Jetzt mal ehrlich….

An ihrem 80igsten Geburtstag begann meine Großmutter zu behaupten dass sie mit sich im Reinen und bereit zu gehen sei. Sie hätte ein erfülltes Leben gehabt und ihren Frieden gemacht. Wer meine Großmutter kannte, wusste dass diese Aussage so nicht stimmte. Bis weit in ihre 90iger hatte sie unsere Familie fest im Griff und legte keinerlei Ermüdungserscheinungen an den Tag. Sie war das unangefochtene Oberhaupt in unserer Familie und kümmerte sich nur am Rande darum, ob wir das auch so sahen. Weit davon entfernt perfekt zu sein, aber mir ganz nah und für mich einer der wunderbarsten Menschen. Herrlich biestig konnte sie sein. Stur bis zum umfallen, rechthaberisch und entsetzlich neugierig. Aber auch warmherzig, geduldig und in Taten und Worten großzügig. Nur eines war sie erst ganz am Ende – bereit zu gehen. Es überraschte mich also nicht ihren entsetzten Gesichtsausdruck zu sehen, als einer ihrer Urenkel sie einmal fragte, warum sie denn noch immer lebe. Sie sei doch schon so alt, da müsste sie doch langsam mal sterben. Obwohl sie dem Vierjährigen antwortete und lachte, hatte es sie getroffen. Zu mir sagte sie später im vorbei gehen: „Es ist wahr, aber deswegen muss man es noch lange nicht sagen.“

Ähnliches dachte ich mir Jahre später nach einer qualvollen Stunde mit Rasmus auch. Rasmus war ein Date, das doch wieder keines war, weil man zu einem Date gewaschen, pünktlich und unverheiratet erscheint. Rasmus dagegen roch etwas streng, hatte dreckige Fingernägel, kam eine halbe Stunde zu spät und teilte mir zur Begrüßung mit, dass er sein Geld zu Hause vergessen hatte. Neben seinem Portemonnaie und der Erwähnung seiner Frau, hatte er auch vergessen, dass es manchmal besser war den Mund zu halten. Grinsend eröffnete er das Gespräch mit einem „Ich bin mal ganz ehrlich…“ und erklärte mir dann, dass ich nicht sein Typ sei. Ein bisschen zu klein, etwas viele Sommersprossen und beim Lachen würde ich die Nase so komisch kraus ziehen. Im Gegensatz zu ihm, war ich nicht so ehrlich zu erwähnen, dass meine Nase angesichts seines Schweißgeruches ein Eigenleben entwickelte. Er dagegen war weiter ehrlich und betone noch mehrfach, dass ich das sicher zu schätzen wüsste. Ich könne es ja als Feedback für die Zukunft nehmen. Klar, ich könnte mir zum Beispiel die Schienbeine brechen lassen und mich mittels Streckgipsen und Schrauben in den Knochen ein paar Zentimeter größer machen. Ich vermute es nicht das war was er meinte, fragte aber auch nicht nach. Seine vermeintliche Ehrlichkeit war so unverschämt, dass ich nicht einfach aufstand, sondern mir amüsiert eine Aufzählung meiner Defizite anhörte. Meinen Job fand er gähnend langweilig und das ich gerne und viele Bücher las, war für ihn ein Zeichen, dass ich vermutlich kaum zu zwischenmenschlichen Kontakten fähig war. Ich ließ ihn reden, bis meine Weinschorle leer war und er zu einem neuen Thema überging. Der Liebe. Das sie tot sei, eine Erfindung unserer Gesellschaft und hoffnungslos überbewertet. Obwohl ich kurz überlegte noch zu bleiben um zu sehen, wie er die Kurve von der gestorbene Liebe, über das Date mit mir und hin zum Ehering an seinem Finger nehmen würde, bin ich aufgestanden und gegangen.

Er rief mir hinterher, dass ich auf Ehrlichkeit wohl empfindlich reagieren würde. Das mag sein. Vor allem aber reagiere ich empfindlich auf Menschen, die sich bei jeder Gelegenheit berufen fühlen, unter dem Deckmantel der Ehrlichkeit ungefragt und ungefiltert ihre Meinung heraus zu posaunen. Ich fahre sehr gut damit manche Dinge über mich nicht zu wissen. Zum Beispiel habe ich keine Ahnung ob ich an der Rückseite der Oberschenkel Cellulitis habe. Vermutlich ja. Vielleicht aber auch nicht. Das ist wie mit (meiner Interpretation) von Schrödingers Katze. Solange ich es nicht weiß, besteht die Möglichkeit, dass der Kelch an mir vorüber gegangen ist. Ich kneife meine Oberschenkel nicht mit Daumen und Zeigefinger zusammen um es festzustellen und ich verrenke mir nicht den Hals um mich im Bikini von hinten zu sehen. Nie im Leben käme ich auf die Idee mir einen Vergrößerungsspiegel oder 80 Watt Glühbirnen ins Bad zu hängen. Im sanften Schummerlicht bin ich hübsch und faltenfrei. Wenn der Preis für diese Schummelei ein gutes Selbstwertgefühl ist, dann ist er nicht zu hoch. Meinen Freunden und Kollegen bin ich dankbar, wenn sie mir ehrlich sagen, dass etwas überhaupt nicht geht und mich nicht wie einen Idioten herum laufen lassen. Aber ich würde ihnen genüsslich den Hals umdrehen, wenn sie die Katze aus dem Sack lassen und mir Urlaubsfotos, die mich von hinten zeigen, vor meine Nase halten oder mich auf jede einzelne Lachfalte hinweisen. Wer einmal eine Kollegin „Gehört das so?“ bei einem neuen Kleid gefragt hat, weiß, dass sie es vermutlich nie wieder im Büro anziehen wird.

Rasmus traf ich einige Monate später zufällig bei gemeinsamen Freunden wieder. Er lehnte im Türrahmen und referierte über die Ehe und das sie in seinen Augen längst überholt und schwachsinnig sei. Einen verzweifelten Versuch den Partner an sich zu binden, nannte er es.  Ob ihm aufgefallen war, dass das gastgebende Paar identische, neu aussehende Ringe an den Fingern trug?Vermutlich war es ihm egal. Seinen eigenen Ehering trug er an diesem Abend nämlich schon nicht mehr. Still war er erst als jemand ihn zur Seite nahm. „Jetzt mal ehrlich….das interessiert heute doch niemanden.“ Erstaunlicher Weise gelang es ihm den restlichen Abend seine Meinung für sich zu behalten und das machte ihn mir dann doch ein wenig sympathisch.

4 Gedanken zu “Jetzt mal ehrlich….

  1. wunderbar mitzi
    du hast absolut recht mit der ehrlichkeit, schön und wichtig und bei manchen sachen braucht sie kein mensch. mein bad ist auch schummerig.

    aber am besten hat mir gefallen, dass man zu einem date pünktlich, gewaschen und unverheiratet erscheint.
    jetzt gehe ich mal ins bad mich trocken machen.

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