Dante hätte gelacht

Ich mag den Mai nicht. Und weil ich nicht mag, bereite ich mich schon im April darauf vor ihm nicht zu mögen. Dann verabscheue ich den frühen Flieder, weil er schön ist, wo nichts schön zu sein hat. Das Erwachen der Natur ekelt mich an, weil es mich an das Vergängliche von allem Lebendigen erinnert. Und die ersten warmen Tage gehen mir auf die Nerven, weil ich wochenlang selbst in der Sonne friere. Auch damals mochte ich den Mai nicht, weil er der Monat des Abschieds war. Und auch damals habe ich schon im April getobt und gewütet. Im Mai hätte mir die Kraft gefehlt und ich konnte euch nicht ohne ein letztes Aufbäumen gehen lassen. Den einen, weil es unfair war, dass ihm das Leben einfach aus der Hand genommen wurde und dem anderen, weil er das seine sinnlos hinterher warf. Ihr musstet mir versprechen, nur Orte aufzusuchen, die mir nichts bedeuteten und die ich am besten gar nicht kenne.

Versprechen ist gut, höre ich dich leise murmeln und bemerke das Lachen in deiner Stimme. Es sei eher ein Befehl gewesen, den ich euch erteilt habe. Du musst mich nicht erinnern, dass ich euch an einem unserer letzten Tage eine ganze Liste von Städten und ganzen Landstrichen aufgeschrieben habe, an denen ich euch auf eurer letzten Reise nicht wissen wollte. Die ganze Fahrt über habe ich dich schon bei mir gespürt, aber erst jetzt, wo ich an meinem Lieblingsplatz sitze und endlich wieder Veroneser Luft rieche höre ich dich. Ganz leise nur, weil ich mich gerade unterhalte, aber laut genug um dich bemerkbar zu machen. In Gedanken frage ich dich ob ihr euch daran gehalten habt und sehe wie du an der Statue Dantes lehnst und schmunzelnd den Kopf schüttelst. Nein, ich hätte zu wenige Orte übrig gelassen, für die die kurze Zeit, die dein Bruder noch hatte. Aber nicht Verona, beeilst du dich zu sagen und ergänzt, dass ich dich umgebracht hätte, wärt ihr dorthin gefahren.  Stimmt, ich hätte euch eigenhändig erwürgt. Auf diese Weise hätte es sich auch erledigt, höre ich dich noch murmeln und schlucke, weil mir dein Humor zu schwarz ist und ich mich frage, ob es ein Fehler war gerade im Mai hier her zu kommen.

Es war klar, dass du hier auf mich warten würdest. Im Mai bist du mir näher und ich spüre deine Anwesenheit stärker als sonst. Bei allem was mir wichtig ist, ist noch ein Teil von dir an meiner Seite. Warum also nicht auch hier. Dann gehen wir eben zu dritt durch die Stadt und ich führe zwei Menschen zu den schönsten Orten. Du verbittest dir mehr als zwei Schuhgeschäfte, lachst ein letztes Mal und bist dann für den restlichen Abend still. Das ist auch gut so. Ich bin es nicht gewohnt, dich bei mir zu haben, wenn ich mit einer anderen Person beschäftigt bin. Erst als ich ins Bett gehe, sehe ich dich wieder. Du sitzt auf dem Fensterbrett meines Zimmers am offenen Fenster, rauchst eine Zigarette und schaust nach draußen in die schmalen Gassen. Wir hätten gemeinsam hier her kommen sollen, denke ich bevor ich einschlafe und höre dich sagen, dass wir so vieles hätten tun sollen.

Morgens riecht das Zimmer nach kaltem Rauch und du bist nicht mehr hier. Dafür liegt „meine“ Stadt im Sonnenlicht vor dem Fenster. Kein Ersatz, aber auch schön. Erstaunlich schön, für den Mai, den ich so gar nicht mag. Aber das Frühstück mag ich. Das Lachen mit meiner Freundin und den Weg zu meiner alten Wohnung. Wir stehen in der schmalen Gasse und ich zeige ihr das winzige Fenster meiner Wohnung. Es wundert mich nicht, dich dort zu sehen. Auch später nicht, als du immer wieder kurz auftauchst und die Augen verdrehst weil meine Handtasche offen und Geldbeutel und Handy deutlich sichtbar darin liegen. Und irgendwann erinnert mich dein Lachen, als auch ich gerade lache, daran, dass wir in dem Mai an den zu denken ich immer vermeide, mehr gelacht haben als in allen anderen Monaten zuvor. Und plötzlich mag ich ihn, den Mai. Ich mag ihn, diesen verdammten Mai. Weil ich nie zuvor so herzhaft gelacht habe, wie in diesen Tagen und weil das Lachen, wenn es nichts zu Lachen gibt, besonders angenehm und wohltuend ist. Es ist dreckiger und schwärzer, aber auch ehrlicher.

Sie werden versöhnlicher, die Tage im Mai. Die Erinnerung an ein Lachen schiebt sich zwischen die anderen Erinnerungen. Auch das Bild von zwei erwachsenen Männern, die in einem Hinterhof Fußball spielen und deren Lachen von den Hauswänden widerhallt, taucht auf. Der eine schreit den anderen an, der möge sich doch bitte mal bewegen und der erwidert, dass er verdammt noch mal todkrank sei und man darauf etwas Rücksicht nehmen könne. Er sagt es lachend und bewegt sich, als er „wehleidige Pussy“ genannt wird, schneller und flinker als man es ihm zugetraut hätte. Auf der Piazza dei Signori spielen ein paar kleine Kinder Fußball. Ich sehe sie. Hören aber tue ich zwei Menschen, die schon lange nicht mehr bei mir sind. Ihre Sätze sind abgehackt und unter dem lauten Schnaufen und Keuchen fast nicht zu verstehen. Aber ihr Lachen, ist deutlich zu hören. Es klingt so klar und schön, wie das der Kinder. Nur, dass diese sich nicht keuchend als „Simulant“ und „Feigling“ titulieren. Als ihr leiser werdet, sehe ich auf und höre euer Lachen nur noch leise zwischen dem der spielenden Kinder. Ich laufe über den Platz, renne durch die schmalen Seitenstraßen bis zum Fluss und bleibe erst stehen, als ich keine Luft mehr bekomme. Atemlos höre ich, wie ihr mich darauf hinweist, dass ich auch schon einmal besser in Form gewesen bin und beginne zu lachen. Ich bin jetzt älter als ihr je gewesen seid, also haltet den Mund. Vor allem weil ihr doch in Verona gewesen seid. Jetzt bin ich mir sicher.

Ich mag den Mai.

7 Gedanken zu “Dante hätte gelacht

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