Konzert der anderen Art U-Bahn Gedanken

Jeden Morgen bekommt man es. Ob man will oder nicht. Pünktlich zum Start in den Tag kommt man bei den Münchner Verkehrsbetrieben in den Genuss eines Konzertes der ganz besonderen Art. Je nach Uhrzeit und Strecke ist es ein anderes. Keinen Morgen klingt es gleich, variiert in den unterschiedlichen Verkehrsmitteln und passt sich kaum merklich den Jahreszeiten an. Besonders klar und vielfältig sind die Klänge in den S-Bahnen, was wohl daran liegt, dass die Musiker hier mehr Zeit verbringen und ihre Instrumente ordentlich stimmen und zum Einsatz bringen können.  Das Ensemble der Münchener Verkehrsbetrieben besteht ausnahmslos aus den Fahrgästen. Diese sind Musiker und Zuhörer zugleich. Leider zeichnen sind nicht alle von ihnen durch ausgeprägte Musikalität aus. Das lässt sich schon alleine daran erahnen, dass kaum ein Musiker auf den anderen achtet. Da ist zum Beispiel jene, die den Takt angibt. Eine wichtige Position. Schade nur, dass gerade sie sich durch ausgesprochene Taktlosigkeit auszeichnet und dabei doch nie ihren Einsatz verpasst. Jeden morgen steigt sie an der Donnersberger Brücke ein und setzt sich an den meisten Tagen an den Fensterplatz, mir gegenüber. Ein unsichtbarer Platzanweiser scheint uns seit Jahren die Plätze zuzuordnen. Anders lässt sich nicht erklären, dass wir immer und immer wieder aufeinander stoßen. Bisher hörte ich nur leise Klänge, aber dann kommt ihr Einsatz. Sie greift in die Handtasche, holt das Einmachglas heraus und eröffnet ihren Teil des Konzertes mit einem mäßig lauten PLOPP. Sie, die Taktangebende, spricht wie die meisten anderen, grundsätzlich auch die anderen Sinne ihrer Zuhörer an. Aus dem geöffneten Glas dringt ein überaus intensiver Honigduft. Ich atme ein und bin bereit für das erste Stück. Sie fährt mit dem Teelöffel tief in das Glas – ein schmatzendes Geräusch erklingt – rührt um, leise matscht es, schiebt sich dann den übervollen Löffel in den Mund und beginnt zu Kauen. Ich sehe nicht hin, weil der Löffel so voll ist, dass sie die ersten Kieferbewegungen bei leicht geöffnetem Mund vollführen muss. Kann sie ihn nach ein paar Sekunden schließen, schwillt die Lautstärke an. Sie schmatzt den Jogurt in ihrem Mund und zermalmt die Nüsse und Mandeln mit den Backenzähnen. Langsam und genüsslich tut sie das, bis zum Höhepunkt ihrer Strophe. Diese endet mit einem Schlucken, das klingt, als hätte sie zuvor nicht gekauft und würde den Inhalt des vollen Mundes in einem Rutsch herunter würgen. Ein interessantes Geräusch.

Fast so interessant wie das Knirschen eines anderen Ensemblemitgliedes, Dieses entsteht beim Abbeißen eines dick mit Käse belegten Brotes. Wie es zustande kommt, ist mir ein Rätsel. Der Käse riecht zwar überaus intensiv, bietet aber keinen Widerstand, der ein solches Geräusch hervorbringen könnte. Es müssen die Zähne sein, die hier als Instrument eingesetzt werden. Überhaupt ist der Ursprungsort der meisten Klänge im Mund zu suchen. Zähne, Zunge und Kiefer eignen sich hervorragend um allerlei Töne hervorzubringen und die vollbesetzte Bahn ist der beste Ort um sie erklingen zu lassen. Zum einen können die Zuhörer hier nicht flüchten, zum anderen steht einem hier nicht die lästige gute Erziehung im Weg, die unter Freunden und Familie für einen geschlossenen Mund und ein leises Essen sorgt. Nein, hier kann man sich ganz ungezwungen geben. Man kaut, schmatzt und würgt ganz wie es einem gefällt. Auffallend oft werden gerade geruchsintensive Speisen in öffentlichen Verkehrsmitteln verzehrt. Ein schöner Zug der Essenden. So stören sie weder ihre Kinder noch ihren Ehemann mit Limburger Käse oder Heringssalat am Frühstückstisch.

Fast schon zu leise sind die Papiertüten-Raschler. Zum Glück sind es so viele, dass man das Knistern, hervorgerufen durch Hände und Finger, die Stück für Stück eine Breze oder Semmel zerteilen, am Ende doch nicht überhören kann. Und selbst wenn, ihre Aufgabe ist es, einen Hauch der Musik auch nach dem Ende des Konzertes in Bus und Bahn zurück zu lassen. In Form von Bröseln, die ihrer Unterschiedlichkeit am Nachmittag zum fröhlichen Rätselraten, was hier wohl gegessen wurde, verwendet werden können. Ehepartner und Arbeitskollegen können auch mitspielen – sie müssen dann raten, in welche Rückstände man sich mit dem dunklen Mantel am frühen Morgen wohl gesetzt hat.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Es liegt mir fern, mich über all das zu Beschweren. Ganz im Gegenteil. Ich wundere mich, wenn es einer lautstark tut und um etwas mehr Rücksicht bittet. Wo bitte sonst, kann man sich so herrlich daneben benehmen, wie in der Münchner S-Bahn? Wenn das mit der geforderten Rücksichtnahme so weiter geht, heißt es bald, man dürfe seinen klatschnassen Schirm nicht mehr auf den leeren Platz neben sich legen.

Am Wochenende gibt es nach Mitternacht übrigens ein weiteres Konzert. Dann mit Döner, Pizza und Currywurst. Für diese empfehlen sich Stehplätze. Sonst sind die Reinigungskosten für Mäntel und Jacken zu hoch.

23 Gedanken zu “Konzert der anderen Art U-Bahn Gedanken

  1. Mich wundert, dass in München das Essen in der U-Bahn erlaubt ist. Die sonst eher disziplinlosen Griechen tun das nicht, auch rauchen und trinken .sie nicht in den Stationen und natürlich erst recht nicht in den Zügen. dabei gibt es nicht mal Verbotsschilder.

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  2. Ja,ja,ja, genauso ist es in Wien auch. Wir haben aber zusätzlich eine Truppe von Leuten, die theoretisch dafür zuständig ist für Disziplin und Sauberkeit zu werben. Naja, ein wirklich frustrierender Job muss das sein …

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  3. Ich bin sehr beruhigt, dass die Münchner U- und S-Bahnkünstler ihre Yoghurts, Limburger und Döner nur in Form eines Konzertes präsentieren.
    Sie hätten es ja statt musikalisch auch in Form von bildender Kunst performen können. Solche Werke können zwar auch sehr farbenfroh sein, mit weißen Hemden und Blusen als Leinwand, aber es soll auch Menschen geben, die nicht so kunstbegeistert sind! 😉

    Gruß Heinrich

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    1. Darüber bin ich auch sehr froh, lieber Heinrich.
      Es ist ja jammern auf hohem Niveau und ich ein wenig undankbar. Da bekommt man etwas umsonst und beschwert sich dann. Wenn nur diese Gerüche nicht wären… ;).
      Herzliche Grüße
      Mitzi

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  4. Deine Idee, die in der U-Bahn zu hörenden Essgeräusche als Konzert zu inszenieren, gefällt mir gut. Sie wäre noch zu steigern durch dich als Dirigentin, die dem knirschenden Butterbrotbeißer den Einsatz gibt, beginnend mit der löffelnden Frau: Löffellöffel – löffellöffel, Glaskling, (Einsatz Butterbrot) Knirschknirsch – löffelöffel (Einsatz Papiertütenraschler) Raschel-raschel (bläst die Tüte auf und) Peng! (Leute) „HUCH!“ usw. Einer filmt es und du stellst es ein als „Dada in München – die MVG-Sonate.“

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  5. döner und dürüm gab es bei uns zumeist schon um 7 uhr in der früh, was für den sensiblen magen eine ziemliche herausforderung ist. darum haben sich die wiener verkehrsbetriebe dazu entschieden, ein essensverbot für intensiv riechende mahlzeiten zu erlassen. also per strafe. auf den plakaten dafür sind leberkässemmeln abgebildet.

    ich persönlich finde ja essen viel zu wertvoll, um das an zwischenorten zu tun. ein bisschen beneide ich die, für die das nicht so wichtig zu sein scheint.

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    1. Mir geht es ähnlich. Ich genieße lieber. Wobei ich mích auch erinnern kann, dass ein Stück Pizza auf dem Heimweg nach einem Abend in einer Kneipe, so unglaublich gut schmeckt ;). Verbote haben wir in München nicht. Es würd ja reichen, wenn man etwas neutralere Gerüche wählt. Allerdings ist für Partygänger genau das Zeug wohl das Richtige.

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      1. haha das stimmt. die partyheimwege, oh ja – das war dann die große ausnahme. allerdings ist das so eine ewigkeit her, das ist schon gar nicht mehr wahr 😉

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