Andersostern

Dieses Jahr fällt Ostern aus, schreibt mir eine und ich ärgere mich über die Engstirnigkeit dieses Satzes. Es fällt nicht aus, weil es gar nicht ausfallen kann und es ihm, dem Osterfest wahrscheinlich herzlich egal ist, ob man große Teile der Weltbevölkerung unter Hausarrest gestellt hat. Natürlich wäre es schön heute mit den Eltern zusammen zu sein. Die meinen vermisse ich an diesem Ostersonntag sehr. Und ganz sicher werde ich es morgen bedauern nicht mit den Geschwistern, Nichten und Neffen und dem beständig wachsendem Anhang der Heranwachsenden einen Tag familiären Chaos und übersprudelndem Familiengefühls zu genießen. Dennoch…Ostern ist auch dieses Jahr. Anders. Vielleicht, ganz sicher sogar, nicht so schön, aber es ist. Hier in München hat es Nachsehen mit uns und schenkt uns einen Frühlingstag der schöner nicht sein könnte. Freilich wäre es an der Isar, im Wald oder in den Bergen noch etwas schöner, aber heute muss man eben nehmen was man hat. Löwenzahn an Häuserecken und blühende Bäume und Büsche. Aus Sturheit optimistisch? Ja und dieses Jahr auch aus Trotz.

Alle gesund schreibe ich und bin froh, dass ich es schreiben kann. Vor meiner Türe steht ein Osternest. Weil der Hase das Glöckchen nicht um den Hals, sondern verkleidet als Indianer über den Ohren hängen hat, ahne ich, dass es von meinem Vater ist. Die liebevoll drapierten Eier tragen die Handschrift meiner Mutter. Für einen kurzen Moment treibt es mir die Tränen in die Augen, weil mein Vater irgendwann heute früh vor meiner Tür stand und ich ihn dennoch nicht sehen konnte. Umarmungen vermisst man doch sehr in diesen Tagen. Dennoch, fast alle meiner Nachbarn haben Karten oder kleine Pakete erhalten und stellten sich gegenseitig Hasen, Lämmer und Eier vor die Türen. In anderen Jahren kommt das viel seltener vor. Kleine, wertvolle Aufmerksamkeiten die über die Abstinenz von Familie und Freunden trösten können. Nicht das selbe, schreibt einer und ich atme tief durch. Ja, es ist anders. Ja, wir vermissen uns, aber wann zuvor hat man fast fremden Nachbarn etwas vor die Tür gestellt? Aus Sturheit optimistisch und in diesem Jahr auch härter. Das wird schon wieder, schreibe ich zurück, nur einem nicht. Ob es bei ihm und seiner Familie wieder wird ist fraglich. Aus der Ferne drücke ich Daumen, denke ständig an ihn und hoffe wo es vielleicht nicht mehr viel zu hoffen gibt.

Die neuen Nachbarn beschallen den Hinterhof mit Musik und die alten Bewohner drehen ihre Musik leiser. Der Neue hat ein gutes Gespür und an  diesem Ostersonntag brauchen wir keine Ruhe. Rocket Man von Elton John, das ist schön. Zu schön um nicht schon wieder los zu heulen. Egal, ich bin sicher nicht die Einzige, die die Balkontür etwas weiter öffnet und sich drei Minuten lang von der Musik wegtreiben lässt. Der Neue entschuldigt sich als ein Fenster lautstark geschlossen wird und verbeugt sich grinsend vor einem unsichtbarem Publikum als drei andere ihn bitten weiter zu machen. Sanft sind die Lieder die er aussucht und manchmal eines dazwischen, das so gar nicht passt und doch passt, weil man lachen muss. Doch ja, das Pumuckel Lied kann man in einem Münchner Hinterhof ruhig mal anstimmen. Es wohnen ja auch Kinder hier, auch wenn man sie im Moment kaum zu Gesicht bekommt. Das Lachen am Spielplatz fehlt, aber heute suchen und finden sie dennoch ihre Eier und Hasen. Nur leiser und ruhiger. Zu ruhig. Wie alles in den letzten Wochen. Fyn Kliemann singt im Hinterhof.  Der Neue spielt es bei offener Balkontür in seinem Wohnzimmer und schickt uns nach Sardinien. Ich kippe das Küchenfenster und sehe meinen Nachbarn Paul am Balkon stehen. Wahrscheinlich sein Lied. Ich glaube seine Handschrift auf dem Zettel im Treppenhaus erkannt zu haben. Der Neue, Jan, hatte angeboten Musikwünsche entgegen zu nehmen. Nicht schlecht, ich winke Paul und strecke den Daumen nach oben. Kliemann und Sardinien mag ich auch. Schön das einer die Stille vertreibt, in Woche vier ist sie nicht mehr schön. Sie hat zu drücken begonnen. Eine Stunde später sitze ich einer Ecke des Laubengangs und hoffe, dass mich keiner sieht. Verheult und schniefend bin ich lieber unsichtbar. 

„IRSAJ, DU IRRES STÜCK!“ höre ich Paul quer durch den Hinterhof brüllen und lache unter dem Schniefen. Als ich Battisti mit „I giardini di marzo“ auf Jans Zettel schrieb, erschien es mir eine gute Idee. Langsam ziehe ich mich an der Brüstung nach oben und zucke entschuldigend mit den Schultern in Pauls Richtung. Das Lied ist wunderschön, aber es macht traurig. Nicht nur mich. Paul wischt sich mit dem Handrücken über den Augenwinkel und erkundigt sich rufend, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte aus dem Hinterhalt mit so einem Lied zu kommen. Dann lacht er, wünscht schöne Ostern und bittet Jan es noch einmal zu spielen. Danach „I´m still standing“. Jan, scheint Elton John sehr zu mögen. Die meisten haben nichts dagegen.

Es ist ein verrücktes Ostern. Traurig, melancholisch und voller Sorgen. Dazwischen Lachen und Fröhlichkeit, die ansteckend ist. Ungewohntes Gemeinschaftsgefühl und Einsamkeit in den eigenen vier Wänden. Seltsame Tage. Wie werden wir uns wohl in einigen Jahren an diese Zeit zurück erinnern?

Schöne Ostern. Trotz allem. Wegen allem!

20 Gedanken zu “Andersostern

  1. Liebe Mitzi,
    toll musikalisch geht es bei Euch zu.
    Wir haben heute auch das, was der Osterhase heute Nacht zu uns brachte,
    unseren Kindern und Enkeln nur an die Türe gebracht und uns zugewunken.
    Für eine Zeit geht das.
    Lass´ uns zuversichtlich bleiben:
    es wird sicher irgendwann alles gut,
    und wir alle sind dann um die Erkenntnis reicher,
    wie kostbar und schön es doch ist,
    sich hin und wieder mal in den Arm nehmen zu können..
    Herzliche Ostergrüße nach München!
    Lo

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    1. Du sagst es, für eine Zeit geht es. Hilft ja nichts. Aber wenn es dann wieder geht, dann werden die Wiedersehen bestimmt etwas ganz besonderes sein – ich freu mich schon jetzt drauf.
      Ostermontagsgrüße zu dir.

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  2. gleich mal alle lieder anhören… aber das, was du da gespielt hast, bricht einem ja wirklich das herz und gleichzeitig… alle dämme. langsam fängt das atmen an schwerzufallen. woche 5 bei euch, woche 6 bei uns…

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      1. Bisher dachte ich, das hat so was magisch – religöses. Aber dass er sich nicht erwischen lassen will hat, das wissen ja nicht viele, vielleicht damit zu tun, dass der Hase unter dem einheimischen Wild der Träger der meisten Zoonosen ist. Vielleicht will er nur vermeiden, dass es ihm ähnlich geht wie Bruder Schuppentier und Schwester Flederhund und er entweder gefressen oder aber so totgeschlagen wird?

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