Sommer im Nacken

Auf meinen Schultern sind vier neue Sommersprossen. Auf der Nase drei, auf der Stirn sieben und gestern Abend habe ich am Knöchel und am Bauch jeweils eine neue entdeckt. Jedes Jahr im Juli kommen ein paar winzige, hellbraune Punkte dazu und obwohl ich sie schon lange nicht mehr zählen kann, glaube ich dass es noch immer etwa zwanzig Stück jährlich sind. Ich mag meine Sommersprossen. Besonders die eine, goldbraune, die ich im rechten Augen habe und von der ich weiß, dass es eigentlich keine ist. Früher waren meine Augen nur grün. Seit ich einen Sommer auf Elba verbracht habe, ist im grün ein kleiner goldener Fleck. Die Sonne in die ich so oft geblinzelt habe, hat ihn mir als Erinnerung geschenkt, als die Schatten länger wurden und die Bäume in München ihre Blätter verloren. Der kleine Fleck hat die gleiche Farbe wie die Lederriemen meiner Sandalen, die ich in diesem Sommer getragen habe. Schuhe, die eigentlich keine sind und die man nur trägt, um sich auf dem Asphalt keine Brandblasen an den Füßen zu holen. Nachts nimmt der Fleck die Farbe von Espresso an. Der diente als Frühstücksersatz, weil es schon um sieben über dreißig Grad hatte und wir in diesen Tagen meistens erst um zehn Uhr abends etwas aßen. Gerne Pizza, deren Rand an manchen Stellen auch goldbraun war.

Die Sommersprosse am rechten Handgelenk ist heller und ich habe sie aus Verona. Sie muss heller sein, da auch der Sommer in der Stadt viel heller als der auf der Insel war. Weder das Meer noch Bäume oder Büsche boten in Verona einen Kontrast. Alles war gleißend hell. Im Sonnenlicht grell leuchtender Marmor, hellgelbe, weiße und ockerfarbene Hausfassaden und die Steinstufen am Flußrand. Dort blinzelte ich nicht in die Sonne. Ich versteckte mich hinter einer großen Sonnebrille und trage die Erinnerung an diese Tage hinter den Ohren am Halsansatz. In Verona war es viel zu warm für offene Haare und meine mitgebrachten Sommersprossen haben sich auch im Nacken und am Rücken angesiedelt. Sie erinnern mich auch an den mutigsten meiner Freunde, der noch immer in der gleißend hellen Stadt lebt. Ruft er mich im Sommer an, fragt er wie es der Sommersprosse an meinem linken Schulterblatt geht. Er hat sie für sich beansprucht, weil er sie gerne küsste als wir uns noch küssten und gemeinsam in der hellen Stadt lebten. Es geht ihr gut. Der Sommersprosse. Auch den anderen, die alle ihre eigene Geschichte erzählen. Die am kleinen Zeh habe ich vom Balkon des besten meiner Freunde. Dort sitze ich jedes Jahr unzählige Stunden und halten die Beine in die Abendsonne während wir uns alles und nichts erzählen, bis der letzte Tropfen Wein getrunken ist. Sie ist dunkler als die anderen, weil auch die Sonne dort am Balkon meist schon tiefer steht. Die über den Augenbrauen sind von den Urlauben mit meiner Freundin und jede einzelne von ihnen steht für ein Lachen. Das, das wir lachen wenn wir ankommen und egal wie spät es ist, sofort ins Meer laufen müssen. Und das, das wir lachen, wenn uns die Wellen umwarfen. Auch das, das wir lachen, wenn wir genug vom heulen hatten und entschlossen und gestärkt wieder in die Sonne blinzeln. Die an der Hüfte habe ich von der Fensterbank von einem, der nicht mehr da ist. Er hatte keinen Balkon und wir saßen im Sommer oft auf seiner Fensterbank. Ein Bein draußen, eines drinnen. Die Sonne traf nur meine rechte Hüfte und die kleinen hellbraunen Flecke sind genau dort, wo beim Einschlafen auch immer seine Hand lag. Bestimmt waren an seiner linken Hüfte auch Sommersprossen. Ich habe sie nur nie gesehen, weil seine Haut zu braun war.

Meine Sommersprossen vermehren sich immer, wenn München nach Italien riecht. Wenn die Luft spätabends noch schwer und warm ist und der Wein schneller als an anderen Abenden in den Kopf steigt. Gestern saß ich beim Griechen mit einer Freundin. Das Weinglas in der Hand und den Geruch des Südens in der Nase. Kein Meer für uns dieses Jahr, sagten wir und tunkten das Brot in die Reste der Sauce. Da muss die erste Sommersprosse aufgetaucht sein. Die zweite als wir uns ansahen und etwas von September murmelten. Wir wissen noch nicht wohin wir fahren und ich weiß noch nicht welche Geschichten die restlichen acht Sommersprossen dieses Sommers erzählen werden. Aber mindestens eine wird mich an das Meer erinnern, an das wir im September fahren werden.

42 Gedanken zu “Sommer im Nacken

  1. Huhu
    Sommersprossen sind was schönes denn ich habe sie vereinzelt auch….natürlich sind meine Kinder damit mehr gesegnet😂
    Aber wenn man sie hat möchte man sie los werden oder?
    Ich finde bei meinen wenigen hat es was!
    Sehr schöner Bericht😊
    Lg

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    1. In den letzten Jahren, sind sie im Ansehen gestiegen, glaube ich. Vielleicht liegt es am Trend der Natürlichkeit. Meine Mutter aber, wurde als Kind noch gehänselt und hätte sie sicher gerne losgehabt.

      Danke & liebe Grüße

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      1. Ja es gab einige Zeiten da war es leider so mit dem Händseln…aber ich ließ mich damit nicht beeindrucken denn….ich bin mit dem Lied von dem Sänger Markus groß geworden…ich bin ja so verschossen in deine Sommersproßen😂

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  2. Liebe Mitzi Langstrumpf!
    Willkommen im Club der Punktesammler!
    Und das gänzlich ohne Paybackkarte. Meine Kuhflecken sind etwas größer geraten, gefallen mir aber auch sehr gut.
    Interessant, dass bei Ihnen die Sommersprossen Geschichten erzählen. Ich habe neulich meine Beine betrachtet und festgestellt, dass unzählige kleine Narben aus der Kindheit vom Spielen im Freien viel zu erzählen wissen . So hat jeder seine optischen Erinnerungen 🙂
    Herzliche Grüße
    Punkt Punkt Komma Strich …
    Mallybeau Sprossenkuh

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    1. Da sagen Sie was, Frau Mauswohn…..umsonst gibt es die Flecken und die Sprossen. Alleine das macht sie liebenswert. Die Narben dagegen sind nicht ganz umsonst, aber auch auf die blickt man mit den Jahren fast ein bisschen sentimental.
      Herzliche Grüße

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  3. Ich beneide alle Menschen, die Sommersprossen haben! Ich finde es so bezaubernd, die Sommersprossen auf den Nasen meiner Freundinnen tanzen zu sehen 🙂 Meine Haut ist zu dunkel für solche Späße. Im Süden Indiens geboren werde ich zwar jedes Jahr heller, weil die Sonneneinstrahlung einfach nicht an die indische heran kommt, aber zu dunkel für Sommersprossen bin ich trotzdem. Wenn ich ehrlich bin, ist es aber auch gar nicht so schlimm 🙂 Meine Hautfarbe hat andere Vorteile 🙂 Sommerliche Grüße aus dem Westen der Stadt!

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    1. Nein, das ist gar nicht schlimm. Obwohl ich meine Sommersprossen gern habe, geht es mir wie dir mit der Nase deiner Freundin. Ich bin immer wieder begeistert, tiefbraune Haut zu sehen, die so viel ebenmäßiger als meine aussieht. Man kann nur zu dem Schluss kommen, dass jede Haut etwas schönes hat.
      Die Blondine, deren bester Freund Sonnencreme ist beneidet dich um die Vorteile 😉

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  4. Eine sehr schöne Lektüre für einen Sommerabend, Katze auf dem Schoß, Berglaufbeine ausgestreckt (bestimmt auch Sommersprossen mitgebracht, riss ich mir doch nach 15 Minuten bergauf schon das T-Shirt runter). Immer sehr schön, was Sie schreiben!

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  5. Sommersprossen sind schon was Schönes – aber man hat ja immer auch diesen einen besonders „taktvollen“ Menschen in seinem Umfeld, der eine neue Sommersprosse entdeckt und die charmante Frage stellt: „Kriegst du schon die ersten Altersflecken?“

    Ich beantworte das dann aber für gewöhnlich mit „Nein, aber es ist bald wieder Vollmond – da verwandele ich mich immer in einen Dalmatiner!“ und habe ganz fix meine Ruhe…. 😉

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    1. Das merke ich mir 🙂
      Unverschämt so was, aber mir leider auch nicht fremd. Nach dem letzten Urlaub wies mich eine Kollegin auch auf meine Handrücken hin und teilte mir mit, dass es sich hier eindeutig nicht um Sommersprossen handeln würde.

      Kann uns egal sein, oder? Notfalls nehm ich auch Altersflecken….erzählen ja auch was 😉

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  6. Ein schöner Text mit schönen Sommersprossen die Geschichten erzählen, so lebendig wie jede einzelne Sprosse, durch den Sommer entstanden! Ich habe sie gefühlt, die Sonne auf meiner Haut und das Entstehen jeder einzelnen Sommersprosse durch deinen so lebendigen Text! Vielen Dank dafür! Es ist mir immer wieder eine große Freude!😘

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  7. Fast eine Ode an deine Sommersprossen – fein!
    Hm, Sommersprossen habe ich wohl keine , einige Leberflecken hätte ich zu bieten und ich glaube auf der linken Hand, das hellbraune Etwas, das nennt man wohl „Altersfleck“… grins

    Liebe Grüße,
    Silbia

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  8. Liebe Mitzi! Was für eine wunderbare Geschichte! Vielen Dank, dass Du es schaffst, das ich informationssuchende Querleserin Deine Geschichten Wort für Wort genieße! Eine interessante Art, Sommersprossen zu sehen! Mein Gesicht hat mittlerweile soviele Sommersprossen, dass kaum mehr Platz für neue ist! Meine Unterarme, die ich längst nicht mehr bei jedem Sonnengang eincreme (shame on me), sind auch voll dieser Erinnerungsstücke. Mehr noch, damit ich sie endlich ´mal richtig beachte, wie ich nun weiß,haben sie angefangen, größer zu werden… Auch die Flecken in den Augen… Erinnerungsstücke. Jetzt wo Du´s sagst – Italien! Elba – Nachmittage in der verbotenen Bucht, in der das Meer so träge an den Strand klatschte, weil es genauso sonnenmüde war wie wir? Oder war´s der Ritt durch die Provence mit diesem verwegenen französischen Guide? Ist schon so lange her! Mir ist übrigens aufgefallen, dass die Sommersprossen explodieren, wenn die ersten Gänseblümchen auf den Wiesen sind – geht´s Dir auch so? Alles Liebe, und noch viel Spaß mit Deinen Erinnerungsstücken, die Dir niemand nehmen kann, die höchstens ein wenig verblassen, Nessy

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    1. Ein paar Minuten ohne Sonnencreme sollen ja gut für Vitamin D sein ;).
      Wie schön, von deinen Erinnerungen zu lesen. Es müssen unendlich viele sein – ich kenne ja deine Sommersprossen von den vielen Fotos und finde sie großartig. Einen Zusammenhang mit den Gänseblümchen sehe ich auch – auch die kommen von einem Tag auf den anderen und sind herrlich zäh.
      Liebe Grüße und ein sonniges Wochenende

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  9. Daraus sollte man eine Geschichte für Kinder machen. Ich zumindest hätte so was als Kind gebraucht. So habe ich mir immer nur gewünscht, sie sollen zusammenwachsen, als mir klar wurde, die würden nicht verschwinden.
    Obwohl ich dann wohl zu nichts anderem mehr gekommen wäre, als nach den Geschichten zu ihnen zu suchen.

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    1. So eine Geschichte gibt es sicher und sie tut gehänselten kleinen Menschen bestimmt gut. All das was andere schön finden, mag man an sich selbst ja nicht. Und Kinder sind eh fies, wenn es darum geht, etwas zu finden was als Makel gilt.

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  10. Danke für deine schöne Erzählung die zeigt wie man sich immer an schöne Zeiten erinnern kann. Ich habe kleine Erinnerungsstücke aus jeder schönen und wichtigen Zeit, die mich, wie deine Sommersprossen, hin und wieder von diesen Zeiten träumen lassen.

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  11. Nach dieser herrlich anatomischen Berichterstattung, hat Herr Ösi, er kam nicht umhin, sich eingehend im Spiegel betrachtet und ebenfalls eine Menge an neuen Flecken gefunden, die, aus Ermangelung an Sonnenbädern, alles aber nur keine Sommersprossen sind. Danke für diesen hinreißenden Artikel.
    PS: Er hat auf Anhieb für den kommenden Montag einen Arzttermin erhalten … 🙂

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