Versprochen

Ich habe keine Angst, sagte ich meinem Vater als er mich am Vormittag nur ungern im Wald, in dem unserer Hütte liegt, zurück ließ. Ich lachte, weil die Sonne schien und hier an diesem Ort noch nie etwas böses gelauert hat. Die Welt ist voll davon, aber hier oben am Berg, da ist nichts wovor man sich fürchten muss. Ich wäre alleine, sagte mein Vater und schien sich nicht daran erinnern zu wollen, dass es nicht das erste Mal war. Alleine ist gut, erinnerte ich ihn. Ohne andere Menschen widerfährt einem meist viel weniger schlechtes, als mit. Warum er sich an diesem Tag sorgte, weiß ich nicht. Vielleicht hatte er Angst, dass meine Freunde nicht wie vereinbart am Abend kommen würden und ich die Nacht ohne Auto allein wäre. Lachend zuckte ich an diesem Tag mit den Schultern. Es ist mein Nest, diese Lichtung, und nichts macht mir dort Angst. Nicht einmal der alte Schrank am Absatz der Treppe.

Kurz nach dem ich über den Schrank , den Inbegriff kindlichen Schreckens, schrieb, habe ich ihn geöffnet. Hätte mein Großvater noch gelebt, so hätte er mich wahrscheinlich die Treppen hinauf geschickt und schmunzelnd darauf bestanden, dass ich seine knarzenden Holztüren allein und ohne seinen Beistand öffne. Sie knarzten nicht – die Türen. Und obwohl ich geschworen hätte, dass in all den Jahren niemand diesen Schrank geöffnet hat, müssen sich viele Finger um seine Griffe gelegt haben. Unsichtbare Hände haben für Ordnung gesorgt und anhand der alten Handtücher,  ahnte ich, dass zwei der Hände zu meiner Mutter gehört haben. Andere haben die Scharniere geölt und wieder andere legten Bettwäsche mit Mustern der Achtziger Jahre auf die Stapel zu jenen der Siebziger und Sechziger. Der gruslige alte Schrank ist nichts weiter als ein Schrank voll alter Wäsche, die niemand mehr benutzt. Es ist ein guter Schrank. Vergessen und von allen ignoriert, bewahrt er in seinem Inneren zuverlässig und still Erinnerungen an unzählige Leben. Ich erkannte die wild gemusterte lila, weiße Bettwäsche meiner Großeltern, lächelte über eine verblichene „Heidi und der Geißenpeter“ Garnitur in der ich jahrelang schlief und erinnerte mich, als Dreijährige nach dem Baden in das grüngelbe Handtuch gewickelt worden zu sein. Ein harmloser und gutmütiger Schrank. Vor ihm habe ich keine Angst mehr.

Ängst lauern nicht in Schränken. Sie sind tiefer und versteckter und es ist schwerer ihre Türen zu öffnen. Niemand ölt sie und niemand sorgt für Ordnung im Inneren der Orte an denen sie liegen. Wir wissen es oft nicht einmal selbst, weil keiner die eigenen Türen öffnet. Angst vor Spinnen sage ich, wenn jemand fragt und denke lieber nicht an all jenes was mir wirklich Angst macht. Wegschieben, Tür zu und gut ist. Das funktioniert erstaunlich gut. Ein bisschen zu gut. Von einer meiner liebsten Freundinnen, einer der wenigen echten Freundinnen, erfuhr ich erst vor kurzem, was ihr wirklich Sorgen bereitet. Zwischen all dem banalen und lächerlichen Alltagssorgen gab es eine, die ihr wirklich schlaflose Nächte bereitete. Zwischen zwei Gläsern Wein, erzählte sie mir davon. Lachend, abschwächend und verharmlosend. Zu nächst. Und dann irgendwann der ehrlichste Satz des Abends. Davor habe ich Angst, sagte sie und wir lachten nicht mehr.

Manchmal verlieren Ängste ihren Schrecken, wenn man sie auf den Tisch legt. Ein laut ausgesprochenes „das macht mir Angst“ lässt sie kleiner werden. Die Angst, die uns an schlechten Tagen um den Schlaf bringt. Ich hoffe mit der ihren war es so. Es ist jetzt nur noch eine halbe Angst. Wir teilen sie uns und die Chancen stehen gut, dass sie uns – denn ist auch meine – künftig weniger schreckt. Es ist nicht mehr nötig, denn wir haben uns an diesem Abend ein Versprechen gegeben. Eines das durch unsere tiefe Freundschaft besiegelt wurde. Im Alter werden wir uns um uns kümmern. Das haben wir uns fest versprochen. Ich mich um sie und sie sich um mich. Wir werden aufeinander aufpassen, wenn wir alt sind. Besuchen uns in Heimen und setzen uns zueinander, wenn Ärzte uns gruslige Prognosen stellen. Wir werden dafür sorgen, dass sich einer sorgt, wenn es schwierig wird. Anruft und vorbei kommt, wenn einer nicht mehr hoch kommt. Vielleicht wird es irgendwann nötig sein. Vielleicht auch nicht und wir sitzen mit Gehwagen in Fußgängerzonen und grinsen senil die Passanten an. Es ist egal. Aber solange wir beide Leben wird keine von uns einsam sein. Und sollte es einen von uns viel zu früh erwischen, dann werden wir einem anderen, einem der wenigen echten unserer Freunde ehrlich sagen, dass wir Angst haben irgendwann alleine zu sein. Es sind nicht viele, die einem dann versprechen werden, dass sie bleiben und sich kümmern. Das macht nichts. Einer reicht und einen Freund werden wir mit etwas Glück immer haben. 

 

 

28 Gedanken zu “Versprochen

  1. Tief im Inneren hat wohl jeder diese Angst. Eine Kommune bestehend aus den besten Freundinnen, klingt da schon verlockend. Das Versprechen einer Freundin ist da schon sehr viel sicherer.😉

    Gefällt 2 Personen

      1. Yep……. das Problem ist, die richtigen Leute zu finden. Im Alter sind die meisten nicht mehr so flexibel 😉 Aber das Konzept gefällt mir.

        Gefällt 1 Person

  2. Ja, schön. Gestern saßen wir zu dritt – drei Freundinnen im dämmernden Abend, und erzählten uns von den Nöten der Verwandtschaft. Und schauten uns an und fanden es wunderbar, dass unsere Verbundenheit keine angeborene, sondern eine frei gewählte ist. Uns trennen jeweils 10-12 Lebensjahre – die jüngste ist 55, die älteste 77 – .und so bilden wir eine Kette über die Generationen hinweg, die bestens funktioniert – in beide Richtungen, denn auch der jüngere Mensch leidet und braucht Unterstützung. Liebe Grüße!

    Gefällt 3 Personen

    1. Ich finde, dass gerade die Generationenüberspannenden Verbindungen ganz oft die fruchtbarsten und dauerhaftesten sind. Andere Perspektiven, andere Meinungen und doch am Ende ganz oft ähnliche Emotionen. Eine meine liebsten Bekannten ist fast 20 Jahre älter. Ihr: „Kenn ich…wird besser“ ist unglaublich beruhigend. Liebe Grüße

      Gefällt 1 Person

  3. Der alte Schrank in der Hütte, ich erinnere mich, dass du geschrieben hast, dass er dir Angst gemacht hat, liebe Mitzi. Der Einstieg in deinen Text, wo dein Vater dich allein zurücklässt in der Hütte, ließ mich an eine schauerliche Entwicklung denken. Dann aber schlägst du den Bogen zu Ängsten des Alters. Sich einmal nicht mehr selbst helfen zu können, ist so eine Angst. die ich manchmal habe, aber schnell wieder verdränge.
    Lieben Gruß!

    Gefällt 2 Personen

    1. Zum Glück, liebe Jules, passiert dort oben wirklich nie etwas. Ich glaube fest daran, dass es so bleibt.
      Das Verdränge ich auch. Ich glaube es gehört zu den Grundängsten die man irgendwann hat. Verdrängen ist in diesem Fall eigentlich gut – ändern können wir es eh nicht. Aber es wird nicht so kommen. Ich weiß das. Bei dir und bei mir 😉

      Gefällt 1 Person

  4. Diese Angst allein zu sein ist vielleicht unsere fundamentalste: Niemand der mich sieht, niemand der mich meint, niemand der mich liebt, niemand, in dessen Augen ich mich als gesehen und erkannt erkennen kann. Kein Du, das mich zum Ich macht.
    Wobei ich bei all dem auch die Sehnsucht in mir kennen, einfach nur allein zu sein… vor allem in so schön abgelegen Hütten weit weg von allem und allen, die immer etwas von einem wollen 😉

    Gefällt 1 Person

  5. „Im Alter werden wir uns um uns kümmern. Das haben wir uns fest versprochen. Ich mich um sie und sie sich um mich.“ – das ist das größte Geschenk, was man sich gegenseitig machen kann. Gut ist es, wenn man in einem Ort wohnt.
    Liebe Grüße schickt dir Clara

    Gefällt 1 Person

  6. Ich denke vor Demenz, Alzheimer, Altersheimen und einem schmerzvoller Tod fürchtet sich jeder und hat auch jeden Grund dazu. Es sind auch Ängste, die niemand wirklich bearbeiten kann, wir können nur hoffen und eben sich solche guten Freunde wünschen wie du sie hast.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar