Wir sind vier

Wir sind vier. Meine drei Geschwister und ich. Ich bin die Jüngste. Monika ist neun Monate älter, Florian drei Jahre und Regina ganze fünf Jahre. Falls Sie sich fragen wie meine Mutter es hinbekommen hat, zwei Kinder im Abstand von nur neun Monaten zu gebären müssen Sie sich nicht den Kopf zerbrechen, denn das hat sie nicht. Sie stellte das Gebären nach mir ein und ich musste sehen, wie ich zu Geschwistern komme. Ganz früher, waren wir nicht vier. Wir waren ich, meine beiden Cousinen und mein Cousin. Ich weiß nicht genau, wann wir vier wurden, aber es muss diesen einen Zeitpunkt gegeben haben, an dem wir beschlossen, dass wir nicht drei plus eins, sondern einfach vier waren. Um ehrlich zu sein, war es eine rein weibliche Entscheidung. Florian hatte niemand gefragt, aber da er nicht widersprochen hat, nehme ich an, dass ich ihn nach all den Jahren genauso sehr wie seine leiblichen Schwestern genervt habe und er keinen großen Unterschied feststellen konnte. Vielleicht dachte er sich auch nur, dass es auf eine mehr nicht mehr ankommt.

Ich kenne meine Schwestern in- und auswendig und ich weiß, dass auch sie mich besser kennen als die meisten meiner Freunde oder andere Familienmitglieder. Mit meiner kleinen großen Schwester stritt ich mich als Kind so heftig, dass wir es problemlos schafften sechs Wochen Sommerferien nebeneinander schlafend zu verbringen, ohne kaum mehr als zwei Worte am Tag zu wechseln. Ich fand sie unglaublich besserwisserisch und doch war sie mir näher als jeder andere. Sie ist es mir heute noch. Genauso wie mein Bruder, den ich schon als Sechsjährige angehimmelt habe und nie ganz damit aufgehört habe. An der Beerdigung meiner Großmutter, war es seine Hand, die die meine gesucht hat und die einzige, die ich in diesem Moment halten wollte. Gleiches gilt für meine große Schwester. Sie verpasste mir mit zehn oder elf die kräftigste Ohrfeige meines Lebens und umarmte mich als Erwachsene in den Momenten, in denen der Boden unter meinen Füßen bröckelte.

Naturgemäß sehen meine Eltern es etwas anders und behaupten weiterhin, nur eine Tochter zu haben. Ich glaube sie fürchten sich etwas davor, drei weitere von meiner Sorte zu haben. Es hilft ihnen aber nichts. Die Kinder meiner Schwestern – und das sind viele – stellen ihre Wohnung regelmäßig auf den Kopf und verbringen Ferien und Wochenenden bei ihnen. In meiner Familie fragt man nicht, ob es passt, es ergibt sich und meine Eltern ergaben sich. Mein Onkel adoptierte mich dagegen bereits sehr früh und ganz freiwillig. Wenn ich zur Tür reinkam, rief er dröhnend „Mei Madl!“ und behauptet schon immer, dass ich sein Mädchen sei. Ob zwei oder drei schien keinen Unterschied mehr zu machen. Diese „Mei Madl!“ dröhnte auch über die Piazza Bra, als ich in Verona lebte und er mich mitsamt einer oberbayerischen Reisegruppe besuchte. Er schwenkte seinen Hut und kam mir mit offenen Armen entgegen. Bei jedem anderen wäre es mir peinlich gewesen, bei ihm war es nur schön. Meine Tante kam gleich zwei Mal und brachte mit ihrem Lachen ein Stück Heimat nach Italien.

Für die Horde an Nichten und Neffen bin ich Tante. Eigentlich bin ich Thai. So nannte mich mein erster Neffe, als er noch nicht gut sprechen konnte. Ich bin jetzt Mei Thai und man muss seine Geschwister schon sehr gerne haben, um sich wie einen klebrigen Cocktail nennen zu lassen. Es fällt einem leicht, sie gerne zu haben. Auch wenn sie noch immer überzeugt davon sind, dass mein Kühlschrank chronisch leer ist und mich von Fertiggerichten ernähre. Seit ich ihnen in Italien gestand, dass ich in manchen Wochen nur Nudeln mit Olivenöl aß, weil für mehr das Geld nicht reichte, kümmern sie sich um mich. Es ist jetzt über 15 Jahre her, aber sie stecken mir noch immer bei jedem Besuch etwas Essbares in die Taschen. Ich beschwere mich nicht und bin gern das Küken. Zähneknirschend akzeptiere ich es auch, dass mich nie jemand bittet einen Kuchen zum Buffet beizusteuern. Seit ich mit acht Jahren die Torte meiner Oma fallen lies und mit sechzehn ein Blech Obstkuchen quer durch die Küche schleuderte, traut man mir nichts mehr zu. Ich kann wirklich nicht besonders gut backen. Aber ich kann kochen. Das habe ich von meiner Mutter gelernt und ich würde sagen, dass sie und ich darin sogar besser sind. Das interessiert aber keinen. Ich bin die Kleine, die keine Kinder hat und nur das nötigste kocht. Klingt das trotzig und beleidigt? Kein Wunder, hätten sie drei ältere Geschwister würden sie auch um kulinarische Anerkennung kämpfen müssen. Als Einzelkind mit zwei großen Schwestern noch viel mehr.

IMG_1740Ich liebe meine vier Großen und freue mich auf den familiären Wahnsinn am Ostermontag. Man bat mich etwas Gemüse aufzuschneiden und einen Obstsalat mitzubringen. Auch wenn sie es nicht sagten, zwischen den Zeilen bedeutet es „da kann nicht viel schiefgehen“. Ich könnte ihnen deftige Blätterteilröllchen machen, herrliche Osterlämmer oder eine perfekte Quiche Loreen – sie machen all das lieber selbst. Ich werde dann eben einen großartigen Obstsalat machen. Nicht wie die kleine Große mit Hilfe von Dosenfrüchten. Ganz frisch und mit einem ordentlichen Schuss Prosecco. Als jüngste kann man vor mir nicht erwarten, dass ich daran denke, dass Kinder mit am Tisch sitzen. Vielleicht fällt mir die Schüssel auch runter. Kurz vor dem Tisch. Dann erfülle ich das Klischee und nur der Hund weiß, was ihnen allen entgangen ist.

 

 

 

 

37 Gedanken zu “Wir sind vier

  1. Ach ist das wieder herrlich den Spiegel vorgehalten zu kriegen. Mei Thai es tut mir wirklich leid, trotz jedem weiteren Jahr wirst du die arme, kleine, studierende Schwester bleiben müssen. Wir können wirklich nicht zulassen, daß du erwachsen wirst, sonst müßten wir zugeben das wir alt werden.

    Außerdem solltest du uns dankbar sein, das wir jetzt immerhin schon bereit sind, das Obst und Gemüse abzugeben. Wurst und vorallem Käserolle muß man sich hart erarbeiten.
    Da ich backtechnisch auch unter ferner liefen rangiere, werde ich das Privileg die Semmeln kaufen zu dürfen niemals freiwillig abgeben!

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    1. Würde ich an deiner Stelle auch nicht – ich habs aber natürlich versucht….die Semmeln an mich zu reißen ;).
      Schön, was du da geschrieben hast. Und alt werden wir eh nicht…ich seh keinen Unterschied in den letzten 20 Jahren. Auf bestimmte Bäume bin ich schon damals nicht raufgekommen 😉

      Es grüßt dich, das kranke Eichhörnchen

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      1. Genau das hab ich mir verkniffen, das kranke Eichhörnchen zu erwähnen, schön das du dich selbst auch erkennst.
        Außerdem du kannst es auch anders sehen, da du die zarteste von uns bist, ist doch völlig klar das wir dir die gesunden Leckereien aufgehalst haben, zu wenig Erfahrung mit Kalorien.

        Um das ganze jetzt noch rund zu bekommen, zitiere ich die Dritte im Bunde:
        „AU AU AU, ich wars nicht!“

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  2. Ach Du arme! Kannst nicht backen und laesst alles fallen. Ich lese aus deinen Zeilen, das Du sehr reich sein musst. Eine Familie zu haben, die man an Ostern besucht , das nenn ich reich. Dein Obstsalat ist sicher Spitze. Aber lass, wenn möglich etwas anderes das nächste Mal fallen.Ich denke der Hund ist nicht so begeistert davon.

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  3. Liebe Mitzi, wieder hast Du uns so herrlich ehrlich in die Welt der Kindheit zurückversetzt, dieses ,, Besserwisserische“ der Erwachsenen vor Augen geführt, die damals ihre kulinarischen Highlights in Zahnstochern mit Mandarinen, Gouda und zu allem Überfluß noch ein Salzbrezelchen obendrauf gesetzt haben… Und dabei doch herzlich und liebevoll zueinander waren…
    Sorry, dass ich mich eine Zeit nicht gemeldet habe, aber mittlerweile nimmt das Bloggen bei mir ein wenig zu großen Ausmaße an, dass ich Angst habe, dass meine Familie darunter leidet… Vielleicht werden meine Kiddys eines Tages über ihre Kindheit ähnlich wie Du über ihre komischen ,,Erwachsenen“ schreiben, die den ganzen Tag vor dem Computer saßen, um sich mit wildfremden Leuten über ,,Irrelevantes“ (sorry, ich meine mich, nicht Dich)zu unterhalten, anstatt schöne Torten zu backen, wer weiß? Alles Liebe, Wunderschöne Ostern wünsch ich Dir, Nessy

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    1. Liebe Nessy,
      ich verstehe dich gut. Auch ich frage mich ab und an, wie ich das alles unter einen Hut bekommen soll und komme längst nicht dazu, all das zu lesen was ich möchte. Zumal das offline Leben ja weiterhin den größeren und wichtigeren Part beinhalten sollte. Machen wir uns keinen Streß und springen wir weiter nur dann auf andere Blogs, wenn es die Zeit und Muse zulässt.
      Liebe Grüße
      Mitzi

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  4. Kann ich gut nachvollziehen, als Jüngste bekam ich auch nie die großen, wichtigen Aufgaben. Backen kann ich bis heute auch nicht. Mit meiner großen Schwester habe ich mich oft heftig gezankt und sie hat gekratzt, ich dagegen, mangels langer Fingernägel, gespuckt. Daraufhin musste ich ein paar Stunden mit einem Schild herumlaufen: Vorsicht Lama, spuckt !!! Ja, Familienleben ist spannend, lehrreich und auch lustig. Wundervoll erzählt, bin begeistert!

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      1. Heute kann ich über das Schild lachen, damals war es schon schlimm für mich, vor allem weil ich die Kratzattacken meiner Schwester schmerzhafter fand. Sie hat bis heute lange Fingernägel und ich bevorzuge kurze.

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  5. Hihi: ein ewiges Küken – mit Taschen, die von lieben Menschen mit Lebensmitteln gefüllt werden: herrlich schön beschrieben! Manchmal ertappe ich mich dabei, längere Texte nicht zuende zu lesen. Hier bin ich „drangeblieben“ Mit ehrlichem Vergnügen 🙂

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  6. Das klingt wie aus einem französischen Film … Beneidenswert … Ich habe immer nach solchen Familien geschielt … früher … und heute auch noch … Wir waren immer nur Mutter-Vater-Kind …
    Da war es viel weniger lebhaft … und die 60er Jahre waren ohnehin nicht so sinnesfreudig.

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    1. Meine Familie ist großartig. Dennoch halte ich mich auch lieber mit den schönen Erinnerungen auf und kann mich gut daran erinnern, dass mir früher die anderen Familien alle harmonischer, entspannter und überhaupt beneidenswerter erschienen.

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  7. Wir waren sechs und manchmal habe ich mir gewünscht, die Schwester meiner Freundin zu sein. Sie war ein Einzelkind und da war so viel möglich..
    Möge dein Obstsalat bestens ankommen, bei deinen Lieben (im wahrsten Sinne des Wortes 😉 )!

    Beste Grüße,
    Silbia

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    1. So ist es wohl immer. Als Einzelkind will man den Trubel und die Möglichkeit auch mal nicht gesehen zu werden und als eine von sechs, wünscht man sich das Gegenteil.

      Schöne Ostern, liebe Silbia.

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  8. Liebe Mitzi,
    Sie tun nicht nur alles Menschenmögliche, um die Welt für Sie selbst so wunderschön wie eben möglich zu machen, sondern auch für alle, die das Glück haben, Ihre Gedanken erfahren zu dürfen.
    Ich habe bisher in 100 Jahren noch keinen Menschen getroffen, der so authentisch wie Sie in der virtuellen Welt zu erleben ist, wie viele andere Menschen im realen Leben nicht!
    Nicht nur ihre reale Familie, auch Ihre riesige virtuelle Familie ist dankbar, dass es Sie gibt!
    Gruß Heinrich

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    1. Fühlen Sie sich bitte umarmt, lieber Heinrich.
      Nein, stellen Sie sich besser vor, dass ich Ihnen mit Anlauf in die Arme springe, weil das was Sie schreiben zu wunderschön ist.
      Ich…ach, einfach nur Danke, dass Sie mich hier begleiten. Es ist eine große Freude.

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  9. es erinnert mich an Deine Geschichte von Weihnachten……irgendwie klingt bei Dir alles so, wie Familie sein sollte, warm, lieb, ein wenig Ärger, aber keiner nimmt’s einem wirklich übel…….. ist das inzwischen so ungewöhnlich, dass es mir direkt auffällt???? 😉

    Ich freue mich jedenfalls für Dich! Viel Spass und frohe Ostern von mir an Dich 😉

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    1. Ich will das Glück eine solche Familie zu besitzen nicht klein reden. Aber ich kann dir versichern, dass sie herrlich normal ist und wir alle unser Leichen im Keller schön ordentlich gestapelt haben und ich es bei dieser Menge an Verwandtschaft nur nicht riskieren kann, diese hier ans Tageslicht zu zerren ;).

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  10. Ob nun gefragt oder nicht – niemals würde ich es in Frage stellen, dass wir vier sind!
    Jede meiner Schwestern ist einzigartig, eigentlich nicht miteinander vergleichbar. Obwohl wir vieles gemein haben, unterscheiden wir uns doch sehr bei der Sicht auf die Welt.
    Für mich ist meine dritte Schwester ausnahmslos ein Glücksfall, einfach etwas besonderes.
    Selbst wenn unser Kontakt längere Zeit sehr spärlich ausfällt, leidet die Herzlichkeit nicht.
    Danke, dass Du ein Teil meines Lebens bist!

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