3. Welle Suppengemüse

Direkt nach dem Bekanntwerden der Verlängerung des Lockdowns erhalte ich von meinen Freunden aus Italien diverse Nachrichten mit hysterisch lachenden Smileys und der Frage, wer in Deutschland eigentlich für die Benennung der unterschiedlichen Lockdown Arten verantwortlich ist. Was wohl nach dem „Super Lockdown“ und den dunkelroten Inzidenzzonen, noch kommen wird, fragen sie und vergessen dabei dass auch ihre Rotschattierungen bereits einige Zwischentöne aufweisen. Ich ignoriere die Frage und erkundige mich statt dessen ob es im Veneto ein Wort für Suppengemüse gibt. Die München-Verona Kommunikation ist heute holprig und ich kappe die Verbindung als anstelle einer Antwort, das Rezept für eine (sicher hervorragende) Minestrone gesendet wird. In Krisenzeiten muss man Prioritäten setzen – in meinem Fall handelt es sich dabei um Frau Angermeier aus dem Hinterhaus. Die steht seit geraumer Zeit auf ihrem Balkon und brüllt meinen Namen. Seit die Inzidenz wieder Richtung der 100 klettert, ist ihr das Treppenhaus zu gefährlich und sie wählt für die Kommunikation den alten Weg, den wir bereits im ersten Osterlockdown vor einem Jahr etabliert hatten – zur Freude der dazwischen wohnenden Nachbarn brüllen wir von Balkon zu Balkon. Wie schon vor einem Jahr erfahre ich so, was ich meiner in die Jahre gekommenen Nachbarin vom Einkaufen mitbringen darf. Nicht nur ich werde informiert, sondern auch etwa acht Bauarbeiter die damit beschäftig sind, im Hinterhof ein Gerüst für die Balkonsanierung aufzustellen. Da mein Nachbar Paul lautstark sein Fenster geschlossen hat – der Mann befindet sich schließlich im Home-Office – müssen diesmal die netten Handwerker Flüsterpost spielen, um das, was Frau Hintermeier nicht laut genug brüllen kann, bis zu mir heran zu tragen. Eine überaus groteske Situation, die nach einem Jahr Corona aber auch nicht mehr wirklich ins Gewicht fällt. Eine alte, kleine rundliche Person steht auf dem Balkon und brüllt immer wieder das Wort Suppengemüse und ein etwa fünf Meter entfernt auf dem Gerüst stehende Bauarbeiter ruft es weiter. Von einem anderen Bauarbeiter wir es dann erneut gebrüllt. Diesmal allerdings mir direkt ins Gesicht, da ich nur 1,5 m von ihm entfernt vor meiner Wohnungstür stehe. Diese Entfernung ist dabei nicht den Corona Regeln geschuldet, sondern ist in etwa die Distanz des Baugerüstes zu meiner Tür.

Mein Handy klingelt und meine Nachbarin Judith fragt mich ob wir noch alle Tassen im Schrank haben, ihre Tochter versucht sich auf den Latein Unterricht in Form einer Videokonferenz zu konzentrieren. Etwas das anscheinend nicht besonders gut klappt, denn ich höre sowohl das Mädchen, ihren Bruder und auch die Mutter lautstark schimpfen. Ob das an der Internetverbindung liegt, die bei drei Rechnern am Netz schlapp macht, oder andere Gründe hat kann ich nicht sagen. Ehrlich gesagt interessiert es mich heute auch nicht, da ich neben dem Suppengemüse von Frau Angermeier und dem Flüsterpost spielenden Handwerkern, andere Probleme habe. Zum Beispiel das Gespräch mit einem Kunden, das ich dank eines wunderbaren Headsets auch vor der Wohnungstüre stehend, führen kann. Ein nicht ganz unwichtiges Gespräch, denn auch ich befinde mich im Home-Office. Ein zusammenbrechendes Netzwerk aufgrund Homeschooling oder die Einkaufswünsche meiner Nachbarin sind mir in diesem Moment relativ egal. Zumal es sich um Einkäufe handelt die ich erst am Mittwoch vor Gründonnerstag zu erledigen habe. Dem Tag an dem sich ganz Bayern im Supermarkt treffen wird und konform den dann geltenden Regeln diesen Einkauf zu einem Superspreader Event machen wird. Wir wissen schließlich alle, dass die Deutschen im Bezug auf ihre Einkäufe schon bei nur einem Feiertag durchdrehen. Gibt es jetzt einen zusätzlichen Feiertag… entschuldigung nein einen Ruhetag… dann wird der Gang zu dem Supermarkt zu einem Horrorszenario, das wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Paul der anscheinend gerade seine Pause beginnt öffnet das Fester und erkundigt sich, ob dieser Ruhetag denn auch bedeutet dass wir auch im Homoffice nicht arbeiten werden oder dass er nur bedeutet dass man nicht ins Büro fahren darf. Ich sage ihm, dass er das nicht mich sondern seinen Arbeitgeber fragen soll und gehe ein wenig angespannt zurück an meinen Schreibtisch.  Homeoffice oder nicht, ist nicht meine Problem – mich beunruhigt viel mehr, dass mein erster Friseurtermin nach dem Lockdown der zweiten Welle am Gründonnerstag stattgefunden hätte. Genau jenem Tag der jetzt ein Ruhetag ist. Was auch immer Ruhetag bedeutet, für mich heißt es, dass ich weiter mit rausgewachsenen Strähnchen und unglaublich ausgefransten Haarspitzen durch die Gegend rennen werde. Ja, ich weiß das sind nun wirklich Dinge über die man sich nicht aufregen sollte. In Kombination mit den letzten zwölf Monaten allerdings, ist es ein Problem. Weitere zwei Wochen in diesem Chaos und ich schneide mir die Haare selbst. Mit der Geflügelschere.  Das wirklich schlimme ist aber, dass es eigentlich auch scheißegal ist, da es im Moment keine Gelegenheiten gibt wo mein Aussehen eine größere Rolle spielen würde. Der, der ab und zu mit einer Flasche Wein vor meiner Tür steht ist von seinen Mehrfachschichten in der Klinik sowas von fertig, dass er vom Flur direkt in der Schlafzimmer geht – und das nicht um sich mich näher anzusehen.  Verstehen Sie mich nicht falsch, wenn dieser ganze Irrsinn etwas bringt, dann bin ich gerne bereit mich weiter einzuschränken. Ich weiß sehr genau dass es andere Branchen, andere Familien und andere Menschen gibt die viel mehr unter dem Ganzen zu leiden haben als ich. Mir ist klar, dass eine allein erziehende Mutter mit drei Kindern ein ganz anderes Nervenkostüm braucht als ich. Und ich weiß dass es mittlerweile völlig normal ist das man in manchen Wochen damit beginnt sich mit dem Staubsauger zu unterhalten, weil er einem wenigstens geduldig zuhört. Ich atme ein paar Mal tief ein, binde meine zotteligen Haare zu einem Dutt und mache weiter. Was sind schon Haare….

Paul stand eben auf dem Balkon und schrie in den Innenhof, dass die Ruhetage nun wohl doch nicht stattfinden werden. Die Beschlüsse wurden gekippt. Jetzt gerade öffnen sich die ersten Fenster zum Hinterhof und eine Diskussion beginnt. Ich schließe das meine, nachdem ich die für mich einzig wichtige Information gehört habe. Frau Angermeiers Stimme war laut genug und ich habe verstanden. Ihre Kochpläne haben sich geändert. Sie benötigt nun kein Suppengemüse mehr.

 

21 Gedanken zu “3. Welle Suppengemüse

  1. Ach ne, nun doch kein Ruhetag. Eben habe ich gerade die Zugehfrau dahingehend informiert, dass Gründonnerstag Ruhetag, sprich Feiertag, ist. Naja, macht ja nichts, einen Tag vor Karfreitag kann man als Hausfrau und Mutter auch gut einen freien Tag gebrauchen, vor allem, wenn man dann doch noch auf dem Wochenmarkt einkaufen gehen kann.
    Ist das ein Kuddelmuddel.
    😉

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    1. Kuddelmuddel ja genau. Und der eine Tag ist dabei auch schon egal ;). Wenigstens erspart es uns den Run auf die Supermärkte….obwohl, der wird dann halt Donnerstags stattfinden 🙂

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  2. Mitzi, früher nannte man das Spiel „Stille Post“.
    Ansonsten kann man mit Kommunikation über Ernährung entschieden weniger falsch machen als über Politik.
    Gut, dass es Paul dir schon gesagt hat, dass Frau Dr. rer. nat. A. Merkel ihren Fehler den Abgeordneten, der Presse und der Bevölkerung gebeichtet hat und alle um Verzeihung gebeten hat.
    Langsam wird das alles kurios – ich wollte eigentlich nicht in einer politischen Satireshow sein.
    Und tschüss!

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    1. Du ahnst sicher, liebe Clara, dass es aus dieser Satireshow kein entkommen gibt. Ich möchte weiß Gott nicht den Job der Politiker machen, aber aktuell hat man das Gefühl, dass man eigentlich auch nicht mehr viel mehr unlogische Schlüsse ziehen könnte.

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    2. So schön wie es für uns ist, in einer Demokratie zu leben, ist es aber komplex wenn alle und jeder mitreden wollen, und eigene Entscheidungen treffen.
      In autoritär regierten Staaten haben die Behörden Kontroll- und Durchgriffsmöglichkeiten, die in westlichen Demokratien undenkbar wären. Persönliche Freiheitsrechte oder Datenschutz spielen dabei keine Rolle. Da ich dort aber nicht leben möchte, muss ich eben in Kauf nehmen, dass hier mehr geredet als gehandelt wird. Man kann eben nicht alles haben, außer man hat mehrere globale Wohnsitze und Staatsbürgerschaften. Dann kann man je nach Pandemie oder Klimakatastrophe seinen Aufenthaltsort wählen – solange, bis es auf diesem Planeten kein ideales Plätzchen mehr gibt. 😉

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  3. ja es wird langsam absurd bis grotesk und gleichzeitig fühlt es sich für mich total surreal an, weil bei uns arbeitstechnisch aktuell alles quasi so ist als gäbe es kein corona und für mich ausschließlich mein privatleben betroffen ist. jeden tag wenn ich ins büro komme ist es als würde ich eine mehr oder weniger coronafreie bubble betreten. da wir alle ein eigenes büro haben, treffen die meisten der einschränkungen auf uns nicht zu und home office ist bei uns nach wie vor nicht erwünscht… verlasse ich die räumlichkeiten, werde ich dafür schnell in die „realität“ katapultiert… ein seltsames permanentes hin und her. in wien auf den straßen spürt man nichts davon, dass unsere intensivbettenkapazitäten bereits überlastet sind, dass operationen nicht stattfinden, dass menschen, die hilfe brauchen, aus den krankenhausaufnahmen abgewiesen werden… auf der ambulanz hingegen begegnen mir die meisten patientInnen mit was auch immer sie haben, meistens auch mit einer angststörung, viele davon durch diese situation bedingt. es ist eine seltsame welt, eine seltsame zeit, eine seltsame realität.

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    1. Die Schere zwischen Normalität und Ausnahmezustand ungefiltert zu erleben ist in der Tat absurd und grotesk. Mir fällt es zunehmend schwerer die Corona Newsticker zu verfolgen und an manchen Tagen mache ich es nicht mehr. Tagen an denen ich zu Hause arbeite, durch mein ruhiges Viertel eine Runde drehe und mich so an die Maske im Supermarkt gewöhnt habe, dass sie mir kaum noch auffällt. Praktisch, aber so sollte es nicht sein. Realität ist in diesen Monaten etwas bei dem ich manchmal gar nicht sagen kann wie genau die nun aussieht. Seltsam, sehr seltsam – so fühlt es sich an. Seit langem.

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      1. ja mir gehts schon lange so… ich habe aufgehört die zahlen zu verfolgen seit wir die erste spitalsüberlastung im herbst hatten. jetzt sind wir ja wieder soweit oder noch drüber… in den ersten bundesländern gibt es notbetrieb und die menschen feiern ostern.
        ich weiß echt gar nicht mehr, wie das war, als restaurants und theater geöffnet hatten… der zweite frühlingsbeginn ohne das „draußen“, was das herz nach dem düsteren winter so leicht macht. wenn die schanigärten aufmachen und das stimmengewirr draußen am wochenende bis in die nacht wuselt…

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  4. In Corona-Zeiten gilt die Weisheit, dass nichts so alt ist wie die Nachrichten von gestern, mehr denn je. Ich wünsche also einen angenehmen und zufriedenstellenden Frisörbesuch. Bei mir steht er erst nach Ostern wieder an – so keine neue Verschärfung des Lockdowns droht. Über Deine Geschichte habe ich mich jedenfalls königlich amüsiert.

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  5. Das Problem der „Stillen Post“ ist ja, je mehr Personen involviert sind, um so größer ist der Blödsinn, der dabei rauskommt. Ein jeder versteht ein bisschen anders und gibt seine geglaubt gehörte Variante weiter. Gut möglich, das Frau Hintermeier über „Psychoanalyse“ sprach und bei Dir „Suppengemüse“ ankam, weil reimen täte es sich schon. Aber wie so oft: Nix genaues weiß man nicht… 😉

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    1. Du sprichst da etwas ganz wichtiges an…in letzter Zeit verstehe ich ganz vieles nicht mehr ;).
      Bei Frau Angermeier, die ich im Text wahrscheinlich mindestens einmal Hintermeier genannt habe könnte das durchaus sein. Psychoanalyse….das war dann auch sicher für Paul und nicht für mich 😉

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  6. Meine Haare habe ich mittlerweile mit dem Barttrimmer gekappt…
    Ich kann mir vorstellen, dass das für Dich keine Option ist.

    Suppengemüse heißt laut Bing-Translator „Verdure da minestra“ – aber ich glaube, um dieses ging es Dir nicht wirklich. 😉

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    1. Du ahnst es…das Barttrimmer Ergebnis ist nicht so ganz meine Vorstellung 😉
      Ja genau, ich suchte eher nach einem gängigen, umgangssprachlichen Wort dafür. Später fiel mir auf, dass ich auch gar nicht Suppengemüse sondern „Suppengrün“ meinte 🙂

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  7. Man stumpft etwas ab in diesen Krise-in-der-Krise-in-der-Krise-Zeiten und dem Lockdown-im-Lockdown-im Lockdown. Ich verliere den Überblick und agiere nach bestem Wissen und Gewissen,, aber nach eigenem Gutdünken. Ich bin desillusioniert, was die Segen deutscher Schaffenskultur angeht und entsetzt, mit welcher Selbstverständlichkeit Missstände akzeptiert werden und Anstand als Naivität empfunden wird. So verstehe ich nicht, weshalb nicht jede Fabrik, die dazu technisch in der Lage wäre, Impfstoff produziert, damit jeder, der will, zügig geimpft werden kann.
    Ich verstehe es nicht und manchmal schreie ich das laut in die Welt hinaus. Von wegen Flüsterpost. Ein Megaphon ist noch zu leis!

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  8. Für den Anfang des Textes, also da, wo’s noch nicht um die Rübe oder anderes Suppengemüse ging, schlage ich vor, da sich das Englische wie ja schon aus den Begriffen ersichtlich nun einmal gegen das Deutsche oder das Italienische (wobei gerade die englische Sprache recht viel aus dem Lateinischen übernommen hat): wenn schon Lockdown, dann Lockdowner und als Superlativ Sundowner.
    Aber vielleicht hilft eine gute Suppe ja mindestens genau so gut über den Berg bzw. durch das Tal.

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