Etwas weniger Tiefgang

Er fragt mich, ob ich glücklich sei und leckt sich einen Rest Milchschaum aus dem Mundwinkel. So richtig glücklich. Irritiert stelle ich meine leere Tasse ab und sehe, angesichts der gestellten Frage, Stolz in seinen Augen. Eben waren wir noch beim zuletzt gelesenen Buch und plapperten uns ziellos durch den Nachmittag. Jetzt wird es ernst. Hier erkundigt sich einer nicht danach, wie es mir geht. Hier möchte einer wissen ob ich glücklich bin. Eine gewichtige Frage und ich habe eine blasse Vermutung welches Buch er vor kurzem noch gelesen haben könnte. Eines von denen die in der Bahnhofsbuchhandlung zwischen den veganen Kochbüchern und Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg.“ liegen. Die Frage nach dem Glück erlaubt kein Schulterzucken als Antwort. Gleichgültigkeit ist hier unangebracht, das weiß ich, seit mir Glücksratgeber zum Geburtstag geschenkt werden. Der Fragende schaut erwartungsvoll und ich, die Gefragte, zucke trotzdem mit den Schultern weil ich die Bücher nicht gelesen und mir eine andere Fragen gewünscht hätte. Eine, die nicht einem vorgefertigten Leitfaden folgt. Zum Beispiel die, ob ich noch einen Chai-Latte aus der albernen Elchtasse möchte. Dann hätte ich gelächelt und genickt. Ich hätte auch gerne die Frage nach dem Gesundheitszustandes des Hamsters meiner Nichte beantwortet. Oder die, was ich vom Krieg in Syrien oder veganer Ernährung halte. Jede Frage hätte ich ihm beantwortet um während der zweiten Tasse Chai das bisher interessante Gespräch weiter zu führen. Es wäre mir egal gewesen, ob es ein paar alberne Kurven geschlagen hätte oder ob wir versehentlich in das Mienenfeld unterschiedlicher Meinungen gestolpert wären. Ein wirklich gutes Gespräch verträgt Kontroversen. Was es nicht verträgt sind Fragen die nicht um ihrer Antworten willen gestellt werden, sondern nur weil man meint ein bisschen Tiefgang sei jetzt nach 42 Minuten angebracht. Auf mein Schulterzucken folgt die nächste Frage – vermutlich aus dem zweiten Kapitel des besagten Buches. Ob ich denn an die echte Liebe glaube. Jetzt geht es ans Eingemachte. Die Liebe ist mir zu wertvoll um mit ihm darüber zu sprechen. Wir würden aneinander vorbei reden, dass muss er doch wissen. Dann lieber zurück zum Glück.

Was eignet sich auch besser für erzwungenen Tiefgang, als ein paar der ältesten Fragen überhaupt hervorzukramen und sie mit Schwung auf den Tisch zu knallen. Machen Sie das mal. Donnern Sie mitten in ein humoriges, fließendes Gespräch die Frage: „Bist du glücklich?“ Machen Sie sich den Spaß auf eine Antwort zu bestehen. Ihr Gesprächspartner bekommt entweder schlechte Laune, weil´s gerade überhaupt nicht läuft oder er nickt, weil sie ihn völlig überrumpelt haben. Dann müssen Sie nachhaken und fragen ob er nicht Glück und Zufriedenheit verwechselt. Oder wie er so unverschämt sein kann, bei all dem Leid der Welt noch persönliches Glück empfinden zu können. Tiefgang garantiert es nicht, aber das lockere Plaudern ist erst mal vorbei. Wird Ihnen die Frage gestellt können Sie sich um eine eigene Antwort drücken, indem Sie ein paar fertige über den Tisch schmeißen. Als Frau verwirren Sie Männer, die Sie noch nicht gut kennen, wenn Sie mit Hobbes antworten: Glück heißt den Begierden folgen. Hier sollte man ein bisschen vorsichtig sein. Wer weiß welche Begierden man mit solch einer Aussage weckt. Dann vielleicht lieber Aristoteles mit: Glück ist Tugend und Tüchtigkeit. Das ist ein gutes Schlusswort um mit einem Hinweis auf die schon fortgeschrittene Stunde das Cafe oder die Bar zu verlassen.
Vielleicht möchte man das aber gar nicht. Vielleicht möchte man sitzen bleiben, weil ein herrlich  interessanter Mensch eben noch wütend und genervt über sein gestohlenes Fahrrad berichtet hat und plötzlich verstummt, weil ihn das Rad an einen Moment des Glücks erinnert hat. Versonnen nuschelt er etwas über das Glück um fünf Uhr in der Früh über den Viktualienmarkt zu radeln und ganz bei sich zu sein. In solchen Moment bin ich still und höre einfach nur zu, weil es tiefer und schön wird. Ganz von alleine. Ich bin nicht versucht ihm Epikur oder Kant um die Ohren zu hauen, sondern tauche für einen Moment als Zuhörer in den Glücks- oder Freiheitsmoment eines anderen ein. Schön ist es da, in seiner Welt. Meine leere Tasse stört mich nicht mehr, weil er plötzlich Dinge erzählt, die ich noch nie von ihm gehört habe. Er lacht etwas verlegen, als mir erzählt worüber er sich in den letzten Monaten Gedanken gemacht hat und erzählt es mir trotzdem. Es war längst kein Gespräch mehr, sondern ein leidenschaftlicher Monolog über Glück, Freiheit und ganz am Rande die Fragen nach dem Sinn des Ganzen.

Wenn man den richtigen Moment und den richtigen Gesprächspartner erwischt hat, dann kann man, wenn man möchte, auch über die Liebe sprechen. Ganz allgemein oder über die, die man gerade empfindet. Im falschen Moment dagegen ist es besser an der Oberfläche zu bleiben. Auch dort kann es schön und gemütlich sein. Zu schön, als das man sich krampfhaft in die Tiefe ziehen lassen möchte.

27 Gedanken zu “Etwas weniger Tiefgang

  1. Welch ein schwieriges und ambivalentes Thema / recht ist es selten. Sehr selten. Entweder man stellt die falsche Frage am falschen Ort / die richtige Frage am richten Ort aber zur falschen Zeit / oder zur richtigen Zeit gar keine Frage / oder noch eine andere Variante.
    Manchmal passt oder passte alles / bis dann eine Frage ins Fleisch sticht die förmlich alles zerreißt und nichts mehr zulässt was in die Nähe von passen geht.
    Fragen und Antworten sind manchmal eher wie Nitroglyzerin und wohl dossiert zu setzen.

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  2. Den Schlüssel für solche Gespräche gibst du im vorletzten Abschnitt deiner klugen Betrachtung: Da qualifizierst du deinen Gesprächspartner als „herrlich interessanten Mensch“. Oft finden nämlich solche Gespräche statt, weil man einfach miteinander reden möchte. Die Themen sind eher sekundär bzw. wenn die Faszination wechselseitig vorliegt, bemüht sich jede Seite, sich auch inhaltlich von der besten Seite zu zeigen, etwa durch Klugheit oder Bildung zu glänzen wie du es tust, mit deinen Hinweise auf Hobbes und Aristoteles und deren Glücksdefinitionen (und wie du glänzt, liebe Mitzi. Man ist als Beobachter der Gesprächssituation ganz hin und weg, wie du nebenbei die Philosophen aus dem Hut ziehst.) Also das Gespräch findet auf der Inhaltsebene statt, aber es geht eigentlich um den Beziehungsapekt. (nach Watzlawicks Konzept der menschlichen Kommunikation) Das zeigt sich deutlich, wo der „herrlich interessante Mensch“ plötzlich in ein Thema eintaucht, das dich fasziniert. Dann ist das Angestrengte weg und du kannst zuhörend mitschwingen. Man fühlt sich an einen Tanz erinnert. Zuerst die Konzentration auf die richtigen Tanzschritte. Dann das herrliche miteinander Schwingen, wobei sich die richtigen Tanzschritte wie von selbst, also absichtslos ergeben.
    Ähnlich geht es mit unserer Kommunikation im Kommentar. Weil ich dich anhand deiner Texte als faszinierend qualifiziert habe, gebe ich mir besondere Mühe beim Kommentar. Einfach weil der Kontakt schön ist, frage ich dich jetzt: Wie geht es eigentlich dem Hamster deiner Nichte?.

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    1. Ich weiß deine Nachfrage zu schätzen, lieber Jules. Dass ich sie nicht gleich beantworte, liegt nur daran, dass du und ich seit einiger Zeit so schön durch die Kommentare tanzen. Und ich tanze sehr gerne mit dir. Durch meine Worte, zwischen deren Zeilen du so aufmerksam liest. Und zwischen deinen Texten, von denen du weißt, das ich sie mag. Ein Kompliment von dir fühlt sich an, als würde mich jemand an der Hand nehmen und um die eigene Achse wirbeln, so sehr freut es mich. Entschuldige das Schwülstige, ich bin ein wenig glückstaumelig, weil man hier so nett zu mir und meinem Geschriebenen ist.
      Dem Hamster geht es gut.

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      1. „Glückstaumelig“ war doch prima, wo es im Text auch um die Frage nach dem Glück ging. Alles war ganz wechselseitig. Ich hätte es nur nicht so schön ausdrücken können. Dass es dem Hamster gut geht, freut mich, denn seine Erwähnung im Text ließ schon das Gegenteil befürchten.

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  3. Schön nachvollziehbar finde ich die Vermutungen, vielleicht hat er das Buch gelesen..
    dieses Kopfszenario welche Reaktion auf welche Antwort folgen könnte… (da denke auch ich an Watzlawick und den Hammer, was hier glücklicherweise nicht so ausgeprägt geschah)
    und dann kommt alles anders, die „glückliche“ Wende, die zulässt, dass dieser herrlich interessante Mensch es auch bleibt – köstlich! 🙂

    Lieben Gruß,
    Silbia

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  4. … wenn man nicht selbst sagt, dass man vor Glück zerspringt… sollte man nicht danach gefragt werden… deine Begegnungsgeschichten sind wundervolle Realitätspoesie… mit ganzem Herzen dabei, das Blumenmädchen 😀

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  5. Du hübsche Blume. Ich habe es gerade schon bei Jules über dir geschrieben, wie herrlich es ist eure Kommentare zu lesen. Realitätspoesie…..danke. Mit und von Herzen.
    Dein erster Satz…ja, das stimmt. Aber auch eine schöne, gleichmäßige Zufriedenheit ist schön. Beständiger und auf Dauer tiefer als ein flüchtiger Glücksmoment.

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  6. Das ist mal ein schönes „Plädoyer für die Oberflächlichkeit“ im nachvollziehbaren Sinne. Ich halte nichts von „Schönes Wetter, und bei Dir so“-Plaudereien, aber wenn jemand von mir jemand nach 42 Minuten wissen wollen würde, ob ich glücklich bin, würde ich mich wohl fühlen, als ob er mich in dem Moment vor allen Leuten im Raum nackig gemacht hätte. Dementsprechend würde ich rot werden und als Antwort schnauben, oder die 4 Euro für den Chai Latte hinlegen und gehen.
    Wer es oberflächlich mit Tiefgang versucht („Jetzt will ich mal so richtig interessiert und damit interessant wirken!“), der verdient keine Resonanz, weil er die Antwort doch eh nicht hören will bzw. sich während dieser schon wieder seinen nächsten Satz überlegt.
    Lieber ehrliche Oberflächlichkeit als unehrlicher Tiefgang. Lieber eine Triangel für einen Dreijährigen als eine Stradivari, mit der er eh nichts anfangen kann.
    Und Danke für Deine tollen Texte, immer wieder!

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  7. Das gefällt mir. Vielleicht kann man das immer sagen, wenn man ein Gespräch beenden will: „Wie Aristoteles schon sagte, das Glück ist Tugend und Tüchtigkeit, und muß dann mal los …“. Auf mich trifft das zwar nicht zu (mein Glück ist eher das Schöpfen aus dem Vollen und Faulheit), aber darum geht’s ja nicht. Gottfried Benns Spruch ist auch nicht schlecht: „Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück“, klingt aber, je nach Situation, vielleicht ein wenig zynisch.

    Dein Lob der Oberflächlichkeit (in bestimmten Fällen) spricht mir aus der Seele, manchmal habe ich den Impuls, mein Gegenüber zu fragen, ob wir uns nicht wieder Siezen sollten.

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    1. Guten Morgen. Gottfried Benn hat gar nicht einmal Unrecht. Der Dumme mag zufriedener sein und Zufriedenheit ist oftmals dem Glück vorzuziehen. Zu dem Schluss kam ich, als ich vor Jahren die ganzen Philosophen rauf und runter gelesen habe. Glück im philosophischen Sinn ist mir zu abstrakt. Zu sehr auf die rein geistige Ebene bezogen. Eine schöne gleichmäßige Zufriedenheit mit einigen Ausschlägen in taumelndes Glück – da finde ich mich selbst am besten wieder.
      Jemanden wieder das Sie anbieten. Ein Gedanke der mir vertraut ist 😉

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  8. Ein sehr schöner Text! Aus dem Nachdenken über small talk und die falsche Frage nach dem Glück ergibt sich, dass das Gespräch selbst ein Moment des Glücks sein kann. Da hilft kein Ratgeber, da braucht man schon Glück, damit das so läuft.

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  9. Danke für diese Frage….Ist Zufriedenheit denn nicht auch aus dem Glück hervorkommend?
    Ich bin tief glücklich -weil ich angekommen bin- weil ich ich sein darf -ohne wenn und aber! Ja das ist Glück aber ich bin auch zufrieden und möchte daran nichts ändern….

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  10. Hochinteressant, dein Plädoyer für die Oberflächlichkeit, was ernst gemeinte Fragen nach Glück und Liebe…angeht…

    Ich habe auch viel geschmunzelt beim engagierten Lesen, hat mir doch bisher noch kein Mensch eine solch tiefschürfende Frage gestellt!

    Ich glaube, ich wäre erst mal baff erschrocken, und hätte mich erst mal gefragt, was ich denn jetzt schon wieder schlimme abgestellt habe *g*

    Liebe Morgengrüße vom Lu

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  11. Liebende Mitzi

    als Sprachheiler reagiere Ich körperlich Philosophen wann und wem auch immer um die Ohren zu hauen bereitet den ehrwürdigen Denkern geistigen Schmerz
    Und die Frage nach dem Glück ist die Antwort der Liebe
    Lieben
    Das beglückt
    Und
    Der Glückliche wendet den „falschen Moment“ in den wahren
    Denn die Sprache aus dem Herzen ist allzeit beglückend
    Wer sie nicht verträgt hat einen Pakt mit dem Unglück geschlossen
    Dann ja dann bist Du Sein Feind
    Doch das ist eine andere sehr unglückliche Geschichte und heute
    Ist Der Tag des Glücks
    Allerdings nur für Verliebte
    In das Leben den Tod
    Himmel und die erfundene Hölle
    Katz und Maus
    Selbst Herodes war ja ein zutiefst unglücklich liebesgestauter König
    Wie denn der Knabenmo
    Ach reden Wir von Kant und handle so als bist Du immer verliebt in die Putzfrau
    Den Müllmann die Schlange nicht am Baum der Erkenntnis
    Doch doch auch die im Supermarkt an der Kasse
    Oder Auto (selbst) schlange
    Hab Ich zuviele Plätzchen gegessen oder überhaupt keinen Tiefgang
    Hebe ab federleicht klar weil Waage Wassermann doppel Luft
    Tief tief unten in der Schwärze kohliger Nacht ist ein Diamant erwacht
    Der Glühwein Hab keinen getrunken bin trunken vom Glück
    Denn wenn die Dämme brechen sprudelt gurgelt plätschert der Quell
    wieder Bachfluß hurtig ins tiefe tiefe Meer lustig und schnell

    danke
    Glückliche Weihenacht
    Du Eine derer
    Dir Joachim von Herzen

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