Rhett wohnt im Hinterhaus

Bei mir im Hinterhaus, dritter Stock, wohnt einer, der wie Rhett Butler lächelt. So amüsiert, so arrogant und genauso unwiderstehlich. Weil Rhett ohne Scarlett nicht funktioniert, ist auch diese Rolle besetzt. Im Vorderhaus, zweiter Stock, wohnt eine die es spielend schafft, das amüsierte, leicht arrogante und unwiderstehliche Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Sie schafft es allerdings auch den, der wie Rhett Butler lächelt, dazu zu bringen, dass er keine Lust mehr hat zu Lächeln.

Das schöne Lächeln sah ich das erste Mal, im Waschkeller unseres Hauses. Vor dem Lächel sah ich aber zunächst einen fremden Mann, der meinen noch nassen BH in der Hand hielt. Wir haben nur zwei Waschmaschinen und weil die Zeit drängt, hat es sich eingebürgert, dass man auch fremde Wäsche aus der Trommel in den davorstehenden Korb räumt um selbst die nächste Ladung einzufüllen. Das begutachten fremder Wäsche ist jedoch eindeutig kein Bestandteil dieser stillschweigenden Übereinkunft. Stinksauer riss ich ihm meinen Sport-BH aus der Hand und murmelte, dass das ja wohl etwas übergriffig sei. Und da war es, zum ersten Mal, dieses arrogante Lächeln. Gefolgt von dem Hinweis, dass Übergriffe bei solchen, wenig reizvollen Wäschestücken auszuschließen seien. Rhett Butler verließ den Waschkeller und ich mochte ihn nicht. Das Rhett eigentlich anders heißt, erfuhr ich als ich ein Paket für ihn annahm und am darauf folgenden Morgen für zwei Wochen in den Urlaub fuhr. Am Abend meiner Rückkehr stand ein reichlich angefressener Paul Kleiber vor meiner Tür und fragte mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte. Seit vierzehn Tagen renne er dem Geburtstagsgeschenk für seine Freundin hinter her und stehe jeden Abend vor einer verschlossenen Tür. Weil ich ähnlich impulsiv wie Scarlett bin, bluffte ich ihn an, dass man Geschenke für die Freundin ja wohl selbst kaufen und nicht herzlos im Internet bestellen würde. Rhett alias Paul grinste und meinte, dass ihm seine Freundin ähnliches gesagt hätte. Allerdings in etwas freundlicherem Tonfall, fügte er noch an und verschwand.

Das nächste Mal traf ich ihn im Supermarkt am Leergutautomaten. Es heißt, dass Supermärkte ein guter Ort sind um jemanden kennen zu lernen. Anhand des Einkaufskorbes lassen sich bereits erste Rückschlüsse auf den Lebenswandel des potentiellen Partners ziehen. In Pauls Korb befand sich ein einsames Stück Käse und eine Wasserflasche. In meinem Wagen das Leergut der Geburtstagsfeier des vergangen Wochenendes und eine Schachtel Zigaretten. Harte Nächte, fragte er schmunzelnd und schlenderte an mir vorbei. Weil er der Kasse wieder hinter mir stand drapierte ich die Weintrauben über den Riesling und die Birnen über die Zigaretten. Nicht verstecken konnte ich mich selbst. Wer weiß wie ich aussehen kann, hätte mich an diesem Morgen vielleicht charmant verknautscht beschrieben. Wer mich nur als zickige Nachbarin kennt, muss etwas deutlich unattraktiveres gesehen haben. Ich empfand es als Zumutung, dass er um 8:30 Uhr am Samstagmorgen frisch aussah und gut roch. Bevor er etwas sagen konnte – ich sah schon, dass er den Mund öffnete – warf ich ihm vor die Füße, dass er sein dämliches Fahrrad ruhig mal etwas mehr an die Seite stellen könne. Rhett lächelte und nickte. Ob er mir vorher den Platten flicken sollte, erkundigte er sich. Er würde sein Rad immer ganz bewusst vor das verdreckte und kaputte stellen, weil er annahm das mit dem eh niemand fahren würde.

Ich mag höfliche Menschen. Aber nicht wenn sie mir wie Paul Butler die Tür mit einem süffisanten „Bitte sehr“ aufhalten. Ich mag es auch nicht, wenn man mir beim Aufsammeln von runtergefallenen Äpfeln hilft und dabei schmunzelnd fragt ob das der Ausgleich für den ausufernden Alkohol Konsum sei. Rhett Kleiber ist unverschämt, weil ich mit meinem Gezicke selbst Frau Obst in den Schatten stelle. Und ich zicke, weil ich ihm immer nur dann über den Weg laufe, wenn ich niemanden treffen möchte. Manchmal lächelt er nicht. Zum Beispiel dann, wenn der zweite Name von seinem Klingelschild verschwindet. Dann geht er wortlos an mir vorbei und ich bin still, weil ein vereinsamtes Klingelschild alles und nichts bedeuten kann. Zwei Wochen danach wies er mich auf eine Kommafehler hin, der sich auf meinem Zettel zur Untervermietung der Garage eingeschlichen hatte. Ich murmelte Klugscheißer und ergänzte spätabends das Satzzeichen. Die Klingelschildtrauer war vorbei.

Letzten Donnerstag stiegen aus der späten U-Bahn kaum Menschen aus. Das passiert selten und wenn es so ist, dann mag ich die wenigen hundert Meter zu meinem Haus nicht gerne gehen. Es ist unangenehm düster, wenn die Straßenlaternen im Sommer zugewachsen sind. Angst im Dunkeln, fragte mich Rhett, den ich in der U-Bahn nicht bemerkt hatte, mit bissigem Unterton. Zu müde für eine schlagfertige Antwort blieb ich stehen und sagte nur ja. Paul nickte und ging langsamer. Als er im Lift nur mein Stockwerk drückte und ich bereits Luft holte verdrehte er die Augen und ich erinnerte mich daran, dass ich seit einer Woche ein Paket für ihn im Flur liegen hatte. Ich könne mich auf den Kopf stellen, er würde es jetzt abholen. Als ich es ihm in die Hand drückte, sagte ich, dass ich eigentlich gar nicht so sei. So biestig und zickig. Er zuckte mit den Schultern und ging. Zehn Minuten später stand er noch einmal vor meiner Tür. Ich öffnete mit der Zahnbürste im Mund und fauchte ein „Was?!“. Ich weißt nicht wie Rhett Butler in so einem Moment gelächelt hätte. Paul lächelte gar nicht, er murmelte nur, dass er eigentlich gar kein überheblicher Arsch sei. Ohne das amüsierte Schmunzeln, das ihm  beim Blick auf die Zahnbürste doch noch entwischte, hätte ich es ihm nicht abgenommen.

44 Gedanken zu “Rhett wohnt im Hinterhaus

  1. Herrlich, wie hier zwei Menschen sich einander auf dem falschen Fuß erwischen. Wie sich die Sache gegen Schluss entwickelt, das könnte der Anfang einer Freundschaft sein. Mit diesem Text hast du dich mal wieder selbst übertroffen, liebe Mitzi. Kompliment!

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    1. So viel Pakete wie der Herr erhält und so gern wie mich der DHL Bote hat….vermutlich ja :). Hier steht nämlich schon das nächste und diesmal holt er es nicht ab um mich zu ärgern. Es ist nämlich sperrig und steht im Weg rum. Außerdem machen mich unausgepackte Pakte nervös. Ich weiß gar nicht wo man hier aufkeimende Romantik rauslesen konnte….der Kerl ist unverschämt.
      😉 Im Ernst…könnte durchaus sein, dass ich den armen Mann hier noch öfter verramsche.

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  2. Hach! Das schreit ja förmlich nach einem Himmel voller Geigen. Auf jeden Fall ein wunderschöner Text über das verflixte Timing im Leben. Es gibt von Gernot Gricksch, den ich gerne lese, einen Roman, der „Königskinder“ heißt und an den ich mich erinnert fühlte. Ist eine schöne Sommerlektüre, und Herr Gricksch geht immer. Finde ich. Falls ich dir eine Buchempfehlung aufs Auge drücken darf, um die du nicht gebeten hast 🙂

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      1. 340 – oder sind in der letzten halben Stunde nach der Treppenhaus Operette schon 11 abgesprungen?
        Du in jedem Fall. Ich brauch was für die frustrierten Single Freundinnen. Deal?

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  3. Liebe Mitzi!
    Sie machen sich als Scarlett ausgezeichnet. Auch der liebe Rhett scheint ja ein filmreifer Zeitgenosse zu sein. Hauptsache Sie werden nicht vom Winde verweht! Das wäre ein Drama. Um Rhett würde ich da dann schon weniger trauern …. 🙂
    Herzliche Grüße
    Filmkuh Mallybeau

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    1. Liebe Mallybeau,
      Sie würden um Rhett weinen und nicht um mich. Würde ich diese Filmfigur nicht so unglaublich verehren…ich wäre glatt beleidigt. So aber, kann ich Ihnen versichern, dass hier niemand verweht wird und nur weniger gezickt wird. Sofern der Kerl sein Rad ordentlich abstellt. Verdammt….ich werde zum Spießer.
      Herzlichst
      Mitzi, die spießige

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      1. Ihre Neuauflage dieses Klassikers ist ausgezeichnet gelungen. Hier hat das Casting ganz im Gegensatz zu meinem Almdesaster hervorragend funktioniert. Sie sind einfach ein Hauptdarsteller!

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      2. Vielleicht lassen sich auf der Alm auch noch Rhett und Scarlett einflechten, dann ist das dramatische Harmoniechaos perfekt… 🙂

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  4. Natürlich musste ich mich erst mal im Netz der Netze schlau machen, wessen Butler dieser Rhett eigentlich ist. Wirklich schlau (zumindest was die Butlerschaft angeht) bin ich allerdings nicht geworden.
    Aber egal. Konzentrieren wir uns aufs Wesentliche.
    1. Mein kriminalistischer Spürsinn verrät mir, dass Paul Kleiber natürlich ein Deckname ist und der Typ in Wirklichkeit Hubertus von Rotkehlchen heißt. 😉
    2. Und meine Lebenserfahrung sagt mir, dass ihr bestimmt schon seit mindestens 11 Jahren verheiratet seit. Denn dieses ganz besondere Niveau der Brachialharmonie fern jeder süßholzraspeligen Säuselsäuselromantik gibt’s im Leben nicht umsonst. Wie auch immer: Glückwunsch zum Volltreffer. 😀

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    1. Die Idee, dass jemand Rhett Butler (und das dazugehörige Schmunzeln) nicht kennt, ist mir nicht gekommen. Bildungslücke!
      1. Ich kann doch hier keine Klarnamen verwenden. Frau Obst würde Kleinholz aus mir machen und Herr Kleiber ist am Ende noch Anwalt.
      2. Ich frag ihn mal, den Kleiber. 😉

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      1. Darin, Filmpersonal nicht zu kennen, bin ich sehr gründlich. 🙂
        Eben deshalb dachte ich, dass ich den richtigen Namen erwähne. Für Nichtbetroffene ist es mit dem wirklichen Namen oft lustiger.
        Gute Idee. Frag ihn einfach. Und wenn er dir den Vogel zeigt – pfeif drauf. 😉

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  5. Hallo Mitzi! Eine supi dupi feine Geschichte, Deine moderne Forsetzung von ,,vom Winder verweht“ in Eurem Mietshaus! Ich sehe Dich gerade in Eurer Waschküche vor der Waschmaschine mit dem Korb Wäsche sitzen und einem tiefroten Spitzen BH in die Trommel füllend:,, Morgen…morgen wenn diese Waschmaschine schon lange durchgelaufen ist , werde ich sehen, ob das was mit uns wird. Verschieben wir´s auf morgen… Heut´ will der Kerl eh nicht mehr waschen… Alles Liebe, Nessy

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    1. Du hast es geschafft, dass ich hinter den Waschmaschinen vor meinem inneren Auge den dramatischen Sonnenuntergang der Schluss Szene gesehen habe 🙂

      Liebe Grüße
      Mitzi

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