Nichts zu sagen

Obwohl es still ist, ist es nicht leise. Auch nicht laut, weil Feiertagsstille über der Stadt liegt und es nie ganz leise, weil das Leben in den Wohnungen der Häuser nicht pausiert. So ein Leben, selbst das ruhigste, steht vor seinem letzten Tag nicht still, nur manchmal – fast immer zwischen den Jahren – wird es leiser gedreht. Zwischen den Jahren….eine seltsame Bezeichnung, sage ich und einer, der im Türrahmen steht, nickt. Seltsam leise auch er. Vorhin rief er die ersten beiden Buchstaben meines Namens, bevor er den Rest verschluckte und nicht rief, sondern kam und fragte, was er fragen wollte. Er flüstert nicht, das wäre albern, aber sich durch die Wohnung plärrend nach dem Verbleib des letzten Restes Milch zu erkundigen, ist zwischen den Feiertagen wohl nicht angebracht. Wie auch das egoistische Leeren einer Milchtüte des zu erst Aufstehenden, wenn die Geschäfte geschlossen haben, aber das nur am Rande. Kuh, sagt er, verschluckt schmunzelnd das „blöde“ und ich sage „Muh“ und teile den Rest meines Kaffees mit ihm. Wie still man zwischen den Jahren nebeneinander sitzend aus einer Tasse trinken kann….ob andere sich auch so wenig zu sagen haben? Der, der neben mir sitzt und drinnen und nicht draußen – an winterlichen Feiertagen erlaubt – eine raucht, zuckt mit den Schultern. Vermutlich nicht, denn neben uns wird viel und laut gelacht. Aus dem Fernseher, aber immerhin. Wir lachen nicht. Wir lächeln uns nicht einmal an, weil man sich dazu schließlich in die Augen sehen müsste. Ich sehe nur ungekämmte Locken unter der Kapuze eines verwaschenen Pullovers, die auf meinen Beinen liegen und mit den restlichen 191 Zentimetern träge eine bequeme Position suchen. Blöd, wenn Schulterblatt und Knie die sich kennen, aber nicht zum selben Menschen gehören, das versuchen. Unter der Kapuze lacht es, kurz, aber es klingt schöner als das laute und ausdauernde Gelächter aus der Wohnung nebenan.

Unten empfängt jemand Gäste. Kein lautes Hallo, es ist ja Feiertag, aber doch beständiges Gemurmel, das Rücken von Stühlen und Tischen und das regelmäßige Öffnen von Balkontüren und Fenstern. Gedrängel in der Küche, man hört es durch die Leitungen, dort wird gekocht. Nebenan nun auch. Wir sind ganz allein, sage ich und unter der Kapuze nickt einer. Wenigstens gemeinsam, meint er mit leiser Feiertagsstimme und einem Schmunzeln, das man nicht sieht aber hört. Eine weit verbreitete, aber widerlegte, Annahme ist oder war, dass Frauen etwa 20.000 Wörter am Tag sprechen, während Männer sich mit 7.000 begnügen. Es wird schon dunkel, und er und ich nutzten bisher wohl kaum mehr als 500. Großzügig be- und Selbstgespräche (ich mit der Zimmerpflanze, er mit dem nicht funktionierenden Boiler im Bad) eingerechnet. Nicht gut, murmle ich, völlig ausreichend, meint er. Würde er meinen, wenn ich laut gemurmelt hätte, was ich nicht kann, weil mir eine Hand ein Stück harten Lebkuchen in den Mund schieben möchte und auf seinem Rücken, auf meinen Beinen liegend, knapp mein Auge verfehlt, weil er zu faul ist sich aufzusetzen und einfach nur hinter sich greift. Wir sind seltsam. Irgendwo klappert Geschirr und Flaschen werden geöffnet. Wir öffnen nichts und haben nichts, was es sich auf Teller zu legen lohnt. Drei Mal unentschieden bei „Stein-Schere-Papier“ und keiner ging los um etwas zu kaufen. Schön dumm, finde ich. Passt schon, findet er. Über uns passt gar nichts. Da streiten zwei. Ganz leise. Hässliche Worte, werden nicht schöner, wenn man sie flüstert und gemeine Sätze verletzen ruhig und leise ausgesprochen noch mehr. Sie fliegen durch das Treppenhaus – gemäßigt, aber der Hall schiebt sie unter den Türen der anderen Wohnungen zu denen, die sie nicht hören sollen. Wir werfen sie mit der Schale einer Orange weg und teilen uns die letzten Stücke der Schokoladentafel. Drei ich, fünf er, weil er so groß wie er ist, mehr Kalorien braucht. Meint er. Weil er bei Nussnugat egoistisch wird, widerspreche ich und finde es ok, weil um leidenschaftlich geliebte Dinge ruhig ein bisschen gekämpft werden darf. Der Streit im Treppenhaus verklingt und das Licht unter dem Türspalt geht aus. Wir machen keines an.

Sitzen im Dunklen. Waren nicht aus. Hatten Niemanden zum essen eingeladen und keinen Milchschaum auf dem Kaffee. Hatten uns nicht rausgeputzt und kein Feuerwerk gesehen. Ganz leise nur gelacht und kaum gesprochen. Er hat keinen Christbaum in seiner Wohnung, nicht einmal eine Lichterkette. Bei uns brennen nur Kerzen an einem völlig vertrockneten Adventskranz. Viel zu trocken ist er schon, aber die Kerzen so schön. Sie passen zu unserer trägen Stille. Ich pass auf, sagt er, schiebt die Kapuze zurück und setzt sich auf. Schlaf ruhig, murmelt er weil er weiß, dass ich es jetzt tun werde. Das mache ich immer, wenn ich rundum glücklich bin und weiß, dass einer auf die Kerzen aufpasst. Auf die Kerzen und auf mich.

13 Gedanken zu “Nichts zu sagen

  1. sag ich doch. es gibt immer eine gelegenheit zur revanche. trinkt einer den kaffee weg, trinkt eine die milch. –
    und schon wieder ist es ein feiertag. milch eingekauft? oder vergessen? (soll ich eine mitbringen, ich fahr heute nicht ganz zufällig in die große stadt zu den munichen mit der isarbrücke? h-milch oder gleich sahne? oder lieber noch ein stück nougat?)

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  2. Ich finde euer Miteinander traumhaft schön. Was ich allerdings weniger schön finde, dass du geflüsterte Böseworte aus der Wohnung über dir hörst und sogar verstehst. Da kann man nicht wirklich von guter Schallschutzdämmung sprechen. Ich kann nur hoffen, dass das in unserem Haus anders ist, dass meine Telefonate eine Etage unter mir NICHT verstanden werden, denn irgendwie und -wo muss ich mir ja mal über die Zustände in unserem Haus Luft machen. Die Geburtstagszusammenkunft am 1.1. führte zu solch einer haarsträubenden Diskussion, dass ich wohl besser gegangen wäre als den negativsten Teil der Diskussion anzugehen, obwohl ich weiß, dass bei ihm Hopfen und Malz verloren ist. Aber wenn von vielen nach einem Führer oder starken Mann gerufen wird, der seine Sache „BESSER“ macht als der berüchtigte vor vielen, vielen Jahren, da haut es mich einfach aus den Latschen.
    Lieben Gruß zu dir

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    1. Schwabinger Altbau, Clara. Da hörst du die Menschen neben dir atmen. Meine eigene Wohnung ist besser was das angeht. Oje…das klingt nach einer unschönen Diskussion. Und der Ruf nach einem Führer…puh….also da bleibt einem echt die Luft weg.

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  3. Was für ein wunderbares, intimes Stilleben, das Du da zeichnest. Ich mag es, wie Du es schaffst, die Atmosphäre erlernbar zu machen. Es ist einem beim Lesen schon fast etwas peinlich, dabeizusitzen und die Zweisamkeit zu stören.
    Liebe Grüsse aus der Schweiz
    Beat

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      1. Danke 🙂
        Und sorry, mein Tablet war wohl wieder schneller als ich. Du machst die Atmosphäre natürlich erlebbar und nicht „erlernbar“… wobei, lernen kann ich natürlich auch immer wieder von Dir 🙂

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