März Problem

Jedes Jahr Anfang März kehrt die Sonne auf meinen Balkon zurück. Den ganzen Winter über lässt sie sich nur wenige Stunden lang blicken. Ab März aber, ist sie in alter Pracht zurück. Von halb acht Uhr morgens bis etwa drei Uhr am Nachmittag, ist mein Balkon eine windgeschützte und zugleich sonnendurchflutete Oase, die ich sehr zu schätzen weiß. Und jedes Jahr Anfang März stöhne ich leise auf, wenn ich mit dicken Kissen unter den Achseln und Buch und Kaffeetasse in den Händen auf dieser Oase stehe und mich niederlassen möchte. Pünktlich zum ersten März fällt mir ein, dass ich meinen Christbaum ja noch nicht entsorgt habe und ein Drittel meiner Oase von einem 2,20 Meter großem Monstrum in Beschlag genommen wird. Ein bisschen stur quetsche ich mich dann neben das nadelnde Gerippe und rede mir ein, dass es so wenigstens angenehm frisch nach Wald riechen würde. Tut es aber nicht. Es riecht nach dem Holzschuppen unserer Hütte und der ist immer etwas feucht und modrig. Das sind die Reste meines Christbaumes auch. Erst gestern hat es ihn wieder ein wenig angeregnet.

Während ich unschlüssig und vollbepackt mit Kissen und Kaffee auf dem Balkon stehe und mich einmal um die eigene Achse drehe höre ich die Balkontüre meiner Nachbarin Judith. Wenig später lugt sie über die Trennwand und räuspert sich. Milde lächelnd reicht sie mir einen Flyer von den Abfallwirschaftsbetrieben der Stadt München. Die waren im Advent in unseren Briefkästen und da sie mich kennt und weiß, dass ich bei der Entsorgung meines Baumes immer etwas spät dran bin, hat sie mir einen aufgehoben. Die Gute! Ich nehme ihn und bedanke mich etwas verlegen. Die Nadeln meines Baumes werden unter der Trennwand seit Wochen auch auf ihren Balkon geblasen und sobald das Thermometer über 12 Grad steigt, gehen sie ihr auf die Nerven. Die Geduldige. Ich verspreche mich umgehend um den Problemfall zu kümmern und sie nickt. Nicht ohne den Hinweis, dass die Biotonne im Keller keine Lösung ist und ihr die Beseitigung auf diesem Weg eindeutig zu lange dauert. Vor zwei Jahren habe ich über acht Wochen hinweg jede Woche ein paar Äste in die Tonne gestopft. Bis auf den Stamm hat es hervorragend funktioniert. Der steht allerdings immer noch in meinem Keller und wartet auf eine fachgerechte Entsorgung. Wenn ich mich richtig erinnere, stehen da mittlerweile fünf Stämme. Bei Gelegenheit muss ich meinen Vater fragen ob man daraus nicht etwas hübsches basteln kann.

Im Zerlegen der Bäume bin mich mittlerweile Expertin. Meine alte Wohnung war kleiner und die Christbäume nicht ganz so massiv. Ich konnte sie mit kleinem Werkzeug für Laubsägearbeiten, einer Geflügelschere und brachialer Gewalt zerstückeln. Einer meiner damaligen Nachbarn schenkte mir nach zwei Jahren meine erste richtige Säge. Seine Frau hatte ihn darum gebeten, weil sie sich das Drama auf meinem Balkon nicht länger ansehen konnte. Damit ging es schon besser. Mittlerweile besitze ich eine massive Säge und ein kleines Beil. Nicht vorstellen möchte ich mir aber, wie es auf die Nachbarn des Hauses gegenüber wirkt, wenn sie mich etwas, das auf dem Boden außerhalb ihres Sichtbereiches liegt, zerhacken sehen. Noch hat keiner die Polizei gerufen, aber ich möchte mich nicht darauf verlassen, dass es nicht irgendwann soweit ist. Ganz früher war es leicht. Ich wohnte in einer Siedlung in der die Bäume neben den Mülltonnen abgelegt werden konnten. Das war fein. Gefährlich war es nur, sie vom Küchenfenster in den Hof zu werfen. Auf vorbei gehende Menschen haben mein damaliger Freund und ich geachtet, aber der Mops eines Nachbarn hätte fast daran glauben müssen. Hier kann ich das nicht machen. Unter mir ist die Kneipe und der Wirt weigert sich, die Bierbänke – und Tische zur Seite zu räumen. Und selbst dann gäbe es hier ja keine Sammelstelle der Hausverwaltung. Gut, das Judith mir den Flyer der AWG aufgehoben hat.

Sehr gut. Mein Baum wird hier fachgerecht entsorgt und zu wertvoller Komposterde. Ich kann ihn einfach vor eine Schule werfen. Steht da. Sofern er vollständig abgeschmückt ist. Selbstverständlich ist er das. Was das Abschmücken angeht bin ich immer schon sehr ordentlich gewesen. Allerdings werde ich wohl doch noch mal mit dem Wirt sprechen müssen. Die nächste Grundschule, die eine solche Sammelstelle hat, ist gar nicht so weit weg. Der trockne Baum wiegt nicht mehr viel und ich kann ihn sicher hinter mir her ziehen. Nur runter muss er. Durch das Treppenhaus schleppe ich das Ding nicht. Frau Obst würde mir jede einzelne verlorene Nadel bis Ostern vorhalten. Frau Obst und der Wirt sind es dann auch, die mir mitteilen, dass die Schulen die Bäume nur bis 11. Januar annehmen – danach ist Schluss. Mist.

Jetzt wo die Sonne so schön scheint, möchte ich meinen Balkon wieder zurück haben. Trotzdem schrecke ich davor zurück mit dem Zerkleinern zu beginnen. Das ist nur die halbe Lösung. Danach habe ich Müllsäcke voll Baumleiche auf dem Balkon stehen. In den Keller passen die beim besten Willen nicht mehr hinein. Ich warte erst einmal ab. So warm ist es heute eigentlich gar nicht. Im Süden ziehen erste Wolken auf und morgen soll es noch mal richtig kalt und windig werden. Viel zu ungemütlich um draußen zu sitzen. Das sage ich auch Judith die sich leise stöhnend bereit erklärt, den kahlgeschlagenen Stamm auf unbestimmte Zeit in ihren Keller zu stellen und der langsamen Entsorgung via Biomülltonne zustimmt. Die kommenden Wochen werde ich mich Abends mit Ästen in den Keller schleichen und hoffen, dass mich niemand sieht. Schlimm genug, dass Paul mich letztes Jahr erwischt hat und wochenlang ein dämliches „ich weiß was du getan hast“ Grinsen parat hielt.

 

35 Gedanken zu “März Problem

  1. Du scheinst auch eine Meisterin Im Prokrastinieren zu sein, liebe Mitzi. Ich würde den Baum abseilen, am besten im Dunkeln, vorher jemanden bitten, ihn unten in Empfang zu nehmen. Dann kannst du den Baum heimlich irgendwo ablegen. Das machen in meinem Viertel alle. Hier gibt es auch solche, die den offiziellen Entsorgungstermin um Wochen verpasst haben und Baumfrevel begehen.
    Viel Glück!

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    1. Abseilen ist eine grandiose Idee, lieber Jules! Ich bin sicher einen meiner Neffen für diese Idee begeistern zu können.
      Prokrastinieren liegt ist eigentlich gar nicht. Es macht mich nervös. Aber ich gehöre zu den „Aus den Augen, aus dem Sinn“ Menschen. 🙂

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  2. Ihn in der Kaffeemühle kleinhäckseln ist zu langwierig.
    Bei IKEA abgeben und behaupten, er sei einfach aus einem Billy-Regal herausgewachsen.
    Ihn einer Baumschule spenden.
    Umziehen und ihn dortlassen mit der Begründung, er sei vom Vormieter vergessen worden.

    Ist schwierig…… 😉

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  3. Ach schön diese unperfekte Welt und deine Geschichte um die Nadelfreude. Hier unter dem Dachboden ist es wie mit dem Baum….Ein alter Kühlschrank….Reserveparkett….ein altes Fahrrad…Und anderes Zeug. Ob ich das auch zersäge? Und vor allem / wann?
    Ach….warte einfach bis Dezember

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  4. So lustig! Ich habe auch schon die unmöglichsten Sachen zerkleinert und wochenlang entsorgt. Nachdem ich mich getrennt hatte, zerstückelte ich meinen ersten „Allein-Weihnachtsbaum“ in mühevoller Arbeit, packte ein handliches Päckchen und band dieses auf mein Fahrrad. Das schob ich zur nächsten Baumentsorgungsstelle. Heute, fünf Jahre später, traue ich mich wieder mit dem Auto zu fahren….das erkleichtert so einiges!

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  5. Das Weihnachtsbaumdrama! Ich kenne es…und das, obwohl es in Berlin Abholtage gibt und ich ihn vom Balkon werfen kann (keine Möpse). Aber manches Jahr hab ich das verpasst und ich sehe noch meine (damals fern wohnende) Mutti, die mich im Sommer besuchte und immer auf meine immer vorhandenen Balkone neidisch war (sie hatte tatsächlich NIE einen), wie sie mit einem Messer (!) meinem verdorrten Weihnachtsbaum zu Leibe rückte (den wir dann heimlich stückchenweise im Hausmüll entsorgten *schäm*). Jetzt bin ich da ordentlicher…. mein Problem ist immer nur, dass mir die Bäume leid tun…eigentlich schon beim Kaufen, Schmücken, Weihnachten-feiern. Und trotzdem muss ich einen haben. Sonst hätte ich dich gefragt „warum nur…?“

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    1. Wie schön, dass ich nicht die einzige Wahnsinnige bin, die einen Baum so entsorgt. Das etwas traurige Gefühl einen Baum absterben zu sehen, kenne ich auch. Ich stelle mir vor, das es die Bestimmung von genau diesem Bäumchen war, an Weihnachten in hellem Glanz zu erstrahlen. Zu Tränen rührt es mich aber, wenn ich an all die gefällten Bäume denke, die nicht gekauft und nicht geschmückt wurden – was für eine Verschwendung!

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      1. Ja, da sind wir wohl Schwestern im Geiste. Und die Entsorgungs- Verzögerung hat unbewusst bestimmt auch damit zu tun. Und – pssst!- ich rede mit meinem Weihnachtsbaum, sage ihm, wie schön er ist… und das ist auch jeder… immer…auch wenn ich manchmal „Mitleidsbäume“ hatte (wie du sagst, dann muss er nicht traurig sterben, sondern darf …trotz Schönheitsfehler… ) Nun ja… ist das behandlungsbedürftig? Ich lasse dir mal einen Link da, ich hoffe, ich darf das… http://www.mik-ina.de/2011/01/13/adieu/ (Blog) …ach und noch einen (Beschwerde des letzten Baums, Instagram). Vielleicht lande ich jetzt mit 2 Links im Spam, ist mir recht, dann kannst du entscheiden 🙂 Viele Grüße!

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      2. Du bist tatsächlich im Spam gelandet, aber da hab ich dich gleich rausgefischt. Links zu eigenen Beiträgen sind sehr erwünscht. 😊 das Instagram Bild war klasse und obigen werd ich noch lesen.
        Schön, dass wir hier gleich ticken. In 9 Monaten können wir das Bäumchenspiel wieder starten. Ich will dann doch einen Baum im Kübel und werd ihn im januar irgendwie einpflanzen. Über das Transport Problem denke ich noch nicht nach. 😂

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  6. Und deshalb besitzen wir seit Jahren einen weißen Kunstbaum… Nadelt nicht, ist recycelbar und das letzte Mal haben wir ihn bis Ende März stehen lassen 😉

    Klingt zwar bakaber, aber sammle doch bis an dein Lebensende weitere Baumstämme und lass dir deinen Sarg einfach selber tischlern 😉 Vorsorge der anderen Art und total Umweltbewusst!

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    1. 😳der Sarg würde riesig werden. Ich will schon noch etwa 40 Jahre leben. 😉 Aber de umweltgedanke ist nicht verkehrt. Da ich eingeäschert werde, bin ich wenigstens schon mal Platzsparend.
      Noch kann ich nicht auf den Geruch von Tannennadeln verzichten, aber vielleicht steige ich wieder auf Fichten um. Die könnte ich aus unserem Holz holen, dass zum Hof meiner Familie gehört.

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  7. Gut, dass ich keine Weihnachtsbäume aufstelle, ich käme gar nicht mehr auf den Balkon. 😉 Aus den Augen aus den Sinn, kann ich auch sehr gut. Da fällt mir ein, ich muss mal wieder auf meinen Balkon – falls er noch da ist….

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