Dezember geordnet

Ich mag es, wenn der erste Advent zugleich der erste Tag im Dezember ist. Das fühlt sich ordentlich an und ein wenig Ordnung zum Jahresende schadet nicht. Die Wolken am Himmel, die sich um kurz vor halb sieben langsam rosa färben, sind nicht ordentlich. Allenfalls ordentlich rosa, wie es sich für einen Sonnenaufgang gehört. Auch das mag ich. Im Dunklen sitzen und darauf warten, dass es hell wird. Im Winter besonders schön, weil viel seltener. Im Winter schlafe ich länger und tiefer und die Sonne weckt mich nicht so früh wie im Hochsommer. Im Moment schlafe ich kurz und träume tief. Je mehr ich meinen Tagesablauf ordnen möchte, umso unordentlich werden meine Träume. Leider neige ich dazu mich an meine Träume zu erinnern und ein wenig zu lange in ihnen festzuhängen. Momentan bin ich bis etwa Mittags in exakt der selben Stimmung, wie im Traum. Dann sitze ich am Schreibtisch und obwohl ich längst die warmen Schuhe aus dem Keller geholt habe, spüre ich noch ein bisschen das Meer, an dem ich dieses Jahr so schöne Tage verbracht habe. Ich mag es, aber es passt nicht so ganz zum Christbaum der vor dem Bürofenster steht und seit Donnerstag leuchtet. Manchmal bin ein wenig verstimmt, weil mich im Traum einer geärgert hat. Nur im Traum, aber ich trage es ihm nach und weiß wie albern es ist. Kollegen fahren auf Flößen an mir vorbei, Freunde sitzen auf Hausdächern und meine Großeltern grillen auf meinem Balkon. Ich versuche gar nicht erst Ordnung in diese Träume zu bekommen und vermute, dass sie der Preis für einen halbwegs ordentlichen Dezember sind und mich noch ein  wenig begleiten werden.

Zum Jahresende brauche ich Ordnung. Am ersten Advent muss der Adventskranz stehen und die erste Kerze beim morgendlichen Kaffee brennen. Dann muss es ruhiger werden. Nichts in meinem Leben ist ordentlich, nur weniges ruhig und jedes Jahr, jeder Monat und jede Woche überraschend. Das ist schön, aber manchmal auch anstrengend. Im Dezember muss es ruhig werden, damit sich der wilde Haufen der vergangenen elf Monate in meiner Erinnerung ein wenig ordnen kann. Während die erste Kerze am Kranz brennt, liegt es verstreut auf einem Haufen – das letzte Jahr. Hier die vielen Tage am Meer. Da die stundenlangen, stillen Spaziergänge durch Verona, daneben die etwas zu kurz gekommenen Freunde und darunter Lesungen, Bücher und Menschen, die neu in mein Leben getreten sind. Ein bunt gemischter Haufen, der sich mit dem Öffnen des ersten kleinen Fensters des Adventskalenders ein bisschen besser überblicken lässt. Während sich der Himmel von rosa zu hellgelb verfärbt, wird es endlich ruhiger. Im Dezember wird es das immer. Nicht unbedingt von selbst, aber ganz selbstverständlich. Im Dezember werde auch ich ruhig. Ich hetze weniger von A nach B und nehme mir die Zeit, die ich sonst nicht habe. Ich stehle sie, verstecke freie Abende und horte Stunden in denen ich nichts tue. Das muss man, dass muss ich, sonst gehe ich im Dezember unter und kann im Januar nicht neu beginnen. Fünf Weihnachtsfeiern sind schön, die sechste sage ich ab. Vier Mal am Glühweinstand stehen ist fein, beim fünften Mal schmeckt er klebrig und neue Projekte müssen bis Januar warten, damit die alten halbwegs abgeschlossen sind.

Ungewohnt stur sei ich zum Jahresende, sagt einer der mich gut kennt und versteckt sich Sonntags bei mir, weil ihn dort niemand findet und es schön ist, weniger als sonst zu reden und lieber ein bisschen still Milchreis mit Zucker und Zimt zu naschen, während es draußen dämmert. Nicht stur, sagt einer der mich noch besser kennt und kratzt die Reste des Milchreises aus dem Topf. Nur endlich einmal stehend bleibend, sage ich und setze neue Milch auf. Alles was die nächsten Wochen kommt, ahne ich. Jeden Tag werde ich ein Türchen öffnen, jede Woche eine weitere Kerze anzünden. Am 23.12 ein Bäumchen holen und am 24.12 die Lichter anzünden. Nachmittags die ältesten und vertrautesten Freundinnen in die Arme schließen, abends einem, der nach Meer riecht, stürmisch in die Arme fallen. Dazwischen die liebsten meiner Menschen treffen – nicht weil ich muss, sondern will – und ungewöhnlich für das restliche Jahr, Sonnenauf- und untergänge durch Schlafzimmer und Küchenfenster beobachten, während ein Großteil der Stadt im vorweihnachtlichen Chaos versinkt. Ich hatte es elf Monate lang und habe es geliebt, jetzt aber reicht es.

Einen schönen ersten Advent. Wenn Sie können stehlen Sie sich ein paar ruhige Stunden. Sie haben sie sich sicher verdient.

 

15 Gedanken zu “Dezember geordnet

  1. Liebe Mitzi, wie gut ich all das nachempfinden kann! Auch ich bin dabei aufzuräumen und das jahr Revue passieren zu lassen, es war für mich ein schwieriges Jahr. Auch ich träume wild und bin manchmal ganz benommen davon und gleichzeitig lade ich Stille und einen langsameren Schritt zu mir ein, so will es dieser Monat.
    Ich wünsche dir von Herzen noch viele Sonnenauf- und untergänge mit Muße.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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  2. Liebe Mitzi,
    wenn man bedenkt, dass der erste Advent nur alle 5-6 Jahre auf den 1. Dezember fällt, staune ich, wie wir zwischendurch mit der Unordnung zurechtgekommen sind. Zwischen 2002 und 2013 waren sogar 11 Jahre Unordnung.
    Ich frage mich heute noch, wie ich die Zeit überstanden habe.
    ODER,
    das ist der Grund, warum ich immer noch ein unordentlicher Mensch bin.
    Werde ich gleich meiner Frau erzählen, dass das „höhere Gewalt“ ist, und ich im Grunde meines Herzen auch die Ordnung liebe, aber es nun mal nicht immer möglich ist!
    😉
    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, berufen Sie sich ruhig auf mich. Sie sind völlig schuldlos. Da äußere Chaos macht Ordnung wie sie besonders Ehefrauen gerne hätten, ganz unmöglich. Versucht mir zumindest mein Freund immer wieder zu versichern. 😉
      Herzliche Grüße
      Mitzi

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  3. Dein Text klingt so ruhig und beschaulich, liebe Mitzi. Er spiegelt mir ziemlich klar, was du meinst.Gewöhnliche Leute werden mit Beginn der Adventszeit eher unruhig, sinnieren, welche Geschenke sie noch besorgen müssen, was alles noch vor Weihnachten erledigt werden muss, lassen sich vom Konsumterror beunruhigen, sie hätten nicht genug nach Schnäppchen geschaut, und da bietest du das beschauliche Gegenbild. Als meine Kinder noch klein waren, konnte ich mich der Uruhe nicht entziehen. Was du für die Adventszeit reklamierst, war und ist für mich in der Woche zwischen Jahren. Da schien alles anzuhalten, und so konnte auch ich innehalten.
    Dir von Herzen eine besinnliche Adventszeit, wünscht
    Jules

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    1. Lieber Jules, leider ist es auch bei mir meist ein frommer Wunsch. Einiges habe ich selbst in der Hand, anderes ist Fremdbestimmung und kaum zu ändern. Umso wertvoller die Momente wo es gelingt und alles etwas ruhiger wird.
      Zwischen den Jahren übrigens, da ist es auch bei mir dann wirklich so. Ach Dir eine schöne Adventszeit.

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    1. Ich freue mich sehr, dass wir wieso oft, ganz ähnlich ticken. Leider gelingt es mir im Moment überhaupt nicht auch nur im Ansatz Ruhe in diesem Monat zu bringen. Aber ich gebe nicht auf, zwei Wochen habe ich ja noch. 💚

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  4. Während ich vom ersten Advent lese, sind wir beim letzten angekommen, ja, ist dieser sogar vorbei.
    Unglaublich, wie die Zeit vergeht. In diesem Sinne wünsche ich:
    Frohe Weihnachten und eine guten Rutsch ins neue Jahr … 🙂

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