Seit Freitag Mittag schneit es und seit dem frühen Abend ist die Stadt komplett weiß. Nur selten gibt es Schneefälle, die den Dreck der Stadt binnen Minuten verdecken. Als ich den Laden betrat, lag der Schnee nur auf den Rasenflächen, zwanzig Minuten später, waren Gehweg und Straßen weiß und nach dem Abendessen bewarfen mich zwei Kinder und ein Erwachsener mit großen, in der Luft zerfallenden Schneebällen. Sie schmolzen als ich in der U-Bahn saß und ihre Reste rannten mir in den Nacken. Ein Gefühl, das nur deshalb schön ist, weil es von den steif gefrorenen Fingern ablenkt. Sie tauen später. Mit einer heißen Tasse in der Hand tut es etwas weh, ist aber ein kleiner Preis, den man für so schönen und reichlichen Schnee gerne bezahlt. Die ganze Nacht über schneit es. Ich höre es, weil auf der Straße nichts zu hören ist. In meine kleine Seitenstraße kommt kein Schneepflug und die dicke weiße Schicht verschluckt die wenigen Autos, die bei diesem Wetter unterwegs sind. Bei Schneestille aufzuwachen ist besonders, weil man sich auf die gewohnten Geräusche nicht verlassen kann. Selbst die Glockenschläge hört man kaum. Zwischen den dicken Flocken ist dem Schall die Luft ausgegangen.
Ludwig, dem Nachbarsjungen nicht. Er brüllt im Laubengang direkt vor meinem Fenster und wird erst leise, als er sich die dritte Handvoll Schnee in den Mund stopft. Man sollte ihm sagen, dass Schnee nicht in den Mund gehört. Meine Mutter tat es. Alle Mütter taten es. Ich nicht. Ich klopfe gegen die Scheibe und winke. Wieder bin ich das Ziel von Schneebällen. Auf der Arbeitsfläche in der Küche sitzend und mit einer Tasse Kaffee in der Hand beobachte ich die Geschosse, die gegen meine Scheibe fliegen. Noch hat er nicht genug Kraft um Schaden anzurichten und weil es schon egal ist, puste ich als Gruß von innen etwas Milchschaum gegen das Fensterglas. Ludwig weiß es zu schätzen und verstärkt das Bombardement. Später als er längst weg ist, sitze ich noch immer im Schneidersitz zwischen Spüle und Herd und beglückwünsche mich für den Geistesblitz, die Milch gar nicht erst in den Kühlschrank zurück gestellt zu haben. So halte ich den dritten Kaffee des Morgens in der Hand und kann weiter das Schneetreiben beobachten. Draußen ist jetzt ein Schneesturm. Die Flocken wehen bis gegen mein Fenster und ich weiß, dass ich das Haus heute nicht verlassen werde. Pasta, Olivenöl und eine Ecke Parmesan. Das reicht. Es reichte das erste Jahr in Italien und es wird an diesem Wochenende reichen. Zumal ich, auf der Anrichte sitzend kaum Kalorien verbrenne.
Was ich mache, fragt man und ich antworte nicht. Lese keine Nachrichten und überhöre das klingelnde Telefon bis weit in den Nachmittag hinein. Pause antworte ich jenen schließlich doch, die sich mehr als einmal gemeldet haben. Kaum etwas eignet sich besser für Pausen als windige Schneetage. Ab drei Uhr brennen die Kerzen am Christbaum und ich bin auf Tee umgestiegen. Sein Geruch passt zu dem Duft, des schon trockenen Baumes und ja, auch zum Schnee, der noch immer fällt. Um fünf Uhr habe ich den Moment verpasst, mich anzuziehen. Der Nachbarsjunge vor dem Fenster sieht es und lacht mich aus. Ich strecke ihm die Zunge raus und wir schneiden ein paar Minuten lang Grimassen durch das Küchenfenster. Als der Dampf des Nudelwassers die Scheibe endgültig blind macht, verschwindet er. Man könnte heute Abend doch ganz herrlich….nein, schreibe ich, heute kann ich nicht. Ich will dem Schnee noch ein wenig länger beim Fallen zusehen und bin eigentlich doch längst eingeschneit. Etwas, das mitten in der Stadt alles andere als alltäglich ist und ganz unbedingt zu einer Pause des Alltags führen muss. Die Wäsche kann warten, das Buch nicht, weil Schneefall stilles Lesen unterstützt. Von Resten des Vorratsschrankes kann man leben, ohne aus dem Fenster zu sehen nur sehr schwer, weil es dumm wäre den Blick vor etwas so schönem zu verschließen.
Ob er sich neben mich setzen darf, fragt er und ich nicke. Gerne, aber nur wenn er still ist, damit wir das Fallen der Flocken auch wirklich hören oder es eben nicht hören, weil weniges so schön klingt, das kein Geräusch hat. Morgen ist Montag. Alltag. Heute ein weiterer Schneetag. Die Flocken haben nachgelassen. Das ist in Ordnung, solange es still bleibt. In meiner Seitenstraße sicher noch eine Weile. Lange genug um mit Kaffee drei und vier aus dem Küchenfenster zu schauen. Mit der ersten Teetasse die Lichter am Christbaum anzuzünden und das Nudelwasser ein paar Minuten beim Kochen zu beobachten.
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Ulli hat und wird sie auf ihrem Blog zusammen tragen. Herzlichen Dank dafür.