Herbst…ganz normal, sagt Herr Mu

Bist traurig, fragt mich Herr Mu und ich schüttle den Kopf. Nein, murmle ich und lasse mich neben ihn plumpsen. Das Holz der Bank ist Sonnenwarm und ich mache es wie Herr Mu. Schlüpfe aus meinen Schuhen und wackle mit den nackten Zehen. Seit einigen Monaten sitzt er wieder an der Bushaltestelle und macht es sich dort fast jeden Tag gemütlich. Herr Mu wartet nicht auf den Bus. Herr Mu wartet auf Menschen aus der Nachbarschaft, mit denen er sich für ein paar Minuten unterhalten kann. Und wenn einer wie ich kommt; einer der eigentlich reden will, aber nichts zu sagen hat, dann ist Herr Mu einfach da und erwartet nichts. Drei Busse fahren vorbei und ich beobachte wie Leute aus- und einsteigen, während ich einfach in der Sonne sitzen bleibe und den abgeblätterten Nagellack an meinem großen Zeh ins Licht halte. Herbstwarm ist es, sage ich nach dem vierten Bus und der alte Mann nickt. Still liest er seine Zeitung und schaut nur kurz auf. Und trotzdem wird´s schon kälter, rede ich weiter, weil ich so gerne etwas sagen möchte aber selbst nicht weiß was. Der Nagellack an den anderen Zehen blättert auch ab merke ich und stelle fest, dass mir das aber heute völlig egal ist. Nicht wirklich kalt, fange ich wieder an. Heut ist es ja richtig warm, aber unter dem Warm, wird´s schon kalt. Es herbstelt und obwohl der Herbst nach dem Sommer so schön ist und ich mich wirklich darauf freue, kommt er doch ein bisschen arg schnell, finden Sie nicht? Herr Mu faltet seine Zeitung zusammen und legt sie neben sich. Ein paar Minuten lang sagt er nichts, grüßt mit einem Nicken einen Nachbarn und lehnt sich dann zurück. Ob ich das Wetter meine, will er wissen und es dauert ein bisschen, bis ich den Kopf schüttle.

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Abstieg

Nach neun Nächten und zehn Tagen wird es Zeit sich zu verabschieden. Die Betten sind abgezogen und ich stopfe die Wäsche in den Beutel schmutziger Wäsche. Zuhause, wenn ich ihn öffne, wird alles leicht nach altem Holz, feuchtem Wald und Ofenfeuer riechen – ein Geruch, der oben in den Bergen auf unserer Hütten schön ist, in der Stadt aber modrig und abgestanden in der Nase kitzelt. Das macht nichts, denn wenn ich wieder komme und aus dem Schrank frische Laken nehmen werde, dann werde ich es nicht riechen, weil sich mein Geruchssinn binnen Minuten auf den Duft des Holzhäuschens einstellen wird. Ein letztes Mal lüfte ich die obere Kammer und glaube wie bei jedem Abschied, ein kleines Stück von mir zurück zu lassen. Diesmal eines, das bei der Ankunft unendlich müde, erschöpft und ausgebrannt war. Lustlos und schlecht gelaunt warf ich an Gründonnerstag die Rucksäcke auf die Betten und mich selbst hinterher. Eines das jetzt wieder frei atmen kann und sich darauf vorbereitet hat, den liebsten Menschen wohl auch im April und Mai nicht sehen zu können und sich dafür über den nicht mehr aufzuhaltenden Frühling freut. Weiterlesen

Januarort

Am 6. Januar wäre meine Großmutter 107 Jahre alt geworden. Obwohl sie sich anstrengte und ich insgeheim der festen Überzeugung war, dass sie die 100 locker schaffen würde, kam es nicht dazu. Leider, denn ich vermisse sie noch heute und hätte ihr gerne das ein oder andere erzählt. Auch zugehört hätte ich ihr sehr gerne noch einige Jahre mehr. Am liebsten aber, würde ich noch einmal im Winter auf dem Kanapee ihres kleinen Zimmers sitzen und gar nichts machen – bei ihr war es leicht. Nichts zu machen, ist eigentlich nämlich gar nicht leicht. Ganz im Gegenteil, nichts zu machen erfordert ein angeborenes Talent, jahrelange Übung oder einen Ort, der es einem ermöglicht einfach nur zu sein. Weiterlesen

Ich bin raus!

Dass Sie sich bei Fragen rund um den Schnee, seine Tücken, seine Schönheit und seine Eigenarten betreffend, vertrauensvoll an mich wenden können, wissen sowohl Sie, als treue Leser, als auch meine Bekannten, Freunde und Kollegen. Ich kenn mich aus. Ich kann Ihnen sagen ob Sie mit den Scheiten aus dem zugeschneiten Holzhaufen ein Feuer im Ofen im Gang bringen. Mir reicht ein Blick und ich weiß, ob das was wird oder nicht. Ich war so oft auf unserer eingeschneiten Hütte, dass ich sehr gut beurteilen kann ob ein Stück Holz direkt vor der Tür abgeklopft werden kann oder ob ich mich zwanzig Meter bis zum Schuppen durch Oberschenkelhohen Schnee wühlen muss, um welches zu holen. Wenn Sie 34 Mal gescheitert sind, dann bekommen Sie einen Blick dafür ob etwas angeschneit oder klatschnass ist. Ich kann Ihnen auch mit einem Blick aus dem Fenster sagen ob ein Spaziergang im verschneiten Wald schön ist oder ob das aufgrund des schweren Schnees eine saublöde Idee ist. Wenn Sie wie ich Ihrem Vater jahrelang nicht geglaubt haben und dann mal fast von einem den Schneemassen nicht standhaltenden Ast erschlagen wurden, dann schauen Sie da genauer und – wie mein Vater sagen würde – mit Hirn. Und, um meinem Lehrauftrag gerecht zu werden – nein, einem fallenden Ast können Sie nicht ausweichen. Besonders nicht in den Bergen. Da springen Sie beim Wegspringen, nämlich womöglich vom Weg und gleicht direkt ins Tal. Sie können mich auch fragen ob es ein schöner Skitag wird oder ob das ganze eine elende und eisige Plackerei wird. Ich hab mich so oft auf Eisplatten lang gelegt, bin mehr als einmal im Schneetreiben von der Piste abgekommen und hab schweren, nassen Schnee lange Jahre beim frühmorgendlichen Betrachten der Bilder einer Webcam für Pulverschnee gehalten. Mittlerweile rieche ich es. Ich rieche gute Schneetage und schmecke die schlechten.  Weiterlesen

Alltag – Pause III

Seit Freitag Mittag schneit es und seit dem frühen Abend ist die Stadt komplett weiß. Nur selten gibt es Schneefälle, die den Dreck der Stadt binnen Minuten verdecken. Als ich den Laden betrat, lag der Schnee nur auf den Rasenflächen, zwanzig Minuten später, waren Gehweg und Straßen weiß und nach dem Abendessen bewarfen mich zwei Kinder und ein Erwachsener mit großen, in der Luft zerfallenden Schneebällen. Sie schmolzen als ich in der U-Bahn saß und ihre Reste rannten mir in den Nacken. Ein Gefühl, das nur deshalb schön ist, weil es von den steif gefrorenen Fingern ablenkt. Sie tauen später. Mit einer heißen Tasse in der Hand tut es etwas weh, ist aber ein kleiner Preis, den man für so schönen und reichlichen Schnee gerne bezahlt. Die ganze Nacht über schneit es. Ich höre es, weil auf der Straße nichts zu hören ist. In meine kleine Seitenstraße kommt kein Schneepflug und die dicke weiße Schicht verschluckt die wenigen Autos, die bei diesem Wetter unterwegs sind. Bei Schneestille aufzuwachen ist besonders, weil man sich auf die gewohnten Geräusche nicht verlassen kann. Selbst die Glockenschläge hört man kaum. Zwischen den dicken Flocken ist dem Schall die Luft ausgegangen. 

Ludwig, dem Nachbarsjungen nicht. Er brüllt im Laubengang direkt vor meinem Fenster und wird erst leise, als er sich die dritte Handvoll Schnee in den Mund stopft. Man sollte ihm sagen, dass Schnee nicht in den Mund gehört. Meine Mutter tat es. Alle Mütter taten es. Ich nicht. Ich klopfe gegen die Scheibe und winke. Wieder bin ich das Ziel von Schneebällen. Auf der Arbeitsfläche in der Küche sitzend und mit einer Tasse Kaffee in der Hand beobachte ich die Geschosse, die gegen meine Scheibe fliegen. Noch hat er nicht genug Kraft um Schaden anzurichten und weil es schon egal ist, puste ich als Gruß von innen etwas Milchschaum  gegen das Fensterglas. Ludwig weiß es zu schätzen und verstärkt das Bombardement. Später als er längst weg ist, sitze ich noch immer im Schneidersitz zwischen Spüle und Herd und beglückwünsche mich für den Geistesblitz, die Milch gar nicht erst in den Kühlschrank zurück gestellt zu haben. So halte ich den dritten Kaffee des Morgens in der Hand und kann weiter das Schneetreiben beobachten. Draußen ist jetzt ein Schneesturm. Die Flocken wehen bis gegen mein Fenster und ich weiß, dass ich das Haus heute nicht verlassen werde. Pasta, Olivenöl und eine Ecke Parmesan. Das reicht. Es reichte das erste Jahr in Italien und es wird an diesem Wochenende reichen. Zumal ich, auf der Anrichte sitzend kaum Kalorien verbrenne. 

Was ich mache, fragt man und ich antworte nicht. Lese keine Nachrichten und überhöre das klingelnde Telefon bis weit in den Nachmittag hinein. Pause antworte ich jenen schließlich doch, die sich mehr als einmal gemeldet haben. Kaum etwas eignet sich besser für Pausen als windige Schneetage. Ab drei Uhr brennen die Kerzen am Christbaum und ich bin auf Tee umgestiegen. Sein Geruch passt zu dem Duft, des schon trockenen Baumes und ja, auch zum Schnee, der noch immer fällt. Um fünf Uhr habe ich den Moment verpasst, mich anzuziehen. Der Nachbarsjunge vor dem Fenster sieht es und lacht mich aus. Ich strecke ihm die Zunge raus und wir schneiden ein paar Minuten lang Grimassen durch das Küchenfenster. Als der Dampf des Nudelwassers die Scheibe endgültig blind macht, verschwindet er. Man könnte heute Abend doch ganz herrlich….nein, schreibe ich, heute kann ich nicht. Ich will dem Schnee noch ein wenig länger beim Fallen zusehen und bin eigentlich doch längst eingeschneit. Etwas, das mitten in der Stadt alles andere als alltäglich ist und ganz unbedingt zu einer Pause des Alltags führen muss. Die Wäsche kann warten, das Buch nicht, weil Schneefall stilles Lesen unterstützt. Von Resten des Vorratsschrankes kann man leben, ohne aus dem Fenster zu sehen nur sehr schwer, weil es dumm wäre den Blick vor etwas so schönem zu verschließen. 

Ob er sich neben mich setzen darf, fragt er und ich nicke. Gerne, aber nur wenn er still ist, damit wir das Fallen der Flocken auch wirklich hören oder es eben nicht hören, weil weniges so schön klingt, das kein Geräusch hat. Morgen ist Montag. Alltag. Heute ein weiterer Schneetag. Die Flocken haben nachgelassen. Das ist in Ordnung, solange es still bleibt. In meiner Seitenstraße sicher noch eine Weile. Lange genug um mit Kaffee drei und vier aus dem Küchenfenster zu schauen. Mit der ersten Teetasse die Lichter am Christbaum anzuzünden und das Nudelwasser ein paar Minuten beim Kochen zu beobachten. 

Alltag….Mehr Beiträge zum Thema finden sich hier:
Ulli hat und wird sie auf ihrem Blog zusammen tragen. Herzlichen Dank dafür.

Fenster Geschichten

Wenn Sie am 08.12.2018 zur Lesung kommen, dann lesen Sie jetzt nicht weiter, ja? Sonst wird Ihnen da dann fad. 

Wenn ich jetzt im Winter morgens in die Arbeit gehe, dann mag ich es, in die hell erleuchteten Fenster zu blicken. Freilich, das ist neugierig und wahrscheinlich gehört es sich auch nicht, aber wer das nicht will, der könnt ja einfach die Vorhänge zuziehen. Manche sollten das auch. Zum Beispiel des Prackl von Mannsbild, das im Parterre gleich ums Eck wohnt. Jeden morgen steht er in der ausgeleierten Unterhosen vorm Herd und schaut der Milch beim warm werden zu. Und ich ihm beim Zuschauen, weils gar so nett ausschaut, wie er dasteht, das Kreuz durchdrückt und sich gähnend die Haar zu richten versucht. Den mag ich. Weil er lustig ist. Die Familie mit den drei Kindern daneben würd ich wahrscheinlich auch mögen, wenn ich sie kennen würde. Fremd aber, sind sie mir ein bisschen zu langweilig. Die sitzen nur am Tisch und es passiert nichts. Wobei ja eigentlich auch gar nichts passieren muss. Manch einem kann man auch beim Sitzen zuschauen ohne das einem die Zeit lang wird. Wenn ich morgens auf den Bus warte, dann sehe ich eine alte Frau an ihrem Küchentisch sitzen. Die macht gar nichts. Die trinkt bloß eine Tasse Kaffee. Aber sie lächelt dabei und es sieht so schön aus, wie sie die Tasse nimmt, langsam nippt, lächelt und sie dann wieder absetzt. Wenn sich einer so über den ersten Kaffee des Tages freut, dann freut einen das auch – schon beim Zuschauen. Zu der würde ich mich sofort dazu setzen. Zu anderen auf keinen Fall. In machen Wohnungen herrscht ein Gewusel, dass einem ganz schwindlig wird. Da fragt man sich wie zwei eine halbwegs gute Beziehung führen wollen, wenn sie sich schon in der Küche früh morgens dauernd anrempeln, weil keiner ausweichen will. Solche Paare, haben auch zwei Fernseher. Das sieht man dann abends. Da sitzt einer in der Küche und einer im Wohnzimmer. Von außen betrachtet, ein trauriger Anblick. Vor allem wenn die jeden Abend alleine rumsitzen. Da wären zwei Wohnungen doch gescheiter, dann bliebe zu hoffen, dass sie sich freuen, wenn sie sich dann mal sehen. Dann müssten sie auch nicht jeden Abend streiten, wie die zwei im Hinterhaus, bei denen man froh ist, dass jetzt Winter ist und die Fenster geschlossen und die Vorhäng zugezogen sind. Hinter diesem Fenster werden Geschichten erzählt, die ich nicht hören will. Das machen sie nämlich, die hellen Fenster im Winter – sie erzählen Geschichten.  Weiterlesen

Winterproblem

Jedes Jahr, wenn der warme, goldene Herbst, zum grauen, kalten Herbst wird, bin ich heilfroh, kein Auto zu besitzen. Gestresste Kollegen, die verzweifelt versuchen, beim ersten Schneefall auf die Schnelle einen Werkstatttermin zum Reifenwechseln zu bekommen, schaue ich mitleidig an. Auch jene, die es versäumt haben, sich für den Winter einen Tiefgaragenstellplatz zu besorgen, dürfen sich bei mir im Büro ausweinen. Gerne schenke ich beruhigenden Kamillentee aus und stelle denen, die morgens die Windschutzscheibe abkratzen mussten, Handcreme auf den Schreibtisch. Bei all der Jammerei bin ich sehr geduldig und habe ein offenes Ohr. Der Winter kommt, wie jedes Jahr überraschend. Man könnte meinen, dass man in Bayern im Laufe der Jahre ein Gefühl dafür bekommen hätte, dass er meistens direkt nach dem Herbst kommt, stellt aber fest, dass Frost und Schnee einen immer wieder aufs Neue überraschen. Nicht auszudenken, wenn man sich auf die Kälte zu früh vorbereitet und dann wie ein Depp mit Handschuhen morgens vor einem Auto mit Winterreifen stehen würde. So weit lassen wir es nicht kommen. Die Bayern stehen am ersten richtig kalten Tag grundsätzlich mit leichter Jacke vor ihrem Auto und fragen sich wie der Winter so schnell, fast über Nacht, kommen konnte. Und dann, erst dann, kümmert man sich um Werkstatttermine und Tiefgaragenstellplätze. Oder, wie meine Nachbarn und ich, um Balkon und Heizung. Weiterlesen