Minimal stur – im Flur

Einer meiner liebsten Freunde, ist einer meiner anstrengensten Freunde. Eine Aussage, die auf einige meiner Freunde zutrifft und durchaus positiv zu sehen ist. Einer zum Beispiel lebt seit Jahren in Italien. Will ich ihn sehen, dann muss ich 750 Kilometer überbrücken. Das ist schön, aber anstrengend. Ein anderer bringt mir jedes Mal, wenn wir uns sehen, etwas mit, das sofort meine Begeisterung weckt. Aktuell liegt auf meinem Schreibtisch ein Zauberwürfel und ich habe den Ehrgeiz dieses Ding zu lösen. Zwei Ebenen klappten mittlerweile gut – bei der dritten kämpfe ich noch, aber es macht großen Spaß. Das ist schön, aber…genau…auch anstrengend. Und der, den ich im ersten Satz meinte, stellt immer wieder Behauptungen auf, die ich widerlege. Widerlegen muss, um ihm zu beweisen, dass sie nicht richtig sind. Man könnte meinen, dass so etwas nicht schön, sondern nur anstrengend ist. Mein Freund behauptet zum Glück aber Dinge, bei denen ich mir meist nicht sicher bin ob er nun recht hat oder nicht und mich mit Elan und Kopf über auf seine These stürze. Aktuell behauptet er, dass niemand so viele Lieblingsdinge wie ich besitzen kann und ich mich mit der Aussage „Lieblingsding“ vor dem Ausmisten drücke, während er mir sehr den von ihm entdeckten Minimalismus ans Herz legen würde. Der nämlich, der Minimalismus, sorgt für einen klaren und flexiblen Verstand. Würde mir gut tun, der klare Geist, sagt er und steckt im Café in dem wir sitzen, eine Handvoll Zuckerbeutelchen ein. Eine Zuckerdose hat er in seiner Küche nämlich nicht mehr, seit er sich dort von überflüssigem getrennt hat. Gedanklich schon seine Behauptung, meine Wohnung würde klare Gedanken verhindern, überprüfend, bin ich mir schon jetzt sicher, dass ich meine Zuckerdose behalten werde – wenn einem das Entsorgen zum Klauen verleitet, dann ist es Quatsch.

Ich werde Sie mitnehmen – durch den Rundgang meiner Wohnung. Dabei kann ich Ihnen etwas über meine Lieblingsdinge erzählen. Das wollte ich schon lange einmal machen und da ich jetzt vielleicht zur Minimalistin werde – man kann ja nie wissen, ob ein Freund nicht vielleicht recht hat – ist das die letzte Gelegenheit. Wir fangen in meinen drei Fluren an. Und nein…ich wohne nicht in einem Schloss, sondern nur in einer abenteuerlich geschnittenen Zwei-Zimmer-Wohnung.

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10.000 Dinge #4

Es heißt, der durchschnittliche Deutsche besitzt etwa 10.000 Dinge. 2014 als ich über die Studie gestolpert bin erschien mir diese Zahl unglaublich hoch. Nachdem ich im darauffolgenden Jahr feststellte, dass sich in meiner Wohnung 1.018 Bücher (Stand Oktober 2011) befanden, relativierte sich die Zahl. Und seitdem ich älter und neugieriger werde und ab und an vom Fenster aus Umzüge beobachte, halte ich die Zahl für durchaus realistisch. Jedes Jahr erhöht sich unser Besitz und wenn man nicht ab und an mit kritischem Blick vor Schränken und Kellerabteilen steht, dann wachsem einem die Dinge schnell über den Kopf. Der Zuwachs meiner Dinge über all die Jahre ist unter anderem den Ausmisten meiner Eltern geschuldet. Wenn die Platz brauchen, wird es bei mir schnell eng. Es handelt sich hierbei um eine Art Generationenvertrag. Die Verantwortung für die Dinge, die man nicht mehr will, aber unmöglich wegwerfen kann, wird dem Nachwuchs übergeben. Ich vermute, dass dies seit Generationen wunderbar funktioniert. Leider haben Generationsverträge die vertrackte Klausel, dass sie nur funktionieren, wenn eine nächste Generation vorhanden ist. Nichten und Neffen zählen hier leider nicht, da diese per Definition nur bei direkten Eltern zu Erfüllung verpflichtet werden können/wollen. (Ich habe es versucht, glauben Sie mir).

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10.000 Dinge #3

Vor etwa 100 Jahren bestand ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland aus lediglich 100 Gegenständen. Im Jahr 2014, so las ich, besaß ein jeder Mensch bereits 10.000 Dinge. 10.000….das ist unglaublich viel. Oder gar nicht so viel, da ich nicht weiß ob wirklich jedes einzelne Foto und jeder Bleistift gezählt wurde. Wahrscheinlich ist das aber auch nicht wichtig, denn dass wir viel besitzen zeigt ein kurzer Gang durch den Keller eines durchschnittlichen Mietshauses. Zwischen den Holzsparren quillt der Besitz bis an die Decke und beim Öffnen des einen oder anderen Verschlages läuft man Gefahr vom eigenen Hab und Gut erschlagen zu werden. Mein Kellerabteil kann ich sorglos öffnen – dank des letzten Lockdowns habe ich ihn auf- und vor allem ausgeräumt. Gerümpel fand ich keines, aber viele kleine Schätze, die für mich mit den Jahren an Bedeutung verloren haben. Fast alles hat via der von mir initiierten Tauschbörse rund um die Briefkästen meines Hauses einen neuen Besitzer gefunden. Ein schöner Gedanke. Viel schöner, als etwas, das man einmal mochte wegzuschmeißen. Unser Hausmeister und etwa ein Drittel meiner Nachbarn fand meine Idee nicht sonderlich schön und bat mich mehrfach „den Mist“ auf den Sperrmüll zu werfen. Ich habe dann begonnen kleine Zettel an die Dinge zu kleben, damit die Ignoranten verstehen, dass es sich um wirklich feine Dinge und nicht um Müll handelt. Zum Beispiel auf die schweren, weißen Porzellan Terrinen aus der Kantine, in der mein Großvater nach dem Krieg arbeitete. Solche Suppenterrinen werden heute wohl nun noch wenig genutzt aber nachdem ich „Hält Suppe mindestens eine Stunde auf dem Tisch warm und wurde von meiner Oma sehr gerne und oft benutzt“ auf einen Zettel geschrieben habe, waren sie nach einer Stunde weg. Im Sommer sah ich eine auf einem Balkon – sie wurde als Übertopf genutzt. Eine nette Idee, die meiner Großmutter sicher auch gefallen hätte. Einer hat nun 10.001 Gegenstände und ich nur noch 9.999.

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Nagel bleibt

Ob ich endlich erwachsen werde, höre ich dich leise fragen, und sehe das Lächeln auf deinen Lippen ohne mich umzudrehen. Vielleicht. Angesichts des Kinderzimmerkartons und der WG Kiste, die ich endlich, endlich aussortiere, könnte man es meinen. Keiner der Gegenstände, die ich bei der Renovierung meiner Wohnung in den letzten Tagen aussortiert habe, gehörte dir und doch sind es Dinge, die dir vertraut sein müssen. Nicht nur dir. Einem jeden von uns, der in etwa zur gleichen Zeit geboren und im selben Jahrzehnt erwachsen wurde. Kaum einen kenne ich, der nicht mindestens eine Lavalampe besessen hatte und die CD Sammlungen von mir und meinen Freunden war sich über viele Jahre ähnlich, wenn nicht sogar identisch. Es ist an der Zeit sich zu trennen.  Weiterlesen

16 Tage

Heute morgen ist es still bei mir. Kein Radio und keine Musik läuft. Nur ein bisschen Straßenlärm schwappt durch das gekippte Schlafzimmer-fenster. Ich schließe die Augen und rutsche tiefer unter die Decke. Heute ist Samstag und mein zweiwöchiger Urlaub beginnt.  Wenn man das Wochenende mitzählt sind es ganze sechzehn Tage. Natürlich zähle ich das Wochenende dazu. Zwei Wochen Urlaub über Weihnachten, das haben viele. Sechzehn Tage dagegen,  sind schon fast unverschämt lange.  Unter meiner Bettdecke ist es herrlich warm. Nur die Nasenspitze, die an der Luft ist, friert. Das mag ich. Nur warm wäre mir zu langweilig. Um die Wärme zu genießen und zu schätzen, muss ein kleiner Teil – zum Beispiel die Nase – kühl sein. Weiterlesen

10.000 Dinge #2

Goethe und ich sind nicht so dicke. Allenfalls ist meine Beziehung zu ihm eine lockere Bekanntschaft, ohne die Anteilnahme und die Zuneigung einer Freundschaft. Die Schönheit mancher Sätze und die Klugheit einiger Gedanken bleiben mir dennoch nicht verborgen. „Wer besitzt, der muss gerüstet sein“,  heißt es zum Beispiel in Torquato Tasso einem Stück von Goethe. Weder Alfons, der die Worte spricht, noch Goethe, sein geistiger Vater, dachten hier wohl an die Bügel-Perlen-Topfuntersetzer die ich heute bei meiner herbstlichen Inventur gefunden habe. Weiterlesen