Wunsch mit Schleife

Niemand der bei Verstand ist, schenkt sich heutzutage noch etwas zu Weihnachten, erklärt mir eine Bekannt und schüttelt beim Anblick des Regals meines Arbeitszimmers fassungslos den Kopf. Für wen um Gotteswillen soll das alles bitte sein, fragt sie und ich unterdrücke den Impuls ihr auf die Finger zu klopfen, als sie etwas unverpacktes in die Hand nehmen und näher betrachten möchte. Ebenfalls unterdrücke ich das Verlangen, ihr die Hand auf die Schulter zu legen und sie einfach aus dem Raum zu schieben. Stattdessen erkläre ich peinlich berührt, dass all das materielle natürlich nicht Zeit, Zuneigung und Emotionen ersetzt und nur ein kleines Extra sind. Extras die nur so viel wirken, weil ich einem mir sehr am Herzen liegenden Ehepaar (meinen Eltern) einen Adventskalender mit nun mal 24 Päckchen schenke und eine große Familie habe. Ich erkläre mit vor der Brust verschränkten Armen, dass ich es durchaus genauso sehe, dass man nur wenige gute Freunde hat und Freundschaften nicht durch Pakete am Leben gehalten werden. Versuche zu erklären, dass mich noch junge Kinder umgeben und ich denen eine Freude machen möchte und bekomme einen Vortrag, letztendlich nur dem Konsumwahnsinn zu erliegen und zu den bemitleidenswerten Menschen zu gehören, die in der Adventszeit hektisch durch die Fußgängerzonen hasten und das eigentlich besinnliche der Weihnachtszeit dabei völlig aus den Augen zu verlieren.

Ich gebe zu ein Idiot zu sein. Wir lachen über den nicht lustigen Witz und verabschieden uns, nicht ohne, dass sie mir ans Herz legt mich etwas mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Keine Sorge, das tue ich. Das Wesentliche am zum Beispiel Adventkalender für meine Eltern ist, dass ich mir 24 Tage lang beim Aufwachen vorstelle, dass meine Mama jetzt gerade eines der Päckchen holt und es auspackt, während ihr mein Papa über die Schultern schaut. Ich weiß wie es dort bei ihnen riecht und wenn ich Glück habe und sie lächeln, dann weiß ich wie dieses Lächeln aussieht. Meine Eltern lächeln mich auch so an. Natürlich. Aber es macht mich glücklich, wenn ich ihnen etwas zurück geben kann. Keinen Mist und keinen Ramsch im besten Fall. Eher etwas, dass an einen Ausflug unter dem Jahr erinnert. An eine Konditorei von der mein Vater erzählt, dort als Lehrjunge ein Stück des besten Stollen der Stadt gegessen zu haben oder auch eine Antirutschmatte für die Badewanne, die sie sich selbst (weiß der Henker warum) nicht kaufen, die ich aber für unabdingbar halte, seit….das darf ich öffentlich nicht schreiben.

Meine Freundinnen und ich mögen es, uns am hl. Abend in der Kirche gegenseitig etwas zuzustecken. Und auch ich habe Freunde, die lieber nichts bekommen, weil sie dann das Gefühl haben, mir auch etwas schenken zu müssen und das Suchen und Finden sie unter Druck setzt. In diesem Fällen schenken wir uns eben nichts. All das Schenken darf kein Zwang sein, sonst verfliegt das schöne. In meiner Welt ist ein Geschenk ein „Frohe Weihnachten. Ich denke an dich“ um das eine Schleife gewickelt wurde. Und mache Menschen brauchen das wirklich. Viel dringender als meine Familie und ich.

Karlo ist 91 Jahre alt. Das weiß ich nur, weil es auf einem kleinen Kärtchen geschrieben steht. Sonst ist mir nichts über ihn bekannt. Weder ob in seiner Geburtsurkunde Karl steht, noch überhaupt etwas über ihn. Ich weiß nur, dass er in einem Seniorenwohnheim oder in einer Obdachlosenunterkunft in München lebt. Eines von beiden ist sicher. Auch Mesut lebt in einer der beiden Einrichtungen und auch von ihm weiß ich nur das Alter. Er ist 86. Karlo und Mesut sind zwei Namen ohne Gesicht und ohne Geschichte und doch werden sie mich dieses Jahr durch die Adventzeit begleiten. Stellvertretend für viele andere von denen ich nichts weiter weiß, als einen kleinen bescheidenen Weihnachtswunsch. Sie stehen auf gelben Sternen, die an roten Bändern an den Wunschbäumen der Stadt hängen. Da ist zum Beispiel Inge, die sich über Lavendellotion freuen würde. Oder Barbara, die gerne eine Kuscheldecke hätte. Auch Noppensocken, selbstgebackene Plätzchen oder eine CD mit Weihnachtsliedern entdeckt man an den Bäumen, kann sich einen Stern mitnehmen und den Wunsch erfüllen.

Der Wunschbaum in der Bücherei wird schnell leer sein. So war es in den letzten Jahren und ich bin sicher, dass es auch heuer so sein wird. Die kleinen Sterne rühren und bewegen uns. Im Advent mehr als unter dem Jahr. Einerseits ist das beschämend. Andererseits aber zeigt es, dass Weihnachten eben nicht nur aus Konsum, sondern auch aus dem Wunsch besteht, Freude zu teilen. Mir gefällt die Vorstellung, dass Mesut und Karlo am hl. Abend ein kleines Päckchen in den Händen halten und wissen, dass irgendwo in der Stadt jemand an sie gedacht hat. An sie und an die fast 1.000 anderen Menschen in sozialen Einrichtungen, die entweder niemanden mehr haben oder sich an Weihnachten so wenig wie unter dem Jahr leisten können. Fast jeder den ich kenne und der sich einen Stern mitgenommen hat folgt der Bitte und legt eine Weihnachtskarte bei. So wird die kleine Aufmerksamkeit persönlicher. Und fast jeder überlegt sich noch eine Kleinigkeit zum eigentlichen Wunsch. Die Dame mit der Kuscheldecke bekommt von meiner Freundin noch handgestrickte Socken dazu. Für Karlo und Mesut, die sich beide Rasierwasser, Rasierschaum und Klingen wünschen, muss ich mir noch etwas überlegen. Ich kenne sie ja nicht.

Die Wunschbäume sind die schönsten Christbäume der Stadt. Man kann den Menschen, die Sterne mitnehmen und Geschenke verpacken unterstellen, dass sie das nur machen um sich selbst besser zu fühlen. Vielleicht. In den meisten Fällen aber glaube ich, dass es der tiefempfunde eigene Wunsch ist, dass sich wenigstens an Weihnachten niemand ganz alleine fühlen sollte.

26 Gedanken zu “Wunsch mit Schleife

  1. Na super, jetzt mach ich mir Gedanken darüber, was Karlo und Mesut brauchen. Ich glaube, sie benötigen dringend jeder eine von diesen Spieluhr-Dosen mit Lebkuchen drin. Entweder Lebkuchen oder Weihnachtsmusik benötigt man. Und wenn alles gut geht, beides.

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  2. Genau das trifft es, und das ist das Wesentliche. Auch wenn das die eingangs erwähnte Bekannte wohl nicht verstehen wird.
    Für sie scheint das Wesentliche wohl eher darin zu bestehen, andere zu belehren.
    Wir pflücken dieses Jahr ganz sicher auch wieder einen Wunsch vom Baum vor dem Seniorenheim. Weil es mir nicht in den Kopf geht und ich mich weigere, zu akzeptieren, dass die dort lebenden Menschen einfach niemanden wissen, dem sie solch kleine Wünsche erzählen können.
    Das darf einfach nicht sein.

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    1. Ja, dieses Belehren geht bzw. ging mir hier richtig auf die Nerven.
      Genau so sehe ich es auch. Man mag sich einfach nicht vorstellen, dass manche Menschen niemanden mehr haben. Der Gedanke tut weh und so sollte es einfach nicht sein.

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  3. Was für eine tolle Sache, diese Wunschbäume! Ich glaube, viele Menschen möchten gern anderen Menschen etwas schenken, wenn sie nur wüssten, wem und was? Wird das Geschenk nicht das falsche sein? Zu protzig, zu billig, zu albern, zu ernst? Wird der Mensch sich womöglich unwohl fühlen, weil er das gut gemeinte Geschenk nicht brauchen kann und nun ebenfalls etwas verschenken muss? Schenken ist eine schwierige Sache, man muss da Menschenkenntnis und Fantasie mitbringen, und Übung braucht es auch. Ich bewundere Menschen, die richtig gut schenken können. Ich gehöre leider nicht dazu. – Um das Richtige Schenken zu üben, sind solche Hilfestellungen wie der Wunschbaum sehr gut geeignet. Da würde ich sofort drei Sterne mitnehmen.

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    1. Es ist oft tatsächlich schwer ein passendes Geschenk zu finden. Ich bin sehr froh, dass auf den kleinen Sternen ein konkreter Wunsch steht. Auch für die Beschenkten macht es in diesem Fall Sinn. Sie sollen neben dem Gefühl, das jemand an sie denkt ja auch nichts bekommen, was sie eigentlich gar nicht brauchen oder gar nicht ihrem Wesen entspricht.
      Ich bin im Schenken glaube ich bei mir nahe stehenden Menschen ganz gut. Aber sobald ich jemanden nicht gut kenne, fällt es mir schwer und ich bin leider auch gar nicht kreativ.
      Wie du bewundere auch ich Menschen, die dafür ein Händchen haben.

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  4. So sehr ich krassen Konsumismus verabscheue – ich bin ganz bei dir mit den kleinen oder grösseren Geschenken für Menschen, die einem aus irgendwelchen Gründen am Herzen liegen. Und die Sichtbarmachung einer (Nächsten)Liebeserklärung mit Schleife drumherum halte ich für eine wunderschöne Geste.
    Du hast deine herzenswarme Haltung auch wieder so herzerwärmend formuliert!

    Ich weiss selbst, wie unendlich allein man an Weihnachten sein kann; dieses Gefühl kann keine Decke wegkuscheln und keine Lotion fortcremen – aber zu wissen, jemand hat an mich gedacht, eine kleine Weile lang, und etwas Nettes für mich getan, tut gut. Es macht nicht alles gut, aber es ist trotzdem sehr, sehr gut.

    Keine Ahnung, ob wir hier auch solche Wunschbäume haben, muss direkt mal danach suchen.

    Im Übrigen denke ich, dass die Freude des Schenkens und die Freude des Beschenktwerdens Zwillinge sind. Manchmal werden sie durch widrige Umstände getrennt, doch im Grunde gehören sie zusammen. Ich zum Beispiel freue mich über das Geschenk, das du mir mit deinen Blogbeiträgen machst. Passt doch perfekt, oder? Und wenn wir uns (hoffentlich) beide gut dabei dabei fühlen- du beim Schreiben, ich beim Lesen, ist alles genau so wie es sein soll. 🥰

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    1. Liebe Eva,
      du hast es ganz wunderbar beschrieben. Gegen kalte und hässliche Gefühl von Einsamkeit hilft nichts materielles. Und doch wärmt eine Aufmerksamkeit ein kleines bisschen und mildert für einen Moment das Alleinsein.

      Auch das Bild der Zwillinge gefällt mir und in unserem Fall stimmt es auf jeden Fall :). Ich freue mich sehr, wenn mir jemand schreibt, dass es sich beim Lesen gut fühlt, wieder erkennt oder Spaß hat. Genauso geht es mir beim Schreiben ja auch. Ich veröffentliche weil es mir Freude bereitet zu lesen, wie es euch geht, was ihr über das eine oder andere denkt oder manchmal auch nur mit der Frage im Kopf, ob es da nur mir so geht. Ich fühle mich zwar nicht einsam, aber so ein Blog hat auch immer etwas gemeinschaftliches und das gefällt mir sehr.

      Ganz liebe Grüße ❤

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  5. leute wie deine kollegin, die irgendwie immer irgendwem die welt erklären müssen, halte ich für außerordentlich übergriffig. egal, ob festtage, trauer oder was auch immer: die menschen haben doch sehr unterschiedliche zugänge zu den dingen und gehen mit ihrer emotionalität oft sehr verschieden um. letztlich, wenn man nicht total drüber steht, schieben sie ihre gesprächspartner ständig in erklärungszwang zu dingen, die sie eigentlich gar nichts angehen.

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    1. Man muss seine Meinung nicht immer sagen, das finde ich auch. Ungefragt ist es dann oft besser einfach über Unterschiede wegzusehen. Zumal man sich im Grunde vielleicht einig ist. Der weihnachtliche Konsumwahsinn ist übertrieben. Aber darum geht es bei kleinen Aufmerksamkeiten ja nicht.

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  6. Wunschbäume in der Stadt, was für eine gute Idee!
    Ja, schenken ist Freude und sagt: du bist nicht allein. Und trotzdem stimmt es mich ein bisschen traurig. Weil es so viele Menschen sind, die einsam und arm sind.

    Liebe Grüße, Ulli 🌺

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  7. Liebes, liebes Wunschtöchterchen, du weißt ja, dass ich nicht in der Lage bin, so viel Zurückhaltung wie du aufzubringen. Ich würde fast 100%ig annehmen, dass ich dieser Frau leicht auf die Finger geklopft hätte, sie aber zumindest aus dem Zimmer geschoben hätte. – Wer für kleine Geschenkgesten, die NICHTS mit dem Konsumwahnsinn zu tun haben, Null Verständnis aufbringt, hat Mitzi als Freundin nicht verdient.
    Bei deiner Adventskalenderidee habe ich fast feuchte Augen bekommen – ich habe zig von solchen Päckchenkalendern in meinem Leben gebastelt, aber ich habe noch nie einen geleert als solche, die ich mir selbst gekauft hatte.
    Sofort habe ich gekullert, wo in Berlin solche Bäume stehen. Aber ich muss vorher den Wunsch lesen, denn selbstgebackene Kekse dürfen es nicht sein.
    Drüxxxxxxxxxxxxxxxxxxx zu dir

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    1. Liebe, liebe Clara. Danke für deine schönen Worte. Ich kann mir so gut vorstellen, dass in all den Jahren schon viele Kalender von dir eingepackt wurden. Und wenn ich an deine Fotobücher denke, dann sind sie sicher etwas ganz besonderes gewesen.
      Und ich habe so einen Kalender selbst auch noch nie bekommen ;). Was in Ordnung ist, weil meine Freunde oder meine Familie sich da viel zu viele Gedanken machen würden. Die würden durchdrehen vor lauter „sich Gedanken machen“.

      Soweit ich weiß sind die Wünsche bei den meisten Aktionen angegeben und man kann sich etwas aussuchen, damit die Kekse nur von denen gemacht werden müssen die das könne oder wollen.

      Ganz liebe Grüße nach Berlin
      Mitzi

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  8. Schenken kann glücklich machen. Den Beschenkten, aber, wenn von Herzen kommend, auch den Schenker. Nicht schenken nicht. Natürlich muß es nichts Materielles sein, schon gar nichts Kostspieliges! Kann aber. Etwas zum Anschauen, etwas zum Anfassen, etwas zum Drandenken.

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