Grazie per tutto

Das sind sie, sagt er und deutet auf den prallen Mond, dessen Licht sich auf der Oberfläche des Meeres spiegelt. Ich bin mir nicht sicher was er meint, aber alte Männer aus Neapel haben sicher meistens Recht. Das sind sie, wiederholt er, erklärt und schenkt mir noch einmal nach. Er meint, dass das – der Mond, der Moment und der eiskalte Weißwein – die wirklich wichtigen Momente im Leben sind. Seinen Namen habe ich leider vergessen, aber er ist auch nicht wichtig, weil wir uns vermutlich in diesem Leben nicht wieder sehen werden. Nicht vergessen werde ich aber die Stunde in der ich mit einem Fremden auf einer Terrasse über dem Meer bei Genua saß und mich verabschiedete. Weil ein Abschied vom Meer, so sagte der, der zufällig neben mir wohnte, alleine doch viel zu traurig sei, setzte ich mich gerne noch ein bisschen zu ihm.

Traurig machen mich die Abschiede vom Meer nicht mehr. Ein wenig wehmütig, das ja, aber traurig nicht. Wo auch immer ich bin, das Meer bleibt wo es ist und brandet geduldig an den Strand, bis eine sentimentale Münchnerin zurück kommt und sich ein ums andere Mal einen glatt geschliffenen Stein in die Tasche steckt. Es läuft mir nicht weg. Auch er wird nicht weglaufen – der eine meiner Freunde, der untrennbar mit dem Geruch des Meeres und Pinienbäumen verbunden ist. Obwohl ich es weiß und obwohl ich es nicht will, machen mich die Abschiede noch immer traurig und ich bin froh, das der neben mir es für ganz normal hält, dass man bei einem Abschied ein wenig weint. Das muss so sein, sagt er. Freunde, die sich nicht vermissen würden, wären seltsam. Wir stoßen an und ich nicke. Wahrscheinlich hat er Recht. Und ganz sicher hat er Recht damit, dass mir ein zweites Glas Wein gut tun wird. Ich erzähle ihm von den letzten Tagen und während ich rede verfliegt die Traurigkeit. Man kann nicht traurig sein, wenn man sich eine Olive nach der anderen in den Mund streckt und sich an all die Leckereien erinnert, die man in den letzten Tagen eingekauft hat. Focaccia so ölig und fluffig, dass man nichts weiter braucht. Außer vielleicht ein paar der Oliven, die ich an meinem letzten Abend mit dem Mann aus Neapel teile. Und die Acciughe (Sardellen) von denen ich so viel gegessen und noch immer nicht genug habe. Die sind eine besonderes schöne Erinnerung. Weniger die Acciughe…die auch…aber viel mehr der Ort an dem ich sie aß. Ein Ort in dem ich mich schon verliebte als ich vor einem Jahr nur für wenige Stunden zu besuch kam und noch mehr im Juni diesen Jahres. Ein Ort an dem die Zeit still steht und das Leben so perfekt ist, dass ich oft gar nichts mehr sage und nur auf das Meer schaue. Und natürlich…mir ab und zu eine Sardelle in den Mund stecke. Eingelegt, frittiert oder paniert….jeder Bissen schmeckt nach Glück. Natürlich sind es nicht die Sardellen, erkläre ich dem, der neben mir. Es ist das Gefühl das ich habe, wenn ich neben dem mutigsten meiner Freunde sitze. Aufgeräumt hätte es meine Großmutter genannt. Ein Gefühl, dass gerade einfach alles passt. Das man nichts erklären muss, nichts fragen muss und nichts sagen muss, wenn man nicht will. Es passt einfach. Und es passt noch mehr, seit ich ihn öfter sehe. „Wir sehen uns später.“ Oder „wir sehen uns morgen.“ Sätze die nicht häufig benutzt werden können und deshalb besonders schön sind. Kein Druck sich alles sofort zu erzählen. Nein, mittlerweile kann ich auch eine Stunde lang wortlos an den Acciughe knabbern. Ich kann ihm ja später noch erzählen, was mir gerade durch den Kopf schießt. So ist das in einer Freundschaft, sagt einer und schenkt mir nach.
Und doch…nichts von all dem, an das ich jetzt beim Glas, nach dem letzten Glas, denke, ist selbstverständlich. Weder eine so herzliche und feste Umarmung, wie ich sie an jedem einzelnen Tag erhalten habe, noch, dass mich Zwei ein ums andere Mal abholen und heimbringen, egal wie spät es ist. Man lacht nur mit wenigen so frei und ich bräuchte nicht viel mehr als das Lachen meines Freundes um mich wohl zu fühlen. Nicht irgendein Lachen, sondern genau dieses ansteckende und sprudelnde, das sich in den letzten zwanzig Jahren kein bisschen geändert hat. Eines bei dem automatisch auch ich lachen muss. Das wirklich allerletzte Glas trinke ich auf sein Wohl. Und auf die Acciughe, die Pasta, das Pesto, seine Freunde, sein Lachen, mein Lachen, die stillen Momente und…und das vor allem….auf ein baldiges Wiedersehen. Traurig bin ich nicht mehr als ich ins Bett gehe. Eher ein bisschen angeschickert. Der neapolitanische Wein ist schuld. Vielleicht werde ich das auch heute Abend sein – angeschickert.
Gerade habe ich mir, zurück in München, den Weißwein aufgemacht, den ich bei Signor Sfuso gekauft habe. So wirklich weiß ich nicht was in der Flasche ist, aber der erste Schluck katapultiert mich zurück an den Tisch an dem ich zuletzt neben einem meiner besten Freunde saß. Ein Tisch von vielen. Der am Meer, der bei ihm zu Hause, der in der Altstadt….sie waren so schön die Tische, an denen ich neue Erinnerungen sammeln und eine alte Freundschaft genießen durfte. Grazie. Grazie per tutto. Und danke auch an den Fremden aus Napoli. Falls man sich wirklich immer zwei Mal im Leben sieht, werde ich ihm wieder Oliven mitbringen. Ohne ihn wäre der Abschied viel schwerer gewesen und neben all den schönen Momenten, war auch jener mit ihm einer in dem man spürt wie schön das Leben doch ist. Cin cin – stragniero.  

7 Gedanken zu “Grazie per tutto

  1. Liebe Mitzi, ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du es noch ganz ganz lange genießen kannst: Dein Lieblingsland Italien, deine wunderschönen Erlebnisse, die du zu Erinnerungen machst und deine besten und allerbesten Freunde, mit denen du so herzlich lachen kannst.
    So sollte das Leben für alle oder zumindest für viele sein – nicht unbedingt in einer hektischen Großstadt, sondern beschaulich in der Nähe des Meeres mit seinen Wellengeräuschen im Ohr.
    Falls ich das Land finden sollte, in dem es mir so unendlich gut gefällt wie dir in Italien, würde ich auch jedes Jahr hinfahren, denn zum Umziehen hätte ich keinen Mut.
    Herzlichst Clara

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Clara, ich bin für den Moment wieder zurück, aber ich werde bestimmt ganz bald wieder nach Italien fahren.
      Ich denke auch, dass man gar nicht unbedingt umziehen muss. Besuchen, genießen und die Sehnsucht stillen – das reicht oft schon.
      Ganz liebe Grüße
      Mitzi

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