Waldschön

Kurz noch sehe ich die Bremslichter des Autos aufleuchten, dann ist es weg. Der Wald hat es verschluckt. Hier oben, im Dickicht der Bäume, verschwinden die Dinge schneller als unten im Dorf oder auf dem flachen Land. Autos werden nur selten verschluckt. Hier oben vor der kleinen Hütte endet die holprige, befahrbare Straße und nur wer zu mir möchte, fährt sie. Heute sicher niemand, weil die einzigen, die wissen, dass ich hier bin, gerade gefahren sind. Ganz alleine werde ich wahrscheinlich dennoch nicht bleiben. Zu Fuß geht es weiter und Spaziergänger werden früher oder später die kleine Lichtung überqueren. Manche werden fragen ob es dort hinten im Wald weiter geht und ich werde ihnen die beiden Möglichkeiten sagen: Rechts nach oben zum Berggasthof, der Ausgangpunkt vieler Wanderungen ist oder links nach unten ins Dorf. Beides schöne Wege. Der nach unten etwas steil und vorsicht, trittsicher sollte man vor der zweiten Brücke bitte sein – da geht es ordentlich und ohne Geländer steil nach unten. Nach oben, kein Problem – auch da geht es an einem Stück nach unten, aber man rollt nur und fällt nicht. Die meisten aber fragen nicht. Sie kennen sich aus, gehen mit ihren Hunden spatzieren oder haben ihre Kinder an der Hand. An meiner Hütte kommen die meisten nur vorbei, wenn sie wissen wohin sie wollen. In den Wald, nach oben oder nach unten, fast immer aber durch die Ruhe, die einen auf diesen Wegen begleitet. Sie lächeln, grüßen und werden nach einem kurzen Augenblick vom Wald verschluckt. Oder umarmt, ja das passt besser. Der Wald verschlingt sie ja nicht, er nimmt sie herzlich auf.

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Nichts zu sagen

Obwohl es still ist, ist es nicht leise. Auch nicht laut, weil Feiertagsstille über der Stadt liegt und es nie ganz leise, weil das Leben in den Wohnungen der Häuser nicht pausiert. So ein Leben, selbst das ruhigste, steht vor seinem letzten Tag nicht still, nur manchmal – fast immer zwischen den Jahren – wird es leiser gedreht. Zwischen den Jahren….eine seltsame Bezeichnung, sage ich und einer, der im Türrahmen steht, nickt. Seltsam leise auch er. Vorhin rief er die ersten beiden Buchstaben meines Namens, bevor er den Rest verschluckte und nicht rief, sondern kam und fragte, was er fragen wollte. Er flüstert nicht, das wäre albern, aber sich durch die Wohnung plärrend nach dem Verbleib des letzten Restes Milch zu erkundigen, ist zwischen den Feiertagen wohl nicht angebracht. Wie auch das egoistische Leeren einer Milchtüte des zu erst Aufstehenden, wenn die Geschäfte geschlossen haben, aber das nur am Rande. Kuh, sagt er, verschluckt schmunzelnd das „blöde“ und ich sage „Muh“ und teile den Rest meines Kaffees mit ihm. Wie still man zwischen den Jahren nebeneinander sitzend aus einer Tasse trinken kann….ob andere sich auch so wenig zu sagen haben? Der, der neben mir sitzt und drinnen und nicht draußen – an winterlichen Feiertagen erlaubt – eine raucht, zuckt mit den Schultern. Vermutlich nicht, denn neben uns wird viel und laut gelacht. Aus dem Fernseher, aber immerhin. Wir lachen nicht. Wir lächeln uns nicht einmal an, weil man sich dazu schließlich in die Augen sehen müsste. Ich sehe nur ungekämmte Locken unter der Kapuze eines verwaschenen Pullovers, die auf meinen Beinen liegen und mit den restlichen 191 Zentimetern träge eine bequeme Position suchen. Blöd, wenn Schulterblatt und Knie die sich kennen, aber nicht zum selben Menschen gehören, das versuchen. Unter der Kapuze lacht es, kurz, aber es klingt schöner als das laute und ausdauernde Gelächter aus der Wohnung nebenan.

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Pronto?!?

Chiuso per ferie – wegen Urlaub geschlossen – hätte ich vor Jahren gerne dem missmutigen Spanier und dem unfreundlichen Italiener am Telefon ins Ohr gefaucht. Nix Telefon. Heute ist Feiertag. Mariahimmelfahrt bei mir und Ferragosto bzw Asunción de la Virgen Maria bei euch. In Gedanken habe ich es gemacht. Bei jedem Klingeln des Telefons fauchte ich anfangs leise und im laufe des Tages immer lauter „No! Sono in ferie!“ – ich hab frei – bevor ich den Hörer abnahm und mein leidlich freundliches „Pronto“ schmetterte. Von wegen Pronto. An diesem 15. August war ich alles andere als pronto. Weder war mein Italienisch den unzähligen italienischen Dialekten gewachsen, noch sprach ich Spanisch. Beides grundlegende Voraussetzungen um ein Telefonat mit italienischen und spanischen LKW Fahrern zu führen. Ich verstand nur die Holländer. Die hatten keinen Feiertag, waren keine Fahrer sondern Büromenschen und riefen am häufigsten an. Pronto war ich für die aber auch nicht. Sprachlich lief es super mit ihnen, inhaltlich eher weniger. Die Holländern wollten von mir an jenem 15. August nämlich wissen wo sich die LKW Ladungen ihrer Obst- und Gemüselieferungen gerade befanden und warum bei ihnen die Telefone mit verärgerter Lageristen heiß liefen. Ganz ehrlich, obwohl ich die einzige war, die diese Frage hätte beantworten können, war ich völlig ahnungslos. Weiterlesen

Freinacht

Heute Nacht dürfen wir die Briefkästen nicht in die Luft jagen, sage ich zu meinem Nachbarn Paul, als wir beide im Treppenhaus auf den Lift warten. Schade, sagt er und fragt mich ob das endgültig sei. Ich nicke und deutet auf das weiße Brett gegenüber der Briefkästen, deren Sprengung uns heute Nacht verboten wurde – dort hat unser Hausmeister eine Liste angebracht welche detailliert aufzählt, was heute Nacht alles verboten ist.

In der heutigen Freinacht ist Ihnen folgendes nicht erlaubt, liest Paul vor und ich stelle mich neben ihn weil es nie schaden kann, zu wissen was man darf und was nicht.  

  • Das Beschmieren von Autos mit Mehl, Rasierschaum oder Ketchup.
    Mach ich eh nicht. Wenn ich etwas zu sagen habe, verwende ich Lippenstift.

  • Das Werfen von rohen Eiern an Hauswände oder Autos.
    Das Eierwerfen nun auch schon verboten ist, wundert mich.

  • Das Ausleeren von Mülltonnen oder Altglas-Containern.
    Hier sehe ich Paul schmunzeln und frage nicht weiter nach.

  • Das Einwerfen von Fenstern.
    Ich bezweifle, dass dieses Verbot nur für die Freinacht gilt.

  • Das Anbringen von Fallen (Schnüre, Wäscheleinen oder Drähte, die auf Kopfhöhe über eine Straße oder einen Weg gespannt werden). Sie könnten hier versehentlich jemanden töten!!!!
    Paul und ich sehen uns nach diesem Punkt eine Weile schweigend an und denken das Gleiche. Unser Hausmeister kommt aus der Ukraine und dort scheint die Freinacht um einiges Härter als in Bayern zu sein.

  • Das Sprengen von Briefkästen oder das Anzünden von Mülltonnen.
    Hätten wir eh nicht gemacht. Erstens sind Paul und ich zu alt für die Freinacht und zweitens macht das auch sonst keiner, weil beides noch gebraucht wird.

Wie gut, dass wir an die bevorstehende Freinacht erinnert wurden. Paul und ich gehen noch einmal nach draußen. Er um sein Auto in die Garage zu fahren und ich um mein Rad heute lieber in den Keller zu bringen. Weiterlesen