Warten – Alltag V

Sie, deren Blog ich seit lese, seit wir sonst keinen Kontakt mehr haben, wartet. Wieder einmal. Es ist bedrückend zu lesen, wie oft sie wartet, über das Warten schreibt und das Ende der Warterei herbei sehnt. Ändern wird es sich nicht mehr. Vielleicht doch, ich würde es ihr wünschen, glaube aber nicht mehr daran. Zu lange sprach sie vom Warten auf den richtigen Zeitpunkt und zu oft, dachte ich an verstreichende Zeit und verpasste Gelegenheiten. Gedacht und nicht gesagt, weil es anmaßend ist, von der verschwendeten Zeit eines fremden Lebens zu sprechen.

Wir alle verschwenden Zeit. Verschwenden sie in Supermärkten vor der Kasse oder im Stau stehend, wartend auf den Bus oder den Mann des Lebens und idiotisch passiv wartend auf das Ende eines Werbeblocks oder auf wenigstens irgendeinen Mann. Ich bin gut im Warten. So gut, dass ich schon einmal über viele Monate auf den Tod eines Menschen gewartet habe. Es ist leichter auf den Bus zu warten, sagte ich ihr, als sie mich fragte, wie es war. Eine Weile habe ich mit ihr gewartet. Weil ich sie mag und weil ich das Warten auf den Startschuss kenne. Sie will in ein anderes Land. Das wollte ich auch und erinnere mich noch immer an das Warten bevor es so weit war. Ein schönes Warten. Grausam, quälend aber so spannend wie wenig anderes. Vielleicht musst du irgendwann einfach springen, schlug ich nach fünf Jahren vor und sie zuckte mit den Schultern. Das Warten war anstrengend geworden und die Spannung hatte nachgelassen. Heute verfolge ich ihr Warten nur noch auf dem Blog, den ich noch immer abonniert habe. Sie wartet auf die nächste Reise in das Land ihrer Träume. Wartet und bereitet sich darauf vor. Die Tage in ihrer Heimatstadt, so liest es sich, sind eine Qual und alles dreht sich nur um den Moment, in dem sie das alles endlich hinter sich lassen kann. Sie lernt die Sprache, verfasst Statusmeldungen, ungeachtet dass viele sie nicht verstehen, ausschließlich in ihr, korrespondiert nur noch mit Bekannten im Ausland, hat den Radio auf den Sender der Traumstadt eingestellt und kocht exotisch anmutige Speisen. Nichts davon macht sie glücklich. Sie ist das Warten leid und und ich frage mich immer öfter ob sie es noch schaffen wird. Ob sie überhaupt je springt und wie es ihr ergehen wird, wenn sie feststellt, dass dort oben niemand auf sie gewartet hat. Ich bin weiß Gott ein mieser Ratgeber in Bezug auf ein durchdachtes und strukturiertes Auswandern, aber eines weiß ich – egal wo du hingehst, stell dich besser darauf ein, dass niemand auf dich wartet. 

468 Tage habe ich darauf gewartet, endlich nach Italien ziehen zu können und weitere 65 Tage um zu begreifen, dass niemand auf mich gewartet hat. Die wenigen Menschen, die man kennt, reichen schwerlich um den Alltag zu füllen, wenn man es gewohnt ist in der Heimat alles und jeden zu kennen. Oft lese ich, dass sie bei den Besuchen im Ausland Stunden, ja ganze Tage auf ein Treffen mit den wenigen Menschen die sie kennt wartet. Wartend erkundet sie die Stadt und schreibt es sich schön. Es ist schön. Für eine begrenzte Zeit. Irgendwann, sind alle Wege gegangen, alle Schönheiten bestaunt und das Warten wird zäh. Ich kann es ihr nachfühlen und leicht verstehen. Wenige meiner Freunde haben in ihrem Leben so viel Zeit mit Warten verbracht, wie ich in meiner Anfangszeit in Italien. Warten auf einen Anruf. Warten auf Bekanntschaften. Warten auf das Gefühl endlich anzukommen und dazu zu gehören. Warten auf den Alltag. Es mutet seltsam an, dass genau er, vor dem man flieht, zu dem wird, das nach einiger Zeit am schmerzhaftesten vermisst wird. 

Es hat sich gelohnt, das Warten. Als es vorbei war, kam eine wunderbare und ganz fantastische Zeit. Mit einem Lächeln blicke ich auf die haltlose, wartende und ziellose Anfangszeit zurück und möchte sie nicht missen. Sie ist mir wertvoll, weil sie endlich war. Ich drücke ihr, deren Weg sich von meinem entfernt hat, die Daumen. Für den Sprung, für das Ende des Wartens und für den neuen, fremden Alltag. 

Mehr über den Alltag bei Ulli. Mittlerweile sind viele interessante Artikel zusammen gekommen, die einen Blick lohnen.

26 Gedanken zu “Warten – Alltag V

  1. Ich sollte auch endlich aufhören, zu warten. Auf Irland. Auch, wenn ich dort zwei Menschen habe, die auf mich warten. Meine Schwiegermama sagt es mir zumindest immer auf Skype.
    Vielleicht warte ich ja doch noch ein bisschen. Zumindest, bis ich wieder ganz gesund und fit bin.

    Liebe Grüße, Werner 🙂

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    1. Gesund und fit zu werden, ist ein warten das ganz sicher Sinn macht. Irland, klingt für mich im ersten Moment nach etwas auf das man ruhig eine sehr sehr lange Zeit warten kann ohne damit aufzuhören. 😊

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      1. Danke. 🙂 Du hast vollkommen recht. Wie es in einem irischen Segenswunsch schon heißt: „Mögen sich Deine Wünsche erfüllen – außer einem,
        so dass Du immer etwas hast, wofür Du ringen,
        wonach Du streben kannst.“

        Liebe Grüße, Werner 🙂

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  2. Einige warten, weil sie gelernt haben, dass sie nichts fordern dürfen.
    Andere warten, weil sie Scheinautoritäten folgen.
    Manche warten aus Geduld. Manche aus Fatalismus.

    Manchmal muss man warten, weil die Umstände beschränken.
    Oder weil eine Forcierung zu früh sein könnte.

    Manchmal kann man den möglichen Verlust des Ziels nicht verkraften, und erträgt den Zwischenzustand. Denn ob die Katze tot ist, weiß man erst, wenn das Warten vorbei ist.

    Wenn du in einem Rätsel gefangen bist, bleibt nur warten.

    Ich sage zu einem Ertrinkenden nicht, dass er schwimmen soll – Hauptsache autonom.
    Ich drücke niemandem ein Kissen aufs Gesicht und fordere Unabhängigkeit von Luft.
    Ich sage zu Menschen nicht, dass sie sich selber retten sollen, sonst gilt es nicht.

    Es gilt.
    Deshalb kann warten notwendig sein.

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    1. Ich danke dir für diese schöne und treffende Antwort. Es ist richtig, es gibt so viele Facetten des Wartens und so viele verschiedene Wartende, dass ein Urteil über einen bloßen Zustand nicht richtig ist.
      Besonders berührt hat mich der Satz, dass man manchmal den möglichen Verlust des Ziels nicht verkraften kann und so den Zwischenzustand erträgt.

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  3. Vielleicht muss man sich klar machen, dass man während des Wartens auch lebt bzw. leben muss. Das Leben während des Wartens soll man nicht gering schätzen, sonst ist die Zeit wirklich verschwendet.

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  4. Wir werden schon von klein auf trainiert zu warten. „Wir warten auf das Cristkind“ – der Adventskalender ist ein Instrument des Wartens. Wenn ich auf dem Dorf samstags einkaufen musste als Kind, wurde ich von den Erwachsenen im Laden immer wieder nach hinten geschoben. Es war so üblich, denn Kinder hätten Zeit, hieß es, könnten ruhig etwas warten. Wie du eingangs geschrieben hast, ist Warten Teil unseres Alltags, liebe Mitzi. Zu warten und gleichzeitig etwas Sinnvolles zu tun, ist die Kunst. Im Fall deiner Freundin scheint Warten Selbstzweck geworden zu sein. Außenstehenden bleibt da nur geduldig zu warten, bis sie es begreift – wenn man geduldig genug ist.

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    1. Ein interessanter Aspekt, lieber Jules. An das Christkind und an den Adventskalender habe ich beim warten noch gar nicht gedacht.
      Ich werde ihr weiter die Daumen drücken. Wofür auch immer. Für den Sprung oder für mehr Zufriedenheit während des Wartens.

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  5. Warten gehört irgendwie zum Leben. Selbst wenn der Sprung ins Ausland, wie oben beschrieben, gelingen sollte, ist nicht gesagt, dass die Warterei ein Ende hat. Gut möglich, dass neue Ziele sich in den Vordergrund schieben, sobald die alten erreicht sind. Und das Warten beginnt von vorn …

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    1. Ich glaube fast, dass es immer so ist. Ein Ziel ist erreicht, eine Weile ist alles neu und dann spielt sich alles wieder ein. Alltag. Dann wieder warten – und wenn es nur auf das Wochenende oder den nächsten Urlaub ist.

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  6. Liebe Mitzi, dein „ping“ ist leider nicht bei mir angekommen, es war jetzt fast eher zufällig, dass ich deinen Beitrag gefunden habe. Seltsam – vielleicht erklärt dies auch warum ich gerade doch im Verhältnis sehr wenige Beiträge zum Alltag vorfinde? Na egal …
    Warten … das kenne ich leider nur zu gut, für mich ist es ein Unterschied, ob ich begreife, dass es gerade eben nichts zu tun gibt, um … oder ob ich gelähmt bin, hadere und auf eine Art Rettung warte, wohlwissend, dass das nicht funktionieren kann.
    Und dann gibt es eben die ganz normalen Wartezeiten des Alltags, im Wartezimmer, an einer Bushaltestelle, auf dem Bahnhof, diese Zeiten lassen sich mit Beobachtungen und Atemübungen gut füllen.
    Herzlichen Dank für deinen Beitrag.
    Liebe Grüße
    Ulli

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    1. Liebe Ulli,

      vielleicht habe ich auch falsch verlinkt – ich schau gleich noch mal nach. Es wäre schade, wenn die Überleitung zu dir nicht klappt.
      Du beschreibst die verschiedenen Arten zu warten sehr gut. Manches ist normal, manches sogar schön und dann eben auch dieses gelähmte und unschöne Warten.
      Liebe Grüße

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  7. das warten ist schon ein sehr spezielles thema. eines, das mich auch immer wieder beschäftigt hat und es noch tut. ich habe zu studienzeiten selbst einmal einen text darüber geschrieben, weil ich selbst das gefühl hatte, immer nur zu warten und es war zermürbend. irgendwann ist es gekippt und jetzt geht es mir so, dass es sich anfühlt als wäre all die zeit, die ich mit warten vergeudet habe, einfach nicht da, wie schwarze löcher in meiner biografie und ich stopfe mein leben zeitweise so voll, um nichts mehr zu verpassen. auch aus dieer gewohnheit ist es schwer rauszukommen..

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    1. Zwei Extreme, die ich beide nachvollziehen kann. Manchmal frag ich mich, warum es so schwer ist einfach einen Mittelweg zu beschreiten. Ich selbst hab ihn noch nicht gefunden, aber ich vermute es gibt ihn.

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  8. Pingback: Alltag 6 |

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