Fenster Geschichten

Wenn Sie am 08.12.2018 zur Lesung kommen, dann lesen Sie jetzt nicht weiter, ja? Sonst wird Ihnen da dann fad. 

Wenn ich jetzt im Winter morgens in die Arbeit gehe, dann mag ich es, in die hell erleuchteten Fenster zu blicken. Freilich, das ist neugierig und wahrscheinlich gehört es sich auch nicht, aber wer das nicht will, der könnt ja einfach die Vorhänge zuziehen. Manche sollten das auch. Zum Beispiel des Prackl von Mannsbild, das im Parterre gleich ums Eck wohnt. Jeden morgen steht er in der ausgeleierten Unterhosen vorm Herd und schaut der Milch beim warm werden zu. Und ich ihm beim Zuschauen, weils gar so nett ausschaut, wie er dasteht, das Kreuz durchdrückt und sich gähnend die Haar zu richten versucht. Den mag ich. Weil er lustig ist. Die Familie mit den drei Kindern daneben würd ich wahrscheinlich auch mögen, wenn ich sie kennen würde. Fremd aber, sind sie mir ein bisschen zu langweilig. Die sitzen nur am Tisch und es passiert nichts. Wobei ja eigentlich auch gar nichts passieren muss. Manch einem kann man auch beim Sitzen zuschauen ohne das einem die Zeit lang wird. Wenn ich morgens auf den Bus warte, dann sehe ich eine alte Frau an ihrem Küchentisch sitzen. Die macht gar nichts. Die trinkt bloß eine Tasse Kaffee. Aber sie lächelt dabei und es sieht so schön aus, wie sie die Tasse nimmt, langsam nippt, lächelt und sie dann wieder absetzt. Wenn sich einer so über den ersten Kaffee des Tages freut, dann freut einen das auch – schon beim Zuschauen. Zu der würde ich mich sofort dazu setzen. Zu anderen auf keinen Fall. In machen Wohnungen herrscht ein Gewusel, dass einem ganz schwindlig wird. Da fragt man sich wie zwei eine halbwegs gute Beziehung führen wollen, wenn sie sich schon in der Küche früh morgens dauernd anrempeln, weil keiner ausweichen will. Solche Paare, haben auch zwei Fernseher. Das sieht man dann abends. Da sitzt einer in der Küche und einer im Wohnzimmer. Von außen betrachtet, ein trauriger Anblick. Vor allem wenn die jeden Abend alleine rumsitzen. Da wären zwei Wohnungen doch gescheiter, dann bliebe zu hoffen, dass sie sich freuen, wenn sie sich dann mal sehen. Dann müssten sie auch nicht jeden Abend streiten, wie die zwei im Hinterhaus, bei denen man froh ist, dass jetzt Winter ist und die Fenster geschlossen und die Vorhäng zugezogen sind. Hinter diesem Fenster werden Geschichten erzählt, die ich nicht hören will. Das machen sie nämlich, die hellen Fenster im Winter – sie erzählen Geschichten. 

Auch die von Herrn Mu, den ich jeden Morgen an der Bushaltestelle treffe. Da erzählt er und fast immer lacht er. Weil Lachen wichtig ist. So wichtig wie hoffen, sagt Herr Mu. Worauf er hoffte, als ich ihn neulich abends am Fenster stehen sah, weiß ich nicht. Er stand im Zimmer seines Sohnes, das wahrscheinlich schon lange unbewohnt ist, aber nie für etwas anderes benutzt wurde. Was soll er auch damit machen? Küche, Wohn- und Schlafzimmer hat er und das Zimmer des Sohnes braucht er nicht. Oder vielleicht doch, denn in letzter Zeit sehe ich ihn abends dort stehen. Er steht und sinniert. Worüber weiß ich nicht, aber es sind keine schöne Gedanken. Traurig schaut er aus und wenn er nicht lacht, dann sieht man, wie alt er schon ist. Er erzählt oft von seinem Sohn und nur wenn man ganz genau auf die feinen Töne lauscht, dann hört man, neben der feinen Ironie auch den bitteren Sarkasmus heraus. Er lacht, wenn er erzählt, dass sein Sohn nur kommt, wenn er was braucht. So sind sie halt die Jungen, sagt er und meint, dass sie das nicht sind, nicht alle, aber der seine. Der hat schon früher alle Lehren abgebrochen und immer eine blöde gefunden, die ihn ausgehalten erst. Erst die Mutter später dann die Freundinnen. Und jetzt, wo´s ihm wirklich reinregnet, weil grad keine Frau zur Stelle ist, da ist halt er es, der aushilft. Er, der alte Depp. Sagt Herr Mu und lacht. Fünfzig Euro, erzählt er, hat er ihm neulich gegeben und jetzt ist er beleidigt, der Bub. Weil fünfzig Euro nix is, lacht Herr Mu und wer ihn kennt, der weiß, dass fünfzig Euro für einen wie ihn mehr sind, als er sich leisten kann. Die Katz allein schon, erzählt er, frisst ihm die Haare vom Kopf, weil sie verwöhnt ist, ganz Dame, und das billige Futter nicht mag. Es macht nix, sagt er, er ist ja selbst schuld weil er sie am Anfang gar so verwöhnt hat. Wie den Sohn. Das sagt er nicht, aber das hört man raus. Und jetzt ist einer beleidigt der selbst schon weit über dreißig ist und sich nicht zu schade ist, den alten Vater anzuschnorren, der selbst kaum über die Runden kommt.

Aber blöd ist er nicht, der Herr Mu. Der weiß, dass man sich Zuneigung und Kinderliebe nicht erkaufen kann. Heut früh hat er mir an der Bushaltestelle den Lottoschein für Samstag gezeigt. Ein Kasterl, das ist drin und wir haben beide ein bisserl umeinander gesponnen, was wir mit einem Lottogewinn machen würden. Bei meinem Sach hat er g´lacht der Herr Mu und mir einen Vogel gezeigt. Ich bei dem seinen nicht. Er würd mit dem Gewinn mittags zum Roiderer nach Straßlach essen gehen und dann bei der Metzgerei was feines für die Muschi , die Katz, kaufen. Auf´d Nacht würd er dann in die Innenstadt fahren und da beim Alfons Schuhbeck am Platzl schön zu Abend essen. Und weil man das alleine nur halb so viel Spaß macht, würd er mich mitnehmen. Nicht ihren Buam, frag ich und er lacht schallend. Ja, im Leben nicht. Der Lackl soll selbst Lotto spielen. Er mag ihn, seinen Buben, sagt er und er wenn´s hart auf hart kommt, dann würd er jederzeit wieder daheim einziehen dürfen. Nur ein Geld, ein Geld gibt er ihm nicht mehr, weil sein Bub zu den Menschen gehört, bei denen das Geld weniger wird, je mehr sie davon haben. 

36 Gedanken zu “Fenster Geschichten

  1. Also ich könnte sie mir ruhig mehrfach anhören. Sie ist so Kategorie warm um Herz.

    Ich bin gerade in den Niederlanden. Da kann man in jede Wohnung oder Haus schauen, weil sie selten Gardinen davor haben. Nach kurzer Zeit verliert man den Reflex zu schauen. 🤓

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  2. Ich mag das auch sehr, um einer in die Wohnungen zu gucken. Bin auch immer ganz erleichtert, dass es da so ähnlich aussieht wie bei mir – man kann sich ja da nie so sicher sein, wenn alle immer aufräumen und dekorierten bevor man zu Besuch kommt 🙂

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  3. Ich mag es auch in beleuchtete Fenster zu schauen und je nachdem, was ich dort sehe, meine Geschichten zu spinnen oder mich zu fragen. Deine Fenstergeschichten sind, wie könnte es auch anders sein, sehr charmant. Und der Herr Mu wird mir immer vertrauter, je länger ich bei dir lese, er hat nun auch schon ein Gesicht!
    herzliche Grüße
    Ulli

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  4. In Wohnungen gucke ich gern wie in offene Hauseingänge, Durchfahrten und in Hinterhöfe. Das gibt immer interessante Einfrücke und wie du hier zeigst, schöne Erzählanlässe. Wenn das so weiter geht mit deinen Lesungen, liebe Mitzi, ist bald mal eine Deutschlandtournee fällig.

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  5. Den netten Hinweis, lieber nicht weiter zu lesen, habe ich natürlich erst entdeckt, als ich schon ganz durch war… XD
    Wir wollen trotzden zur Lesung kommen, wenn wir es einrichten können. Hoffentlich klappt es! 🙂

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  6. Hui, da darfst du es aber nicht eilig haben, wenn du immer wieder stehen bleibst zum Schauen. So wie es mir geht, wenn ich die Kamera dabei habe und dauernd stehen bleiben muss, zum Knipsen (nicht in beleuchtete Fenster!!). Da werden zehn Minuten Gehweg schon mal zu neunzig. 🙂

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    1. Da es immer die gleichen Fenster sind, muss ich nicht so arg trödeln um einen Eindruck zu bekommen. Aber du hast recht. Ich habe schon einige Busse versäumt, weil ich mehr geschlendert als gegangen bin. Beim Fotografieren kann ich mir gut vorstellen, dass man die Zeit vergisst. Etwas schönes kommt ja nicht unbedingt am nächsten Tag wieder.

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  7. Ach Mitzi, das erinnert mich ganz stark an einen Jungen, den ich lange Zeit über den Großelterndienst betreut habe. Über ein Jahr lang kannte ich nur die Mutter, die ihren Sohn überschüttet hat mit materiellen Werten. Der Vater lebte in der gleichen Stadt, aber sie haben den Jungen jede Woche abwechselnd bei sich in der Wohnung betreut.
    Einige Zeit später habe ich den Vater kennen gelernt – und da habe ich begriffen, dass alle sozialen Erziehungsmaßstäbe vom Vater kamen, der immer ZEIT für seinen Jungen hatte, der richtig Opfer (Zwei Umzüge) für ihn gern gebracht hat und ihn NIE mit Spielzeug bestochen hat.
    Ich war so glücklich, dass dieser Junge auch einen Vater hat, der ihn erzieht.
    Und tschüss sagt Clara

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    1. Der Kontrast muss für den Jungen seltsam und anstrengend gewesen sein. Deine Erleichterung kann ich gut nachvollziehen und letztendlich glaube ich eh nicht, dass ein Kind die Liebe zum Elternteil nach Geschenken erhöht oder senkt. In einzelnen Momenten, aber als Erwachsener denkt man an ganz andere Dinge zurück.
      Liebe Grüße

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  8. Mindestens 24 Fensterchen gibt es. In die man schauen kann. Zum reinklettern freilich sind sie zu klein.
    Aber manchmal mag das besser sein.
    Wenn dann zwei in einer Wohnung sind, einer in der Küche, einer im Wohnzimmer. Dann sollen sie schweigen und ihren eigenen Gewohnheiten nachgehen und still sein und ihren Groll austragen, wie eine tapfere Schwangere, denn ein anderes Kind wird’s auch bei Geschrei nicht sein –
    sonst geschehen Dinge. Ich denke dabei (außer an meine „In einer Wohnung“ Geschichten) an Loriot. Ich sitze hier…
    und möchte gar nichts tun.

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