Übungssache

Ob es nicht ein wenig seltsam sei, alleine und ohne Begleitung nach Italien zu fahren, fragt sie und ich zucke mit den Schultern. Und wenn, warum dann nicht in ein Hotel, wo man weiß was man hat und sich ein wenig verwöhnen lassen kann, will sie wissen und ich habe keine Antwort. Keine, außer die, dass es sich richtig anfühlt. Dass ein Hotelfrühstück nicht das ist, was ich in Italien möchte und dass ich alleine fahre, weil ich nichts mitnehmen, sondern etwas finden möchte. Nach Italien fuhr ich, solange ich denken kann, alleine. Ich fuhr von München nach Elba, Mailand, Verona oder noch weiter in den Süden um jene zu treffen, die dort lebten und die ich vermisste. Eine Zugfahrt mit Umstiegen in Orten, von denen ich noch nie gehört habe, schreckte mich noch nie, sind doch Bahnhöfe eben jene Orte, die kein Wissen benötigen, weil sie überall ähnlich und ohne Erklärungen funktionieren. Und doch mag ich ihre Fragen nicht, weil es mir fremd geworden ist, alleine unterwegs zu sein. Ich bin behutsamer geworden. Unsicher und ängstlich. Nichts davon war ich früher und nichts davon passt zu mir. Als ich vor vier Wochen dem mutigsten meiner Freunde sagte, dass ich Ostern auf einen Sprung runter komme, hat er nur „ja“ gesagt. Natürlich, warum auch nicht. Einsteigen, fahren und ankommen. So war es früher und so sollte es auch heute noch sein. Ein paar Tage Verona, einen Freund besuchen und dann weiter in den Süden oder ein Stück zurück in den Norden, das würde man spontan sehen, zu ihm auf einen Café und eine Pizza am Abend. Ein bisschen konfus, ein bisschen planlos, aber das war ich immer. Er sagte nur „ok“ und „bis dann“. 

Ich mag die Frage, wen ich in Verona treffe nicht. Die meisten sind verschwunden. Als wir uns anfreundeten gab es kein Facebook und die Zettel auf die unleserlich E-Mail Adressen und Telefonnummern gekritzelt wurden, verschwanden zwischen den Kilometern die uns trennten. Heute sind fast alle weg. Nur zwei haben überdauert. Es sollte reichen, denn es ist nicht selbstverständlich sich über Jahrzehnte mit zwei Menschen verbunden zu fühlen. Ok, ruf an wenn du da bist, sagen sie und ich bleibe ein wenig ratlos zurück. Irgendwann wurde ich zu jemanden, der einen festen Termin im Kalender stehen haben möchte. Am besten mit Ort und ganz genauer Uhrzeit. Wie dumm und wie sinnlos, weil man das meiste doch nicht planen kann. Am liebsten würde ich den einen der zweien bitten mich abzuholen. Mittags an einem Werktag. Wie idiotisch, wo ich doch weiß, dass ich nur die Corsa Porta Nuova entlang laufen muss. Eine Straße die mir vertraut ist und an der ich früher meine Münchner Freunde absetzte. Einfach runter, dann kommt ihr an den Bahnhof verabschiedete ich sie und mache mir heute Gedanken ob ich eine Wohnung finden werde, die gerade einmal 110 Meter vom ehemaligen Haus des mutigsten meiner Freunde entfernt liegt. Dumme Gedanken, die vom Vorschlag von einer, ich solle noch warten, Pfingsten würde ich doch eh mit einer Freundin fahren, bestärkt werden. 

Zunächst warte ich nur darauf, dass der Kaffee fertig ist. Mit der kleine grüne Espresso Tasse warte ich bis die Kanne auf dem Herd zu zischen beginnt.  Aus ihr und ihren vier Schwestern trinke ich den Kaffee seit über zwanzig Jahren und sie ist es auch, die mich leise fragt, wann ich eigentlich so ängstlich geworden bin. Ob nicht ich die gewesen bin, die behauptet, man müsse springen wenn einem danach sei. Früher sprang ich mit Anlauf und weit geöffneten Augen, heute zögere ich bei der Buchung eines Flixbus Tickets. Vielleicht muss man es üben, um es nicht zu verlernen. Das Springen, das spontan sein und die Fähigkeit die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Mit dem Kaffee in der Hand und auf dem Balkon sitzend, bestätige ich die Airbnb Buchung, kaufe das Flixbus Ticket und beschließe mich überraschen zu lassen, mit wem ich kurz nach Ostern abends in Verona eine Pizza essen gehe. Wenn keiner Zeit hat, dann gehe ich in ein halbes duzend kleiner Läden in meinem alten Viertel und koche etwas für mich ganz alleine. Auch das würde mir gefallen. Ich weiß es, so wie ich weiß, dass ich mich in meiner alten Stadt gut drei Tage auch alleine beschäftigen kann und letztendlich doch genau deshalb auch alleine fahre – um wie früher, am Anfang, dort tagelang alleine durch die Straßen zu streifen. Die Rückfahrt kann ich noch nicht buchen und bei der zweiten Tasse Kaffee gefällt mir der Gedanke. Meer oder See. Beides schön, beides willkommen. Wahrscheinlich treffe ich einen der mir liebsten Menschen überhaupt. Bei der dritten Tasse weiß ich, dass ich selbst dann fahren würde, fahren müsste, wenn ich ihn nicht treffen würde. Eine vierte Tasse trinke ich nicht mehr. Wenn ich mich recht erinnere, war es immer die vierte gewesen, nach der ich ein Stück zu weit gesprungen bin. Vermutlich würde mir das heute nicht mehr passieren, aber ich riskiere es lieber nicht. Schließlich bin ich, immer noch ich und ich sagte schon immer, dass man springen muss. Nur es tun, das vergesse ich, je älter ich werde, ab und an. 

22 Gedanken zu “Übungssache

    1. So paradox finde ich das gar nicht. Ein etwas blöder Vergleich, aber mir fiel das Skifahren ein. Früher runter gebrettert ohne einen Gedanken zu verschwenden. Mit jedem Jahr langsamer weil man weiß, dass es auch schief gehen kann.
      Die gelernte Vorsicht schadet nicht, nur einschüchtern, das sollte man sich nicht lassen. Sofern es gelingt.

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  1. Was kann schon passieren bei einem Espresso am Piazza in Verona? 😊 🙋 Höchstens feststellen, wie schön es ist, am Piazza in der Sonne einen Espresso zu genießen,…. – und alles andere ein wenig in Frage zu stellen…. liebe Grüße, Olaf

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  2. Komisch, mir geht es ganz ähnlich, was das Reisen betrifft. (Wobei ich wirklich jung und dumm war und auf Reisen Dinge getan habe, von denen mir nicht nur meine Eltern abgeraten haben. Mir ist nie etwas passiert, aber im Nachhinein betrachtet, war ich schon ein bisschen leichtsinnig.)

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  3. Das Motto meines alten Blogs war ja:“Einfach springen!“ Und klar hat dieses Spontane seinen Reiz. Mit zunehmender Erfahrung (ich sag jetzt extra nicht Alter 😉) hab ich gelernt, dass man jedesmal etwas zurück lässt. Einige Menschen mögen Angst vor dem Sprung haben – unbekannte Situationen etc. , aber die reizen mich eher.
    Das DANACH finde ich furchteinflössender. Wen oder was lasse ich zurück? Wege trennen sich oft aufgrund von Sprüngen. Mir steht gerade auch einer bevor – und ich bin sicher, dass das die richtige Entscheidung ist- schwer ums Herz ist mir trotzdem. Weil ich nicht weiß, ob mein Herzmensch die Entscheidung aushalten wird. Vllt mach ich dazu noch einen Blogbeitrag 😉.
    Dir wünsche ich eine angenehme Fahrt und wunderbare Tage und hoffe auf noch wunderbarere Italien-Erzählungen. ❤️
    LG Andrea

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    1. Interessant was du über das danach sagst. Seltsamer Weise denke ich da im Moment einer Entscheidung (und jetzt meine ich nicht, einen Kurztrip nach Italien) gar nicht daran. Rückblickend hätte es ab und an nicht geschadet das zu tun.
      Heute würde ich es wahrscheinlich eher tun, eben wegen des Wissen, das jeder grosse Sprung auch Konsequenzen hat.
      Ich drücke dir für deine Entscheidung die Daumen! 😘
      Auf Italien freue ich mich jetzt schon sehr.
      Liebe Grüße

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  4. Eine ähnliche Situation und doch so ein anderer Outcome als der bei mir im Februar. Ich verstehe so gut was du meinst.

    Als ich dann damals, früher, hätte können, war ich nicht mehr die, die ich hätte sein wollen und so sind mir diese Struggles vertrauter als irgendetwas anderes. Man muss es tun, um in Übung zu bleiben, OH JA, das ist allerdings wahr. Auf sein Herz hören, auf das, was einen da erwartet, nicht auf die 17 „abers“, die aus dem Kopf kommen. Es wird bestimmt wunderbar.

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  5. Liebe Mitzi,
    ich habe mal im Universum nachgefragt, welcher Schutzengel für Sie zuständig ist.
    Antwort: Welcher? Die Frage muss lauten „WELCHE“!

    Ich habe zwar keine Auskunft bekommen, wieviele und welche Schutzengel sich um Mitzi Irsaj kümmern (wegen der DSGVO – die gilt jetzt auch dort!), aber die reißen sich praktisch darum, bei Mitzi eingeteilt zu werden!
    Einen Hinweis habe ich allerdings bekommen: TROTZDEM sollen sie nie leichtsinnig oder gleichgültig sein, nur weil sie immer von Schutzengeln begleitet werden! Es gibt durchaus Situationen, in denen auch ganze Kompanien Schutzengel nur das Gröbste verhindern können. Das muss man ja nicht provozieren.
    Aber ansonsten können sie völlig beruhigt nach Italien reisen. In Italien gibt es sogar noch ’ne Ecke mehr Engel als in Deutschland, weil die einfach lebensfroher sind!

    Gruß Heinrich

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    1. Lieber Heinrich, es beruhigt mich sehr zu wissen, dass ich ein paar Schutzengel an meiner Seite haben werde. Wobei einer alleine ja schon etwas ganz feines und sicher ausreichend ist. Ich verspreche meinen Verstand nicht auszuschalten und den geflügelten Begleitern so nicht allzu viel Arbeit zu machen.
      Lebensfroh klingt sehr gut. Bei den Engeln und auch für uns. Ich hoffe so gehen wir beide durch die nächsten Tage, Wochen und Monate.
      Herzliche Grüße

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  6. Das Alter bzw. das älter werden hat Vorteile, aber leider auch nicht zu übersehende Nachteile. Lasse dich um Gottes Willen jetzt noch nicht von den Nachteilen überrumpeln, dafür hast du noch einige Jahre und wenige Jahrzehnte Zeit.
    Ich brauche jetzt leider andere Leute, die meine Reisen organisieren.
    Ganz, ganz liebe Grüße zu dir

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      1. So oft fahre ich ja nicht weg, das bekommen wir hin. Außerdem trifft es sich ganz gut denn ich werde wahrscheinlich nur noch einmal eben auch im Mai nach Italien fahren. Sobald es dir etwas besser geht, machen wir uns an die Planung, ja?

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  7. Ich bewundere die Italiener für ihre lockere Lebensart. Ihr mal schnacken, dort ein spontaner Besuch und wenn jemand mit Hunger vorbeikommt gibt es irgendwie immer ein improvisiertes Festmahl. Ich war in der Hinsicht noch nie locker. Spontanität kommt in meinem Leben quasi nicht vor. Mit meiner (Über-)pünktlichkeit bediene ich in der Hinsicht auf jedenfall das deutsche Klischee.

    Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen im Alter weiser oder vorsichtiger werden (verliert Naivität)? Man hat mehr Erfahrung gesammelt und wägt deshalb lieber zwei Mal ab bevor man sich ins womöglich gefährliche Abenteuer stürzt

    PS: Den besten Espresso/ Americano gibt es nur auf der zischenden Kanne 😀

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    1. Obwohl ich selbst mich schon als locker beschreiben würde, ist es in Italien doch noch mal ganz anders. Oft so wie du es beschreibst. Natürlich wenn man dort arbeitet, dann ist die Lockerheit auch nicht ganz so aus geprägt, aber im Zusammenspiel mit Freunden und Bekannten auf jeden Fall. Den Kaffee nur zischend und brodeln von der Herdplatte. 😊

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