Passt schon, sagt man in München gerne, wenn gar nichts passt. Wenn so viel im argen liegt, dass man nicht recht weiß, wo man anfangen soll, dann sagt man „passt schon“. Das ist wie „wird schon“, wenn einem unklar ist, wie überhaupt irgendwas wieder werden kann. Der Sonne am heutigen Sonntag ist das egal. Sie scheint und wenigstens das ist schön. Mehr als schön – es hilft, weil Sonnenstrahlen im Frühjahr nicht nur das Gesicht, sondern auch das Herz erwärmen und es leichter machen die Gedanken zu ordnen. Sie zu beruhigen ist angesichts der Nachrichten nur schwer möglich, aber ein paar Atemzüge mit geschlossenen Augen in der Sonne sind angenehm. Den Menschen in meinem Viertel scheint es ähnlich zu gehen. Sie sitzen auf den Bänken, legen den Kopf in den Nacken, schließen die Augen und strecken die Nasenspitze in die Sonne. Das tut gut, man sieht es ihnen an. Mir wahrscheinlich auch. Das und die Ruhe, die nicht ungewöhnlich ist, da ich nicht in einem Café sondern auf einer Bank auf dem Friedhof sitze. Bei so viel Scheußlichkeit ist hier, trotz des oft traurigen Ortes, viel Schönes zu sehen.
Die wild wuchernden Krokusse zwischen den Gräbern zum Beispiel. Oder die Schneeglöckchen im Schatten. Die unzähligen Narzissen auf den Gräbern und die bunten Blüten der Frühlingsblumen auf den Gräbern. Kein fröhlicher Ort, aber ein schöner. Friedlich wirkt er und friedlich ist er, weil uns schmerzhaft bewusst geworden ist, wie friedlich es wir hier doch haben, während andernorts für Menschen der Krieg ausgebrochen ist. Wieder einmal. Der Kontrast der Bilder im Internet und Fernsehen zu der umfassenden Ruhe des Frühlings hier am Friedhof könnte größer nicht sein. Vielleicht sitzen deshalb an diesem Sonntag ungewöhnlich viele Menschen auf den Bänken oder schlendern gemächlich die Wege entlang. Die alten, hohen Mauern halten den Verkehrslärm ab und mitten in der Stadt ist eine grüne, bunte und stille Insel auf der es sich gut Vögel, Eichhörnchen und manchmal Kaninchen beobachten lässt. Hinter der Aussegnungshalle sehe ich zwei meiner Nachbarn auf einer Bank sitzen und grüße sie nur im Vorbeigehen mit einem Lächeln. Sie saßen schon gestern dort und sind so tief in Gespräche versunken, dass ich nicht stören möchte. Im Moment ist es für Herrn Iwanow aus unserem Haus nicht leicht. Ich glaube nicht, dass auch nur einer ihn bezüglich seiner Nationalität angesprochen hat. Aber er ist es, der sich beständig erklären möchte und glaubt jedem sagen zu müssen, dass er den Krieg in der Ukraine aufs tiefste verurteilt. An diesem Sonntag Herrn Meier. Ich bekomme im Vorbeigehen nicht viel mit. Nur, dass Herr Meier ihm auf die Schulter klopft, eine Handvoll Erdnüsse reicht und sagt, dass er Deutscher sei. Sehr viel mehr gäbe es da nicht zu sagen. Als ich zurück gehe sprechen die Beiden noch immer miteinander. Immer noch ernst, aber Herr Iwanow lächelt. Müde und traurig, aber immerhin.
So ein schöner Tag. Leider nur das Wetter betreffend.
Ich finde, der Tag ist auch schön wegen Herrn Meyer und den Erdnüssen, die er einem trostbedürftigen Mitmenschen reicht.
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Das stimmt. liebe Gerda. Ich antworte schrecklich spät – ich war am Meer, mein Kopf wollte eine Auszeit und ich ihm nicht widersprechen.
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Das Wetter und die Solidarität betreffend ist es momentan schön. Am Ende ist‘s doch egal, mit welcher Nationalität Herr Iwanow sich labelt. Wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann ist es, dass Nationalitäten nur Schall und Rauch sind. 😃 „Hauptsach’ er is a anständiger Kerl.“, würde mein Opa jetzt sagen und ich finde, momentan gibt es viele anständige Kerle und Kerlinnen, die helfen, was das Zeug hält. Nach Corona, wo wir menschlich voneinander abrückten, ist es schön, dass wir wieder zusammenrücken. Der Anlass, ja, der hätte definitiv ein anderer sein sollen. Hoffen wir das beste und helfen wir, wo wir gebraucht werden, damit in so viel Leid auch etwas wunderbares entwachsen kann: Freundschaft, Nächstenliebe, Solidarität. (Das war mein Wort zum Sonntag 😄)
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Ein schönes Wort zum Sonntag! 🙂
Nach einem sehr spontanen „Ausflug“ nach Italien ist es jetzt mein Wort zum Donnerstag aber auch mit Verspätung kann ich deinem Opa nur Recht geben.
Liebe Grüße und wollen wir hoffen, dass uns Freundschaft, Solidarität und Nächstenliebe weiter begleiten.
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Manchmal muss man seine Batterien eben aufladen. Deine Ladestation ist definitiv tricolorato. 😉
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Oh ja, das ist sie 🙂 Und dazu noch viel blau.
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Bei uns ist es auch am Wochenende wieder trist, kalt und grau. Keine Sonne innen, keine außen.. es will nicht wirklich heller werden.
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Nachdem ich eine Weile nicht da war, hoffe ich, dass es jetzt dann doch heller geworden ist.
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„Passt schon“ sagt man auch in Wien, wenn man höflich oder freundlich sein möchte anstatt „passt gar nicht“, „lass die Finger davon, bevor es noch ärger wird“ etc ….
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Stimmt – so nutzen wir es auch manchmal. Passt schon, passt immer 😉
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Ich gehe gerne auf Friedhöfe, besonders die Alten !
Es ist oft spannend, Inschriften auf den verwitterten
Gräbern zu lesen und sich vorzustellen, was diese
Menschen vor hundert Jahren gedacht und getan
haben. Auch damals gab es schon Krieg und ich
habe sowohl im ersten, als auch im zweiten
Weltkrieg Verwandte (Vorfahren) verloren.
Nun ist uns der Krieg wieder ganz nahe
gerückt, wie es schon in den 90er Jahren
war, als man plötzlich zwischen Serben,
Kroaten oder Slowenen unterscheiden
musste, wo vorher nur Jugoslawen lebten.
Das war allerdings ein Bürgerkrieg und
nicht wie hier, ein Überfall auf ein friedliches,
demokratisches Land. Auch in Frankfurt sind
schon die Flüchtlinge aufgetaucht und werden
gut behandelt: mal sehen wie lange diese Soli-
darität hält. Denn 2015 war es zuerst auch sehr
solidarisch, bevor später die Volksseele kochte.
Dieser Krieg wird uns noch viel abverlangen !
Dachten wir, das blöde Corona sei jetzt über-
wunden kommt nun vielleicht die noch größere
Prüfung für unsere im Frieden aufgewachsene
Nachkriegsgeneration – oder waren wir vielleicht
die Vorkriegsgeneration ? Mir schwant nichts Gutes.
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Ich war einige Tage weg und lese deinen Kommentar erst heute. Entschuldige bitte, aber es war nötig, das Telefon auszulassen. Fast, denn die Nachrichten habe ich natürlich doch gelesen oder gehört.
Im Moment ist es schwer optimistisch zu bleiben und ich versuche es doch. Zumindest die Pandemie betreffend. Ein neuer Rekord bei den Infektionen heute, aber wenigstens Verläufe mit denen man gut leben kann. Gar nicht gut leben kann man mit all den Bildern aus der Ukraine…es ist unglaublich, schrecklich und traurig.
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Ich müsste auch mal wieder nach Italien, aber es war halt in den letzten beiden Jahren etwas kompliziert. Wir müssen uns nicht entschuldigen, dass wir noch ein eigenes Leben haben, das hilft den Ukrainern auch nicht. Die zivile Hilfe im Moment ist schon eine große Leistung der Gemeinden und freiwilligen Helfern – hoffen wir, dass dieser Spirit noch lange anhält….
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Zum Teil war es wirklich sehr kompliziert und einen klassischen Urlaub hätte ich wahrscheinlich auch eher in Deutschland verbracht. Schon praktisch, wenn man privat unterkommt. Deine Hoffnung schließe ich mich an – wenigstens das ist wirklich schön zu sehen und macht Hoffnung. Liebe Grüße
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Was haben wir nicht alles geschafft – Corona ist keineswegs überwunden, es ist immer noch da. daber nicht mehr ganz so dramatisch und halt nicht mehr neu genug für die Nachrichten, Leute sterben, aber ja, das taten sie immer schon, Pfleger arbeiten häufig an der Belastungsgrenze in einem immer belastenden Job für, nun ja, Klatschen als Entlohnung, aber das mit dem Klatschen war ja auch so eine Eintagsfliege. Kriege sind ständig und das Einzige, was viele interessiert, ist, dass die blöden Flüchtlinge ja dort bleiben, so schlimm ist das doch nicht, weil weit weg. Und wenn’s nur gefühlt weit weg ist. Zwar: die Ukraine ist schon auch weit weg. Aber durch die weltpolitische Wichtigkeit wird sie halt nähergerückt, und siehe da, alle Welt – das ist Westeuropa und die USA, wie wir wissen – überschlagen sich vor Solidaritätsbekundungen. Schön für die Betroffenen, dass sie willkommen geheißen werden. Und ja, das ist ja auch richtig: wer in Not ist, braucht Hilfe. Nicht so schön für all die, die sich plötzlich fragen: und was war mit uns?
Aber irgendwie hat man das ja auch schon überwunden. Seither dürfen wieder Rechtsradikale auf der Straße und im Bundetag ihr tägliches „das wird man doch noch mal sagen dürfen“ erbrechen, ohne dass es groß stört.
Doch, es gab genug Helfer, Hilfe und Solidarität auch für Diesen oder Jenen, es gab staatlich organisierte Hilfen. Es gab Krankenbetten und immer noch Leute drumherum, wie sehr man ihnen auch mitspielte und sie an der Nase herumführt.
Und so geht es auch weiter. Laut aber sind die anderen. Zu laut, sie überschreien die anderen und sowieso die Bedachtsamen. Jetzt könnten sie ruhiger werden, denn ihnen wird viel von ihrer schlimmen Lust auf Böses genommen, wenn es professioneller und in größerem Stil geplant wird.
Ja, die Sonne geht auf. Im Osten. Übers Wochenende erst war ich ziemlich viel auf der Nord.-Süd- Achse unterwegs, hab mir aber keineswegs in Hannover einen Flüchtlingshund geholt – erstens sind die oft sehr schwierig, und ich muß mir in meinem Alter keinen Problemhund anlachen, zweitens frage ich mich, was mit den Flüchtlingshunden aus Kabul, Aleppo und Mostar wurde. Ich hatte etwas anderes zu erledigen. Und fuhr wegen der langen Strecke auch nicht allein. Als die Sonne aufging, meinte ich nur: „Der Osten strahlt wieder!“ Mein Beifahrer verstand sofort. „Ja, vielleicht haben sie das Atomkraftwerk ja diesmal richtig getroffen!“ Es war aber doch wohl nur der alte Himmelsleuchtkörper.
Ist die Welt schlecht? Nun, sie ist zumindest nicht gut. Die beste aller Welten, nein, das ist lange widerlegt. Aber irgendwie funktioniert sie ja doch, dreht sich weiter – bleiben wir bei einem traditionellen: „Paßt scho!“
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Bleiben wir beim „paßt scho“ alles andere wäre zu deprimierend. Schön, dass Corona in den Hintergrund tritt, sonst wären knapp 300.000 Neuinfektionen gruselig. Oder auch nicht, denn die Verläufe sind meist ja ok. In der Ukraine dagegen nichts ok. Ich war die letzten Tage am Meer – das hilft niemanden, außer meinem Kopf der wenigstens wieder etwas runder läuft. Liebe Grüße
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Ich genieße den Frühling auch. Und ich fühle mich seltsam dabei. Dabei weiß ich, dass es nicht meine „Schuld“ ist, wenn es mir gut geht, so wenig wie es anderer Leute Schuld ist, wenn es ihnen schlecht geht. In so einem Krieg werden irgendwie alle schuldig, die Aggressoren, die defensiven und die Unbeteiligten. Es ist ein Elend. Und es ist deprimierend, dass das nie aufhört
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Ich weiß was du meinst. Antworte so spät weil ic in Italien war und dort Freude traf. Auch wenn die aktuellen Themen dort präsent waren, war es auch sehr, sehr schön, aber man „genießt“ anders und verhaltener. Ein Elend….leider ja.
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