Ob ich klarkommen würde, fragte mich ein ganz in schwarz gekleideter Security Mitarbeiter, bevor er mich – ohne eine Antwort abzuwarten – durch einen Seitenausgang auf einen ausgestorbenen Parkplatz schob. Sie kennen „Aktenzeichen XY“? Dann wissen Sie wie dieser Parkplatz aussah. Riesengroß, stockdunkel und mit vereinzelten Laternen, die einzig und alleine dazu dienten, den wabernden Nebel in ein angemessen gruseliges Licht zu rücken. Drei Stunden nach Ladenschluss des dazugehörigen Einkaufszentrums, stand kein einziges Auto mehr hier. Einen kurzen Moment empfand ich diese Tatsache als beruhigend. So konnten wenigstens keine vermummten Personen plötzlich hervorspringen. „Aktenzeichen XY“ lehrt, dass dies ab und an durchaus vorkommt. Allerdings stand ein dunkler, wenig vertrauenserweckender Lieferwagen direkt an der Einfahrt des Parkplatzes. Sie wissen schon, so ein dunkler Lieferwagen, wie man ihn aus Tatortfolgen kennt. Einer in den man gezogen wird, nachdem einem ein Lappen mit Betäubungsmittel auf Mund und Nase gedrückt wurde. Eigentlich schaue ich mir den Tatort nicht an. Aber an die wenigen Folgen erinnerte ich mich, als die den Parkplatz überquerte. Die Lesung, die ich an diesem Abend hatte, war toll. Ich bedauerte es nur, mich danach so lange mit dem Veranstalter verquatscht zu haben, dass ich am Ende mitten in der Nacht im nirgendwo stand.
Lesungen in Einkaufszentren, die naturgemäß häufig im Industriegebiet liegen, sind ganz große Klasse. Wirklich. Also eigentlich nicht, aber manchmal schon. Meistens bekommt man dort ein Hotel gebucht, das man ganz leicht zu Fuß erreichen kann. Bloß ein Viertelstündchen, wenn man langsam geht. Meist an einer verlassenen Landstraße entlang. Eine ohne Gehweg daneben, weil da meistens auch keiner geht. Jedenfalls nichts nachts. Ganz große Klasse. Nach fünf Minuten weiß man, dass man das Angebot sich zum Hotel fahren zu lassen, besser angenommen hätte. Aber man will ja keine Umstände machen. Nachts an dieser Schnellstraße schwor ich mir, nie wieder einen Thriller zu lesen. Nur noch Liebesromane, dann könnte ich mir bei der nächsten nächtlichen Landstraße vorstellen, dass anstelle des Serienkillers, den ich erwartete, ein unverheirateter unglaublich sympathischer Tierarzt anhält und mich unerwartet zum Essen ausführt. Hinterfragen Sie den Tierarzt bitte nicht – ich habe eine Schwäche für diese Berufsgruppe. Ich laufe übrigens grundsätzlich nur im Herbst und Winter an solchen Straßen entlang.
Lesungen finden nämlich sehr gerne im November oder im Januar statt. Da können die Menschen ein bisschen Kultur vertragen. Und da Kultur am Nachmittag schwer im Magen liegt, sogar die meine, ist man zwangsläufig irgendwann spät nachts noch unterwegs. Auch wenn die Berliner jetzt widersprechen, fühlte ich mich als Münchnerin als Großstadt erprobt. Bahnhöfe, Bahnhofsviertel und etwas rustikalere Viertel schocken mich nicht. Überhaupt bin ich kein ängstlicher Mensch. Grenzwertig wird es, wenn ich aufgrund einer nicht erfolgten Hotelbuchung und der Weigerung auf einer mir unbekannten Schlafcouch zu nächtigen doch noch die allerletzte Zugverbindung in Richtung Bayern ausreize. Da gab es einen Bahnhof der mir in Erinnerung geblieben ist. Seltsame Leute waren dort unterwegs, wie es am Bahnhöfen eben oft der Fall ist. Unangenehm wird es dann, wenn es Bahnhöfe sind wo neben den seltsamen Leuten die normalen Leute fehlen, die den Ausgleich schaffen. Vermutlich war ich selbst auch seltsam. Mit einem grasgrün kleinen Rollkoffer und einer 1 Liter Plastikflasche mit selbst gemischten Gin Tonic in der Hand. Das hat man außen zum Glück nicht gesehen aber der Veranstalter verkauft sind Spezialitäten und hat mir für die Heimfahrt was Gutes zusammen gemixt. Ich fand das unglaublich nett von ihm, war aber angesichts der Größe der Flasche leicht irritiert. Ich hab in meinem Leben durchaus schon einmal mehr als ein Glas Gin Tonic getrunken, bin allerdings auch sehr, sehr sicher, dass ich bei einem Liter ein Fall für die Notaufnahme wäre. An diesem Bahnhof war ich aber mit einem Liter Alkohol in der Hand gut aufgehoben. Der Rest der Leute dort war nämlich auch stockbesoffen. Und sie stritten. Und sie schlugen Bierflaschen an die Mauer. Und mit diesen abgeschlagenen Flaschen gingen sie dann auf einander los. Es war ein ganz schöner Radau, und das Rattern meines Rollkoffers war gar nicht mehr so laut wie sonst an diesem Abend. Das Blaulicht und die Sirenen der heranfahrenden Polizei beruhigt mich ein wenig und ich schob mich und meinen Koffer möglichst unauffällig in Richtung der Gleise. Um 2:30 Uhr nachts bin ich in München angekommen. Aber die Lesung war toll.
Die in einem Einkaufszentrum vor einiger Zeit war nicht so toll. Wir waren vier Autoren die abwechselnd über vier Stunden verteilt gelesen haben und hatten ein Maximum an Zuhörern von 1,5. Also einer der stehen blieb und zuhörte und ein halber der eigentlichen nicht stehen bleiben wollte, aber von dem, der das wollte, dazu genötigt wurde. Das ist kein Witz vier Stunden lang haben wir ins Nichts gelesen. Die Bühne war jetzt nicht ganz so günstig aufgebaut. Zwischen Woolworth und Netto und ohne den Einkäufern zu nahe zu treten, damit vielleicht nicht ganz am Klientel, das Freude an uns gehabt hätte. Ich mein, eine Buchhandlung wär halt fein gewesen, aber die gab’s in diesem Einkaufszentrum nicht. Aber einen Junggesellenabschied, den gab es dort. Ich glaube es war nicht der Hauptort der Festivitäten, aber dort wurde sich mit Alkohol eingedeckt. Und die sind tatsächlich auch kurz stehen geblieben und haben ganz laut ausziehen geschrien, als einer meiner Kollegen gerade gelesen hat. Das hat ihn nicht gestört, der ist hart im Nehmen. Gestört hat ihn auch nicht als man den Stecker vom Mikrofon Verstärker gezogen hat, weil nach drei Stunden klar war, dass uns eh keine Sau zuhört. Aber schön war’s schon. Nicht die Lesung aber der Eierlikör und der abgepackten Salat den wir uns gegen Ende im Netto geholt haben. Und im Woolworth haben wir – nachhaltig! – je eine Gabel aus Metall gekauft. Ich erinnere mich jedes Mal an diesen wunderschönen Abend, wenn ich mir die Lippe an der scharfen Kante dieser Gabel aufreiße. Für unter einem Euro kann man bei Besteck halt nicht mehr erwarten. Aber insgesamt… ja doch, war auch das recht schön.
Für die kommende Lesung empfiehlt mir ein Kollege dringend die Anreise mit dem Auto. Ich erkläre lachend, dass das wirklich nicht nötig ist. Der Bahnhof ist doch in Laufweite. Er schickt mir ein Foto des Bahnhofes, ich komme ins Schwanken. Egal. Es wird der Zug werden. Wenn einer wie ich nur über erlebtes und nicht erdachtes schreibt, dann bleibt ihm ja gar nichts anderes übrig, als sich ins Abenteuer zu stürzen.
Waaas für Erlebnisse, mit so viel Enttäuschung und Traurigkeit und dennoch irgendwie schön, unvergesslich.
Fein geschrieben, liebe Mitzi …
Herzliche Grüße vom Lu
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Genau lieber Lu. Und am Ende überwiegt immer das Gefühl, dass es schön war. Insofern passt das alles schon 🙂
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Was willst du auch noch machen, vergangenes ist nicht mehr zu ändern, um kein Jota, liebe Schriftstellerin…
Herzliche Grüße vom Lu
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Lieber Lu, verspätet stimme ich dir zu. Liebe Grüße
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Have a pleasant day 🎶🎶🎵🎵💌
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Du wechselst das Fach? Krimi und Triller, äh, Thriller? Und die Trillerpfeife und das Pfefferspray immer dabei (wenn es nicht die Literflasche für etwaige Bestechungsversuche ist)?
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Nur ein kleiner Ausflug in diesem Bereich. Die Trillerpfeife wäre eine Variante, beim Pfefferspray hätte ich Angst dass der Windfall steht und ich das ganze in die Augen bekomme. Mittlerweile erkundige ich mich einfach vorher wie ich am besten gut nach Hause komme.
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„ein unverheirateter unglaublich sympathischer Tierarzt“
träum weiter, schätzchen. da waren schon tausend andere, die die guten weg geschnappt haben.
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😂😂👍
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Oh, diese Atmosphäre menschenleerer Shoppingcenterparkplätze.. , und das Lesen ins Nichts…, wo man sich doch drauf freute und noch mal vorher geprobt hat..
Möönsch!🙄
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Zum Glück ist es ja nicht jedes Mal so und irgendwie rückblickend findet man meistens doch etwas das schön gewesen ist. Entweder oder die lieben Kollegen mit denen man sich das Lesen ins Nichts teilen konnte. Aber Humor sollte man trotzdem besser haben. 😉
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Mitzi, du lebst ja richtig schön gefährlich – also ich möchte nachts nicht neben der Schnellstraße laufen. Auch nicht auf der Straßenseite, auf der mir die Autos entgegen kommen, damit ich ausweichen kann. Wenn da aber ständig ein Auto kommt, komme ich ja nicht vorwärts.
Ich bin auch relativ unängstlich.
Du wärst bei meinem noch aktuellen Post endlich mal eine, die nicht wie alle anderen sagt: „Ach, ich habe keinen Fernseher oder ich gucke schon seit Jahren nicht mehr …“ Ich kam mir ja schon richtig blöd vor mit meinen drei kritisierten Werbungen, die ALLE aus den öffentlichen Sendern sind.
Und tschüss sagt Clara
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Da werde ich gleich mal nachlesen gegen Clara. Lass dich nicht verunsichern, der eine oder andere schaut vielleicht nicht mehr fern, hat dafür aber Amazon oder Netflix auch nicht von mehr Intellekt zeugt 😉😘
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Der Bahnhof hört sich für mich nach Mannheim an. Der Mannheimer Bahnhof ist wirklich ein bisschen gruselig. Oder war es Ludwigshafen? Egal.
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Weder noch, es war ein viel kleinere Bahnhöfe. Der eine aber tatsächlich in der Nähe von Mannheim.
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Herbstkultur hin oder her , pass auf, damit dir nix schlimmes passiert.
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Das mache ich. Mittlerweile erkundige ich mich vorher immer wie mein Heimweg aussieht und wenn man mir anbietet mich schnell zum Hotel zu fahren, dann nehme ich das gerne an.
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hatte so ein straße ohne gehweg erlebnis in köln vom flughafen, zu fuß richtung hotel, wo google maps mich auch als fußgänger unbeirrt über den autobahnzubringer geleitet hat. jaja… deine einkaufscenterlesungen klingen nach.. interessanten erfahrungen 😉 wie eh immer. zumindest habt ihr euch das elend zu geteilt. allein stelle ich mich sowas richtig unaushaltbar vor…
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Absolut. Alleine wäre es der Horror gewesen, gemeinsam fast schon wieder lustig :).
Auf jeden Fall besser als über Autobahnzubringer zu laufen. Google ist da ab und an wirklich schmerzbefreit.
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Das stimmt – der Fluch der neuen Zeit 😅
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🙂 oh ja!
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