Ob ich noch ganz richtig ticken würde, wollte Paul gestern Abend am Aufzug von mir wissen. Selbst für meinen Nachbarn Paul, für den ein Schnalzen mit der Zunge als adäquate Begrüßung galt, war dieser Gesprächsauftakt ein wenig unfreundlich. Ich schob es auf ein zuviel an Sonneneinstrahlung und zuckte nur mit den Schultern. Für mein Empfinden tickte ich durchaus richtig und noch dazu in einem überaus fröhlichem Rhythmus. Ohne auf den möglichen Sonnenstich meines Nachbarn Rücksicht zu nehmen, drückte ich ihm einen zwanzig Liter Sack Erde in die Arme und bat ihn diesen zu halten, um meine Post aus dem Kasten zu fischen. Mit einem gemurmelten „ihr spinnt doch“, erhielt ich meine Erde zurück und sah den vermeintlich Kranken ohne eine weitere Erklärung recht flott die Treppen nach oben sprinten. Wenn es nicht die Sonne war, dann war es sicher ein weibliches Wesen, das Paul die Laune verdorben hatte. Nachdem ich es nicht sein konnte, da ich die letzten Tage in Italien verbracht hatte, war es mir egal.
Als ich am Saftstand vor meiner Wohnung vorbei kam und brav 50 Cent für einen lauwarmen Becher abgestandenen Apfelsaft bezahlte, dämmerte mir, warum Paul an meinem Verstand zweifelte. Er sieht von seinem Fenster aus meinen Laubengang, wohnt aber im Hinterhaus und bekommt die wirklichen wichtigen Dinge erst als einer der Letzten mit.
Mit einem Glas kühlem Rosé in der Hand setzte ich mich etwas später in die Abendsonne auf die Bank vor meinem Küchenfenster. Barfuß. Neben mir, ein vollbehangener Wäscheständer. Meine Wohnungstür ließ ich offen stehen. Wenn Sie sich fast sieben Jahre einen Laubengang mit Frau Obst geteilt hätten, dann wüssten Sie, dass sich das alles so verboten anfühlt, als würden Sie sich nachts nackt in die Waschküche schleichen. Ich winkte Paul, der auf seinem Balkon stand, mit meinen nackten Zehen und er fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Hals. Eine Geste, die mir bewies, dass er erstens, wirklich nichts wusste und zweitens, Frau Obst genauso gut kannte wie ich. Ein paar Minuten später betrat er den Laubengang und setzte sich neben mich auf die Bank. Auf seine Frage ob ich ihm ein Glas Rosè anbieten würde, schüttelte ich streng den Kopf und deutete auf den Saftstand des kleinen Ludwigs. Erst müsse er etwas kaufen. In diesen Laubengang verirrten sich so wenige Menschen, dass die, die ihn betraten unbedingt etwas konsumieren mussten. Zweifelnd betrachtete Paul das rosa Tischchen und den mintgrünen Kinderhocker auf dem strahlend der Sohn meiner Nachbarin Judith saß. Der machte das Geschäft seines Lebens. Paul bezahlte nämlich mit einem Zehn Euroschein und hatte nicht bedacht, das Dreijährige nur selten Wechselgeld in der Tasche haben. Durch die Sonne milde gestimmt, warnte ich Paul wenigstens, den Saft nicht zu trinken. Ludwig ist selbst sein bester Kunde und in den Saftbechern schwammen Kekskrümel. Man schluckte die Brühe besser nicht. Aber man konnte sie bedenkenlos in die Margeritenbüsche kippen, die seit gestern Vormittag den Laubengang zierten. Jene Blumen von denen Frau Obst behauptete, sie würden nach Verwesung stinken.
Als ich mein Glas auffüllte, brachte ich Paul eines mit. Der hellblaue Teppich unter meinen nackten Füßen fühlte sich herrlich an und war auch viel schöner als der hässliche graue Schmutzfänger von Frau Obst. Den hatte ich am Morgen in den Müll geworfen. Ich stieß mit meinem Glas gegen das von Paul und deutete auf die schönen Windspiele aus Glas, die an beiden Enden des Laubengangs von der Decke hingen. Tonlos, aber Regenbogen werfend. Zum bestimmt fünften Mal schüttelte er wortlos den Kopf und lehnte sich dann an die Wand. Lachend schloss er die Augen.
„Ich weiß nicht, was die Alte macht, wenn sie das sieht, aber sie wird durchdrehen.“ Er nahm einen Schluck Wein.
„Sie verprügelt dich mit dem Besen.“ Er blinzelte zu Ludwig. „Und den Zwerg wirft sie über die Brüstung. Samt Puppenstube.“
„Saftstand. Das ist ein Saftstand.“, verbesserte ich ihn und schloss ebenfalls die Augen.
Was Paul nicht wusste – Frau Obst wohnt nicht mehr rechts neben mir. Sie wohnt jetzt links neben mir und hat somit im Laubengang nichts mehr zu suchen. Wenn Frau Obst jetzt ihre Wohnungstür öffnet, dann blickt sie in das sterile und kalte Treppenhaus. Der sonnige Laubengang, der wie ein weiterer Balkon ist, gehört nun Judith und mir und eine Glastür trennt uns vom Hausdrachen. Die beiden haben nämlich die Wohnungen gewechselt. Jede wohnt nun in der Eigentumswohnung der anderen, weil der einen die Wohnung zu groß und der anderen die Wohnung zu klein geworden ist.
Vor meinem Küchenfenster steht nun nicht mehr Frau Obst, die missbilligend die Wasserflecken auf den Edelstahlarmaturen begutachtet. Seit einigen Tagen winken mir Ludwig oder seine Schwester durch das Fenster zu. Die Kinder spielen im Laubengang, weil dort abends die Sonne scheint. Und genau deshalb hängen wir dort jetzt auch unsere Wäsche auf. Und abends sitzen wir dort draußen, halten unsere Zehen in die Sommerluft und haben es uns innerhalb von nur zwei Tagen sehr gemütlich gemacht. Nur das Zähneknirschen von Frau Obst, das durch zwei Türen und eine Wand bis zu uns zu hören ist, stört ein wenig. Ich denke, dass wir uns bald daran gewöhnt haben und es nicht mehr bemerken werden. Auch die Zettel in unseren Briefkästen können wir gut ignorieren. Auf dem heutigen ermahnte uns Frau Obst, dass wir bloß nicht auf die wahnwitzige Idee kommen sollen, im Laubengang zu grillen.
Paul ist besorgt gerade Grillkohle und ich werde gleich rein gehen um den Nudelsalat fertig zu machen. Vielleicht übertreiben wir wirklich ein wenig. Obwohl….nein. Wir holen nur sieben Jahre verschwendeter und ungenutzter Abendsonne nach.
Wie schön. Und vielleicht möchte Frau Obst ja vom Grill naschen? Und vielleicht besänftigt sie das sogar 😉😊
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Ich würde ihr auf jeden Fall etwas abgeben. Vielleicht geschieht ein Wunder. 😊
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😊😎
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Das Leben ist zu kurz, um nicht im Laubengang zu grillen.
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Genau so ist es!
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… Freidenker… lösen sich… in Feuer 😉
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😊
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‚Laubenklang‘ klingt wunderbar – oh, vertippt! Hihi! ‚Laubengang‘ mein ich. Prost!
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Sehr schön, Fräulein Mitzi! Wenn sie so weitermachen, werde ich mich demnächst ganz unverschämt selbst zum Grillen bei ihnen im Laubengang einladen – einfach nur um einen Blick auf Frau Obst werfen zu können und natürlich um Paul mit den Zehen zu winken…
liebste Grüße aus dem Westen der Stadt
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Das ist nicht unverschämt, sondern eine ganz hervorragende Idee, liebe Simone.
Ich winke in den Westen und melde mich.
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Ich glaube, ich habe schon einmal berichtet, dass mein Bilder-Zufalls-Generator auf dem PC nicht „zufällig“ Fotos auswählt, sondern vermutlich „übersinnlich“ ist. Es werden sehr oft Fotos gezeigt, die mich an etwas erinnern sollen, oder zum Thema passen, mit dem ich mich gerade beschäftige.

Als ich eben las:“Grillen im Laubengang“, kam DIESES Foto hoch.
Ich bin WIRKLICH etwas verblüfft.
Gruß Heinrich
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Lieber Heinrich,
mir scheint Ihr Zufallsgenerator ist etwas ganz besonderes! Vermutlich liegt es an den guten Schwingungen, die Sie aussenden.
Herzliche Grüße
Ihre Mitzi
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Liebe Mitzi,
danke für die Schwingungen!
Ich habe noch eine OffTopic Frage.
Ist meine Email angekommen?
Bitte kreuzen Sie an:
a. JA
b. NEIN
c. weiß nicht
d. vielleicht – wer weiß schon?
e. Ja, aber der Mitzi-.Bodyguard killt alle unaufgeforderten Emails
f. Nein, aber ist auch nicht wichtig
g. Ja, aber ich antworte nicht innerhalb von so kurzer Zeit
h. Nein, und ich bin sehr gespannt, warum nicht.
bei H wie Heinrich höre ich mal auf, ich muss wech….
oder noch i.
i. habe sie gerade im Spamfilter gefunden.
Gruß Heinrich
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Lieber Heinrich,
a. Jetzt hab ich sie entdeckt
c. Bis vor wenigen Augenblicken
g. Ihnen eigentlich schon. Aber bei dem Wetter hab ich das Postfach nach hinten priorisieren.
🙂
Und jetzt antworte ich Ihnen.
Liebe Grüße und gut, dass Sie mich darauf gestupst haben.
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wann soll ich da sein?
auf dem heimweg könnte ich den abfall
also auch die altediskret entsorgen …für fleisch und nudelsalat tut der held (fast) alles …
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Gegen sieben 😉
Entsorgung aber nicht nötig. Die Glastüre als Abschirmung reicht. Ich habe es getestet.
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ok,ok … hauptsache dir ist klar … dass ich ohne zu zögern … für dich TÖTEN würde … 😈
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Immer müsst ihr die arme Frau Obst ärgern. Voll gemein.
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Ach komm! Grad du sagst das.
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Ich bin die Unschuld vom Lande.
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Hamburg?
Unschuld?
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Sodom & Gomorra nur am Wochenende, Schatzi. Ich wohne in einem Dorf.
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ich bin gespannt, wie lang der wohnungstausch ohne zwischenfälle gut gehen wird 🙂
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Sie könnten ja Frau Obst zum Grillen einladen. Oder auf ein Stück Obst … 🙂
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Ich dachte an gegrillte Sauerkirschen 😉
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