Angekommen

Die Luft ist schlecht. Im Bahnhof und auch davor. Niemand – nicht einmal ich – würde behaupten, dass es mitten in Mailand gut riecht. Abgase, der Duft gehetzter Menschen und Baustellenstaub sind olfaktorische Reize auf die man gut und gerne verzichten kann. Auch der Kaffee schmeckt am Bahnhof nicht wirklich gut, das Brioche ist lappig und die Crema darin eine Spur zu süß. All das wusste ich und stand trotzdem mindestens fünf Minuten in der Morgensonne vor dem Bahnhof und atmete tief ein. Weg, einfach nur weg, war der Wunsch am späten Abend des Vortages gewesen und nur aus diesem Grund war das Ziel in Mailand am frühen Morgen, dann doch schön. Oder besser, so wie es sein musste. Trotz des eisigen Windes der mir die Haare ins Gesicht wehte und trotz der Normalität eines italienischen Großstadt Werktages, der auf Touristen vermutlich wenig einladend wirken würde. Ich verbrenne mir die Lippen am Cappuccino und bin das erste Mal seit längerem wieder völlig entspannt. Das Chaos eines Bahnhofes hat mich noch nie gestresst – im Gegenteil. Seit nun mehr über die Hälfte meines Lebens, ist es der einzige Wahnsinn in den ich mich stürzen muss, wenn es tief in meinem Magen zieht und ich einen meiner besten Freunde zu lange nicht gesehen habe. Ihn und das was untrennbar mit ihm verbunden ist – ein Land, in dem ich einige Zeit lebte und das mich nie wieder ganz losgelassen hat. Ich kenne es gut genug um zu wissen, dass es keine Probleme löst und dass das Leben dort die gleichen Herausforderungen wie zu Hause bereit hält. Andere vielleicht, aber sicher nicht weniger. Und doch beruhigt es mich noch immer, hier zu sein. Wenn mir zu Hause alles zu viel wird, fahre ich „runter“ um ruhig zu werden und mit jedem Atemzug ein bisschen Kraft zu tanken. Es geht auch an anderen Orten. In den Bergen meiner Heimat, zum Beispiel, aber hier geht es schneller. Vielleicht, so glaube ich manchmal, liegt es daran, weil mir Italien vor langer Zeit bewiesen hat, dass ich weit mehr schaffen kann, als ich mir in der Regel zutraue. Vor vielen Jahren strandete ich dort und bin wider erwarten nicht binnen weniger Wochen zurück ins warme Nest gekrochen. Warum auch? In Italien entwickle ich Energien und eine Entschlossenheit, dir mir sogar selbst manchmal fremd ist.

Entschlossen drücke ich ein paar Stunden später auch auf einen roten Knopf, der für mein Empfinden eindeutig signalisiert, dass er auf keinen Fall gedrückt werden sollte. Mein Empfinden hat keine Ahnung und Boiler und Therme im kleinen Appartement springen mit sanftem Brummen an. Grün! Jeder vernünftige Mensch würde einen Anknopf in grüner Farbe installieren. Meinetwegen auch in blau oder in schwarz, aber rot bedeutet…..warm, wie ich mir später selbst erkläre. Der Gashahn ist gelb, das macht Sinn und mit Gas kenne ich mich aus. Mit roten Knöpfen jetzt auch, schließlich ist noch Winter und die Sonne über dem Meer längst noch nicht warm genug um Annas Appartement aufzuheizen. Diesmal schmeckt der Kaffee auch objektiv hervorragend und es ist nicht mehr meiner Einbildung geschuldet, dass die Luft nach Meer und Küste riecht. Angekommen, schreibe ich dem, der noch arbeitet und erst einige Tage später kommen wird. Er ahnt, dass ich damit nicht nur das Betreten seiner Wohnung meine und lacht, weil ich verkünde um spätestens acht Uhr ins Bett zu gehen. Warum auch nicht – ich versäume nichts und das ist purer Luxus. Ebenso wie die Tatsache, dass der Freund an einem so schönen Ort lebt und mir das Gefühl vermittelt immer willkommen zu sein. Mit Worten und mit frischer, kuscheliger Winterbettwäsche die er mir extra hingelegt hat. Der Gedanke an so viel „lieb sein“ wärmt besser als die mittlerweile bollernden Heizkörper.

Um acht Uhr bin ich dann doch noch nicht im Bett. Zu lange habe ich auf das Meer geschaut, sehr zufrieden gemerkt, dass die Wellen den letzten Rest Unruhe vertreiben und mir doch noch etwas feines gekocht, nachdem ich den kleinen Ort zum Einkaufen gegangen war. Am Abend werde ich gefragt wie es mir geht und ich tippe die Antwort, salzige Luft auf dem Balkon atmend. Alles bestens, nur leider kann ich der Talkshow auf Canale 5 nicht ganz folgen. Um zu verstehen, wer hier wen betrogen hat und ob die Ehe eines Demenzkranken Vaters mit einer blutjungen Krankenschwester angefochten werden kann, fehlen mir die letzten Wochen italienischen Gossips. An diesem Abend ist das tatsächlich mein einziges Problem und angesichts einer in Flammen stehenden Welt ist das ein so unverschämtes und umfassendes Glück, dass ich den Fernseher aus- und die Fenster aufmache. Das Geräusch des Meeres, ein knatterndes Mofa und irgendwo bellt ein Hund und streitet ein Paar. In meinem Magen zieht nichts mehr. Natürlich nicht, ich bin angekommen und um alles was gemacht werden muss, kümmere ich mich morgen.

Sie sagen, der Sommer sei vorbei

Der Sommer ist vorbei, sagen sie und blicken wehmütig aufs Meer. Schön war er, der Sommer, und heiß. Aber jetzt ist er vorbei, bekräftigen sie. Man würde es bereits spüren und den Herbst bereits in den Wolken erahnen. Für einen kurzen Moment nicke ich, bevor ich heimlich den Kopf schüttle. Nein, für mich ist der Sommer noch nicht vorbei – zwischen meinen Zehen kitzelt der Sand, das Meer ist herrlich warm und die Abendsonne ist stark genug, um mein Strandtuch in kurzer Zeit zu trocknen. Trotzdem stoße ich mit Freuden am Abend auf den zur Neige gehenden Sommer an. Schön war und ist er. Besonders schön, weil ich ein Teil von ihm sein durfte. Ein kleiner Teil des ligurischen Sommers, der spätestens in diesem Jahr zu meinem wurde. „Ciao Mitzi“ sind nur zwei Worte, aber wenn sie täglich mehrmals von verschiedenen Menschen gerufen werden, dann sind es Worte die bewusst machen, dass man an einem Ort nicht mehr länger fremd ist, weil man regelmäßig kommt und geht und trotz des Urlaubs ein bisschen in das italienische Leben von früher eintaucht. Der Sommer ist vorbei sagen meine Freunde und ich verdränge den Gedanken, dass dies auf München vermutlich wirklich zutrifft, indem ich noch einmal ins Meer springe und das Gesicht in die warmen Sonnenstrahlen halte um möglichst viel davon mit in den Herbst und den Winter zu nehmen.

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Google, Acciughe und ein kluger Mann

Nach fünf Jahren bloggen, juckt es mich manchmal in den Fingern,  die Fragen meiner Freunde nicht verbal sondern mit dem Versenden eines Links zu beantworten. Eine, zugegeben etwas unfreundliche, aber auf jeden Fall effiziente Variante, wenn es um das Vertreten eines (meines) Standpunktes geht. Meinen Freunden scheint es ähnlich zu gehen. Immer öfter kommt es vor, dass sie mich anhand meiner Blogartikel zitieren und mich nicht zu Wort kommen lassen, da sie meine Meinung ja bereits ausführlich gelesen haben. Man fällt mir ins Wort und korrigiert mich. Zum Beispiel…. Im Juni 2017 hätte ich aber etwas ganz anderes geschrieben. Bevor ich den Mund öffnen kann, wird dann gegoogelt und meist auch schnell gefunden. Ich freue mich, dass mein Umfeld nach all den Jahren noch immer liest was ich schreibe und finde gefallen an dieser halb verbalen, halb bereits schriftlich dokumentierten Kommunikation. 
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Bist du da?

Es war das Lachen meiner Freundin, dass mir zeigte, dass ich wieder zu Hause bin. Laut, eine kleine Spur zu grell, aber so herzhaft und warm, wie kein anderes, schallte es gestern Abend durch das Telefon und hieß mich willkommen. Sie wusste, wann mein Flieger landete und ahnte, dass mir der graue Nieselregen in München nicht gefallen würde. Ein kurzes Telefonat, verbunden mit dem Vorschlag ganz bald ein Glas Wein zusammen zu trinken, würde es mir bestimmt leichter machen, meinte sie und hatte recht. Wer mit einem so schönen Lachen empfangen wird, den kümmert das Wetter nicht mehr. Den Wein bräuchte es nicht. Eigentlich braucht es eh wenig, um sich zu Hause zu fühlen. Und doch gelingt es nur wenigen Menschen, dieses ganz besondere Gefühl zu vermitteln. Bei ihr ist es das Lachen, das mir – egal wo ich bin – vermittelt, einen Menschen an meiner Seite zu haben, mit dem ich durch dick und dünn gehe. Sie lachte schon so vieles weg. Manchmal unter Tränen, manchmal schimpfend. Irgendwann aber sprudelte immer dieses ganz besondere herzhafte Lachen hervor. Ich höre es und fühle mich zu Hause. Gestern war ich wieder zu Hause. Und das obwohl ich gerade erst von dort kam.  Weiterlesen

Grazie per tutto

Das sind sie, sagt er und deutet auf den prallen Mond, dessen Licht sich auf der Oberfläche des Meeres spiegelt. Ich bin mir nicht sicher was er meint, aber alte Männer aus Neapel haben sicher meistens Recht. Das sind sie, wiederholt er, erklärt und schenkt mir noch einmal nach. Er meint, dass das – der Mond, der Moment und der eiskalte Weißwein – die wirklich wichtigen Momente im Leben sind. Seinen Namen habe ich leider vergessen, aber er ist auch nicht wichtig, weil wir uns vermutlich in diesem Leben nicht wieder sehen werden. Nicht vergessen werde ich aber die Stunde in der ich mit einem Fremden auf einer Terrasse über dem Meer bei Genua saß und mich verabschiedete. Weil ein Abschied vom Meer, so sagte der, der zufällig neben mir wohnte, alleine doch viel zu traurig sei, setzte ich mich gerne noch ein bisschen zu ihm.

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Parolacce e sassi

Unsere Abschiede werden leichter, sage ich zu meiner Freundin und bin froh, dass sie nur nickt. Weißt du, erkläre ich ihr, als ich mich auf die dritten Bank innerhalb von 200 Metern setze, ich brauche jetzt nicht mehr lange um mich zu verabschieden. Durch ihr Lächeln lässt sie mich wissen, dass es ihr nichts ausmacht, sich mit mir auf jede freie Bank entlang des Strandes zu setzen und mir beim Starren auf das Meer zuzusehen. Es gibt schlimmere Orte, meint sie schmunzelnd an Bank vier und blickt mir mir Richtung Genua. Sie weiß so gut wie ich, dass es nicht das Meer ist, von dem ich mich nur schwer verabschieden kann. Es ist der mutigste meiner Freunde und seit sie ihn kennt, versteht sie es. Er macht es einem leicht, ihn zu mögen. Wahrscheinlich nicht jedem, aber jenen, die er selbst sympatisch findet. Cret…., setzt die spontanste meiner Freundinnen an und versucht sich an eines der neu gelernten italienischen Worte zu erinnern. Energisch schüttle ich den Kopf. Nein, das bitte nicht, das ist eine Autofahrvokabel und von denen – ganz im ernst – möge sie sich bitte keine merken. Io sono, tu sei, lui é versuche ich sie Verben konjungierend abzulenken und ahne dass es zwecklos ist. Sie saß im Auto neben dem mutigsten meiner Freunde, als wir die kurvige Küstenstraße entlang fuhren. Am Tag des Radrennens Mailand – Sanremo. Der Schwall nicht übersetzbarer Schimpfworte, der auf sie einprasselte hat sich weit besser festgesetzt als alles was ich ihr beizubringen versuchte. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie künftig jemanden mit den Worten „Vattene, cretino“ bittet, ein wenig zur Seite zu gehen. Warum soll es ihr andres gehen als mir. Man merkt sich das, was man vergessen sollte. Weiterlesen