Lernen Sie zu erzählen, oder schweigen Sie! U-Bahn Gedanken

Jeden morgen steigt sie mit mir in den Bus. Die Frau, die gerne telefoniert, wenn andere zuhören. Die letzte Reihe ist ihre Bühne. Dort ist sie die Königin. Eine etwas zerrupfte Monarchin, die ihrem Volk gerne im vorbei gehen den Schal oder die langen Haare ins Gesicht schleudert. Sie schleudert gerne. Erst die Haare, dann die Worte. Letztere brüllt sie in ihr Telefon und verdammt das Volk ihr zuzuhören. Man kommt ihr nicht aus. Jeden morgen ist sie es, die den ganzen Bus unterhält und einem gesichtslosen Zuhörer von ihren Amouresken  berichtet. Leider gleichen ihre Erzählungen, ihrem Äußern. Eigentlich ganz hübsch, aber man darf nicht zu genau hinsehen oder -hören. Die dunkelbraunen Strähnen wirken unter dem Neonlicht des Busses etwas stumpf und ein paar Bürstenstriche mehr hätten ihnen gut getan. Auch ihr Schal, der einmal weich und flauschig war, sieht aus als würde er jeden Abend achtlos auf einem nicht ganz sauberen Boden landen. Ihre Geschichten wirken ganz ähnlich auf mich. Sie wären hübsch anzuhören, wenn sie nur ein wenig gepflegter erzählt werden würden. Vielleicht würde es schon reichen, wenn sie jemanden erzählt werden würden, der sie hören möchte. Weiterlesen

Zu laut

Das Reden fiel mir schon immer leicht. Auch geschwiegen und zugehört habe ich oft und gerne. Dann zu schweigen, wenn es viel zu sagen gibt, habe ich erst mit ihm gelernt. Still zu sein, wenn mein Kopf explodieren, war seine Art den unablässigen Gedankenstrom zu lenken ohne ihn zu beeinflussen. Anfangs hielt ich ihn für arrogant und unsensibel, wenn er mitten im Gespräch verstummte und unseren Dialog zu einem Monolog verkümmern lies. Er lies mich reden, aber es machte mich wahnsinnig, gegen eine Wand anzureden, die mich ansah und zuhörte, aber nicht reagierte, bis er mich bat still zu sein. Erst wenn ich verstummt und wir schweigend neben einander lagen, begann er irgendwann wieder zu sprechen. Stellte Fragen und stellte in Frage. Manchmal erst am nächsten Morgen. Meistens früher, weil er wusste, dass ich darauf wartete. Ein Kompromiss, weil mich sein Schweigen und ihn mein Reden verrückt machten. Ich habe die Stille nur schwer ausgehalten. Er wusstest es, nahm im Verstummen meine Hand  und hat sie gegen seine Lippen gedrückt. Sein Daumen strich über die Innenseite meines Handgelenks und ich wurde ruhiger. Die Intimität dieser beider Gesten beruhigte mich mehr, als jedes gesprochene Wort es gekonnt hätte. Irgendwann begann ich auf den Moment zu warten. Mit meinem Reden und Erklären drehten wir uns im Kreis und ich sehnte den Augenblick herbei, in dem er zu sprechen aufhörte, damit auch ich still sein konnte.

Er ist der Einzige, von dem ich mir den Mund verbieten lasse. Manchmal rufe ich ihn an, rede schnell und atemlos, bis er mich überfordert und einen Hauch genervt bittet, einen Moment still zu sein. Dann höre ich, wie er eine Zigarette raucht und manchmal auch nur das Klicken der Warnblinkanlage, wenn er gerade im Auto sitzt. Rauche manchmal selbst eine, werde ruhig und rede dann über das Wetter, bis er mich fragt was eigentlich wirklich los ist. Nichts, sage ich, es war mir nur gerade alles zu laut.