Teilchen – anspruchslos aber hartnäckig

Ich bin wieder da. In München. Finalmente (endlich) murmelt jetzt vielleicht meine Freundin mit der gemeinsam ich die letzten zwei Wochen in Ligurien am Meer war. Sicher nicht, weil ihr das Meer und der Urlaub zuviel geworden wäre. Eher, weil ich sie jetzt morgens nicht mehr mit der Yogamatte unter dem Arm anstrahle und an unsere Verabredung mit Gabi – der Trainerin auf YouTube – erinnere. Eine Verabredung die sowohl der Gabi, die von meiner Existenz nichts weiß, als auch meiner Freundin eigentlich völlig schnuppe sind. Schließlich bin ich die einzige, die sich vorgenommen hat, die zweite Lebenshälfte als sportlich motiviere Frau zu bestreiten. Ich bin aber ein Mensch, der gerne teilt. Alles. Emotionen, Gummibärchen und eben auch die Dinge, die mir Freude bereiten und Dinge, die mich im Urlaub reichlich Überwindung kosten. Wie zum Beispiel Sport am Morgen. Weil ich mir sicher bin, dass meine Freundin auch gerne teilt, habe ich mich gleich, wenn sie aufgewacht ist, mit der Matte unter dem Arm zwischen sie, ihren Morgenkaffee und die Fensterfront gestellt und motiviert angelächelt. Sie hat mitgemacht, ist aber vermutlich heilfroh, mich jetzt wieder los zu sein und nicht noch im Halbschlaf von so einer widerlich fröhlichen Frühaufsteherin abgefangen zu werden.

Gerne hätte auch ich etwas länger geschlafen, aber spätestens um halb sieben war ich hellwach. Am Meer kann ich nie länger schlafen. Ich musste aufstehen und das Gefühl genießen gerade herrlich vollständig zu sein. So wirklich rundum zufrieden und ohne einen Gedanken an irgendetwas, das nicht passt ist man ja selten. Meist ist man sogar so dämlich, sich in Momenten relativer Zufriedenheit an jenen Kleinigkeiten aufzuhängen, die nicht rundlaufen – egal wie unwichtig sie sein mögen. Hier am Meer kann ich in den ersten Tagen so gut wie alles ausblenden. Und weil mir das sonst nicht gelingt, genieße ich diese Tage, seit ich sie wieder habe. Weil ich dazu neige, manchmal reichlich dämlich zu sein, gab es eine Zeit in der ich es vermieden habe überhaupt nach Italien zu fahren. Damals dachte ich, dass es mir unmöglich wäre je wieder über den Brenner zu fahren, nachdem ich zum falschen Zeitpunkt, zurück nach Deutschland ging. Damals verglich ich es mit einem Film im Kino, dessen Ende ich nicht kannte, weil ich die Vorstellung zu früh verlassen hatte und es jetzt keinen mehr gab, der mir das Ende erzählen konnte. Wieder in Italien wäre ich mir wie in einem verlassenen Foyer vorgekommen. Alle sind längst nach Hause gegangen, nur ich stehe noch alleine rum. Mittlerweile weiß ich, dass es kein Ende gab. Der Film läuft noch und er hat seine Längen. Szenen, die man getrost überspringen kann ohne wirklich etwas zu versäumen. Am Ende war es doch kein Film, sondern mein Leben. Ein Leben….und die verlaufen selten nach Drehbuch.

Jetzt bin ich wieder hier und wie immer fehlt die ersten Tage etwas. So sehr ich meine Heimat liebe, ein kleiner Teil von mir ist vor vielen Jahren in Italien hängen geblieben. Übrigens der selbe, der mir fehlte, als ich in Italien lebte. Die Zeit damals war herrlich und ich, nach ein paar Anfangsschwierigkeiten, sehr, sehr glücklich. Nur manchmal, da vermisste ich dieses kleinen Stücke von mir, die an der Isar bei meinen Freunden und in den Bergen bei meiner Familie geblieben sind, als ich umzog. Mittlerweile weiß ich, dass es normal ist und bin davon überzeugt, dass wir alle kleine Teile von uns an bestimmte Orte, Zeiten und Menschen verlieren. Im besten Fall sind sie klein genug um uns nur ab und an sentimental zu stimmen. Und mit etwas Glück, wie bei mir, sammelt man sie regelmäßig wieder ein, ist für eine Zeit vollständig und lässt sie bei der Überquerung der Alpen wieder zurück. Mein kleiner Teil hängt gerade am Meer herum und beschäftigt sich damit, besonders schöne Steine zu sammeln und ins Wasser zu werfen. Später wird er einen Aperitiv trinken und sich freuen, wenn gegen neun Uhr die Nachricht kommt, dass einer der Lieblingsmenschen gerade angekommen ist. Er wird das Wochenende mit Freunden und Bekannten verbringen und sich vielleicht kurz wundern, wie es möglich ist, sich um zehn Uhr morgens auf einen Kaffee zu treffen und plötzlich festzustellen, dass gleich Mitternacht ist. Mit den richtigen Menschen verfliegt die Zeit. Menschen, die nicht wissen, dass ich einen kleinen Teil von mir zwischen den Stühlen am Tisch zurück gelassen habe und manchmal noch tagelang in München ihr Lachen höre, wenn ich an sie denke. Er wird sie nicht stören, ich lausche ja nicht. Ich brauche eh noch einige Zeit bis ich all die Neuigkeiten der letzten beiden Wochen geordnet habe. Wenn man immer nur zu Besuch ist, passiert schrecklich viel, wenn man nicht da ist. Banalitäten, aber bei liebgewonnen Menschen ist das Banale wichtig.

In vier Wochen sammmle ich mein kleines Teilchen wieder ein. Ich habe Geburtstag und an Geburtstagen sollte man unbedingt das machen, worauf man am meisten Lust hat, finden Sie nicht? Ich werde Steine ins Wasser werfen, einen Aperitiv trinken und warten bis einer, den ich wirklich gerne mag am Abend für das Wochenende ans Meer kommt. Mehr braucht es nicht. Meine auf zwei Länder verteilte Ich-Teilchen sind recht anspruchslos. Solange man sie immer wieder loslässt und einsammelt. Wäre ich zu lange am Meer, würden andere Teile von mir protestieren. Du spinnst, sagt einer, dem ich gerade versichere, dass es heute in München nach Meer riecht. Kein Wunder, dass er den feinen Duft nicht wahrnimmt. Von ihm hängt dort ja nicht noch etwas fest.

13 Gedanken zu “Teilchen – anspruchslos aber hartnäckig

  1. Wovon träumt die Schwalbe, wenn sie ihre ihre anstrengende Brut aufzieht, rasend den Mücken nachfliegt?

    Vielleicht von südlicheren Gefilden, Italien zum Beispiel?

    Wovon träumt sie, wenn sie, den Winter fliehend, dort ist? Vielleicht von hier, dem alten Bauernhof, an dessen Stallung sie ihr Nest kleistert?

    Was sind die Träume der Zugvögel? Doktor Wiederhopf, gefragt, stellt seine Federn, gibt etwas riechendes Sekret ab und erklärt uns, dass das der Schweigepflicht unterliegt. Wir werden es nicht erfahren.

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    1. Dann müssen wir uns weiter mit Vermutungen begnügen.
      Ich denke den Schwalben geht es ähnlich mit ihren Träumen. Aber ich will lieber nicht weiter vermuten und ihnen ihre Träume lassen.

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  2. Mir geht es mit Dänemark ähnlich, wo ich seit meiner Kindheit und Jugend immer wieder hinfahre, wohlgemerkt an die Ostsee, denn die Nordsee ist nicht so mein Ding. Mittsommer feiern bei der Bauernfamilie am Fjord, das sind die besonderen Glücksmomente…zeitlos – und die langen Spaziergänge am menschenleeren Wildstrand.

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    1. Das klingt sehr schön. Mittsommer ist etwas, das ich irgendwann auch einmal erleben möchte und menschleere Wildstrände klingen herrlich. Ein guter Ort einen Teil von sich dazulassen (und natürlich ab und an zurück zu holen).

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  3. Natürlich, wenn du an deinem Geburtstag oder an einem beliebigen anderen Tag die Möglichkeit hast, das zu tun, worauf du am meisten Lust hast, ist das doch eine feine Sache.

    Du hast deine externen Seelenteilchen ja auch geschickt platziert, so am Meer. 🙂

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    1. Ja, da hatte ich ein gutes Händchen :).
      Und gerade bin ich so mit einsammeln beschäftigt, dass ich kaum online war. Das ist eine Schande, aber manchmal auch wichtig.

      Liebe Grüße

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      1. Ja, alles hat seine Zeit, und daher war ich selbst in letzter Zeit kaum online. Und ich muss mir immer wieder sagen und sage es darum auch dir: Es ist keine Schande, sich um seine Seele(nteilchen) zu kümmern!

        Gell?!

        Liebe Grüsse aus der zur Abwechslung mal sonnigen Schweiz

        Eva

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      2. Auch hier Sonne. ☀️ Mit der ist alles doch gleich viel schöner.
        Liebe Grüße
        Und JA…um diese Teilchen muss man sich kümmern!

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  4. ich weiß gar nicht so genau, wo meine teilchen alle festhängen. aber ich glaub, in italien hängt auch eins davon. eines baumelt an der golden gate bridge, definitiv. und eines treibt durch die weltmeere. eines hat sich im wald versteckt. das habe ich anfang mai begonnen zu suchen. ich hab es aus der ferne schon spüren können, bin ihm aber noch nicht ganz wieder begegnet. ich suche noch die richtige abzweigung, tatsächlich nicht nur metaphorisch.

    so schön geschriebe, danke ❤

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    1. Das sind schöne Ort <3. An der golden Gate war ich auch einmal. Wer weiß, vielleicht ist da etwas an das ich gar nicht mehr gedacht habe. Aber wahrscheinlich wäre es ein Stück weiter in einer kleinen Wohnung wo ich am 11.09 vor dem Fernseher saß und dann erst mal nicht nach Hause kam. Trotzdem ist es eine schöne Erinnerung, wegen der Menschen die ich traf.
      Danke und ganz liebe Grüße

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