Mit meinen Lieblingsmenschen bin ich geizig. Ich teile sie nur ungern, wenn die Zeit, die ich mit ihnen verbringen kann, knapp bemessen ist. Ungern teile ich den mutigsten meiner Freunde, weil wir uns zu selten sehen und die Zeit für das Kennenlernen einer dritten Person viel zu knapp ist. Meine Kollegin Bine aber, die habe ich sofort mitten in unser Wiedersehen geschmissen. Nicht erst seit heute, aber heute ganz besonders, weiß ich warum. Weil sie ein Schatz ist. Einer, der einen anderen Schatz heute neben meinen Schreibtisch gestellt hat.
Seit Jahren motze ich, wenn vor unserem Büro der Christbaum aufgestellt wird. Er ist so herrlich und so wunderschön, dass ich es als Frechheit empfinde, dass ich ihn von meinem Tisch aus nicht sehen kann. Gerade ich, die Christbäume so sehr liebt, muss aufstehen um das Prachtstück leuchten zu sehen. Manch einer schaut gar nicht hin und ich, die dauern schauen wollen würde, muss aufstehen um ihn zu sehen. Ich muss auf Bines Seite und auch dann bis ganz zum Fenster gehen um ihn zu sehen. Muss mich zwischen die Wand und ihren Schreibtisch schieben und die Luft anhalten weil es eng ist. Zwei von drei Malen schmeiße ich dabei einen Stapel Akten um. Meine Kollegin sagt nie etwas – sie weiß, wie wichtig mir der Baum ist. Auch mein anderer Kollege sagt nichts. Er ist näher dran, am Baum, und in seinem Zimmer muss ich nicht bis ganz ans Fenster. Da reicht es, wenn ich mich hinter ihn stelle, um die Lichter zu sehen. Da stehe ich in der Adventszeit oft und erst wenn er nervös mit der Zunge schnalzt merke ich, dass so ein minutenlanges Stehen direkt hinter einem anderen, doch ein bisschen anstrengend sein kann. Für den der Sitzt und den anderen im Nacken hat. Ich versuche meine Besuche in seinem Büro ein wenig zu tarnen und frage ihn bedeutend öfter nach seiner Meinung als nötig. Ganz abnehmen wird es mir nicht, da ich ihn nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern hinter ihm stehend frage. Er ist gutmütig und beschwert sich nicht. Es sind ja nur die vier Wochen im Advent und er sieht wie meine Augen leuchten, wenn ich den Baum anschauen kann.
Das Leuchten meiner Augen sehen auch die anderen. Die, die ganz nah am Baum sind. In den Türen ihrer Büros stehe ich oft minutenlang, starre aus dem Fenster und halte eine Unterschriftsmappe in Hände, von der ich behaupte, sie enthalte etwas, das dringend unterschrieben werden muss. Wenn Arme sich strecken und Hände greifen, gebe ich vor, doch noch was vergessen zu haben und gehe wieder. Nur, um wieder zu kommen und noch einmal das Bäumchen zu sehen. Geduldig nicken sie und ignorieren das Kolleginnen Gespenst in ihren Türrahmen. Sind Türen geschlossen und mir der Blick auf den Baum verwehrt, bin ich beleidigt. Besprechungen in der Adventszeit kann man doch in den Keller verlegen. Oder in die Kantine oder auf die andere Hausseite. Mir egal, aber bitte nicht in Räume vor deren Fenster der Baum steht. Dann muss ich wieder hinter den anderen oder mich zwischen Tisch und Wand quetschen. Das geht mir auf die Nerven und das sage ich. Mehrmals täglich.
Wie gemein das ist, dass ich den Baum nicht sehe. Ich, die ihn doch von allen am meisten zu schätzen weiß und ich, die genau weiß, wann die Lichter an und aus gehen. Letztes Jahr schon habe ich ein anderes Büro beantragt. Erst haben die Kollegen gelacht, dann an meinem Verstand gezweifelt. Dieses Jahr lachen sie nicht. Sie lächeln. Alle. Bine hat heute morgen einen kleinen Baum neben meinen Schreibtisch gestellt. Einen echten! Einen der eine feine Lichterkette hat und herrlich nach Wald riecht. Einen den wir im Sommer auf Balkon oder Terrasse stellen oder im Wald ein schönes Plätzchen suchen. Einen Büro-Christbaum. Meine Kollegen werden sich im Advent sicher einsam fühlen, wenn ich nicht mehr hinter ihnen stehe und keine saudummen Fragen mehr stelle, nur damit ich noch ein bisschen bei ihnen aus dem Fenster schauen darf. Das tut mir leid, aber ich bleibe jetzt lieber in meinem Büro. Bei Bine und dem Baum.
Dass man einer solchen Kollegin auch den mutigsten seiner Freunde vorstellt, wundert Sie nun sicher nicht mehr.
Das ist eine wunderbare moderne Weihnachtsgeschichte.
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Eines der schönsten Weihnachtsgeschenke.
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Ich mag so sehr, wie Du die Welt beschreibst….
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Danke, Ann. Ich bemühe mich sie selbst auch so zu sehen. Es gibt genug, dass man nicht ansehen möchte.
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Liebe Mitzi!
Das ist großartig. Ich beglückwünsche Sie zu solch einer Kollegin und diesem wunderbaren Baum. Das ist wirklich ein tolles Adventsgeschenk. Wären Sie weiter baumlos geblieben, hätte ich ich vorgeschlagen, eine Webcam neben dem Christbaum zu installieren, so dass Sie nicht mehr bei Ihren Kollegen verweilen müssen. Aber das hat sich ja nun erledigt… zum Glück 🙂
Herzliche Grüße

Mallybeau
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Und noch ein Baum. Auch ein sehr schönes Exemplar. Ja, die Webcam wäre auch eine Möglichkeit gewesen. Ein Kollege schlug bereits das Anbringen eines Spiegels vor dem Fenster vor 🙂
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Wäre sicherlich auch ein amüsantes Experiment gewesen. Aber ein ganz eigener Mitzi-Baum ist schon etwas ganz Besonderes!
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Ein Bine-Mitzi-Baum – ja, das ist eine ganz neue Tradition, ich merke es schon.
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Stimmt, die Kollegin sollte natürlich nicht vergessen werden. Ein Bi-Mi-Ba im Büro, der macht alle froh – das klingt nach einem Schlagertitel. 🙂
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Genau an einen solchen Spiegel hatte ich auch gedacht. Dass die Kollegin Bine einen solchen als Geschenk mitgebracht hätte…. Aber nun war es ein Extra-Bäumchen der Sonderklasse, was natürlich viel schöner ist.
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Na, haste den selber gehäkelt? Oder ist der etwa gestrickt? Mit Mallybeausternchen bespickt!
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Den hab ich ganz unverschämt den Häkelfrauen aus der emsigen Runde geklaut, als sie sich die 10te Wiederholung eines Rosamunde-Pilcher-Filmes angesehen haben 🙂
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Gut gemacht – die Strick- und Häkelfrauen haben eh zu viele davon und müssen die verschenken – Mitzi ist eine würdige Empfängerin.
Nur mal zur Aufklärung: ICH MÖCHTE bitte KEINEN!!!
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Für Dich klaue ich die Marzipanobjekte aus dem Lübecker Museum 🙂
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Lass dich nicht erwischen dabei – und lasse alle Männer dort, die schon ewig das Abendmahl nachstellen. – Aber so ein frischer Marzipanpfirsich – da würde ich dich schon bewundern ob deiner kleptomanischen Fertigkeiten 🙂
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Ich esse ihn zuerst auf und würge ihn vor Deiner Türe wieder raus … Späßle gmacht 🙂
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Ich fresse dir vielleicht aus der Hand – aber nicht aus dem Mund 🙂
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Tatsächlich wundert mich das kein ganz kleines bisschen!
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🙂
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Bei dir, liebe Mitzi, wundert mich überhaupt nichts mehr. Es gibt es nicht allzu oft, dass eine Erwachsene so christbaumversessen ist.
Vielleicht haben garstige Chefs den Baum extra so aufgestellt, dass du länger arbeiten und weniger gucken und genießen sollst.
Und deswegen haben die netteste aller Kolleginnen einen privaten spendiert – das hätte ich in Gedanken auch für dich gemacht.
Lieben Gruß von Clara
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ach, jeder sollte eine bine haben! ich versteh dich gut! wir haben übrigens für unsere kundenweihnachtsfeier im büro einen christbaum und alle schauen mich komisch an, weil ich mich wie blöde freue, dass ich das 2m hohe ding schmücken darf *.*
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Die Weihnachtszeit ist überhaupt und im Büro eine besondere Zeit. Heute freute ich ich sehr über eine kleine Zuckerhutfichte, die unsere Büro-Perle mitbrachte und auf dem Schreibtisch ihren Platz fand. Damit vorweihnachtliche Grüße
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Ein Bürotausch während der Adventszeit erscheint mir unausweichlich … 😉
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