Vor vielen Jahren bekam ich zum Geburtstag einen Atlas geschenkt. Seit ich die ironisch gemeinte Aussage eines Bekannten, dass die nächste Fußball WM auf den Cayman Islands stattfinden würde, für bare Münze nahm, traut man mir weder bei Erdkunde, noch bei Fußball über den Weg. Geographie, besonders die deutsche, ist in der Tat eine meiner Schwachstellen. Seit der Sache mit den Cayman Islands halte ich mich zurück und äußere mich erst, wenn ich schnell und heimlich mit Google Maps überprüft habe, dass ich keinen Mist rede. Das ist reiner Selbstschutz. Mein Unwissen hat mich schon öfter wie einen Idioten dastehen lassen. Besonders unangenehm war es mir, als ich bei meinem ehemaligen Chef im Zimmer stand, die Deutschlandkarte in seinem Rücken betrachtete und ohne nachzudenken sagte „ach sieh einer mal an, Erfurt liegt im Osten“. Ich hatte es mit Erlangen verwechselt und sein entsetzter Blick ist mir gut im Gedächtnis geblieben. Meine Erdkunde Eins in alten Zeugnissen, kann als Beweis gelten, dass man mit purem auswendig lernen zwar eine gute Note bekommt, aber noch lange nichts für das Leben gelernt hat. Meine Kenntnisse der deutschen Geographie, habe ich mir erst nach der Schule und nach dem Erfurt Eklat angeeignet. Mit jedem Nicht-Münchner, den ich kennen lernte, wurden sie besser. Seit vielen Jahren verknüpfe ich deutsche Städte mit mir bekannten Personen.
Betrachte ich eine Landkarte sehe ich neben den Orten auch immer die Namen von Freunden und Bekannten. Besonders hell leuchten die Städte, die ich mit Herzklopfen verbinde. Denke ich zum Beispiel an Paderborn, denke ich auch 21 Jahre später noch an Manuel. Obwohl ich bis heute keine Ahnung von Einwohnerzahl oder Sehenswürdigkeiten dieser Stadt habe, weiß ich sehr genau wo sie liegt. Mit 17 recherchierte ich nämlich, ob es möglich wäre an einem Tag mit dem Zug nach Paderborn und wieder zurück zu fahren, ohne das meine Eltern etwas davon mitbekämen. Es war hoffnungslos und ich konnte den Cousin einer Freundin, der mir an einem Wochenende in Sommer 1993 so nachhaltig den Kopf verdreht hatte, nie besuchen. Paderborn ist noch heute gleichbedeutend mit dem Glanz rotbrauner Haare im Sonnenlicht.
Hamburg leuchtet auf der Karte besonders hell und Kaiserslautern funkelt ein bisschen. Vor einigen Jahren lernte ich an Silvester Dennis aus Kaiserslautern kennen. Ich verliebte mich binnen weniger Minuten und blieb es bis zum nächsten Morgen, als er meine Wohnung verließ. Von Dennis wusste ich nicht viel mehr, als dass er aus Kaiserslautern stammte. Mit leiser Wehmut suchte ich die Stadt am nächsten Tag im Internet und empfand sie weit weniger reizvoll als meine Silvesterbekanntschaft. Meine Verliebtheit flammte neu auf, als er sich einige Zeit später auf Facebook meldete. Wir blieben in losem Kontakt und als er mir ein halbes Jahr später erzählte, nun in Hamburg zu leben, erhielt meine ganz persönliche Landkarte einen neuen Stern. Hamburg wird wohl immer am hellsten leuchten, denn dort verbrachte ich eines der schönsten Wochenenden meines Lebens. Drei Tage lief ich von morgens bis spät abends an Dennis Hand durch die Straßen der Stadt und lernte mit ihm gemeinsam seine neue Heimat kennen. Wir brauchten keinen Reiseführer und keine Tipps. Verliebte haben das Glück von ganz alleine an den schönsten Ecken zu landen. Das Leben hat uns nur noch einmal zusammengewürfelt, aber Hamburg bleibt für immer die Stadt von Dennis und ist mit einem warmen Gefühl und der Erinnerung an den Geschmack von Astra Bier verbunden.
Bei Duisburg dagegen, zieht es mir noch heute den Magen zusammen. Einer, den ich mit jeder Faser meines Körpers kurz aber heftig geliebt habe, kam aus dieser Stadt. Ich war nie dort und das Wenige das mir zu diesem Ort einfällt reicht kaum für einen Halbsatz. Ich weiß nur, dass es seine Geburtsstadt ist. Als er mir das Herz brach, lebte er schon lange in München. Da ich meine Heimatstadt aber selbst mit gebrochenem Herzen nicht hassen kann, musste das nichtssagend Duisburg die Stellvertreter Rolle einnehmen. Der Schmerz der hoffnungslosen Liebe war noch frisch, als ich mich auf einen neuen Job bewarb. Im Bewerbungsgespräch teilte man mir mit, dass der Firmensitz in Duisburg liegen würde. Ich beendete das Gespräch und ging. Unmöglich, täglich in der Fußzeile des Briefpapieres den Namen dieser Stadt zu lesen. Duisburg ist Dr. X und für mich ein Ort den ich zu meiden weiß. Ich schalte noch heute sofort um, wenn ich im Fernsehen zufällig auf die Sendung „Lokalzeit aus Duisburg“ stoße – das tut mir nicht gut.
Saarbrücken mag ich übrigens auch nicht. Obwohl der blöde Kerl längst von dort weg und in meine Nachbarschaft gezogen ist, hasse ich diese Stadt mit grenzwertiger Inbrunst. Ich konnte es ihm nicht verbieten nach München zu ziehen, aber ich kann diese seltsame Stadt an der Französischen Grenze mit wohltuendem Misstrauen aus der Ferne beäugen.
Die Landkarte Deutschlands ist gespickt mit vereinzelten Männernamen. Natürlich reicht es bei weitem nicht für jedes Bundesland. Das muss auch nicht sein. Es leuchten auch die Namen von weggezogenen Freunden, flüchtigen Bekannten oder beruflichen Kontakte auf. Mittlerweile bin ich recht gut in deutscher Geographie. Auch Sie könnte ich, wenn Sie mir verraten woher Sie kommen, gut einordnen. Nur wenn Sie aus Duisburg oder Saarbrücken kommen, dann ignoriere ich das und wechsle das Thema, um Ihnen nicht unrecht zu tun.
Liebe Mitzi,
Deine amouröse Geografie oder Topografie liest sich witzig und auch ambivalent.
Erinnert fühle ich mich gerne an: Conrad Celtis, Quatuor Libri Amorum, Nürnberg 1502. Darin schildert Celtis vier Liebesabenteuer in verschiedenen Gegenden des Reiches: Hasilina aus Sarmatien (Krakau), Else aus dem Alpenland (Regensburg), Ursula aus Gallien (Mainz) und Barbara aus Codonea (Lübeck). Zu den Liebes-Elegien in lateinischer Sprache gibt es einige Holzschnitte mit den Personen und kartografischen Bezügen. Dürer steuerte die „Philosophia“ bei. Gibt es jemanden, derdie das Werk volltextlich ins Deutsche übersetzt?
Celtis hatte an mehren Orten Dichterschulen gegründet und wurde selbst kaiserlich mit dem Dichterlorbeer gekrönt.
Zwei Verse finde ich von Gerhard Fink übersetzt im Vorwort zu den „Norimberga“ an Celtis‘ Flamme Elsula in Regensburg:
„Dich wird ganz Deutschland in unseren Städten
besingen und alle Orte werden dich rühmen! …
Ach, welche nächtlichen Freuden hast du mir
letzthin geschenkt, als du, meine Umarmung
erwidernd, deine zarten Arme
liebevoll um mich legtest.“
Schöne Grüße vom letzten Urlaubsabend daheim
herzlich, Bernd
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Lieber Bernd,
ich stehe schon zwischen den Taschen und bin auf dem Sprung. Aber noch ein herzliches Dankeschön für die schönen Ausführungen, die ich schon halb in Italien mit großer Freude gelesen habe und nach dem Urlaub sicher noch einmal in Ruhe.
Viele Grüße
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Herrlich … schmunzel 🤗
Herzliche Morgengrüße vom Lu
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Liebe Grüße zurück 🙂
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Was für ein Spaß!
In mur wächst eine neue Deutschlankarte 😊
Liebe Grüße
Ulli
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So soll es sein – jedem die seine 🙂
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Toll, liebe Mitzi, Dein Deutschland-Puzzle! Und Du hast recht: ich verbinde auch Orte mit Menschen und den mit ihnen gehabten Gefühle und umgekehrt.
Dazu fällt mir Dein Bayern, Harthausen bei Friedberg ein, wo ich einmal ganz doll in ein Mädchen von dort verliebt war, und mit meiner Ente den weiten Weg dorthin auf mich nahm, um sie nur für wenige Stunden sehen zu können. (Soifz 🥴😊)
Und ich freue mich über mein Glück, nicht in Duisburg zu wohnen, sondern nur direkt daneben…
Liebe Grüße nach Bayern!
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hach. ich kann das so gut verstehen. so und mit meinen reisen hab auch ich ein bisschen mehr geografisches wissen gelernt 🙂
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