Vor etwa 100 Jahren bestand ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland aus lediglich 100 Gegenständen. Im Jahr 2014, so las ich, besaß ein jeder Mensch bereits 10.000 Dinge. 10.000….das ist unglaublich viel. Oder gar nicht so viel, da ich nicht weiß ob wirklich jedes einzelne Foto und jeder Bleistift gezählt wurde. Wahrscheinlich ist das aber auch nicht wichtig, denn dass wir viel besitzen zeigt ein kurzer Gang durch den Keller eines durchschnittlichen Mietshauses. Zwischen den Holzsparren quillt der Besitz bis an die Decke und beim Öffnen des einen oder anderen Verschlages läuft man Gefahr vom eigenen Hab und Gut erschlagen zu werden. Mein Kellerabteil kann ich sorglos öffnen – dank des letzten Lockdowns habe ich ihn auf- und vor allem ausgeräumt. Gerümpel fand ich keines, aber viele kleine Schätze, die für mich mit den Jahren an Bedeutung verloren haben. Fast alles hat via der von mir initiierten Tauschbörse rund um die Briefkästen meines Hauses einen neuen Besitzer gefunden. Ein schöner Gedanke. Viel schöner, als etwas, das man einmal mochte wegzuschmeißen. Unser Hausmeister und etwa ein Drittel meiner Nachbarn fand meine Idee nicht sonderlich schön und bat mich mehrfach „den Mist“ auf den Sperrmüll zu werfen. Ich habe dann begonnen kleine Zettel an die Dinge zu kleben, damit die Ignoranten verstehen, dass es sich um wirklich feine Dinge und nicht um Müll handelt. Zum Beispiel auf die schweren, weißen Porzellan Terrinen aus der Kantine, in der mein Großvater nach dem Krieg arbeitete. Solche Suppenterrinen werden heute wohl nun noch wenig genutzt aber nachdem ich „Hält Suppe mindestens eine Stunde auf dem Tisch warm und wurde von meiner Oma sehr gerne und oft benutzt“ auf einen Zettel geschrieben habe, waren sie nach einer Stunde weg. Im Sommer sah ich eine auf einem Balkon – sie wurde als Übertopf genutzt. Eine nette Idee, die meiner Großmutter sicher auch gefallen hätte. Einer hat nun 10.001 Gegenstände und ich nur noch 9.999.
Auch meine bunten Glasflaschen die in meiner ersten Wohnung auf dem Fensterbrett standen fanden schnell einen neuen Besitzer als ich ein altes Foto fand, das die Brechung des Sonnenlichts durch die Flaschen an der Wand zeigte und ich es zu den Flaschen auf die Briefkästen stellte. Und die Ski sowieso. Es handelt sich nicht um ein Paar mit komplett abgefahrenen Kanten, sondern um ein Paar dessen vorherige Besitzerin sich kein einziges Mal mit ihnen einen Knochen gebrochen und nicht ein Band gerissen hat – Glücksski sozusagen. Gleiches galt für Rollerblades und beim Snowboard schrieb ich dazu, dass es meinem Ex gehörte und ich selbst es aufgrund einer Handvoll saublöder Erinnerungen unbedingt schnell loswerden muss. Als Dankeschön für das Snowboard stand eine Flasche Eierlikör vor meiner Tür. Ich weiß bis heute nicht von wem, aber laut der beigefügten Karten, handelte es sich beim Likör um eine Wundermittel für die Bekämpfung „saublöder Erinnerungen“. Im Laufe des Lockdowns reduzierte ich meinen Besitz um fast den ganzen Keller und wäre bei 9.960 Gegenständen gelandet, wenn nicht 5 in Form von Beschwerdebriefen von Frau Obst, dem Hausmeister und drei anonymen Nachbarn bezüglich meines inoffiziellen und unentgeltlichen Flohmarktes dazu gekommen wären. Dank der Altpapiertonne, fielen sie aber nicht lange ins Gewicht.
9.930 Dinge die im letzten Jahr – obwohl ich so gut wie nichts gekauft habe – angewachsen sind. Freitag nutzte ich eine kurze Kaffeepause um den Inhalt des kleinen Faches, ganz oben im Einbauschrank, zu inspizieren. Ein Tipp am Rande – öffnen Sie niemals während der Arbeitszeit Schranktüren, die Sie zuvor mehrere Jahre nicht berührt haben. Die Chancen, dass sie zerzaust und außer Atem zum nächsten Meeting erscheinen sind recht hoch. Meine Kollegen mussten sich anhören, was ich darin alles gefunden habe und hätten sicherlich mehr ehrliches Interesse gezeigt, wenn sie sich nicht zugleich gefragt hätten, was zum Henker ich im Homeoffice tagsüber alles so treibe. Leider wollte niemand von ihnen das wirklich hübsche fünfundzwanzigteilige Bowle Set adoptieren. Nicht einmal als ich erzählte, dass es sich um einen Lotteriegewinn handelte, welcher der Abschluss eines unglaublich schönen Tages auf dem Oktoberfest war und eigentlich jeder Mensch täglich damit rechnen sollte, am Abend eine Bowle für zehn Personen servieren zu müssen. Wie unangenehm, wenn man erst beim Schnipseln der Früchte bemerkt, dass man ja gar keine Bowle Schüssel, keine Bowle Becher und keine kleinen Spießchen für das Obst hat. Peinlich, wie ich finde. Ich wechselte das Thema erst, als der erste sich erkundigte wann genau ich den Karton wieder gefunden hatte
Er steht jetzt auf den Briefkästen. Natürlich mit einer kleinen Erklärung, warum ein Bowle Set in jeden ordentlich geführten Haushalt gehört. Mein Nachbar Paul, der meine Handschrift erkannt hatte, stand vorhin damit vor meiner Wohnungstüre und bedankte sich. Ein Weihnachtsgeschenk weniger, das er besorgen musste. Beim Gehen drehte er sich noch einmal um und erkundigte sich grinsend, ob ich keine Lust hatte auf den zu erwartenden Lockdown zu warten oder ob mein Optimismus diesbezüglich wirklich noch vorhanden sei. Er sollte die Antwort wissen – meine Wohnung hat 60 Quadratmeter, da werden drei, vier Wochen nicht reichen. Und jetzt entschuldigen Sie mich, unter dem Bett habe ich schon lange nicht mehr aufgeräumt.
Eine schöne Ergänzung Spiegelung zu Sonja (Frau Wildgans), die heute auf die Kleiderwüste in Chile hinwies.
Gefällt mirGefällt 1 Person
Ich schau gleich mal bei ihr vorbei.
Gefällt mirGefällt mir
Hihi, die motivierenden Zettel finde ich ganz großartig und offenbar waren sie auch effizient 😉
Gefällt mirGefällt 5 Personen
Die Zettel und jede Menge Studenten und junge Leute im Hinterhaus, die das eine oder andere auch wirklich brauchen können 🙂
Gefällt mirGefällt 1 Person
Diese Marketingstrategie merke ich mir.😄
Gefällt mirGefällt 4 Personen
Mach das. Funktioniert tadellos 😉
Gefällt mirGefällt 1 Person
Das ist sehr gut und schön, sollte öfter mal gemacht werden. Von jedem von uns. Allerdings nicht von allen gleichzeitig – die Probleme liegen auf der Hand!
In der hiesigen Zeitung resp. Käsblatt (der Leitartikel ist regelmäßig mehr als nur schlecht und die einseitige Sicht der ach so unabhängigen Zeitung überdeutlich) gibt es sehr nette Seiten. So eine Tauschbörse. Oft sehr ländlich geprägt (tausche 3 Zuchtziegen gegen einen Kultiuvator etc.). Überwiegend allerdings so: tausche Brautkleid gegen ein Faß Single Malt. Tausche viel gebrauchtes Doppelbett gegen einen Kasten Meckatzer Weißbier. Tausche…
Man liest und versteht.
Sehr nett auch: tausche Wickelkommode gegen einen Doppelzentner Kaffeebohnen. Tausche noch ungebrauchte Windeln gegen Hometrainer. Auch hier wird die Geschichte dahinter deutlich.
Jedenfalls finde ich diese Seite gut und vor allem an Unterhaltungs- und Informationswert dem übrigen Geschreibsel weit voraus!
Gefällt mirGefällt 3 Personen
Solche Tauschbörsen sind immer gut. Dein Beispiel zeigt, dass sie auch für jene gut zu lesen ist, die gar nichts zu tauschen haben.
Nicht gleichzeitig…das versuche im Haus auch gerade durchzusetzen – im Moment dreht mein Hausmeister durch. Noch wichtiger aber….gute Sachen abgeben und nicht mit Müll verwechseln.
Gefällt mirGefällt 1 Person
😅 Ich hoffe Du bist wieder von unterm Bett aufgetaucht….das Problem habe ich nicht, denn ich bin in den letzten 3 Jahren 2 mal umgezogen. Da trennt es sich leicht. Also ich trenne mich zumindest leicht. Auch bei Klamotten achte ich darauf, dass für jedes gekaufte Teil eines ausziehen muss.
Auf die Straße stellen klappt vermutlich überall gleich gut. Am Ende scheinen alle alles zu brauchen…
Hoffe, Du hast noch ne Kerze für den 1. Advent. Einen schönen!
Gefällt mirGefällt 3 Personen
Ich habe das „Auf die Straße stellen“ bisher nur in Deutschland (in Großstädten?) gesehen. Da sind die Leute vermutlich weiter und offener?
Gefällt mirGefällt 3 Personen
schon. es kann einfach jeder alles brauchen, scheint mir.
Gefällt mirGefällt 2 Personen
Oder frecher 😉
Gefällt mirGefällt 1 Person
Einen schönen Advent auch für dich. Bewundernswert, dass du das mit den Kleidungsstücken schaffst – ich arbeite da noch dran und bin gerade aber wenigstens dabei, das was ich habe anzuziehen und deutlich weniger neu zu kaufen.
Liebe Grüße
Gefällt mirGefällt 1 Person
10.000 Dinge. Pro Kopf oder pro Haushalt? Wir, die wir zu viert leben, haben wohl beinah 40.000, fürchte ich. Und dann wird es nochmal komplizierter mit dem Aufräumen. Ich kann ja nicht für die anderen entscheiden. Deinen unkomplizierten Flohmarkt hätte ich auch gerne. Ist hier aber gar nicht üblich. Oder sollte ich einfach mal damit anfangen? Ach, es könnte so einfach sein, tauschen und nachhaltig und sinnvoll leben. Man müsste mal damit anfangen. Complimenti für dein originelles Marketing!
Gefällt mirGefällt 4 Personen
Ehrlich gesagt, habe ich diese Studie nicht genau gelesen. Ich glaube pro Haushalt. Wichtig wäre ja auch zu wissen, ob alle einzeln oder als Produktgruppe (Besteck z.B.) gezählt wird. In Bezug auf Nachhaltigkeit habe ich noch sehr viel aufholbedarf, aber bei ein paar Kleinigkeiten – die auch noch Spaß machen – kann ich ein bisschen anfangen.
Gefällt mirGefällt 2 Personen
Richtig. Brava! 👍
Gefällt mirGefällt 1 Person
Ich zähle jetzt absichtlich nicht die Bücher im Regal, all die völlig wertlosen und ramponierten „Antiquitäten“, die ich aus irgendeinem Sperrmüll „gerettet“ habe, sonst müsste ich das ganze Gelump anzünden und irgendwohin flüchten. Aber meine Wohnung ist anscheinend dehnbar…
Gefällt mirGefällt 1 Person
Bücher zählen nicht – das habe ich einfach beschlossen. 😉
Gefällt mirGefällt 2 Personen
Clara singt: „Hast brav gemacht, hast brav gemacht, drum wirst du auch nicht ausgelacht!!!“ – dafür wirst du von mir angelacht.
Mit unseren eigenartigen Hausbewohnern würde ich das nicht unbedingt veranstalten wollen, außerdem haben wir nicht ein einziges bisschen Abstellfläche im Hausflur, wo ich meine ungeliebten Bowlengläser hinstellen könnte.
Mein Keller ist so leer, dass ich zwei große Regalfächer an Nachbarn samt Kellerschlüssel „vermietet“ habe, damit sie ihre 6 ungebrauchten alten Koffer plus Kühltasche dort lagern können.
Ich fahre meine Sachen lieber in ein Sozialkaufhaus.
Gruß zu dir
Gefällt mirGefällt 2 Personen
Liebe Clara, Mist….an dich kann ich die Bowlegläser also nicht abgeben. 😂
Solzialkaufhaus ist super. Wir haben so einen Laden auch im Viertel. Wegen Corona nimmt der derzeit leider nichts an. Sonst auch für mich eine Anlaufstelle. Liebe Grüße
Gefällt mirGefällt mir
Da sich sämtliche meiner Weinvorräte in der Küche befinden, habe ich keinen Grund in den Keller zu gehen.
Obwohl… nach dem Lesen deines Beitrags… 😉
Gefällt mirGefällt 2 Personen
🙂
Gefällt mirGefällt 2 Personen
Ach, immer wieder schön die Geschichten, die sich in deinem Haus abspielen ❤
Gefällt mirGefällt mir