Zwischen den Jahren…eine selten dämliche Redewendung. Aber auch eine, die ich zwar jährlich hinterfrage und doch jedes Jahr aufs Neue nutze. Meist in Fragen oder Feststellungen, die ähnlich dämlich wie die Redewendung an sich sind. Heute Morgen zum Beispiel, als ich mich bei einer Kollegin erkundigte, ob auch sie zwischen den Jahren arbeiten würde. Eine wirklich blöde Frage, da wir uns zu diesem Zeitpunkt beide in der Hocke vor dem Bürokühlschrank befanden und dort nach irgendetwas suchen, das weder nach Zimt noch nach Vanille schmeckte. Als sie mir bestätigte – ähnlich dämlich – dass sie heute arbeiten würde, teilten wir uns die letzten beiden Essiggurken aus einem Glas, dessen Besitzer bereits im Spätherbst gekündigt hatte. Wer in meiner Firma zwischen den Jahren freiwillig arbeitet hat entweder a) vergessen den Urlaubsantrag vor dem Urlaub des Vorgesetzten zu stellen (ich) oder nutzt b) die Anwesenheit im Büro als Erholung vom familiären Wahnsinn der Feiertage (meine Kollegin). Wir naschen schweigend und genießen die ungewohnte Ruhe, bis sie mit dem Rest der Essiggurke auf mich deutet. Gewissensfrage, setzt sie an: Kann man Hamster Bodyshamen?
Ich kaue und überlege, bevor ich den Kopf schüttele. Nein, Hamster sind diesbezüglich vermutlich unempfindlich. In der nächsten halben Stunde lerne ich, dass es Hamstern vermutlich am Fell vorbei geht ob man sie für dürr oder fett hält, das aber Hamsterfrauchen über Witze den Körperumfang ihres Haustieres betreffend, nicht lachen können. Faszinierend lausche ich den Eskalationsstufen einer Familienweihnacht, die vermeintlich harmonisch startete, schon beim Aperitif zu kippen begann und bei der Frage, ob der Hamster der Tochter, der (WARUM?!?) zum Festessen in einem Karton mitgebracht wurde, nicht etwas zu fett sei, völlig aus dem Ruder lief. Das Gewicht des Hamsters, so teilte man mit, sei nur ein Vorwand, um wenig subtil die ganze Familie als fett zu bezeichnen. Wow, nuschle ich und bin froh, dass die meisten meiner Familienmitglieder den Körperumfang von Haustiere weder kommentieren noch persönlich nehmen. An der Kaffeemaschine – sagen Sie nichts, ich bin noch im Festtagsmodus und pendle am ersten Arbeitstag zwischen Kühlschrank und Kaffeemaschine hin und her, um mich langsam zu akklimatisieren – unterhalte ich mich mit anderen Kollegen. Ich stelle fest, dass außer mir niemand so blöd war, den Urlaubsantrag zu vergessen. Ausnahmslos alle anderen Anwesenden befinden sich auf der Flucht und nutzen das stille Büro zur Gesprächstherapie, um die Feiertage aufzuarbeiten.
Kollegin A schwört, nie wieder ein Essen bei sich zu Hause auszurichten, weil…Zitat: Dieser undankbare, größtenteils angeheiratete Haufen sich nur auf ihre Kosten durchgefressen habe, mit keinem Wort ihre von oben bis unten liebevoll dekoriertes Haus erwähnte und die zwei Tage, die sie in der Küche mit Vorbereitungen verbrachte, mit keinem Wort honoriere. Kollegin B nickt und vermutet, dass Familien einfach nicht dafür gemacht sind, soviel Zeit miteinander zu verbringen. Kollege C widerspricht und begibt sich auf dünnes Eis, als er die Überlegung anstellt, dass womöglich Konflikte über das Jahr hinweg zu wenig angesprochen wurden und das vielleicht das Problem von Familie A ist. Eines das man dringend lösen sollte. Ich sage nichts, bin aber überzeugt, dass Heiligabend der denkbar blödeste Tag ist, um das nachzuholen. Ich „lerne“ von Kollegen D, dass es andernorts tatsächlich noch „Männeraufgaben“ gibt, weil der anscheinend tatsächlich beleidigt ist, weil seine Schwägerin das Tranchieren des Truthahns nicht ihm überlassen wollte. Auch hier halte ich den Mund und sage nichts. Ich komme aus einer sehr großen Familie und wenn ich eines gelernt habe, dann im richtigen Moment die Klappe zu halten. Kollege E referiert über sein inneres Kind und Kollegin F erklärt ihm, dass dieses doch bitte nicht so kindisch sein solle. Ich verabschiede mich und schlage drei Kreuze, dass meine Familie zwar nicht unbedingt der durchschnittlichen Interpretation von „normal“ entspricht, wir uns aber wenigstens nicht über unwichtigen Kleinkram streiten und unsere inneren Kinder dort lassen, wo sie bei explosiven Feierlichkeiten hingehören – zu Hause.
Am späten Nachmittag bin ich wieder zu Hause und lasse mein eigenes Weihnachten noch einmal gedanklich an mir vorbeigleiten. Schön war es. Viel Familie und das ist gut so. Sehr viel Familie, aber das ist ja auch schön. Auf die Fotos freue ich mich und wundere mich, dass noch keine Bilder in die Familien WhatsApp Gruppe gestellt wurden. Über meine Verwunderung informiere ich einen meiner Lieblingsneffen, der am Abend vor der Tür steht und mir den an Weihnachten vergessenen Schal vorbei bringt. Wo bleiben sie, frage ich ihn und er schaut betreten an mir vorbei. Ich frage noch mal und er schaut weiter. Im Niederstarren gewinne aufgrund jahrelanger Erfahrung natürlich ich. Er kramt sein Handy raus, öffnet WhatsApp und hält mir das Display unter die Nase. Darauf – vor den ganzen Fotos – ein automatisch generierter Hinweis: „Mitzi wurde aus der Gruppe entfernt“, steht da und ich schließe die Augen, bevor ich ein Schimpfwort zische, das einen meiner Neffen dazu bewegt die Stirn zu runzeln. Is doch wahr….sind die bescheuert? Ist es wegen der Gans? Das war ein Witz, raune ich und das irgendwie mit mir verwandte Kind nimmt sein Telefon wieder an sich. Ein Witz wiederhole ich und er schüttelt nur stumm den Kopf, bevor er mitteilt, dass dieser a) nicht besonders gut, b) nicht eindeutig gekennzeichnet und c) reichlich unverschämt war.
Bis Ostern, zum nächsten großen Familenbrunch habe ich Zeit zu deeskalieren. Und falls mir das nicht gelingt, hat bis dahin irgendein anderer größeren Unmut auf sich gezogen. Die Gruppenmitglieder meiner Familie sind fluide und Blut ist dicker als Wasser. Obwohl…von Tante Ulla hat man seit Jahren nichts mehr gehört.
„Zwischen den Feiertagen“ (mein Vorschlag, diese Tage zu bezeichnen) ins Büro zu gehen, ist offensichtlich gar nicht so blöd. Die, die frei haben, bemitleiden einen, und man selbst verbringt die Zeit zwischen Kühlschrank und Kaffeeautomat und muss nur die Familiengeschichten der anderen anhören. Wenn man dafür bezahlt wird, ist es doch sehr ok. 😉
Was hattest du denn zur Gans gesagt? Dass sie zu mager war?
LikeGefällt 1 Person
Ja das ist eine gute Bezeichnung für diese Woche. Ich glaube ich wiederhole diesen Witz besser nicht 😉
LikeGefällt 1 Person
Sauwitzig! Fast wie im richtigen Leben!
LikeGefällt 1 Person
🙂 Noch lustiger, wenn man selbst nicht im Mittelpunkt steht. Obwohl….
LikeLike
Dein Beitrag hat mich sehr zum Lachen gebracht, liebe Mitzi. Und immer muss ich an Zia Luciana aus dem Film „Mine Vaganti“ denken: È più faticoso stare zitti, che dire quello che si pensa.
LikeGefällt 1 Person
Il saggio tace ;). Aber das fällt an den Feiertagen wirklich schwer. Aber was wäre Weihnachten ohne Chaos. 🙂🎄
LikeLike
Ich hätte ja zu gern den „Gänsewitz“ erfahren ☺️, während ich hier rotweinschlürfend sitze…den haben meine Neffen auf unserer Feier sehr viel schneller inhaliert gehabt, als ich um ein Glas bitten konnte. Die wussten schon, warum sie so Gas geben 😂😂😂, kurz darauf gab es das mehr als tot gekochte Essen meiner Mutter. Doch doch, das gibt es 😎. Nachträglich frohe Weihnachten, meine Liebe und ich Proste mal rüber 🍷🍇😘
LikeGefällt 1 Person
Auch dir nachträglich frohe Weihnachten und einen guten Rutsch 🥂 Und ein Prost auf die Familienfeiern. 😂
Den Gänsewitz gab es nicht. Aber um mich noch mehr reinzureiten habe ich lieber ein wenig verfälscht 😉
LikeLike
Vielleicht sollte man es gelassen sehen. So wie es Hamster tun. Aber! Sind die wirklich so gelassen, wie sie tun…?
LikeGefällt 1 Person
Vermutlich nicht. Wir neigen dazu gegenüber kleinen Kreaturen reichlich arrogant zu sein.
LikeLike
zeigt whatsapp nicht auch dem entfernten die entfernung an?, ging es mir durch den kopf.
für den rest: die arbeitstage zwischen den jahren waren in meiner branche immer die stressigsten, weil ja all die urlauber zu vertreten waren. kein mensch wäre auf die idee gekommen, das freiwillig zu machen.
LikeGefällt 1 Person
Ne, ich glaub nicht. Ich hab auf neue Nachrichten gewartet und hab die Gruppe dann gelöscht. 😤😉😂
LikeLike
wie schön und wie wertvoll, dass du so eine familie hast ❤
LikeGefällt 1 Person
Ja 💚 ich freu mich über diesen Haufen.
LikeLike
„Ich komme aus einer sehr großen Familie und wenn ich eines gelernt habe, dann im richtigen Moment die Klappe zu halten.“ Watt’n Glück, ICH bin nicht schuld daran, dass ich meine Klappe manchmal in unpassenden Momenten nicht halten kann – es liegt daran, dass meine Familie zu klein war. – DANKE!
LikeGefällt 1 Person
Richtig! Denn eigentlich ist es ja genau richtig, die Klappe eben nicht zu halten. Nur ab einer gewissen Familiengröße ist es überlebenswichtig 😉
LikeLike
Danke, liebe Mitzi, für diese Loriot würdige Weihnachts-Nachlese 😅😂 Ich wünsche Dir – und trotz allem auch Deiner Familie 😉 – einen guten Rutsch ins neue Jahr und ein gesegnetes 2023.
Liebe Grüsse aus der Schweiz
Beat
LikeGefällt 1 Person
Das wünsche ich Dir und Deinen Lieben auch! Einen guten Rutsch (gestern) und ein gesundes, frohes und feines 2023
LikeGefällt 1 Person
🙂 Danke für die Geschichte. Ich habe auch „zwischen den Jahren“ gearbeitet, weil die Kinder bei ihrem Papa waren und ich eh alleine. Und dort habe ich von dem weihnachtlichen Eklat in unserer Familie erzählt. Mein Bruder war am nachmittag des Heiligen Abends auf die Idee gekommen, er könne per Whatsappnachricht den Kontakt zu unseren Eltern abbrechen, weil die ihm nicht so zu Willen sind, wie er das gerne hätte – sie haben Recht. Sein Wille ist bescheuert. Auf der Arbeit hatten alle solche Geschichten auf Lager. Krass! Megakrass!
LikeGefällt 1 Person
Ach du Schande….Timing und Art sind….alle Achtung. Die Feiertage haben ihre ganz eigene Dynamik. Nicht unbedingt eine gute. Ich hoffe deine Feiertage waren schön und du bist gut in 2023 gerutscht. Fürs neue Jahr alles Gute.
LikeLike
Zwischen den Jahren arbeiten nur einige Leute im Notdienst, zum Glück ist das nur kurz, nicht mal ne Sekunde. Aber der Hamster! Einen fetten solchen zu einem Essen mitzubringen deutet doch auf eine Notlage hin, oder etwa nicht?
Freilich, dem Hamster, sofern nicht geschlachtet und verspeist, ist’s egal. Bodyshaming? Unbekannt, wie den meisten Tierarten, besonders aber Nilpferden, Seekühen und Grönlandwalen. Ach ja, Seeelefanten auch. Obwohl, werden dürre Seekühe gemobbt? ich weiß es, ehrlich zugegeben, nicht.
Doch den Hamster kann man anders drankriegen. Über den bei den meisten Säugetieren außer eben den Menschen und ihrer engeren Verwandtschaft ausgeprägten Geruchssinn. Ok, Story: meine Tochter (die Ältere in dem Fall): „Mein Hamster!“ „Was ist mit ihm?“ „Hat sich im Bad verkrochen!“ „Ah, laufen gelassen? Hm. Wo ist er denn?“ „Da, in dem Rohr!“ „Oh. Das ist übel. Was hast du versucht?“ „Gelockt. Auch mit Futter!“ „Sch… Hm.“ „Was tun wir?“ (Die Tränen! DIe Not!) „Tja… Oh, ich hab eine Idee! Keine Ahnung, aber versuchen wir mal das…“ Parfümsprühstoß – und wie herauskatapultiert schoß das Tierchen aus der toten Röhre und fauchte und putze unermüdlich. Hamsterzornig (das können die! Hamster sind bekannt für ihre Unleidlichkeit!) war die Bestie! – So ein Gestank am Leibe! Wie bekommt man das wieder los!
Also, es ist die Frage, wie man Bodyshaming definiert. Sollte es über den Geruchssinn gehen, jenen verbesserten, der uns Menschen nicht eignet? Ach ja, schon mal einen Hund (nachdem er sich in einschlägigen Leckereien gewälzt hat, ein Odelfeld ist dabei noch das Harmloseste, wie wäre es mit einem schon länger toten Dachs!) oder gar eine Katze gewaschen? Das ist ein Erlebnis für sich…
LikeLike