird Babbo Natale sterben. Ich habe sie gewarnt.
Dat kenne ich!
SACKGESICHT-ALARM!
Heute mittag. 13:11 Uhr.
Ich denk an nix Schlimmet, fahre entspannt heim, Radio an,
freu mich auf wat Leckeret, biege in meine Straße ein….
Und plötzlich erfasst mich dat Grauen!
Ich erblicke dat erste kletternde Sack-Gesicht des Jahres! Baumelnd im Regen.
Et is mal wieder soweit!
Diese rote Sackgesichter-Seuche, die ich im Laufe des Jahres
komplett verdrängt habe, hat nun wieder ihre Hoch-Zeit.
Ein klarer Fall für die Geschmacks-Polizei!
Ich bin für Abschießen.
Gnadenlos.
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Lieber Lo….wir haben immer einen Platz für einen guten Jäger frei ;).
Ich frage mich auch, wie diese Monstrümmer es geschafft haben, in einer so großen Menge die Balkone und Hausfronten zu überschwemmen. Gerade im Regen sind sie ein unglaublich trauriger Anblick.
Da lob ich mir die schlichten Lichterketten und drinnen auch gerne Kugeln, Sterne oder was auch immer. Nur kein Sackgesicht 🙂
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Schlechter Geschmack verbreitet sich stets rasend schnell. Es mag ja sein, dass die ersten hängenden Sachgesichter vor sehr, sehr langer Zeit noch als originell empfunden wurden. Aber so etwas nutzt sich doch ganz schnell ab.
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Da bin ich ganz bei dir.
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Zounds! Woher hast du denn die „Strenge einer über Jahre ausgebildeten Domina“, liebe Mitzi? Ich hoffe nicht aus jahrelanger Ausbildung 😉 Der Grund deiner strengen Verneinung ist aber nachvollziehbar. Was ist das für ein seltsamer Brauch, sich unförmige Weihnachtsmänner ans Fenster oder an den Balkon zu hängen? Ermunterung und schlechtes Beispiel für Einbrecherbanden? Oder aber als Gehängte, um die liebe Nachbarin zu erschrecken. Was du vorhast, ist jedenfalls Notwehr.
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Imagination, lieber Jules und keinerlei Praxiserfahrung ;).
Danke für deine Einschätzung, dass es sich um Notwehr handelt. Auch mir ist ein Rätsel, wie diese fetten Kerle ein Brauch werden konnten. Zumal sie, wenn überhaupt, doch an Kaminen hängen müssten. In den Kaminen…damit könnte ich leben.
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Liebe Mitzi,
ich würde den Babbo Natale SOFORT abschneiden!
Warum?
Ganz logisch! 2 männliche Wesen (auch noch Italiener!), die so einer bezaubernden Frau wie Ihnen nicht nur einen Wunsch abschlagen, sondern sie sogar ignorieren, sind keine harmlosen Studenten. Die sind entweder beim Geheimdienst oder Auftragskiller der Mafia. Der Babbo dient als Zeichen, als Hinweis oder enthält sogar Explosives und wird vermutlich ferngesteuert ausgelöst, weil demnächst ein verfeindeter Boss einer anderen Familie durch ihre Straße fährt. Dann geraten SIE auch noch in den Verdacht, die Attentäterin zu sein! Also SOFORT weg mit dem Ding – ode kürzen Sie das Seil, damit er vor dem Fenster der angeblichen Studenten hängt!
Ich bin entsetzt, in was Sie da hineingeraten sind!
Gruß Heinrich
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Lieber Heinrich, wie gut, dass Sie hinter die harmlose Kulisse der Wohnung über mir geblickt haben. Ich werde die Herren im Blick behalten. Natürlich erst, nachdem ich mich sofort – jetzt sofort – um Babbo gekümmert habe. Sie entschuldigen mich….ich mache das besser umgehend.
Herzlichst Ihre Mitzi, die Sie vermutlich vor schlimmerem bewahrt haben. DANKE
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Als das anfing mit den kriminellen (weil anscheinend einbrechenden) Weihnachtsmännern, habe ich einmal unserer Haus“gemeinschaft“ gedroht, ich werde eine solche Puppe mit einem Strick um den Hals von meinem Balkon baumeln lassen, wenn sich jemand erdreistete, seinen Balkon mit einem solchen „Sackgesicht“ zu verunstalten. Die Nachbarn habe ich damit anscheinend nachhaltig beeindruckt, denn die Weihnachtsmänner hängen, wenn überhaupt, nur im Hinterhof, wo der Blick sowieso nur auf Mülltonnen fällt.
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Es beruhigt mich, dass nicht nur ich bei diesen Gesellen eine gewisse Konsequenz an den Tag lege.
Ich stimme dir zu…wenn überhaupt, dann hinten raus. Die Nähe zu den Mülltonnen ist passend.
Über die Puppe habe ich geschmunzelt. Schlag sie mit ihren eigenen Waffen…
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Hm. Es hat offensichtlich doch Vorteile in einem Stadtteil zu wohnen, in dem der muslimische Anteil der Bevölkerung in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist.
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Ja, so ein Stadtteil hat im Advent einen großen Vorteil.
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Oh, kommt das Hackebeil zum Einsatz?
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Mit bloßen Händen.
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Braves Mädchen.
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Gratuliere, die erste Weihnachtsgeschichte, die mir gefällt.
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Die einzige? Bei der aktuellen fülle auf WP, nehm ich das als schönes Kompliment.
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Ich grüble schon den ganzen Nachmittag ob so eine Domina, noch dazu eine erfahrene und ausgebildete nicht Freude hätte an einem vor dem Fenster Baumelnden ……..
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Ach ich denke mal ….ja.Wenn man sich einig ist..lol.
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Spricht da eine Expertin 🙂
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Nein …nur hineingedacht in die Leute
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🙂
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Hm….ich führe diesen Gedankengang schmunzelnd weiter 😉
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Seltsame Gestalten im Dunkel können furchterregend sein *lach*
Toller Weihnachtspost!
Liebe Grüße zur Nacht vom Lu
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Danke, Lu. Dir und deinen Lieben schöne Tage.
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Dankeschön *freu*
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Liebe Mitzi, ich habe es doch gewusst, dass uns Ähnlichkeiten in die Wiege gelegt wurden. – Ich flippe hier vor Ärger über eine flackernde Ganz-Balkon-Beleuchtung aus, die mir ebenfalls in mein Zimmer leuchtet. Zum Glück nur ins Wohnzimmer. Wäre es das Schlafzimmer, würde ich zum Stromkabelmörder werden.
Und tschüss sagt Clara
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Schwester im Geiste – es ist schon ein Graus. Aber wie du schreibst….Glück im Unglück. Im Schlafzimmer würde sich der Horror noch verdoppeln.
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heute habe ich den reader geöffnet und mir gedacht: an meinem letzten arbeitstag vor den feiertagen wünsche ich mir noch einen text von mitzi. ich danke dir von herzen, dass du mich nicht enttäuscht hast. für dein gruselmonster vor dem fenster wünsche ich dir die nächsten tage noch viel kraft. lass dich bloß nicht entführen oder was ein suizidaler bobbo natale sonst so macht!
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:-* Das freut mich! Und ich danke dir für das lesen und mitempfinden so vieler meiner Erzählungen.
Babbo Natale ist übrigens weg :)))))
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Ach Mitzi…ist das wieder wunderbar zu lesen gewesen. Ich schrieb lange nicht hier und zwischendurch fragte ich mich schon== ob Mitzi noch da ist wenn ich bei WP wieder mal vorbeischaue?Und wieso Mitzi?Was ist das für ein schöner Name —setzt er sich aus zweien Zusammen oder ist es der Tatsächliche?Das würde ich sie fragen…….und jetzt hab ich es schön getan.Hab einen schönen Tag ,liebeMitzi.
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Hallo Pamela, ich habe dich im Reader schon entdeckt und mich gefreut. Noch bin ich nicht zum Lesen gekommen, aber das werde ich nachholen.
Mitzi ist die Kurzform von Maria. Meine Großtante hieß so und ich mag die Koseform.
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Ein äußerst vergnüglicher Artikel.
Ich hoffe, dieser Babbo baumelt heute nicht mehr vor Ihrem Fenster. Ansonsten hätten Sie jedes Recht, beunruhigt zu sein … 🙂
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Ich kann verkünden: Babbo Natale ist weg.
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Ich mag den Pragmatismus deiner Nachbarn, dass es etwas unbeholfen aussieht nun jaaa…. Du hast ja Abhilfe geschaffen? (Schlafbrillen sind etwas wundervolles!) Aber ich hätte mich vermutlich auch tierisch verjagt. Tröstet es dich wenn ich dir sage, dass hier nahezu jedes Zimmerfenster blitzte und blinkte? Ich fühlte mich mehr auf der Reeperbahn wieder als in Dublin.
Ps: Ich bin gerade dezent irritiert, ich dachte die Italiener feiern immer am 6. Januar Weihnachten mit der Ankunft der heiligen drei Könige…. und ähm was wurde aus der Hexe Befana?
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Babbo Natale ist von alleine verschwunden. Mein Freund aus Italien war enttäuscht. Er hatte den Artikel gelesen und sich schon gefreut.
Bald dürfte die Reeperbahn aus Dublin auch wieder verschwinden. 😉
Die Befana gibt’s immer noch und bringt die Geschenke. Meine Freunde feiern aber auch Weihnachten am 25. Ob es für die Kinder zwei Mal Geschenke gibt weiß ich gar nicht. An Weihnachten bin ich immer heim nach Deutschland gefahren.
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