Erwachsen wider willen

Wir sind vier. Meine drei Geschwister und ich. Ich bin die Jüngste. Meine kleine große Schwester ist neun Monate älter, mein Bruder drei Jahre und meine große große Schwester ganze fünf Jahre. Falls Sie sich fragen wie meine Mutter es hinbekommen hat, zwei Kinder im Abstand von nur neun Monaten zu gebären müssen Sie sich nicht den Kopf zerbrechen, denn das hat sie nicht. Sie stellte das Gebären nach mir ein und ich musste sehen, wie ich zu Geschwistern komme. Ganz früher, waren wir nicht vier. Wir waren ich, meine beiden Cousinen und mein Cousin. Ich weiß nicht genau, wann wir vier wurden, aber es muss diesen einen Zeitpunkt gegeben haben, an dem wir beschlossen, dass wir nicht drei plus eins, sondern einfach vier waren. Um ehrlich zu sein, war es eine rein weibliche Entscheidung. Florian hatte niemand gefragt, aber da er nicht widersprochen hat, nehme ich an, dass ich ihn nach all den Jahren genauso sehr wie seine leiblichen Schwestern genervt habe und er keinen großen Unterschied feststellen konnte. Vielleicht dachte er sich auch nur, dass es auf eine mehr nicht mehr ankommt.

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Überholt

Ganz leise und ohne großes Tamtam haben sie mich überholt. Zuerst der Älteste – das war zu erwarten. Er stellte schon als Winzling die meisten Fragen und hatte als ältester von vieren am schnellsten Antworten auf Fragen, die nicht oft nicht gestellt werden mussten, parat. Bei ihm bemerkte ich es das erste Mal, das Auf- und Überholen eines jungen Geistes, an dem ein mittelalter sich besser nicht misst. Gerade volljährig hätte er mich mit spielerischer Leichtigkeit an die Wand diskutiert. Vielleicht in dem er seine Meinung vertreten hätte, vielleicht aber auch indem er aus purer Neugier das Gegenteil seiner eigenen Überzeugung vertreten hätte. Nicht um zu brüskieren, vielleicht um ein wenig zu provozieren, aber in erster Linie um dem was ihm interessiert auf die Spur zu kommen. In diesen Jahren habe ich ihm gerne zugehört. Mit Tantenstolz überzeugt, dass er seinen Weg gehen wird. Er geht ihn und wird ihn weiter gehen. So wie sie alle längst ihre Wege eingeschlagen haben. Bei den jüngsten beiden weiß ich nicht in welche Richtung es gehen wird, aber jede noch so kleine Begegnung mit ihnen, lässt mich mit Gelassenheit abwarten. Gelassen und gespannt. Acht Nichten und Neffen stehen mir besonders nahe und acht mal ist es das gleiche Gefühl – gespannt und gelassen, weil jeder von ihnen noch immer so wunderbar wie am Tag seiner Geburt ist. Sie müssen beachten, dass ich das große Glück der Tante habe. Sämtliche Diskussionen und Pubertätsbegleiterscheinungen blieben mir erspart. Ich darf einfach nur genießen und die Rosinen aus den Kinderkuchen picken. Ich sehe Kinder, die zu Erwachsenen werden und bei einem nach dem anderen kommt der Tag an dem ich merke, dass sie mich überholt haben. Das ist ein wunderbares Gefühl und macht mich stolz. Tantenstolz – die fehlgeleitete Annahme, dass diese Kinder alle auf wundersame Weise von mir etwas mitbekommen haben. Irgendetwas, das mich berechtigt, mir ihre so wunderbare Entwicklung mit auf die Fahne schreiben zu dürfen. Es sind kluge Kinder, denn sie widersprechen mir nicht, wenn ich behaupte, dass sie das eine oder andere von mir haben. Kinder, die keine mehr sind.

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Fenster Geschichten

Wenn Sie am 08.12.2018 zur Lesung kommen, dann lesen Sie jetzt nicht weiter, ja? Sonst wird Ihnen da dann fad. 

Wenn ich jetzt im Winter morgens in die Arbeit gehe, dann mag ich es, in die hell erleuchteten Fenster zu blicken. Freilich, das ist neugierig und wahrscheinlich gehört es sich auch nicht, aber wer das nicht will, der könnt ja einfach die Vorhänge zuziehen. Manche sollten das auch. Zum Beispiel des Prackl von Mannsbild, das im Parterre gleich ums Eck wohnt. Jeden morgen steht er in der ausgeleierten Unterhosen vorm Herd und schaut der Milch beim warm werden zu. Und ich ihm beim Zuschauen, weils gar so nett ausschaut, wie er dasteht, das Kreuz durchdrückt und sich gähnend die Haar zu richten versucht. Den mag ich. Weil er lustig ist. Die Familie mit den drei Kindern daneben würd ich wahrscheinlich auch mögen, wenn ich sie kennen würde. Fremd aber, sind sie mir ein bisschen zu langweilig. Die sitzen nur am Tisch und es passiert nichts. Wobei ja eigentlich auch gar nichts passieren muss. Manch einem kann man auch beim Sitzen zuschauen ohne das einem die Zeit lang wird. Wenn ich morgens auf den Bus warte, dann sehe ich eine alte Frau an ihrem Küchentisch sitzen. Die macht gar nichts. Die trinkt bloß eine Tasse Kaffee. Aber sie lächelt dabei und es sieht so schön aus, wie sie die Tasse nimmt, langsam nippt, lächelt und sie dann wieder absetzt. Wenn sich einer so über den ersten Kaffee des Tages freut, dann freut einen das auch – schon beim Zuschauen. Zu der würde ich mich sofort dazu setzen. Zu anderen auf keinen Fall. In machen Wohnungen herrscht ein Gewusel, dass einem ganz schwindlig wird. Da fragt man sich wie zwei eine halbwegs gute Beziehung führen wollen, wenn sie sich schon in der Küche früh morgens dauernd anrempeln, weil keiner ausweichen will. Solche Paare, haben auch zwei Fernseher. Das sieht man dann abends. Da sitzt einer in der Küche und einer im Wohnzimmer. Von außen betrachtet, ein trauriger Anblick. Vor allem wenn die jeden Abend alleine rumsitzen. Da wären zwei Wohnungen doch gescheiter, dann bliebe zu hoffen, dass sie sich freuen, wenn sie sich dann mal sehen. Dann müssten sie auch nicht jeden Abend streiten, wie die zwei im Hinterhaus, bei denen man froh ist, dass jetzt Winter ist und die Fenster geschlossen und die Vorhäng zugezogen sind. Hinter diesem Fenster werden Geschichten erzählt, die ich nicht hören will. Das machen sie nämlich, die hellen Fenster im Winter – sie erzählen Geschichten.  Weiterlesen

Nicht petzen

Kinder mochte ich schon immer. Als ich selbst eines war uns seit ich keines mehr sein darf, noch viel mehr. Wenn Sie selbst welche haben, dann muss ich Ihnen nicht erklären, wie unglaublich schön sich ein Beinchen oder Ärmchen von einem vier Monate alten kleinen Bündel Leben anfühlt. Wenn Sie noch nie eines gestreichelt haben, dann müssen Sie mir glauben, dass sich Haut nie wunderbarer anfühlt als in den ersten Lebensjahren. Nein, auch nicht die von einem Menschen, den Sie sehr lieben. Ein Kind liebt man anders. Vielleicht nicht mehr, aber irgendetwas in unseren Genen sorgt dafür, dass wir im Zusammenhang mit einem kleines Kind, zu dem wir eine Bindung haben, selbstloser und furchtloser handeln als für unsere besten Freunde. Die kommen schon irgendwie klar, wenn der Kampfhund des Nachbarn von der Leine gelassen wird. Da stellen wir uns mal besser nicht in den Weg. Bei einem Kind denken wir nicht mal darüber nach. Den Köter machen wir platt. Mit links. In fremde Streitgespräche mische ich mich nicht ein. Auch nicht in die meiner erwachsenen Geschwister. Nach zwei, drei Jahren, reden die schon wieder miteinander. Ein bisschen Ruhe schadet ihnen und mir nicht. Macht jemand meine Nichte blöd an, dann nehme ich das persönlich. Auch wenn sie schon einen Führerschein hat. Wer ihr blöd kommt, hat ein Problem mit mir. Bei den kleinsten meiner Nichten und Neffen werde ich zur Löwentante und schalte mögliche Angreifer verbal aber notfalls auch mit vollstem Körpereinsatz aus. Ich mag Kinder wirklich und kann super mit ihnen umgehen. Die wissen das auch. Nur die Eltern, die sehen mich manchmal etwas komisch an. Weiterlesen

Alte Bissgurkn* U-Bahn Gedanken

Schon seit dem Harras höre ich die ältere Dame leise jammern. Worte braucht sie dazu nicht. Jeder einzelne ihrer Atemzüge ist von tiefem Schmerz erfüllt. Beim Einatmen ein schwaches Stöhnen, beim Ausatmen ein leises Seufzen. Dazu ein mildes aber herablassendes Lächeln und wenn ein fremder Blick zufällig den ihren kreuzt, dann schließt sie matt die Augen. Sekundenbruchteile später öffnet sie die selben wieder und schütteln kaum merkbar den Kopf. Ein solches Kopfschütteln signalisiert, dass es schon geht. Schwer, aber es geht schon. Man leidet halt arg. Die Leut im Bus nehmen sie nicht ernst genug. Sie merkt es, weil sich seit zwei Stationen nicht einer erkundigt hat, woran es den fehlen würde. So gerne hätte sie ihre Leidensgeschichte erzählt. Man sieht es an ihrem Gesicht. Aber heutzutage hört ja keiner mehr dem anderen zu und längst sind Egoismus und Desinteresse die Geiseln der Stadtbevölkerung geworden. Das ignorante Volk merkt es nicht einmal und erdreistet sich, trotz ihrer beständigen, schmerzvollen Atemzüge, auch noch zu lächeln und sich auf das lange Osterwochenende zu freuen. Ein letztes Mal atmet sie aus und macht sich dann auf anderem Weg bemerkbar. Weiterlesen

Willkommen!

Ich bin eine hundsmiserable Tante. Eine unzuverlässige Patin und ebenso zerstreute Freundinnen-Tante. Kaum einem der 14 Kinder in meinem Herzen habe ich in den letzten 19 Jahren pünktlich zum Geburtstag gratuliert und bei mindestens die Hälfte von ihnen mache ich ein Jahr jünger oder älter, wenn die Karte mit großer Verspätung eintrifft. Weihnachtsgeschenke habe ich mit der Geburt des fünften Kindes eingestellt und erkundige mich bei den evangelischen, wann den nun die Kommunion ansteht. An ihrem Alltag scheitere ich kläglich. Bekomme so vieles nicht mit und erfahre manches erst, wenn es schon wieder vorbei ist. Dir, arme Nummer 15 wird es nicht anders gehen. Dein Geburtstag wird vergessen werden, ich werde dich mit acht Jahren fragen, wie es auf dem Gymnasium läuft und du wirst mich in fünf Jahren beleidigt darüber aufklären, dass du längst nicht mehr im Kindergarten sondern doch schon in der Vorschule bist. Ich werde die zerstreute, chaotische und vergessliche sein. Dieses Los wirst du dir mit 14 anderen teilen. Kein Aber. Ich weiß schon jetzt, dass es so sein wird. Die kleinen Wunder vor dir haben es bewiesen. Vielleicht habe ich das unendlich große Glück, dass auch du mit einem so großen und feinen Herzen geboren bist, dass du es mir nachsiehst. Nachsicht ist nötig, bei einer Tante wie mir. Weiterlesen

Herr Mu gibt einen Sprachkurs

Langsam wird es kalt. Morgens an der Bushaltestelle spürt man den Herbst schon deutlich und bald werde ich wieder auf die U-Bahn umsteigen. Dann, wenn Herr Mu morgens nicht mehr auf der Bank sitzt und sich einen anderen Ort sucht, um den Tag mit einem Gespräch zu beginnen. Noch sitzt er aber da und der Wind scheint ihm nichts anzuhaben. Die dünne Jacke ist offen und seine Hand ruhig still auf dem Griff des abgenutzten Einkaufswagens. Ob er ein Gutzel mag, fragte er heute morgen den  Jungen, der neu an der Bushaltestelle ist. Weiterlesen

Pizza Diavolo für das Kind

Sind Sie Eltern von Kleinkinder im Krabbelalter oder darunter? Spielen Sie mit dem Gedanken Ihr Goldstück am Wochenende erstmals einem kinderlosen Babysitter zu überlassen? Vielleicht sollten Sie diesen Text dann nicht lesen. Es ist besser, Sie heben sich den Beitrag auf, bis Ihr Kind ein robustes Alter von etwa 25 Jahren erreicht hat. Rückblickend können Sie sich dann für Ihren Mut auf die Schulter klopfen. So wie meine furchtlosen Schwestern, denen ich die Details dieses Erfahrungsberichtes erst heute zumute. Weiterlesen

Sie ticken doch nicht mehr richtig!

Ich bin die Ruhe selbst. Sie können mir gerne ungefragt Ihre Meinung um die Ohren hauen. Egal wie dumm sie mir erscheint, ich lächle freundlich und denke mir meinen Teil. Sie meinen es ja nur gut, mit Ihrer Meinung. Wenn Ihnen mein freundliches Lächeln nicht reicht, dann erklären Sie mir Ihre Meinung in aller Ausführlichkeit und widerlegen alles, was ich noch gar nicht gesagt habe. Sie rüsten sich für mögliche Erwiderungen meinerseits, indem Sie Beispiele von Frauen anführen, denen es genauso geht wie mir. Natürlich müssen Sie gar nicht erst fragen, wie es mir geht. Weiterlesen