Nichts zu sagen

Obwohl es still ist, ist es nicht leise. Auch nicht laut, weil Feiertagsstille über der Stadt liegt und es nie ganz leise, weil das Leben in den Wohnungen der Häuser nicht pausiert. So ein Leben, selbst das ruhigste, steht vor seinem letzten Tag nicht still, nur manchmal – fast immer zwischen den Jahren – wird es leiser gedreht. Zwischen den Jahren….eine seltsame Bezeichnung, sage ich und einer, der im Türrahmen steht, nickt. Seltsam leise auch er. Vorhin rief er die ersten beiden Buchstaben meines Namens, bevor er den Rest verschluckte und nicht rief, sondern kam und fragte, was er fragen wollte. Er flüstert nicht, das wäre albern, aber sich durch die Wohnung plärrend nach dem Verbleib des letzten Restes Milch zu erkundigen, ist zwischen den Feiertagen wohl nicht angebracht. Wie auch das egoistische Leeren einer Milchtüte des zu erst Aufstehenden, wenn die Geschäfte geschlossen haben, aber das nur am Rande. Kuh, sagt er, verschluckt schmunzelnd das „blöde“ und ich sage „Muh“ und teile den Rest meines Kaffees mit ihm. Wie still man zwischen den Jahren nebeneinander sitzend aus einer Tasse trinken kann….ob andere sich auch so wenig zu sagen haben? Der, der neben mir sitzt und drinnen und nicht draußen – an winterlichen Feiertagen erlaubt – eine raucht, zuckt mit den Schultern. Vermutlich nicht, denn neben uns wird viel und laut gelacht. Aus dem Fernseher, aber immerhin. Wir lachen nicht. Wir lächeln uns nicht einmal an, weil man sich dazu schließlich in die Augen sehen müsste. Ich sehe nur ungekämmte Locken unter der Kapuze eines verwaschenen Pullovers, die auf meinen Beinen liegen und mit den restlichen 191 Zentimetern träge eine bequeme Position suchen. Blöd, wenn Schulterblatt und Knie die sich kennen, aber nicht zum selben Menschen gehören, das versuchen. Unter der Kapuze lacht es, kurz, aber es klingt schöner als das laute und ausdauernde Gelächter aus der Wohnung nebenan.

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Dezember geordnet

Ich mag es, wenn der erste Advent zugleich der erste Tag im Dezember ist. Das fühlt sich ordentlich an und ein wenig Ordnung zum Jahresende schadet nicht. Die Wolken am Himmel, die sich um kurz vor halb sieben langsam rosa färben, sind nicht ordentlich. Allenfalls ordentlich rosa, wie es sich für einen Sonnenaufgang gehört. Auch das mag ich. Im Dunklen sitzen und darauf warten, dass es hell wird. Im Winter besonders schön, weil viel seltener. Im Winter schlafe ich länger und tiefer und die Sonne weckt mich nicht so früh wie im Hochsommer. Im Moment schlafe ich kurz und träume tief. Je mehr ich meinen Tagesablauf ordnen möchte, umso unordentlich werden meine Träume. Leider neige ich dazu mich an meine Träume zu erinnern und ein wenig zu lange in ihnen festzuhängen. Momentan bin ich bis etwa Mittags in exakt der selben Stimmung, wie im Traum. Dann sitze ich am Schreibtisch und obwohl ich längst die warmen Schuhe aus dem Keller geholt habe, spüre ich noch ein bisschen das Meer, an dem ich dieses Jahr so schöne Tage verbracht habe. Ich mag es, aber es passt nicht so ganz zum Christbaum der vor dem Bürofenster steht und seit Donnerstag leuchtet. Manchmal bin ein wenig verstimmt, weil mich im Traum einer geärgert hat. Nur im Traum, aber ich trage es ihm nach und weiß wie albern es ist. Kollegen fahren auf Flößen an mir vorbei, Freunde sitzen auf Hausdächern und meine Großeltern grillen auf meinem Balkon. Ich versuche gar nicht erst Ordnung in diese Träume zu bekommen und vermute, dass sie der Preis für einen halbwegs ordentlichen Dezember sind und mich noch ein  wenig begleiten werden. Weiterlesen

Atmende Filzkugeln

Er atmet, sage ich und weiß, dass er versteht, dass dieser Atem so viel mehr ist, als das Schnauben aus einer felligen Hundeschnauze. Er ist mir alles, dieser Atem. Und muss es sein, weil ich gar nichts mehr bin. Nicht einmal richtig müde bin ich. Ich bin so erschöpft, dass ich eigentlich gar nicht mehr richtig da bin. Da ist es gut, wenn einem ein gleichmäßig atmender Hund an die eigenen Atemzüge erinnert. Schöne Weihnachten, das habe ich noch umarmend gerufen und bin dann schnell raus gerannt, bevor ich unsichtbar wurde. Das passiert so schnell, im Jahresendspurt und dann liegt man platt und unsichtbar unter dem Christbaum und kann nicht mehr aufstehen. Ob ich eine Erkältung meine, höre ich dich fragen und schüttle den Kopf. Als ob man von einer Erkältung schon jemals unsichtbar geworden ist. Nein, es ist viel mehr, das ganz Jahr, das einem auf den Schultern sitzt und bei all seiner Schönheit so schwer geworden ist, dass man Teile davon abschütteln muss. Sonst begräbt es einen und man hat keinen Platz mehr für die letzten, bestimmt auch sehr schönen Tage des Jahres. Das versteht er, weil er weiß, dass mir gerade die letzten Tages eines Jahres wichtig sind. Deshalb fragt er auch nicht, was ich mache und ahnt, dass ich nicht viel mehr als der Hund mache. Die Frage, wo ich es mache ist berechtigt. So etwas kann man nicht wissen und selbst ahnen ist schwer, da er nicht wissen kann, dass mein weißer Filzkugelteppich bereits geliefert wurde. Auf dem weißen Filzkugelteppich sage ich ihm deshalb und er lacht. Passt farblich zum Fell des Hundes, meint er und hat recht. Dazu und zum Winter, zum Adventskranz und überhaupt zu allem schönen. Ein solcher weißer Filzkugelteppich ist nämlich etwas ganz wunderbares und mit kaum einem anderen Teppich zu vergleichen. Es ist ganz wunderbar auf ihm zu stehen. Noch schöner nur, mit einem Hund – unbedingt ein großer – auf ihm zu liegen. Perfekt ist es, wenn die ergrauten Haare der Schnauze die gleiche Farbe wie die Filzkugeln haben. Warum das so ist, bleibt ein Geheimnis. Weiterlesen

Gefundene Sätze #45

Noch einmal in Mundart, bevor es ab morgen wieder ins Hochdeutsche geht.

„Mei Ruah will i haben! I brauch koan Burschn zum Fensterln. Wer si net zur Tür neitraut, soll ganz weg bleiben.“
„Meine Ruhe möchte ich haben! Ich brauch keinen Kerl, zum Fensterln. Wer sich nicht zur Tür rein traut, soll ganz weg bleiben.“

Lena Christ (1881-1920) Bayerische Schriftstellerin. Eine meiner Liebsten. Ich lege sie Ihnen ans Herz.

Auch weil man diese wenigen Sätze sehr gut auch heute noch sagen kann. Auch wenn keiner mehr auf der Leiter vor dem Fenster steht. Das ist heute zu gefährlich. Nicht nur, weil die Häuser höher sind, sondern auch, weil aufmerksame Nachbarn viel zu schnell die Polizei rufen. Fensterln wird kaum noch einer. Dafür werben wir heute auf andere, ähnlich umständliche und teilweise auch blöde Art und Weise, wo der direkte Weg doch um einiges unkomplizierter und zielführender währe. Und weil wir nichts dazu lernen, ruft man auch heute noch manchmal gerne: „Ach, lass ma doch mei Ruah!“

Sie müssen mir nicht meine Ruhe lassen. Im Gegenteil. Klopfen Sie ruhig an mein Fenster. Nur aufmachen kann ich heute nicht. Ich nehm mir ein Buch von Lena Christ und werden den restlichen Abend erst in der Wanne und dann im Bett liegen.

 

Laute(/r) Grattler – U-Bahn Gedanken

„Schnauze!“, darf man nicht laut sagen. Man darf es nur denken. Heute denke ich es seit morgens. Ich dachte es,  als der Nachbar anmerkte, dass mein Fahrrad im Laubengang im Weg steht und ich dachte es als die drei Kinder im Bus in mein Ohr plärrten. Ich dachte es ganz leise im Büro bei einem Telefonat, dass mich an die Grenzen meiner Geduld brachte und ich empfand es mittags in der Kantine als die Besteckbehälter laut scheppernd aufgefüllt wurden. An manchen Tagen ist es mir zu laut. Dann möchte ich mir ein schalldichtes Schneckenhaus über den Kopf stülpen und nichts weiter hören, als den Regen, den ich zwar sehe, aber nicht höre. Weiterlesen

Zu laut

Das Reden fiel mir schon immer leicht. Auch geschwiegen und zugehört habe ich oft und gerne. Dann zu schweigen, wenn es viel zu sagen gibt, habe ich erst mit ihm gelernt. Still zu sein, wenn mein Kopf explodieren, war seine Art den unablässigen Gedankenstrom zu lenken ohne ihn zu beeinflussen. Anfangs hielt ich ihn für arrogant und unsensibel, wenn er mitten im Gespräch verstummte und unseren Dialog zu einem Monolog verkümmern lies. Er lies mich reden, aber es machte mich wahnsinnig, gegen eine Wand anzureden, die mich ansah und zuhörte, aber nicht reagierte, bis er mich bat still zu sein. Erst wenn ich verstummt und wir schweigend neben einander lagen, begann er irgendwann wieder zu sprechen. Stellte Fragen und stellte in Frage. Manchmal erst am nächsten Morgen. Meistens früher, weil er wusste, dass ich darauf wartete. Ein Kompromiss, weil mich sein Schweigen und ihn mein Reden verrückt machten. Ich habe die Stille nur schwer ausgehalten. Er wusstest es, nahm im Verstummen meine Hand  und hat sie gegen seine Lippen gedrückt. Sein Daumen strich über die Innenseite meines Handgelenks und ich wurde ruhiger. Die Intimität dieser beider Gesten beruhigte mich mehr, als jedes gesprochene Wort es gekonnt hätte. Irgendwann begann ich auf den Moment zu warten. Mit meinem Reden und Erklären drehten wir uns im Kreis und ich sehnte den Augenblick herbei, in dem er zu sprechen aufhörte, damit auch ich still sein konnte.

Er ist der Einzige, von dem ich mir den Mund verbieten lasse. Manchmal rufe ich ihn an, rede schnell und atemlos, bis er mich überfordert und einen Hauch genervt bittet, einen Moment still zu sein. Dann höre ich, wie er eine Zigarette raucht und manchmal auch nur das Klicken der Warnblinkanlage, wenn er gerade im Auto sitzt. Rauche manchmal selbst eine, werde ruhig und rede dann über das Wetter, bis er mich fragt was eigentlich wirklich los ist. Nichts, sage ich, es war mir nur gerade alles zu laut.